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Svein Jarvoll: Thanatos

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Jan Kuhlbrodt

Svein Jarvoll: Thanatos. Ein polyphones Gedicht über den Tod. Norwegisch / deutsch. Übersetzt von Matthias Friedrich. Oslo, Greifswald & Schupfart (roughbook 050) 2019. 100 Seiten. 15,00 Euro.


Zu Svein Jarvoll: Thanatos.

Im Verlags- und Publikationsgeflecht von Urs Engeler sind in den letzten Monaten und Jahren verschiedene Publikationen des norwegischen Autors Svein Jarvoll aufgetaucht. Aus dem Norwegischen übersetzt wurden sie allesamt von Matthias Friedrich, und es scheint mir fast ein Wunder, dass ihm das angesichts des überbordenden Ausgangsmaterials gelungen ist, ohne dass er daran verzweifelt wäre. Aber vielleicht ist er das ja streckenweise.
    Friedrich hat für diese Übersetzungen einen Stil kreiert, der in seiner Art unverkennbar ist, ein deutscher Jarvoll, wenn man so will, gleichzeitig aber andockt an dem, was an postmoderner Literatur über die Jahre aus dem internationalen Sprachraum in die deutsche Sprache geschwappt ist und was hierzulande kaum literarische Referenzpunkte kennt, abgesehen vielleicht von Ingold und einigen Texten von Schrott. Es ist eine Literatur, die im erzählerischen Furor die zeitliche Einteilung der Welt und Literaturgeschichte nicht einebnet, aber auf ihre Weise durcheinanderwirbelt und aus Bruchstücken neu zusammenfügt. Man kann es vielleicht pynchonesk nennen, wenn man dem übergroßen Schatten des Amerikaners nicht ausweichen kann – aber wie jedes labelling funktioniert auch dieses nur bedingt.

Ein Gedicht von Jarvoll übrigens heißt Imponderabel und lautet:

Imponderabel
In Pauly-Wissowas Real-Enzyklopädie der classischen Altertumswissenschaft, Band X. 2 (Ius liberorum – Katochus) fand er zwischen Spalte 1393 und Spalte 1394
beim Artikel Ka
den Kadaver
einer Fliege, ein namenloses Geschöpf,
nicht viel größer als ein Punkt.
Die lanzettförmigen Flügel
hoben sich blank und leicht irisiert
vom Thorax, den Schwingkölbchen und
den schwarzen, gespreizten Beinchen ab.

Vielleicht bringt dieses Gedicht ja die Unwägbarkeit sprachlicher Überlieferung ganz zum Ausdruck. Und es gelingt ihm, mich von eigeübten akademischen Automatismen, angesichts des Titels Thanatos, Automatismen zwischen Schwab und Freud zu lösen.

Ich stehe, wenn ich dies schreibe, noch unter dem Eindruck des 2018 bei Engeler erschienenen Romans „Eine Australienreise“; eines Buches, das als geheftete Sammlung von A3 Blättern daherkam, was über seinen Umfang und seine erzählerische Struktur zunächst hinwegtäuschte. Ein Text also, der sich beim Lesen gewissermaßen entfaltete über den ersten optischen Eindruck hinaus. Auch die erzählte Zeit rollte nicht ab, wie man es gewohnt ist, sondern verschlang sich in sich selbst, dass man streckenweise das Gefühl bekam, auf eine zeitliche Orientierung ganz verzichten zu müssen, dabei aber vom Fraktalen der Erzählstruktur aufgefangen wurde.

  Die Handlung zu beschreiben fällt schwer. Die Handlung wäre das Meer und ein uneheliches Kind von Dante und Homer. Soweit vielleicht das Rauschen, aus dem heraus ich die Gedichte gelesen habe, die unter dem Titel „Thanatos. Ein polyphones Gedicht über den Tod.“ als roughbook 050 erschienen sind. Ein Jubiläum sozusagen. Die Reihe feiert sich selbst mit Gedichten wie diesem:

Variation über ein Thema von Ausiàs March

Tod, ich ließ einen Mantel nähen
aus deinem Stoff. Er passte
und war weit genug,
als ich ihn anprobierte,
aber eng, als ich losging.

March war ein spätmittelalterlicher katalanischer Dichter und Ritter, der 1459 in Valencia starb und der in Jarvolls Gedichtsammlung, wenn man so will, auf Kollegen der Anrainer des Mittelmeers trifft, wie Xenophon und Heraklit.
    Jarvoll spielt also Todesarten durch, die in mannigfaltigen lyrischen Ausformungen dargestellt und an anderer Stelle auch betrauert werden. Diese changieren zwischen Klage und Anklage, Verstummen und Schrei. Und was hier vielleicht pathetisch wirkt, wird nüchtern zurückgenommen.
    Ja, verdammt, und das Buch hat Humor, das einzige also, was man dem Tod entgegensetzen könnte.
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