William Shakespeare: Sonett 15 - 21
III. 15–21: I ENGRAFT YOU NEW––let me but truly write
Das erste Septett, in dem my verse zum Hauptthema wird. Sonett 15 führt den Dichter ein, zusammen mit der Scheinwelt der Bühne als Ort der Handlung: Where wastefull time debateth with decay … I engraft you new. Alle sieben Sonette lassen das Ich zu Wort kommen. Es beginnt verhalten und spricht den Geliebten dreimal mit dem Personal You an, eher es seiner selbst sicherer wird und zum Invocatory Thou übergeht.
Sonett 18, das bekannteste aller Shakespeare-Sonette, auf das alle vorangestellten Gedichte mehr oder weniger deutlich hingearbeitet haben, ist die Schwerlinie dieses Septetts: So long as men can breathe or eyes can see / So long liues this, and this giues life to thee. Diese nicht eben bescheidene Aussage ist übrigens nicht typisch Shakespeare, sondern vielmehr Teil des Kanons. Aber es ist interessant, daß auch Shakespeare trotz all seiner sonstigen Überwindung petrarkistischer Conceits darauf nicht verzichten möchte. Wir werden noch miterleben, in welchem Maße sein Vers zum Strick wird, an dem er sich aus dem Sumpf des Kleinmuts herauszieht.
Die Sonette 19 – 21 flankieren das zentrale Gedicht. 19 nimmt den Kampf auf mit der deuouring time, die den Geliebten bedrohe; 20 beschreibt seine weiblichen Züge (Master Mistris of my passion) und unterstreicht das durch weibliche Reime; und 21 verwahrt sich gegen proud compare, die wohlfeile rhetorische Übertreibung: I will not prayse that purpose not to sell.
15.
WHen I consider euery thing that growes
Holds in perfection but a little moment.
That this huge stage presenteth nought but showes
Whereon the Stars in secret influence comment.
When I perceiue that men as plants increase,
Cheared and checkt euen by the selfe-same skie:
Vaunt in their youthfull sap, at height decrease,
And were their braue state out of memory.
Then the conceit of this inconstant stay,
Sets you most rich in youth before my sight,
Where wastfull time debateth with decay
To change your day of youth to sullied night,
And all in war with Time for loue of you
As he takes from you, I ingraft you new.
Wenn ich bedenke, daß, was immer wächst,
die Höhe nur für Augenblicke hält,
und daß auf dieser Bühne jeder Text
ein Schicksal birgt, das von den Sternen fällt;
wenn Menschen ich wie Pflanzen wachsen sehe,
dem selben Himmel zu- und abgekehrt,
aufschäumen zu und schwinden auf der Höhe,
gewesen und vergessen, nie gehört ;
–– dann rückt mir diese Unbeständigkeit
den Luxus deiner Jugend in den Blick,
denn deiner Jugend Tag erliegt der Zeit
und dem Verfall –– und fällt in Nacht zurück.
Doch was die Zeit dir nimmt –– in meiner Liebe
erkämpfe ichs und pfropfe neue Triebe.
16.
BVt wherefore do not you a mightier waie
Make warre vppon this bloudie tirant time?
And fortifie your selfe in your decay
With meanes more blessed then my barren rime?
Now stand you on the top of happie houres,
And many maiden gardens yet vnset,
With vertuous wish would beare your liuing flowers,
Much liker then your painted counterfeit:
So should the lines of life that life repaire
Which this (Times pensel or my pupill pen)
Neither in inward worth nor outward faire
Can make you liue your selfe in eies of men,
To giue away your selfe, keeps your selfe still,
And you must liue drawne by your owne sweet skill,
Warum indes gehst du denn nicht daran
und wehrst dich wider ihre Tyrannei,
trotzt dem Verfall und wendest Waffen an,
gesegneter als meine Reimerei?
Du hältst die Höhe jetzt in diesen Tagen,
und viele jungfräuliche Gärten, frei
zu wünschen, würden deine Blüten tragen,
dir ähnlicher als jedes Konterfei.
Der Zeichenstift des Lebens muß dies Leben
kopieren. Hier versagt der Stift der Zeit.
Wie könnt mein Schülerstift dich wiedergeben,
so wie du bist? Wert? Reiz? Lebendigkeit?
Dich wegzugeben –– das erhielte dich:
die eigne Zeichenkunst, der süße Strich.
17.
VVHo will beleeue my verse in time to come
If it were fild with your most high deserts?
Though yet heauen knowes it is but as a tombe
Which hides your life, and shewes not halfe your parts:
If I could write the beauty of your eyes,
And in fresh numbers number all your graces,
The age to come would say this Poet lies,
Such heauenly touches nere toucht earthly faces.
So should my papers (yellowed with their age)
Be scorn’d, like old men of lesse truth then tongue,
And your true rights be termd a Poets rage,
And stretched miter of an Antique song.
But were some childe of yours aliue that time,
You should liue twise in it, and in my rime.
Wer wird dereinst wohl meinem Vers vertrauen,
wenn er dein Lob enthält in höchstem Ton?
Und gibt doch, weiß der Himmel, nichts zu schauen,
vergräbt dein Leben halb und die Person.
Die Schönheit deiner Augen, hätt ich sie
in ihrer ganzen Anmut hingeschrieben,
man würde sagen, ‘Himmlisches hat nie
ans Irdische gerührt, wie übertrieben!’
So würden meine Blätter unterschätzt ––
‘vergilbtes Zeug, die Alten reden viel’,
verdientes Lob dem Zweifel ausgesetzt ––
‘verfehltes Versmaß, antiquierter Stil’!
Doch wenn ein Sohn von dir sein Leben hätt,
dann lebtest du in ihm und im Sonett.
18.
SHall I compare thee to a Summers day?
Thou art more louely and more temperate:
Rough windes do shake the darling buds of Maie,
And Sommers lease hath all too short a date:
Sometime too hot the eye of heauen shines,
And often is his gold complexion dimm’d,
And euery faire from faire some-time declines,
By chance, or natures changing course vntrim’d:
But thy eternall Sommer shall not fade,
Nor loose possession of that faire thou ow’st,
Nor shall death brag thou wandr'st in his shade,
When in eternall lines to time thou grow’st,
So long as men can breath or eyes can see,
So long liues this, and this giues life to thee,
Soll einem Sommertag ich dich vergleichen?
Du bist viel lieblicher und –– ausgeglichen.
Den rauhen Winden muß der Maitrieb weichen,
und viel zu rasch ist Sommers Frist verstrichen.
Zuzeiten brennt das Himmelsaug zu heiß,
und oft verdunkelt sich sein goldnes Licht;
und Schönes gibt zuzeiten Schönes preis,
ob Zufall, ob Gesetz, wir wissens nicht.
Dein ewiger Sommer –– er vergehe nie!
Das Schöne, dein Besitz, –– behalte du!
In–Todes–Schatten–Gehn –– geschehe nie
Du wächst der Zeit in ewigen Zeilen zu.
Solange Menschen atmen, Augen sehn,
wird dieser Vers und du in ihm bestehn.
19.
DEuouring time blunt thou the Lyons pawes,
And make the earth deuoure her owne sweet brood,
Plucke the keene teeth from the fierce Tygers yawes,
And burne the long liu’d Phaenix in her blood,
Make glad and sorry seasons as thou fleet’st,
And do what ere thou wilt swift-footed time
To the wide world and all her fading sweets:
But I forbid thee one most hainous crime,
O carue not with thy howers my loues faire brow,
Nor draw noe lines there with thine antique pen,
Him in thy course vntainted doe allow,
For beauties patterne to succeding men.
Yet doe thy worst ould Time dispight thy wrong,
My loue shall in my verse euer liue young.
Gefräßige Zeit, du stutze Löwenkrallen!
Die Erde laß verschlingen ihre Brut!
Zieh Tigerzähne, ja, verbrenn vor allen
den Vogel Phönix einst in seinem Blut!
Mach fort mit Frohsinn, fort mit Trauer, und
was du auch immer tun willst, Flinke, tu
der Welt es an, all ihrem süßen Schwund!
Doch eine Untat, Zeit, laß ich nicht zu:
daß deine Stunden meinem Lieb die Brauen,
die Stirn zerschneiden, Federstriche ziehn.
Den Kommenden ein Musterbild zu schauen
laß unversehrt von deiner Eile ihn!
Doch wüte, Alte ! Verse trotzen dir.
Für immer jung lebt meine Liebe –– hier.
20.
A Womans face with natures owne hand painted,
Haste thou the Master Mistris of my passion,
A womans gentle hart but not acquainted
With shifting change as is false womens fashion,
An eye more bright then theirs, lesse false in rowling:
Gilding the obiect where-vpon it gazeth,
A man in hew all Hews in his controwling,
Which steales mens eyes and womens soules amaseth.
And for a woman wert thou first created,
Till nature as she wrought thee fell a dotinge,
And by addition me of thee defeated,
By adding one thing to my purpose nothing.
But since she prickt thee out for womens pleasure,
Mine be thy loue and thy loues vse their treasure.
Hast Mädchenzüge, die mit eignen Händen
Natur gemalt, Herr–Herrin du, Ersehnte;
ein edles Herz, das sich ans Drehn und Wenden
nach falscher Frauen Weise nicht gewöhnte;
hast Augen, die nicht wie die ihren schweifen,
sie strahlen und vergolden, was sie schauen;
ein Mannesbild, das Blicke, die es streifen,
gefangen hält der Männer und der Frauen.
Du warst als Frau gedacht, doch dann entzückte
das Werk die Schöpferin Natur, sie fügte
ein Ding hinzu, das mich von dir entrückte,
ein Nichtding mir, das anderm Zweck genügte.
Da sie dich ausersehn, den Fraun zu dienen,
sei mir geneigt –– und beuge dich zu ihnen!
21.
SO is it not with me as with that Muse,
Stird by a painted beauty to his verse,
Who heauen it selfe for ornament doth vse,
And euery faire with his faire doth reherse,
Making a coopelment of proud compare
With Sunne and Moone, with earth and seas rich gems:
With Aprills first borne flowers and all things rare,
That heauens ayre in this huge rondure hems,
O let me true in loue but truly write,
And then beleeue me, my loue is as faire,
As any mothers childe, though not so bright
As those gould candells fixt in heauens ayer:
Let them say more that like of heare-say well,
I will not prayse that purpose not to sell.
Die Art von Dichtkunst ist nicht mein Gebiet,
die, durch geschminkte Schönheit provoziert,
den Himmel selbst als Ornament bemüht
und fremden Reiz im eignen repetiert
–– Vergleiche bildend der Vermessenheit
mit Sonne, Mond, Land, See, und wie sie schäumt,
mit erstem Blühn und jeder Seltsamkeit,
die rings im weiten Rund den Himmel säumt.
Treu, wie ich liebe, laßt mich schreiben, dicht,
denn, glaubt mir, mein Geliebter ist so schön
wie jeder Mutter Kind, nur strahlt er nicht
wie jene Lichter, die am Himmel stehn.
Mag übertreiben, wer das Schwatzen liebt;
ich preise nicht, weils nichts zu kaufen gibt.
Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.