Sophie Reyer: Urizen
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Jan Kuhlbrodt:
Sophie Reyer: Urizen. Eine poetische Nachdichtung in Bildern
von Harald Häuser. Schorndorf (Moloko Print) 2020. 120 Seiten. 15,00 Euro.
Zu Sophie Reyer. Urizen
so staunen/ so angst/ denkt los denn er hatein wesen geboren aus seinem gefühl
William Blake entwarf im Ausgang des achtzehnten
Jahrhunderts einen umfassenden Mythos, die Entstehung der Welt, die Psychologie
von Menschen und Göttern, ein Mythos, der die Grenzen der Aufklärung
überwinden, aber nicht in voraufklärerische Barbarei zurückweisen sollte. In
diesem Kontext entstanden Gedichte, Zyklen, Poeme und auch Bilder.
Seine Zeitgenossen schien er damit überfordert zu haben,
aber kommende Generationen nahmen diesen Gestus durchaus auf. Im zwanzigsten
Jahrhundert entstanden Werke mit offenem Blake-Bezug von so unterschiedlichen
Dichtern und Dichterinnen wie Allen Ginsberg und Inger Christensen.
Ginsberg zum Beispiel stellt sich mit seinem Langgedicht
„Howl“ ganz offen in einen Blake-Bezug, aber auch Christensen in ihrem Gedicht
„alphabet“ zum Beispiel dockt an Blakesche Muster an, auch wenn ihr Gestus
wesentlich zurückhaltender ist. Dennoch passt sie eine unfassbare Welt in eine
streng mathematische Reihe ein.
Eine Gestalt in Blakes Universum, das sich aus seiner
inneren Widersprüchlichkeit heraus selbst erschafft, ist Urizen. Gestalt ist
vielleicht das beste Wort, um das Changierende zu umschreiben, was Blakes
Figuren ausmacht. Sie sind zugleich Gott und Verhältnis, und spiegeln sich in
ihren Gegenübern. Urizen zum Beispiel, der Schöpfergott, der die Welt mit einem
Zirkel vemisst und für das Rationale steht, findet sein Gegenüber unter anderem
in Los, dem Gefallenen, der gefallenen Form.
Diesem Urizen nun hat Sophie Reyer ein Gedicht über neun
Kapitel gewidmet, das jüngst bei Moloko Print erschienen ist. Das Buch ist mit
farbigen Reproduktionen von Bildern des Marburger Malers Harald Häuser
ausgestattet. Abstraktionen mit einer biomorphen Anmutung, als erblicke man
organische Strukturen im Moment ihres Umschlags in Leben. Eine eigene
Selbstschöpfungsvision.
Schon in den Eingangsversen, die Reyer Präludium nennt,
macht sie deutlich, dass sie sich der Problematik eines solchen Unternehmens
durchaus bewusst ist. Das heißt, sie weiß um den hybriden Charakter des
Unternehmens, das Ganze der Welt in einen einzigen Text zu pressen, und stellt
es zurecht neben die tödlichen Visionen von Diktatoren. Dennoch, oder gerade
deshalb startet sie den Versuch einer eigenen Version, wie aus einem mit
Kopfschmerzen drohenden Licht.
so revoltiert es: dunkelschatten um schatten in sichselbst zurück geschluckt
Es ist keine optimistische Version, die Reyer hier vorlegt,
auch wenn es mit einer Schöpfungs- und Selbstschöpfungseuphorie beginnt.
Allerdings schlägt diese Euphorie letztlich in die menschliche Vorstellung von
Verfügbarkeit um. Der anfängliche Großmut des Schöpfers Urizen entlädt sich in
Angst und Sorge, und der stolze Mensch, der die Städte bevölkert, schrumpelt in
sich zusammen.
ein gewebe aus ideologienentstandwand band/ verband sich/ verbandszeug fürdas verzweifelte hirn
Insofern ist Reyer sicherlich näher bei „Howl“ als bei
„alphabet“. Ein mutiges Projekt ist es allemal.