Sascha Kokot: Ferner
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Marko Dinić
Stille Endzeit
Für mich als Außenstehenden, in einem anderen Kulturkreis Sozialisierten, ist es immer wieder erstaunlich, mit welch einer Inbrunst im deutschsprachigen Raum Pathos in der Lyrik abgelehnt wird, so, dass man den Eindruck nicht los wird, der Akt dieser Ablehnung sei selber vom einem einstudierten Unterdrückungsmechanismus getragen, der selbst wiederum pathetische Züge in sich birgt. In ihrer Kritik zu Sascha Kokots neuestem Band Ferner bedient Astrid Nischkauer dahingehend nur gängige Muster, die wiederzukäuen schon zum Standardrepertoire der hiesigen Literaturkritik geworden ist.
Wieso würde weniger Pathos den Gedichten Sascha Kokots nicht schaden, wenn dieser Pathos hier geradezu programmatisch für ein Szenario eintritt, das ohne denselben kaum auskäme – und zwar in jeder Sprache: Weltuntergang und Endzeit sind nun mal pathetisch!
Was diesem zweiten Gedichtband Kokots sicherlich guttäte – und das wiederhole ich in meinen Kritiken immer wieder –, wäre eine Verschlankung des Textkonvoluts, das auf den leierhaften Zyklus Transit und einige Einzelgedichte gut verzichten hätte können. Der Rest dieses Bandes wird getragen von einem Grundtenor, einer Stimmung, wie sie mir kein anderer Lyrikband in diesem Jahr hat rüberbringen können. Die Nüchternheit und Reduktion, mit der der Autor hier schon im ersten und mitunter einem der stärksten Zyklen Drift Szenarien einer leisen Liebe und Zuneigung zeichnet, sind schon bemerkenswert. Liebesgedichte könnte man sie nennen, wohlgefeilt, unaufgeregt, zurückgenommen. Der nüchterne Ton tut den pathetisch aufgeladenen Bildern gut – wenn hier irgendwo Pathos herrscht, dann zwischen den Zeilen. Von einer gekünstelten Adjektivflut, wie sie manch pathetisches Gedicht einem unterbreitet, kann hier kaum die Rede sein. Was sehr erstaunt, sind die als Halbsätze getarnten Hinweise auf die Programmatik bzw. Poetik dieses Bandes: „[…] zwischen Häuserfronten über Tramgleisen / und Grünanlagen im dichten Geäst bewegt es sich / ganz ohne Gewicht […]“
Dass manche dieser gewichtlosen Gedichte ganz ohne lyrische Person
auskommen, erstaunt und schärft den Blick zugleich. Grundsätzlich gilt für
diesen Band vieles, das bescheidene Meisterschaft betitelt werden möchte, aber
weniger mit dem Stil oder Handwerk zu tun hat: Diese biedern sich eher gängigen
Schemata an, als dass sie dem Leser/der Leserin Neues vor Augen führen (wobei
das eine oder andere Satzzeichen den Gedichten sicherlich gutgetan hätte).
Diese Gedichte trumpfen eher mit ihren Stimmungsbildern und Topoi auf – mit dem
Umgang ihrer lyrischen Personen. Es handelt sich hierbei ganz klassisch um Tag-
und Nacht-Gedichte, denen der ruhige Ton eine Apokalyptik beschert, die
widersprüchlicher nicht sein könnte. Wenn sie metaphorisch aufgeladen werden,
dann gen Ende hin, wobei einzelne Bilder in den nachfolgenden Gedichten gleich
wieder aufgenommen und weiter ausgearbeitet werden:
„das Bettzeug bleibt liegenfür ein Paar Tageals gefiederter Abdruckmeiner Bewegungen in diesemStreitfall zwei Meter überdem Boden schwelt es weiterwühlen die Kinder deinsund meins darin umherspielen Burg oder Grotteso dick gepolstert tut ihnennichts weh liegen sie nichtwund auf diesem Schlachtfeld“
Die Bilder einzelner Gedichte in den jeweiligen Zyklen sind manchmal
derart dicht bei einander gebaut, dass sie wie Variationen wirken. Diese
Einheitlichkeit beeindruckt. Somit kann auch ein Stimmungsbild entstehen und
einen Sog entfalten, der mich die Gedichte drei, vier oder fünf Mal hat lesen
lassen. Freilich gibt es auch schwarze Schafe, die das Lektorat besser hätte
streichen sollen und die in ihrer platten Kritik am bösen 21. Jahrhundert
diesen stark konzeptlastigen Band eher beeinträchtigen, als dass sie ihm
irgendetwas Sinnvolles hinzufügen:
„wir mästen unsere Profilein abgelegenen Serverfarmenbei konstanter Kälte verbunkertund chronisch gespiegeltfeuern sie regelmäßig durch Tiefseekabelnur knapp über dem Gefrierpunktwas sich über uns auslesen lässtmit jeder Bewegung angereichert wirdsetzen sie Stück für Stück zusammenbis ein Bild von uns entstehtdas wir nie hätten ablichten könnenin ihren Speichern unbeirrt anwächstuns immer detaillierter freistelltim Sucher eines Algorithmusder nie gelernt hat zu vergessen“
Den wohl stärksten Zyklus bildet das Konvolut Schären. Hier steigert sich die im vorherigen Gedicht etwas
plattitüdenhaft gezeichnete Technikkritik in kryptische Sprachbilder einer
entvölkerten Welt, die mich erstaunlicherweise an die Mad-Max-Filme oder Die Straße von Cormac McCarthy haben
denken lassen. Zwischen als alternative Sonne brennenden Raffineriefeuern und
im Untergrund lauernden Löwen, die die letzten Männer abgelöst haben und nun
selber auf Ablösung warten, entfaltet sich eine Stimmung, die ich so in
deutschsprachigen Gedichten noch nie gelesen habe (bitte her mit den
Lektüretipps!!!):
„es leben Löwen im Untergrundsie durchstreifen die alten Schächtestellen ihre Beute in niedrigen Kavernenwetzen die Krallen an der Grubensicherungschlafen im Führerstand der Fräsmaschinenbewachen seit Jahren die festgefressenen Gestängeseit dem Verschwinden der letzten Männerwarten sie auf die Ablösungdie Rückführung an die leckende Oberflächeihre Körper aber wissen nichts mehr davonkennen nur noch die konstante Witterungden permanenten Mangel an Lichtdas fremde Verhalten der Geräusche im Felsmanchmal verfangen sie sich in einem Lüftungsschachtdringen beinahe verklungen zu uns durcherinnern uns an das Wildern unserer Altlasten“
Zum Abschluss sei hier noch einmal auf das Personal dieser Gedichte
verwiesen. Denn was diese Gedichte bzw. die einzelnen Zyklen so reizvoll macht,
ist die Tatsache, dass die lyrischen Ich, Du und Wir von Zyklus zu Zyklus
variieren und jeweils einem anderen Ton unterstehen. Mal ist dieser Ton
persönlicher wie im letzten Zyklus Filament,
der Kindheitserinnerungen und den Tod des Vaters aufarbeitet. Mal ist er
distanzierter wie im apokalyptischen Schären.
Dabei kann man das lyrische Wir kollektiv verstehen, aber auch als Paar, das
lyrische Du als reflexive Nabelschau oder als Rede eines versteckten Ich an den
Leser/die Leserin. Es ist eine wahre Wohltat, zu sehen, dass der Autor sich
hier ausprobiert, sich nicht nur auf einem lyrischen Ich ausruht, sondern in beinahe
allen Gedichten mit der Problematik spielt und sie ausreizt.
„in Nächten wachsen uns Korallenvor dem Fenster legen sie ihre Musterum die Kegel der Flutlichterfür jedermann sichtbar setzen sie langsam Reif anzittern leicht wenn Füchse ihr Revier markierenam Morgen sich die ersten Vögel niederlassentreten wir klamm und unbeholfen vor die Türmit dem Geruch unserer ausgekühlten Körperbeginnen ihre Verästelungen entfernt zu schwingenunserem Zweifel einen Klang zu geben“
Sascha Kokot: Ferner. Gedichte. Dresden (edition AZUR) 2017. 88 Seiten. 17,90 Euro.