Paulus Böhmer: No Home
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Jan Kuhlbrodt
Zu Paulus Böhmer
No Home
Im letzten Jahr ist Paulus Böhmer
gestorben. Der Tod kommt niemals im richtigen Moment, er reißt immer eine
Lücke.
Es gibt literarische Arbeiten, die
enden in ruhigen Sätzen, behaupten das Themengebiet, die Geschichte, die
Erzählung oder auch das Gedicht als in sich geschlossen und abgeschlossen.
Solcher Art sind die Arbeiten Paulus Böhmers nicht, was seine Abwesenheit noch
schmerzlicher erfahrbar machen wird, denn es handelt sich um Werke, die kein Abschließbares bilden
können, die letztlich die Perspektive von Benjamins Engel der Geschichte
einnehmen, vor dessen Auge sich Trümmer auf Trümmer häufen. Der Tod des Autors
bedeutet hier Abbruch.
Aber dieser Berg ebnet die Trümmer
auch ein, nicht in dem Sinn, dass er die Spezifik der einzelnen Teile
verschwinden ließe, sondern dass er Hierarchien aushebelt: Gott und Kalter
Hund. Erinnerungssequenzen, die dem Autor und mythologischen Einsprengseln zuzurechnen
sind.
Die
erste Regengrenze meines Lebens war ein Wunder.
Ich bewege mich, wenn ich mich
durch Böhmers Text bewege, zunächst wie durch eine Wüste, überall Sand und der
Horizont versteckt hinter Dünen. Man braucht, oder ich bräuchte, um mich hier
zu orientieren einen fixen Punkt, einen Archimedischen Punkt, um bei ihm
ansetzend, das Ganze aus den Angeln zu heben. Aber „das Ganze“ ist eine
Illusion. Ich halte mich wie bei Pounds Cantos an Homer, denn der hat nun
vielen den Weg gewiesen, auch wenn man fälschlicherweise meint, man habe
aufgrund der narrativen Struktur leichtes Spiel, doch – nacherzählend die
Mythen – nähert man sich nicht dem Epos sondern dem Mythos:
Jetzo kam auch der Herold und führte den teuren Sänger,den von der Muse geliebten, dem Gutes und Böses verliehn war;denn sie nahm ihm die Augen, doch gab ihm süße Gesänge.Johann Heinrich Voß nach Homer: Odyssee, 8. Gesang, Vers 62-64
Also
begebe ich mich auch bei der Lektüre Böhmers forsch auf die Suche, die eine
extrem lustvolle ist, und finde diesen Punkt nicht, vielmehr meine ich, ihn auf
jeder zweiten Seite zu finden, aber er stellt sich nicht als DER Punkt heraus,
sondern als einer unter Punkten:
Manchmal kommt Sturm auf,von den Rändern her, giftig, unverwandt und wüst.Was bleibt ist ein Auge,das dich unverwandt anschaut, bis endlichein Blinzeln, ein einziges staubtrockenes Blinzelnalles löst, alles löscht.
Vielleicht wäre das diese Stelle, die sich auf Seite 233 in
Böhmers neustem Band No Home findet, erschienen im Verlag Peter
Engstler. Aber an dieser These könnte man nur festhalten, wenn man von einer
linearen narrativen Struktur des Ganzen ausginge, was ein Fehler wäre und weit
nicht führen würde.
Die Ordnung in Böhmers Text ist keine, die das Vorhandene
in eine lineare Struktur presst, sondern die das Merkwürdige und Schöne und das
merkwürdig Schöne im Momentum findet. Und das kulminiert in den Schlussversen:
ZumWasser willalles,Wasser will weg.Ich nicht.
Paulus Böhmer: No Home. Ostheim/Rhön (Verlag Peter Engstler) 2019. 288
Seiten. 38,00 Euro