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Sibylla Schwarz: Werke, Briefe, Dokumente

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Jan Kuhlbrodt

Sibylla Schwarz: Werke, Briefe, Dokumente. Kritische Ausgabe, Band 1: Briefe, Sonette, Lyrische Stücke, Kirchenlieder, Ode, Epigramme und Kurzgedichte, Fretowdichtung. Herausgegeben von Michael Gratz. Leipzig (Reinecke & Voß) 2021. 192 Seiten. 20,00 Euro.

Sibylla Schwarz: Werke, Briefe, Dokumente
Kritsche Ausgabe, Band 1


auff wen sol man sich nun vertrauen?
eß kracht und bricht der Hoffnung Hauß.

In den Gesprächen und Rezensionen zur Ausgabe der Werke von Sibylla Schwarz klingt zuweilen ein Ressentiment gegen Barocklyrik an. Unverständlich sei sie, verspielt, zu sehr der Form verpflichtet. Vielleicht ist es so, dass wir mit beiden Beinen noch tief im Romantischen stecken, oder dass unsere Köpfe im dunstigen Himmel der Klassik nach Klarheit suchen, so dass uns barocke Gebilde wie nebenweltlich erscheinen. Und was soll man dagegen tun, wenn nicht lesen?          
Vielleicht mit Leibniz beginnen, dessen Philosophie sich glasklar abzeichnet vor dem Hintergrund des längsten Krieges der Europäischen Geschichte. Und der, wie wohl er den Gedanken formuliert, doch auch die Art und Weise der Formulierung bedenkt. Denn Form ist Inhalt, wo genauer kann man das betrachten als im Barock. Aber Leibniz wurde acht Jahre nach dem Tod von Sibylla Schwarz geboren. Sie konnten sich also nicht begegnet sein. Zumal in dieser Zeit ein langer Krieg herrschte.

Sibylla Schwarz lebte von 1621 bis 1638, und sie lebte nicht einen einzigen Tag im Frieden. Ihre Mutter starb, als sie acht Jahre alt war. Und sie selbst starb mit 17. Die Daten scheinen angesichts der Fülle der gerade erschienenen textkritischen Gesamtausgabe geradezu unglaublich. Im Band das ganze Arsenal barocker Dichtkunst: Sonette, eine Ode, Epigramme etc. trefflich gearbeitet in Kenntnis der Regelpoetik des Martin Opitz, als wollte die Dichtung der wirren kriegerischen, sich selbst zerstörenden Gesellschaft eine Ordnung der Schönheit entgegensetzen.
    Und irgendwie funktioniert das ja auch. Die Kunst und der Krieg, Die Dichtung und der Krieg. Ungleiche Geschwister seit Homer.

Im Band findet sich, neben der Einleitung und den Anmerkungen des Herausgebers Michael Gratz, ein zeit-genössisches Vorwort. Samuel Gerlach, der Lehrer und – wie es scheint – auch Vertraute der Dichterin, formulierte es, denn er gab einige Jahre nach dem frühen Tod Schwarzens ihre gesammelten Gedichte zum ersten Mal heraus. Dieses Vorwort ist von einer Ehrfurcht geprägt, die das Schülerinnen-Lehrer-Verhältnis umkehrt: voller Hochachtung dem Werk der Jüngeren gegenüber. Und Gerlach geht von der Verwunderung aus, die einen Leser ergreifen würde, wenn sich dieser dem Werk einer „Weibsperson“ zuwende, von der er in deutscher Sprache bisher wenig gesehen haben würde.

Gerlach erkennt in diesem Werk also eine Einzigartigkeit, die ihm eignet, gerade weil es sich der Regelpoetik unterwirft. Und darin liegt sicher auch der formale Grund einer Utopie, die dem Werk inhärent ist. Die Ordnung, die die Dichterin pflegt, öffnet gerade, weil sie streng ist, weit die Tür zu einer Freiheit, die über individuelle Willkür hinaus geht. Und in der Anwendung der Regel gelingt es der Dichterin, ein weibliches Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, das uns noch heute außergewöhnlich erscheint. Die meisten Rezensentinnen verweisen auf einen ausgeprägt feministischen Zug im Werk.

Im Band befinden sich einige Kirchenlieder, in denen jener überwundene Zwiespalt von formaler/gedanklicher Strenge und vielleicht jugendlichem Überschwang auf eine grandiose und, so will es zumindest mir scheinen, einem Leser, der die Zeilen knapp vierhundert Jahre nach ihrer Entstehung liest, zuweilen freche selbstbewusste Art ausgetragen wird. Diese Kirchenlieder drangen mir ins Bewusstsein, nachdem ich die Begeisterung über die Sonette und die nach Freiheit lechzende Fretowdichtung etwas beiseitegeschoben habe. Aber auch hier, und vor allem in der Fretowdichtung, erkennt man die von Schwarz geschaffenen dichterischen Freiheitsinseln. Fretow ist der Ort, wo die junge Dichterin ihre Jugend im Kreise von Gefährtinnen und Gefährten leben konnte. Mitten im Krieg und vor den Toren ihrer Geburtsstadt Greifswald.

Die Freundschafft ist mein Trost / die Freundschafft ist mein Raht /
Die Freundschafft / die mich selbst mir fast genommen hat /
Jst meine högste lust. O wolte Gott vergönnen /
Daß mir mein Fretow nur so würde lieben können /
als ich es lieben kan / ...


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