SAID: vom wort zum haus
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Gerrit Wustmann
„die poesie ist meine art der unruhe“
SAID erkundet den Wandel vom Wort zum Sein
Was ist Lyrik? Eine Frage, die jeder auf gewisse Weise
anders beantworten wird – und zwar je nach Herleitung. Weil zuerst gefragt
werden muss, was Wörter eigentlich sind. Was ist Sprache? Was macht sie mit der
Wahrnehmung und der Identität? Für den in Iran geborenen Dichter SAID sind das
seit jeher ganz zentrale Anliegen seines Schreibens. Aufgewachsen mit der
persischen Sprache, sagte er vor Jahren in einem Interview mit der ZEIT, seine
eigentliche Heimat sei die Sprache. Nicht die persische. Sondern die deutsche.
Es ist die Sprache seiner Literatur geworden. Eine komplettere Aneignung des
Exils kann es kaum geben.
„vom wort zum haus“ heißt dementsprechend sein neuer, im Juni bei Rimbaud erschienener Band mit 69 kurzen Gedichten in sechs Kapiteln. Das Wort wird zu Sprache und die Sprache zum Haus, zu einer Heimat. Zu einer Identität. Was nicht bedeuten muss: zu einer gemütlichen Sicherheit. Denn „die poesie ist meine art / der unruhe“, heißt es zu Beginn des fünften Kapitels. Um das Altern geht es (SAID ist Jahrgang 1947, mit achtzehn kam er nach Deutschland) und um das Gedicht als Kampf dagegen, auch gegen das Vergessen. Eine eigene Sprache zu finden, das wird in den Versen klar, ist immer auch Widerstand. Ein Akt des Zweifels gegenüber der Welt und gegenüber der Eindeutigkeit, die es nicht geben kann, weil Sprache immer einen doppelten Boden hat – und einen drei- oder vierfachen, wenn man sich in zwei Sprachen auf unterschiedliche Weisen heimisch fühlt, fühlen will:
ohne einen augenfälligen grundwehrt sich eines tages die schriftund dient nicht mehr der fixierunghausierer tragen die nachricht in die städtemit bischöfen und balustradendort verleugnen die häuserzeilendie gelüste der alleenin den bäumenbesprechen die stare den tageslärmund suchen nach einer sprachefür ihren gott
Für ihren Gott? Natürlich! Selbst wer an den einen
monotheistischen Gott glaubt, findet ihn nicht manifest, sondern vielschichtig
und sehr abhängig von der Sprache. Und das muss nicht die Sprache der
jeweiligen Heiligen Schrift sein, vielmehr ist es die Sprache des eigenen
Denkens, die maßgeblich das Sehen und Fühlen beeinflusst. Und damit auch Gott –
was immer der Einzelne unter dem Begriff verstehen mag. Religiös werden SAIDs
Gedichte dementsprechend auch nur in eine Richtung: hin zur Sprache. Die Wörter
warten „geräuschlos“ und „verbinden die zeit mit der sprache“.
Und so geht es in einem Kapitel tatsächlich zentral um
Häuser und ihr Verhältnis zur Sprache, was man sowohl wörtlich als auch
symbolisch verstehen kann. Die Frage nach Heimat ist dabei immer auch die Frage
nach einem Rückzugsort. Nach Geborgenheit, Verstehen und Verstandenwerden: „das
kind erinnert sich an orte / an bilder / ohne das verb und / seine logischen
allüren“.
Zwischendrin, vor allem wenn Naturbilder, oft Bäume und
Vögel, auftauchen, scheinen deutliche Anklänge an die persische Dichtung des
20. Jahrhunderts durch, die selbst wiederum oft Bezug nimmt auf die Klassiker. Es
findet sich plötzlich, inmitten der Heimat deutsche Sprache, dieser Ton, er so
typisch ist, so charakteristisch für viele iranische Lyriker und Lyrikerinnen,
die auf Deutsch schreiben:
hinter den pupillen der nachterheben sich die pinienzum abendgebetihre blickebefragen die liebendendie erwiderung verziertdie tage der bäume
An anderer Stelle spielt die Zypresse eine gewichtige Rolle.
Bei den persischen Klassikern symbolisiert sie je nach Kontext eine Geliebte
oder auch die Freiheit – Lesarten, die auch bei SAID funktionieren. Es sind
auch diese Anspielungen und Untertöne, die zur Vielschichtigkeit des Buches
beitragen, das eine sanfte, eine vorsichtige, kritische, dabei aber immer
liebevolle Erkundung dessen ist, was Sprache ausmacht.
SAID: vom wort zum haus. Gedichte. Aachen (Rimbaud Verlag) 2018. 104 Seiten. 15,00 Euro.