Direkt zum Seiteninhalt

Sonja vom Brocke: Mush

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Jasmin Wieland

Sonja vom Brocke: Mush. Gedichte Berlin (kookbooks) 2020. 80 Seiten. 19,90 Euro.

Herumwühlen zwischen Mystik und Erdik


Mush, wirft es einen hinein ins Breiige, das wie ein Statement klingt, oder eine Aufforderung oder gar etwas bedrohlich Verfluchtes, das daran haftet. Heaps. Man gibt sich auf eine Spur, die ebenso indefinit bleibt. „Najaden, Nachteule / Erdsänger~in“. Griechische Mythologie im Gender-Gewand. Es bleibt feucht. Es bleibt spannend. „Floh / -runkel / Follikel / Fol-“. Hier spielt jemand mit den Lauten, zerteilt, mixt, verbreit – umgeben von Mystik. Und dennoch so nah an der Wirklichkeit. Denn da sind die Gänseblümchen und der Löwenzahn, die Zunge und der Gaumen und dennoch wieder „Daimonia“. Man wird nicht wirklich schlau aus diesem Gewirr. Meint man in einem Moment noch in eine sagenhafte Gestalt hineinzuschlüpfen, mit der man durch die Gedichtzeilen geistert, so scheint in einem anderen das „ich“ ein ganz reales zu sein, dass sich an irgendeiner Stelle à la „De-form“ verloren hat und nun wild aneinander reimt.

Mush. Da ist er wieder, der Brei. Ebenso natürlich, doch verändert. Eine Raupe verwandelt sich anscheinend nicht in einen Schmetterling, sondern wird zu „mush“, wird Sheila Heti zitiert. „Why does no one talk about the mush?“. Aha. Also doch. Das scheinbar Unsichtbare soll Sichtbar gemacht werden. Nur wie? „Gegend / die aus Rastern schweift“. Im Verlassen, Hintersichlassen von Normen, in der Auflösung, Vermischung soll sich die Antwort finden. Das lässt sich auf die offene Form des Gedichtbandes projizieren. Fünf Kapitel, der Erzählung, möchte man sagen. Doch wo fängt diese an, wo hört sie auf?

Gestrüpp, Müll, ein rabenschwarzes Wappen / Sinn erzeugen per Staffelung? Wie wächst das Nussfleisch? / Lauf über. – Aber sie öffnen nicht! / Lotsen Kriege, einvernehmlich, Leuchtscheiben schießen schräg aus den Torsi. / Abwärts, geschwind, als Bedingung für Saumseligkeit, keine andere.“ Es klingt wie ein Zauberspruch: „huxum lurum fabum“. Hext weiter. „Walnussmaske, Winkelzüge / O’Keeffe / und die Theorie, Weil und barks /LTI nicht zuletzt. / Unterdessen kraule ich durch Streit / bunte Weite“. – Als „Makrelenwissen“ und oder „Menschenwissen“ hört die Erzählung auf, möchte man sagen. „Wann schnappen sie zu? Wann nehmen sie die Wellen mit“. Der Punkt fehlt. Es gibt weder Ende noch Anfang. Es gibt nur sich wiederholende Motive. Die Nacht und die Tiere und das Kosmische, zum Beispiel. Das Erdige und die Mystik. Und irgendwo dazwischen wird sich wohl die Raupe zum Schmetterling wandeln. Irgendwo zwischen schwarzen und weißen Seiten, Groß- und Kleinbuchstaben, Fettgedrucktem und Serifen. Findet sich das Ich? Man weiß es nicht. Doch im Grunde hat es schon längst vervielfältigt.
August 2021


Zurück zum Seiteninhalt