Paul Bowles: Next To Nothing / Fast nichts
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Astrid Nischkauer
Paul Bowles: Next To Nothing / Fast nichts. Sämtliche
Gedichte. Englisch / deutsch. Übersetzt von Jonis Hartmann. Hamburg, Berlin und Schupfart
(roughbooks #53) 2020. 144 Seiten. 15,00
Euro.
hinter den Bäumen Musik
Paul Bowles Gedichte
aus den Jahren 1926-1977 aus dem Englischen, und in einigen Fällen auch aus dem
Französischen, ins Deutsche zu übersetzen, ist keine kleine Herausforderung für
einen Übersetzer. Da wäre einmal die ungeheure Musikalität seiner Sprache. Eine
Musikalität, die der Sprache des Dichters, der auch Komponist war, inhärent ist.
Festmachen lässt sich diese Musikalität beispielsweise am Rhythmus der
Gedichte, aber auch an der scheinbar ganz beiläufigen Verwendung von Wortpaaren,
die mit Alliterationen oder auch nur mit jeweils dem gleichen Buchstaben
beginnen, wie bei „future and futility“, „palm plumes“, „palmier de plâtre“, oder
auch im englischen Titel „Next to Nothing“. Dass Jonis Hartmann sich der
besonderen Musikalität der Gedichte bewusst ist, merkt man seinen Übersetzungen
an, beispielsweise, wenn er manche Stellen Wort-für-Wort übersetzt, um Klang
und Rhythmus möglichst genau übertragen zu können: „how what a crying out / in
where which grasses lie” – “wie was für ein Aufschrei / in wo welch Gräser
liegen“. Dass Wortzusammenziehungen („Agreensnakecameovertheairtome“) auch in
der Übersetzung selbstverständlich Wortzusammenziehungen bleiben
(„Ne-grüneschlangekamdurchdieluftzumir“), so wie auch ein Akrostichon ein
Akrostichon bleibt, soll an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben. Wie
sorgsam übersetzt wurde, merkt man auch an einem kleinen Detail, das leicht zu
übersehen ist, wiewohl sehr viel Arbeitsaufwand dahintersteckt: In der Regel
haben die Gedichte im Original und in der Übersetzung jeweils gleich viele
Zeilen. Das klingt selbstverständlich, ist es aber keineswegs, da man als
Übersetzer von Lyrik aus dem Englischen ins Deutsche immer damit zu kämpfen
hat, dass die Zeilen im Deutschen meist von sich aus wesentlich länger als im
Englischen sind. Möchte man annähernd gleich lange Zeilen haben, damit möglichst
keine zusätzlichen Zwischenumbrüche nötig sind, muss man viel herumfeilen und
–probieren, bis man eine Lösung findet, das Gleiche doch irgendwie anders
kürzer sagen zu können. Das hat Jonis Hartmann gemacht und bei einer
zweisprachigen Ausgabe ist es einfach schön, wenn Original und Übersetzung
optisch gleich aussehen. Besonders schön wird es, wenn in dem Gedicht „Three
Dances“ – „Drei Tänze“ die Worte gleich über die Seiten tanzen und damit
zugleich auch das Gedicht mit seiner Übersetzung zu tanzen beginnt.
Betrachtet man alleine
die Titel der einzelnen Gedichte, fällt schon einmal auf, dass darin besonders
häufig „Song“ und „Scene“ auftauchen. Schon daraus lässt sich ablesen, dass
Musikalität ganz zentral für die Gedichte ist und dass Paul Bowles auch sehr
häufig versucht, mit seinen Worten Szenenbilder zu umreißen, Momentaufnahmen
einzufangen und auf Papier festzuhalten:
The early fisherman’s grey whisper trailed low like smoke above
the water and the quiet boats moved beneaththe eastern shadow of the rocks.
Wenn er eine Szene
beschreibt, dann wirklich wie ein Standbild eines Filmes, den er kurz anhält um
alles, was gerade zeitgleich zu sehen und hören ist, im Blick zu haben: „Der
schwarze Schmetterling flügelt lautlos durch die Kiefernwälder, und die Wespe
buddelt sich in den Lehm.“ Paul Bowles ist ein wahrer Meister darin, nahezu
nichts zu beschreiben. Denn auch wenn nichts zu sehen ist, heißt das noch lange
nicht, dass auch nichts da ist:
Und sie sagen, es gibt Schlangenhinter den Felsen.Du siehst keine Schlange, dochdu weißt, es gibt sie.
Die Gedichte von
Paul Bowles sind gerade durch ihre Unvorhersehbarkeit sehr frisch und
erfrischend: „Wir sind bereit für die Abhandlung über sechseckige Fliesen.“ Die
Spannung der Gedichte entsteht auch aus dem Kontrast sehr detaillierter
Naturbeschreibungen – „langsam langsamst kommt Wind auf / warum ist dieser
Wüstenstaub so fein?“ – und unerwarteter Brutalität – „Lasst mich euch sacht
erwürgen / Lasst mich euch gekonnt zerlegen“. Überaus makaber geht es auch im
Gedicht „Gang zum Teich“ zu, das den Spuren einer Selbstmörderin zum Teich
folgt und den Weg in der Art eines Fremdenführers kommentiert: An dieser Stelle
hielt sie kurz an und zögerte, an den beschädigten Seerosen kann man sehen, wo
genau sie ins Wasser ging und nahe des Damms haben sie einen ihrer Schuhe im
Wasser gefunden. Man kann dieses Gedicht auch als höchst aktuelle
Gesellschaftskritik lesen, das seiner Zeit voraus war, hat die Schaulustigkeit
der Menschen inzwischen doch eher zu, als abgenommen, man denke nur an Verkehrsunfälle,
bei denen Augenzeugen lieber mitfilmen und fotografieren, als die
Rettungskräfte zu alarmieren und erste Hilfe zu leisten. Ähnlich vorausschauend
zeigte sich Paul Bowles auch in Hinblick auf die Entwicklungen im
Leistungssport:
The next year there were knifing matches in the stadium.I think the people are ready for it, the mayor said.Total involvement. A new concept in sports.The loser does not leave the ring alive.
Es klingt
vielleicht überspitzt, lässt an Gladiatorenkämpfe im alten Rom denken, aber
genau genommen sind wir in gewisser Hinsicht bereits an diesem Punkt
angekommen, da im heutigen Leistungssport Menschenleben tagtäglich aufs Spiel
gesetzt werden. Hierzu ein Zitat aus dem Lied „Es lebe der Sport“ von Reinhard
Fendrich über Sportfans im Fernsehsessel:
Ein Sturz bei 120 km/hentlockt ihm ein erfreutes: Hoppala!Und liegt ein Körper regungslos im Schneeschmeckt erst so richtig der Kaffee
Abschließend lässt
sich sagen, dass Fast nichts ein
kleiner, feiner, sehr schön und sorgfältig gemachter Band ist, der zu genauer
und vertiefender Lektüre einlädt. Die Zweisprachigkeit ist dabei ein großer
Gewinn, weil man durch die damit möglich werdende vergleichende Lektüre die
Gedichte noch tiefgreifender verstehen kann. Denn es gibt eben auf der einen
Seite das Original, auf der anderen die Übersetzung und dazwischen, nicht
sichtbar aber dennoch ganz prinzipiell bei jeder Übersetzung immer vorhanden,
einen kleinen Spalt zwischen den beiden Sprachen. Denn Übersetzen ist ein
Suchen und Ringen nach Kompromissen, da es ganz viele Parameter zu
berücksichtigen gibt – Inhalt, Klang, Rhythmus, Zeilenlänge, Form, etc. – und
sich oft eben nur vieles, aber nicht immer alles davon in die andere Sprache
übertragen lässt, was uns, wenn wir aufmerksam darauf sind, sehr viel über die
beiden involvierten Sprachen, über Sprache an sich und über die Gedichte, um
die es dabei geht, lehren kann. Noch etwas anderes, das man von der Lektüre von
Fast nichts mitnehmen kann, sind sehr
viele sehr schöne Sätze, die man aufsammeln und einstecken kann, wie eine
besonders schöne Muschel am Strand: „Die Welt brodelt vor Worten.“ – „Durch die
Wüste treibt der Wind den Nachmittag.“ – „Das ist die Theorie, doch ungeprüft
sind unsre Theorien.“