Tim Parks: Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen
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Timo Brandt
Tim Parks: Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher
sprechen. Übersetzt von Ulrike Becker. München (Goldmann Verlag) 2019. 288
Seiten. 10,00 Euro.
Literatur auf
dem Prüfstand
Tim Parks erklärtes Ziel, wie es sich in den
verschiedenen Themen dieser Essaysammlung manifestiert, ist es, alle zu
selbstverständlichen und darob wunden Punkte in unserem heutigen Verständnis
von Literatur und Büchern zu finden und an ihnen zu rühren, sie auszustellen
und umzukrempeln.
In „Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher
sprechen“ geht es nicht primär, wie sonst oft, um die heilsamen Wirkungen,
faszinierenden Erlebnisse und relevanten Funktionen der Literatur, sondern um
ihre (starren) Glaubenskonzepte, ihre Schwächen und Abhängigkeiten. Und auch
wenn Parks als Romanautor, Essayist, Creative-Writing-Lehrer und Übersetzer
(auch hier lehrend) sich natürlich nie ganz von den Ideen der Literatur
distanziert, hier stellt er sie doch einmal gnadenlos auf den Prüfstand.
Schon die Eingangssequenz fragt „Brauchen wir
Geschichten?“ und führt uns alle so hochgerühmten Ideen der Literatur als
Schemen und ein Hörensagen vor, konfrontiert uns mit den Hohlräumen und
Leerstellen in ihrem so klar und richtig erscheinenden Selbstverständnis.
Im weiteren Verlauf wird aus dieser grundsätzlichen Hinterfragung ein Netz aus vielfältigen Ansätzen, die meist das Fragwürdige in verschiedenen literarischen Disziplinen und Institutionen, aber auch und vor allem in Entwicklungen, herauskehren. So setzt sich Parks etwa mit der Globalisierung des Buchgeschäfts auseinander (das für ihn als englisch-sprachigen Autor viel Raum bereithält) und er beschreibt, wie viele Romanautor*innen heute zwischen regionalen und weltliterarischen Themen/Ansätzen hin und her geworfen sind, wie die moderne Literatur gefahrläuft omnipräsent, aber dafür gleichförmig und unspezifisch zu werden.
Spannender hingegen als dieses schon etwas geläufigere, durchaus breit rezipierte Problem sind seine unnachgiebige Kritik an Literaturpreisen und seine vielen kleineren Überlegungen zum literarischen Verfahren und der Stellung von Sprache im Verhältnis zur modernen Gesellschaft. So schreibt er an einer Stelle:
„Wir haben es also heutzutage mit dem Hang zu tun, das Handeln durch das Katalogisieren und Dokumentieren zu ersetzen, eine Illusion (oder Simulation) verantwortlichen Handelns zu erzeugen, indem wir die sogenannte Arbeit, die dem verantwortlichen Handeln vorausgeht und – in den seltenen Fällen, in denen ein solches Handeln noch stattfindet – auf es folgt, endlos vermehren.“
Er führt im Anschluss aus, dass Literatur sich lange
Zeit als Widerpart der Bürokratie inszeniert/gesehen hat, sprachlich wie auch
inhaltlich. Aber ist sie dies noch oder war sie es je? Ist sie nicht stets vom
Kampf gegen diese Verkürzung und Festschreibung selbst in die Eitelkeit der
Verkürzung und Festschreibung verrutscht (und nur durch die Brechung der Ironie
gesehen, steht sie heute noch abseits davon)?
Und führt die Dokumentation des Leids, wie sie ein
Großteil der Romanliteratur betreibt, oder die Ironie, die längst von einem
Mittel zum Zweck zu einem reinen Zweck verkommen zu sein scheint, irgendwohin?
Gäbe es andere Ansätze, denen zu folgen sich lohnen würde?
Parks umkreist diese Fragen, bringt sowohl eigene
Überlegungen als auch eine ganze Reihe von Beispielen aus dem angelsächsischen
Literaturkosmos mit ein (einige wiederkehrende Autor*innen sind Samuel Beckett,
Henry Green, Thomas Hardy und William Faulkner). Seine Haltung ist immer
skeptisch, trotzdem merkt man durchaus, dass er selbst sich auch dann nicht von
der Literatur lösen könnte, wenn seine polemischen Hiebe tatsächlich Erfolg
hätten. Wie Thomas Hettche in „Unsere leeren Herzen“ sucht Parks nicht einfach
nur eine originelle Position, nicht nur Schwachstellen, mit deren Entdeckung er
sich profilieren kann, sondern auch nach Erkenntnissen hinter diesen
Schwachstellen.
„Ist jede »locution« (Beschreibung) zwangsläufig auch »circumlocution« (Umschreibung, Umschweif), wie Beckett glaubte, und wird der Westen sich womöglich langsam und genüsslich selbst die Luft abdrücken und unter einem Haufen von Akten ersticken, während er sich zu Tode unterhalten lässt von einem Berg an Literatur, die diesen skandalösen Vorgang beschreibt und auf bestechende Art und Weise vermittelt?“
Manches Thema wird von Parks etwas zu einseitig
betrachtet und seine Ausführungen lassen sich hier und dort leicht abschütteln.
Seine Grundsorgen und -überlegungen sind aber oft erstaunlich bestechend. Statt
groß zu polemisieren und zu behaupten, zu prophezeien oder glanzvoll zu
akzentuieren, nimmt er die derzeitige Buchkultur Stück für Stück auseinander
und betrachtet ihr Innenleben. Ihm geht es dabei nicht um Demontage, sondern um
die Frage: wie funktioniert das alles? Funktioniert es wirklich? Könnte es auch
anders funktionieren?