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Poesie und Begriff, Teil 5

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Martina Hefter,
Jan Kuhlbrodt


Poesie und Begriff – Selbstversuch, Teil 5




Lieber Jan,

heute gehts um den Beitrag von Franz Josef Czernin: “Zur Poesie und einem Gedicht, das ein oder kein Palast ist”. Der Text ist als “Dialog” sowohl untertitelt als auch, dem äußeren Anschein nach, angelegt. Dieser Dialog bezieht sich auf das Gedicht sonett, palast von Czernin, das dem Dialog vorangestellt ist; eine Art poetologisches Gedicht, man könnte aus ihm herauslesen - obwohl es im Gedicht selbst nicht ausgesagt wird - dass ein Gedicht wie ein Palast ist: einmal von der Bauart her, mit komplizierter, aufwändiger Architektur, als auch von der Bedeutung her: Ein Gedicht ist so pracht- und eindrucksvoll wie ein Palast. Der Dialog kreist darum, ob (und dass) genau dieses Gedicht eben so ein Palast ist, oder ob (und dass) es keiner ist. So habe ichs verstanden. Es kommt dann zu, na ja, allgemeineren Aussagen diesbezüglich, es geht am ehesten darum, was ein Gedicht - hm - bedeuten? aussagen? darstellen kann?

Ich gebs zu, in diesem Text habe ich mich nicht so wohlgefühlt. Das liegt an der Form, glaub ich. Das soll ja ein philosophischer Dialog sein und kein Theaterdialog, ein philosophisches (oder hier vielleicht auch: poetologisches?) Problem wird in Rede und Gegenrede verhandelt. Es ist eigentlich ein gutes Unterfangen, jemand will alle seine Fragen und Gedanken, die er/sie selbst zu einer Angelegenheit hat, ganz genau vor sich selbst und den Leserinnen und Lesern ausbreiten. Ich habe irgendwann schon einige solche Dialoge gelesen, in Büchern, die ich aus deinem Regal klaute, war das bei Platon? Weiß es nicht mehr.

Hier kommt mir alles ein wenig zu didaktisch vor. Ich rieche sogleich die Absicht.

Es geht nicht so sehr um eine Entwicklung, sondern darum, mir die fertigen Antworten aufzuzeigen, die jemand schon hat. Es gibt irgendwie gar keinen Zweifel unter den beiden - tja, Sprechern ist hier falsch - den beiden Positionen A und B. Und eigentlich sind es auch keine zwei Positionen, sondern nur eine, also nicht A und B, sondern eher AB.

Vielleicht liegt das auch an mir, an meiner Lesehaltung. Ich lese gerade auch ein paar dramatische Texte und bin im Moment gemünzt auf Dynamik, Schlagabtausch, Reden, Tempo, und wie und ob man Dialoge überhaupt darstellen kann. Ein Dialog entwickelt sich ja auch aus sich selbst heraus und nährt sich auch von Zweifeln, die man als Autor/in in Bezug auf Inhalte und Form hat. Einen (Theater-)Dialog zu schreiben, heißt doch auch, dass man die Kontrolle (zumindest kontrolliert) abgeben muss, zugunsten von Gesprächsverläufen, die so am Anfang nicht vorgesehen waren.

Ist mir durchaus klar, dass solche Überlegungen für Czernins Art des Dialogs keine Rolle spielen konnten. Dennoch, ich frage mich, ob sein Text nicht auch ein bisschen davon vertragen hätte. Ich kann nicht anders, als bei “Dialog” wirklich zwei unterschiedliche Stimmen, zwei unterschiedliche Personen zu hören und zu erleben, aber hier fühlte ich mich diesbezüglich ein wenig geprellt. Wenn Czernin sowieso schon von einer Haltung aus spricht, und nicht von zweien, wenn er so offensichtlich selbst sowohl A als auch B ist, dann leuchtet mir der Sinn des Dialogs am Ende doch nicht ein. Und da habe ich noch nicht mal über das gesprochen, was es inhaltlich zu besprechen gäbe. Was meinst du?


Das Dialogische, liebe Martina, ist ja ein uraltes Prinzip, leider ist es in der philosophischen Literatur, und nicht nur dort, ein wenig verloren gegangen. Spannend ist es, weil es in den einzelnen Positionen der Sprecher eine Offenheit birgt, die Wahrheit eben im Dialog liegt, in der Auseinandersetzung, und nicht bei einem der Sprecher. Das scheint mir in dem Czernintext ein wenig unter die Räder gekommen. Er gibt sich hier selbst Stichworte, die ihm von seiner Position nicht wirklich abbringen. Vielleicht hätte er sich einen realen Widerpart wählen sollen, denn im Buch Sätze, das als roughbook 30 erschienen ist, funktioniert das ganz ausgezeichnet, hier hat er Hans Jost Frey als Gegenüber, einen gleichwertigen Dialogpartner, der in gewissem Sinne unberechenbar ist. Im Klappentext heißt es da: „Als wir damit begannen, einander Sätze zuzusenden, haben wir nicht eigentlich angefangen, sondern nur in anderer Weise fortgesetzt, was sich schon in Gesprächen jahrelang entwickelt hatte. Was sich dort durch das Zusammenspiel mit Tonfällen, Gesten und Mienen ergab, war nun allein den Sätzen und ihrer Folge überlassen. Aus stillschweigendem Verstehen oder Missverstehen sollten so Erhellen und Verdunkeln, Deuten und Andeuten, Witz und Ernst in sprachlicher Form werden.“ Der Dialog entfaltet sich hier zu einer einzigartigen Kunstform. Von sich selbst, seiner Position abzusehen, sich erschüttern zu lassen, das Ergebnis nicht vorweggenommen zu haben, scheint mir der Schlüssel des Gelingens. Vielleicht kann man sagen, dass der Dialog nicht fiktiv sein sollte, auch wenn man ihn mit sich selbst führt, denn Dialog ist es ja nur, wenn der Ausgang offen ist. Und wahrscheinlich braucht ein Dialog auch mehr Treibstoff.
In dem Palastgedichtdialog in „Poesie und Begriff“ fehlt mir der Widerpart. Es könnte auch ein Text sein, der mit nur einem Sprecher auskommt und das sonett, palast zerlegt. Die Fragen allerdings, die Sprecher B stellt, könnten auch als Zwischenüberschriften funktionieren. Und der Text geht nach meinem Dafürhalten über das Gedicht nicht hinaus.


Lieber Jan,

tja, ich muss mich an dieser Stelle aber auch mal selbst schimpfen - denn unsere E-Mails hier hätten ja, so dachte ich mir das am Anfang jedenfalls - auch eine Art Dialog werden sollen, oder werden können. Aber ich dachte immer, du hättest es in deinen Antworten so umfassend ausgedrückt, dass es dem einfach nichts mehr hinzuzufügen gebe. Und ich habe leider die alte Allgäuer Gepflogenheit zu sehr verinnerlicht, dass man nicht unnötig reden (und damit schreiben) soll, wenn alles Wesentliche schon gesagt ist. Doofe Regel, aber manchmal eine bequeme Ausrede.


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(Armen Avanessian, Anke Hennig, Steffen Popp:) Poesie und Begriff. Positionen zeitgenössischer Dichtung. Mit Beiträgen von Ann Cotten, Franz Josef Czernin, Oswald Egger, Elke Erb, Daniel Falb, Steffen Popp, Monika Rinck und Ulf Stolterfoht. Zürich (diaphanes Verlag) 2014. 198 Seiten. 24,95 Euro.

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