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Michael Gratz
Ich verstehe nichts vom Monsun.
Ein Langgedicht von Silke Peters
„Erzählung“ steht im Untertitel. Die Erzählung besteht aus 715 durch eine Leerzeile abgegrenzten Abschnitten von je 3 Zeilen und einem 716ten aus nur einer Zeile. Die Abschnitte sind fortlaufend, prorsa, in Prosa notiert. Ein Ich-
Carceri. Und als keine Bilder mehr kommen und die Zeit doch geht. Warten. Ansitzen zuwarten. Sie. Die emotionale Stenographie. Es bleiben Rümpfe. Den Stift nachspitzen.
Im Gelände. Das Diktiergerät nimmt das Blattrauschen auf. Die Klöppelspitze. Mutter. Ein verstecktes Allergen in den Genen. Eine rasant wirkende Kreuzung. Stockausschläge.
Jahrhundertlang. Staub. Das hat nichts zu bedeuten. Tinca tinca ruft der Name der Beute. Schattenfisch. Eine Verbuttung der vielen Talente. Die Zeit. Frei wählbar.
Schriebe man die Sätze als Verse, entstünde ein Roman in freien Versen von vielleicht 300 Seiten. Solche erzählenden Langgedichte sind in der deutschen Literatur selten, anders als im Englischen. Richard Anders hat einmal seine Lebensgeschichte in freien reimlosen Versen erzählt, bei einer Neuausgabe zwei Jahrzehnte später wandelte er sie dem Markt folgend in Prosa um. Silke Peters geht einen anderen Weg, sie schrieb strophische Verse, bei denen jeder Zeilensprung durch einen Punkt ersetzt wird. „Eine Stilanalyse würde es zu Tage bringen.“ (S. 25) Neun Seiten weiter ein Bekenntnis: „Die Interpunktion hatte mich über den Text gerettet.“ (34) Der Text verwendet nur ein einziges Interpunktionszeichen, den Punkt. Keine Frage-
Dehnungen.
Katzengold.
Glimmer.
Wechsel werden geschrieben auf gleichlautende Namen.
In den Vormittag.
Sehr flink ging das.
Vor.
Not ugly enough.
(…)
Den Bruch.
Sprechen wir an mit Pflanzennamen.
Archilea.
Wir entkommen dem Dorf nicht mehr.
Ich fragte nach dem Fuchswort.
(…)
Eine Topographie der Gedenktafeln.
Hier küsste er sie.
Und da war dies.
Haus.
Und noch ein Haus.
Das vor langem verlassen worden war.
(…)
Was sagen uns denn unsere Wünsche aus.
Das Glitzergeheimnis sagt den Schein aus.
Sagt wo wir sind.
Und wie uns Verführung zu Gesicht steht.
Und doch sind wir allein.
(…)
In meinem Buch geschieht nichts von Belang.
Verdorrte Gesprächsanfänge.
Recken sich.
Quittenchiffren.
Wir taten uns nichts an.
Das war sehr merkwürdig.
(…)
Wünsche verraten.
Feuer entfachen.
Dort wird es milder sein.
Ich gehe von nichts aus.
Die silbernen Blätter auf dem Weg.
Samtig.
In der Erinnerung.
Sanddorn.
Schlehen.
Auf der Zunge.
Mir ist kalt.
Die Bücher sterben.
Dickicht.
Vogelherd.
Das Erschrecken des Blicks.
Als wir die Details schönten kamen die Spuren ins Bild.
(…)
Winkende Blüten.
Der Dunst der Flussniederung.
Als wir die Hangkante besichtigten.
Brachen die Häuser entzwei.
Wir hatten es nicht weit von einem Tor zum anderen.
Das ist keine zerhackstückte Prosa, das sind starke Verse. Nicht die (von mir zu Demonstrationszwecken eingesetzte) Mittelachse, sondern die rhythmische Kraft der langen und kurzen Zeilen erinnert an Arno Holz, der statt der formalen Metren (und prosaischen Gedanken) den Rhythmus der Sache selbst ins Spiel und zum Klingen bringt. Nicht nur der reine Klang, der aus rhythmischen Silbenfolgen und Klangmitteln wie Alliterationen und Assonanzen gefügt wird, auch die schön montierten Gedanken, ja, das gibt es, Gedankenklang! Diese Struktur aus Figuren wie Antithesen, Diäresen, Parallelismen, Anaphern und Epiphern, die kurzen Hauptsätze, exakten Blumennamen, Komposita aus Fachsprachen oder als Einmalbildungen, kurz, Ausdrucks-
Anscheinend bewirkt das bloße Fortlassen der Satzzeichen bis auf das einzige Verstrennzeichen Entscheidendes. Aus sachlich und logisch gegliederten Aussagen und Argumenten werden Verse, die statt auf die prosaische Weise durch diverse klangliche und rhetorische Figuren zusammengebunden werden.
Wie in einem langen Gedicht vielleicht kann man die Handlung über Passagen vergessen vor lauter Rhythmus, schönen Sätzen und Gedanken. Aber das schadet kaum; nicht nur weil eben der Begriff des Verstehens mit bedient und bedacht wird, sondern weil fast an beliebiger Stelle Lesarten neu auftauchen. Ich habe es auch so herum probiert, an beliebiger Stelle aufschlagen und lesen.
Ich möchte über Atriplex reden. Atriplex littoralis. Unkräuter jäten in den langen Reihen von dem was wir sagten. Das ist gut und keine Meldesuppe im Mai. Melde mich. Später.
Ich habe zu viel zu tun. Aus dem Fenster sehen. Aus der Furche auf sehen. An den Fäden spinnen bis sie das Jahr erreichen oder das andere Jahr. Ja sagen. Jasionie sagen.
Die Katze sitzt in der Märzsonne. Noch glaube ich ihr nicht. Den Zufall. Aushalten. Auf den glücklichen Moment warten. Dann plötzlich nicht mehr warten. Auch das ist Sein.
Aber der Stein hat ein Anderes. In ihm ist das steinerne All. Alles. Angeschnittene Wunden der Zeit. Bunte Sandsteine. Und ich vergaß weiter zu lesen. Gänsefüße.
Malta. Malen. Mit Mehl bestäubte Blätter. Die Milde. Vom Geruch der Essigfabrik im Hinterhof. Wach. Eine Grabenviper atmet. Die kleinen weißen Augen übermüdet.
Das ist Poesie, sage ich, die die Kraft hat, Bedeutung zu generieren. Dieses Erzählung genannte Langgedicht hat nicht nur sprachliche Schönheit. Schön und bewegend ist die Geschichte, schön die poetologische Reflexion, die sich durchzieht und schließlich bei Hölderlin ankert. Davon ein andermal.
Silke Peters: Ich verstehe nichts vom Monsun. Erzählung.
Greifswald: freiraum-