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Richard Rorty: Pragmatismus und Antiautoritarismus

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Jan Kuhlbrodt

Richard Rorty: Pragmatismus und Antiautoritarismus. Übersetzt von Joachim Schulte. Berlin (suhrkamp) 2023. 454 Seiten. 34,00 Euro.

Zu Richard Rorty: Pragmatismus als Antiautoritarismus


Das Buch geht auf eine Vorlesungsreihe zurück, die der 2007 verstorbene Philosoph vor über 25 Jahren an der Universität Girona gehalten hat. Einige Rezensenten und Philosoph/innen/-kolleg/innen betrachten diese Vorlesungen, nach „Der Spiegel der Natur“ und „Kontingenz, Ironie und Solidarität“, als das dritte und abschließende Hauptwerk Rortys, der weithin als Hauptvertreter des Neopragmatismus gilt.
        Natürlich birgt dieses Label das Potenzial, an dem sich die Geister scheiden. So werden Rortys Theorien denn auch mit euphorischer Begeisterung oder mit radikaler Ablehnung aufgenommen. Aber beides scheint mir nicht der philosophische Weg der Kritik zu sein. Ich denke auch angesichts dieses in einem gewissen Sinne epochalen Werkes sollte das Verstehen Zentrum sein, bildet das Verstehen doch zu aller erst die Bedingung der Möglichkeit der Kritik.

In „Der Spiegel der Natur“ verwirft Rorty die Vorstellung, dass die Philosophie eine Art Abbild schaffen könne, in dem sich das Vorliegende repräsentiert findet, und er verwirft damit auch den damit korrespondierenden Wahrheitsbegriff. Im Mittelpunkt von Rortys Projekt einer bildenden Philosophie steht das Zusammenwirken der Philosophinnen und Philosophen mit anderen. Sie sollten sich als Gesprächspartner an alltagsrelevanten Diskursen beteiligen.
      Dieser Diskurs soll dann ermöglichen, sich von Traditionen zu lösen und neue Sichten zu finden. Die Offenheit dieses Ansatzes sorgte und sorgt für Diskussionsstoff. Zumal Kollegen sich in ihrer platonischen Vorstellung angegriffen fühlen, wonach der Philosoph einen privilegierten Zugang zur Wahrheit habe. Dabei bezieht sich Rorty hier durchaus auf Nietzsche, den er im vorliegenden Buch gewissermaßen als elitären Pragmatiker darstellt. Dem stellt Rorty eine demokratische Wahrheitsskepsis entgegen. An Wittgenstein anknüpfend, für den es außerhalb der Sprache keine erkennbare Welt gibt, schreibt Rorty im 1989 erschienenen Buch „Kontingenz, Ironie und Solidarität“:

„Da Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist, da die Existenz von Sätzen abhängig von Vokabularen ist und da Vokabulare von Menschen gemacht werden, gilt dasselbe für Wahrheiten.“

Die Sprache sei kontingent und eine Geschichte von Metaphern, wobei die metaphorische Verwendung von Zeichen uns dazu zwinge, da diese uns unvertraut sind, uns um die Entwicklung neuer Theorien zu bemühen. Metaphern üben einen Überra-schungseffekt aus: vergleichbar mit dem Schneiden einer Gri-masse in einem Gespräch, so Rorty, sie haben keine Bedeutung, können aber zufällig auf fruchtbaren Boden fallen.
         Für Rorty ist also ein klassischer Wahrheitsbegriff nicht zu retten. In „Pragmatismus als Antiautoritarismus“ kritisiert er dahingehend auch Habermas, der seine diskursive Vernunft mit einem letztlich essentialistischen Wahrheitsbegriff grundiert. Und wenn Habermas die Aufklärung als unvollendetes Projekt bezeichnet, schreibt Robert B. Brandom im Vorwort, dass nach Rorty die Aufgabe des Pragmatismus eben in der Vollendung der Aufklärung bestehe.

Dass das Buch auf Vorlesungen zurückgeht, macht sich am Ton des Textes bemerkbar. Er ist eher locker gewebt, was meiner Meinung nach die Rezeption erleichtert.

Rorty entwirft das Bild einer anzustrebenden solidarischen, kommunikativen und diversen Gesellschaft. Ein Gesellschaftsbild, das angesichts der Gegenwart in weite Ferne gerückt zu sein scheint, da viele, anstatt sich in Debatten zu begeben, auf ihre scheinbar festgefügte Identität beharren. Und gerade deshalb ist das Buch heute hochaktuell.

Rorty schreibt:

„Die Hauptquelle der Konflikte zwischen menschlichen Gemeinschaften ist die Überzeugung, dass ich keinen Grund habe, meine Überzeugungen gegenüber dem anderen zu rechtfertigen, und keinen Grund herauszufinden, welches die Überzeugungen des anderen sein mögen, denn dieser andere ist ein Ungläubiger, ein Ausländer, eine Frau, ein Kind, ein Sklave, ein Perverser oder ein Unberührbarer. Kurz, der andere gehört nicht zu uns...“

Allerdings macht sich Rorty auch keine Illusionen. Er weiß, dass es Grenzen der Kommunikation gibt, zum Beispiel angesichts bewaffneter Rechtsradikaler.


Nachtrag »


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