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Poesie und Begriff, Teil 4

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Martina Hefter,
Jan Kuhlbrodt


Poesie und Begriff – Selbstversuch, Teil 4




Lieber Jan,

kurzer Zwischenstand: Jetzt habe ich vier Texte gelesen (mit dem vierten, dem von Steffen Popp, gehts unten gleich weiter), und vielleicht den winzigen Zipfel zu fassen bekommen von etwas, was im Buch verhandelt werden könnte. Auch das Vorwort nochmal angefangen: Bis Seite drei konnte ich immerhin folgen, wenn auch sehr wischi-waschimäßig. Das ist schon mal was. Und ich merke, Monika Rincks Text hatte den undankbarsten Platz in meiner Lese-Reihenfolge, mit ihm habe ich ja bei Null angefangen. Weswegen ich später nochmal was zu ihm schreibe (allerdings angenommen, ich werde bis zum Ende des Buches immer noch mehr verstehen, müsste ich wieder und wieder über jeden Text neu schreiben.)

“Begriff” könnte vielleicht das sein, wozu ich, bevor das Buch in mein Leben geriet, immer “Oberbegriff” sagte. Also etwas, was mehrere, na ja, Unterbegriffe? Aspekte? unter einen Hut bringt. Ich sage “Tanz”, dann ist es ein Begriff. Und darunter kann dann alles mögliche fallen, wie ich tanze, was ein anderer tanzt, wie Ballett aussieht, wie Hip Hop entstand, usw. Poesie dagegen wäre, dass man das herstellt, was eine Vorstellung vom Begriff hervorruft, ohne den Begriff zu nennen. Stimmt das so? Allerdings spielen solche Überlegungen für mich überhaupt keine Rolle, wenn ich selber Gedichte schreibe.

Was es noch an Wirkung gab, besonders beim Lesen von Steffen Popps Text: Körperliche Reaktionen. Kein Witz. Es ist wichtig, es anzusprechen, ich will ja nichts auslassen. Stichwort ausufernde Fußnoten: Beim Lesen derselben bekam ich diesen schrecklichen, gebeugten Nacken, der entsteht, wenn man lange aufs Papier starrt und sich sehr konzentrieren muss, nicht nur inhaltlich, sondern auch, um die winzige Schrift entziffern zu können. Der Kopf ist nach vorn gestreckt - das Kinn initiiert die Streckung, die den Nacken übermäßig beugt, im Fachausdruck heißt das, die Halswirbelsäule kyphotisiert - etwas, das wirklich ganz, ganz schlecht für die Menschen ist. Den ganzen Abend lang war mein gesamter Rücken stillgelegt.

So kann niemand auf Dauer glücklich sein. Ich verstehe nicht, wieso man in den Fußnoten so viel Text unterbringen muss. Kann der nicht im normalen Text stehen? Es würde das Lesen, und damit das Leben erleichtern. So viel zur Ergonomie (Ergonomie und Begriff, hi hi).

Steffen Popps Text ist, wie der von Monika Rinck, recht nah dran an den beiden - früher hätte ich jetzt einfach “Begriffen” gesagt, unbefangen (und vielleicht froher als jetzt) wie ich war. Jetzt trau ich mich kaum, das Wort in den Mund zu nehmen. Überall lauert Gefahr, es falsch zu verwenden. Sagen wir, der Text bleibt recht nah an den beiden Angelegenheiten Poesie und Begriff.

Beim Lesen hatte ich hier diesbezüglich die bislang meisten sogenannten “Aha-Erlebnisse”. Zum Beispiel wurde mir einiges klar, als ich den Abschnitt las, in dem es heißt, dass viele Gedichte selber etwas ähnliches wie Begriffe seien: “Ausdrücke komplexer Beziehungen, Abläufe und Sachverhalte, für die es schon aus pragmatischen Gründen keine einfachen Signifikanten gibt, allenfalls ein latentes, beiläufig-vages Bewusstsein vorhanden ist”.
Ich weiß zwar nicht, was Signifikanten sind, aber so halbwegs meine ich, das Ganze zu verstehen. So gings mir öfter im Text. Einziges Minus – eine weitere körperliche Reaktion – ich spürte nach der Hälfte eine merkwürdige Schwere direkt unterm Scheitel, eher am Hinterkopf. Fast, als würde ich mein Gehirn so spüren wie sonst meine Muskeln beim und nach dem Tanzen. Banal könnte man auch sagen: Mir hat ganz schön der Kopf geraucht. Es war aber eine Spur zu viel. Ich hätte mich manchmal gern in etwas textlicher Sprudeligkeit erholt. Dennoch: Fast die volle Punktzahl für diesen Text.

(Ich habe gar keine Skala, anhand derer man Punkte vergeben könnte. Mach ich vielleicht noch.)


Liebe Martina,

bevor ich zu Steffens Text komme, hier eine kleine Verteidigung der Fußnote. Zuerst einmal findet in der Fußnote etwas Platz, was im Text selbst vielleicht keinen Raum hat, was seinen Fluss unterbrechen würde, gar nicht so wichtig ist im Moment, aber einen Gedanken birgt, auf den der Autor um keinen Preis verzichten möchte. Aber, und hier gebe ich dir recht, warum verdammt sind Fußnoten immer so klein gedruckt, als ob irgendein Akademikergeist im Sinne von Gespenst, sie zwar für unverzichtbar hält, aber es durchaus zulässt, dass man auf ihre Lektüre verzichtet. Ich hielt es während meines Studiums mal so, mal so. Manchmal las ich das Kleingedruckte, und manchmal nicht, je nach Gusto, so ein Text ist ja schließlich kein Kaufvertrag. Heute erkenne ich an den Fußnoten, dass mal wieder eine neue Brille fällig ist, und ich verstehe sehr gut, was du mit dem steifen Rücken meinst. Manchmal denke ich auch, man will mit derart Darbietung eine Art Barriere schaffen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen von der Lektüre theoretischer Texte abhält. Als bauten die Intellektuellen eine Art Zaun um ihr Heiligstes, ihre Texte. Das ist zuweilen recht ärgerlich. ABER: Gerade bei Monikas Text ist das nicht so. Ich habe das Gefühl, dass er um Verständlichkeit ringt.

Was das Verhältnis von Wort und Begriff angeht, so ist es wahrscheinlich nie endgültig zu klären, und wir benutzen beide eine Ausgangsposition, um überhaupt losgehen zu können, und so eine Ausgangsposition schafft, denke ich auch Steffens Text. Er führt eine Reihe von philosophischen Begriffen an und untersucht sie hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Gedicht. Auch macht er eine Reihe von Analogien auf. Handeln. Was hieße poetisches Handeln? Usw. retrospektiv ist das alles sehr interessant. Ich glaube aber, dass sich daraus keine neuerliche Regelpoetik ableiten lässt, und Popp will das ja auch nicht. Ich denke, es geht ihm um Selbstbewusstsein und die Frage: Was mache ich da, bzw. was habe ich gemacht, und was und wie machen es die anderen? Hier dann doch mal ein Zitat: Ich habe die Art von Sprachverwendung in Gedichten schon mehrfach als “poetisches Sprechen” bezeichnet, ohne auf den Hintergrund oder intendierte Rede einzugehen. … Das Bild für die Relation “Handeln - Sprechen - poetisches Sprechen” wäre vielleicht “Schlägerei - Boxen - Schattenboxen”. Hier scheint Popp ein Platonisches Modell zu verwenden, das die Kunst im Gegensatz zu Platon positiv interpretiert. Nach Platon jedenfalls ist der Künstler am weitesten von der Realität der Ideen entfernt, weil er sich nur mit einem Abbild der Dinge befasst. Im Grunde sogar mit dem Schatten des Abbildes. Aber das wendet Popp hier ins Positive. Inhalt und Art des Befassens, könnte man sagen, sind Gegenstand der Untersuchungen im Buch. So verstehe ich seinen Artikel. Zumindest annähernd. (Hier könnte jetzt eine Fußnote zum Verhältnis von Idee und Begriff kommen. Dazu aber vielleicht an anderer Stelle mehr.)


Lieber Jan,

ja. Ich weiß aber auch nach der Auseinandersetzung damit immer noch nicht, was ich, als zeitgenössische Dichterin, die ich ja auch bin, mit diesen beiden - ähm - Angelegenheiten Poesie und Begriff zu schaffen habe. Solche Gedanken, wie sie in Steffens Text vorkommen, habe ich mir noch nie gemacht. Und bin jetzt auch verunsichert: Sollte ich es wohl besser gemacht haben? Über Poesie und Begriff Bescheid zu wissen, müsste das zu meinen Instrumentarien und Techniken dazu gehören? Die Frage ist nicht kokett gemeint. Andererseits, bisher gings ja auch ohne. Wie ist das bei dir? Ich glaub, für eine kurze Antwort ist noch Platz, oder?


Liebe Martina,

ich denke, die Dichterinnen und Dichter, auch andere Künstler, kommen ganz gut ohne solche Reflexionen aus, dennoch sind ihre Arbeiten auf ihre Art hochreflektiert. Und wir müssen ja nicht alle alles machen, dazu fehlt uns wesentlich die Zeit. Ich kann auch nicht modellieren, und bestaune so manche Skulptur. Arbeitsteilung. Und wie viele Ausstellungen habe ich nicht gesehen! Hier kommt natürlich das Moment der Begrenztheit ins Spiel, und das der verdammten Zeit und dass wir die weite Welt nur in Ausschnitten wahrnehmen können. Das wiederum aber führt dazu, dass es so viele Welten wie Individuen gibt, und da Ganze immer noch mehr ist. Man kann sich also mit diesen Themen beschäftigen, muss es aber nicht zwingend. Wichtig aber ist, dass es jemand macht und auch darstellt. Und das schöne, man trifft immer wieder auf Gedanken und Kunstwerke, mit denen man nicht gerechnet hat.


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(Armen Avanessian, Anke Hennig, Steffen Popp:) Poesie und Begriff. Positionen zeitgenössischer Dichtung. Mit Beiträgen von Ann Cotten, Franz Josef Czernin, Oswald Egger, Elke Erb, Daniel Falb, Steffen Popp, Monika Rinck und Ulf Stolterfoht. Zürich (diaphanes Verlag) 2014. 198 Seiten. 24,95 Euro.

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