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parlandopark: Atmosphären

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Erec Schumacher

PARLANDOPARK –
Gesprächslesung mit Elke Erb & Daniel Falb



Am 17. November fand im Berliner Bassy Club die dritte Gesprächslesung der Parlandopark-Reihe Literatur unter Einfluss, Schreiben unter Druck statt. Das Thema: Atmosphären (Flüchtiges, Stimmungen, Anthropozän). Eingeladen wurden Elke Erb und Daniel Falb, die laut Moderator Steffen Popp zwei gegenüberliegende Enden eines Spektrums vertreten, zwei verschiedene Planeten gar – und doch gäbe es Berührungspunkte, die herauszufinden auch Thema des Abends war.
Popp versuchte sich in seinen Eröffnungsworten gar nicht erst in Begriffsdefinitionen, fokussierte sich stattdessen auf ein Alltagsverständnis von Atmosphäre: auch wir säßen hier in einer recht speziellen, in einer nicht-materiellen Atmosphäre. Dichtung gehe nicht von Begrifflichkeiten aus, sondern versucht von einer anderen Seite zu kommen. Dichtung entwickle Atmosphären.


Das Depot abgehalfterter Wörter


Erb machte den Anfang mit ihrem Text Wörter von vormals, ein Depot abgehalfterter Wörter aus Werken, die in den späten 80ern und frühen 90ern entstanden sind. Eine Liste akribisch erfasster Wörter, die es im Sinne eines Abnabelungsprozesses auszumustern gelte. Ein solches Vorgehen ist selbstredend nicht frei von einer Dramatik des Absurden. Abgespulte DDR- und Nachwende-Geschichte, phraseologische Verrenkungen als eine Art Buzzword-Bingo. Der Zuhörer fühlte sich mitunter hineinversetzt in die Niederungen eines Sprachmuseums, in ein Kuriositätenkabinett der DDR. Dass der im Namen des Sozialismus produzierte und herbeigeführte Misserfolg seinen Namen so sehr entwertet hat, dass er selbst für den Misserfolg steht, heißt es etwa an einer Stelle, oder: Aber das Weltniveau war erstens ein fremdbestimmtes, und die Qualität war zweitens ein von quantitativen Direktiven okkupiertes Ideal. Lacher aus dem Publikum waren ihr da sicher. Auch bei Weisheiten wie folgende: Wer keinen Binnenhandel betreibt, bei dem reicht es auch für den Außenhandel nicht. Ihr wart ja nicht alle in der DDR, rief Erb zwischendurch ins Publikum. Die hatten 17 Millionen, und die Regale waren leer. Und immer diese Siegesmeldungen. - Wir werden den Gipfel der Produktion gegenüber der USA erreichen. Trotzig hangelte Erb sich durch ihre bruchstückhaft-anekdotische Liste. Energetisch wurde es dann, wenn sie den zeitgeschichtlichen Kontext mitlieferte: Auszüge einer Abrechnung mit Christa Wolf, die Anderson-Debatte, den Umgang mit Geheimdienstakten, die wohl unumgängliche Abhängigkeit der Opposition von den Denkstrukturen, die sie bekämpfte. – Per Integration entkräftet. – Trivialisierungspraxis. - Tauwetter. - Die Regressivität der Darstellung. - Konditionierte Tugenden. – Die Umbildung eines normativen Vordergrundes. – Überzogene Subjektivierung. Und dann schon in den 90ern: wie investiere ich. Gegen Ende des Textes verwiesen Wörter und Begriffe zusehends auf Poetologisches. Erb sieht sich selbst als unprofessionelle Insiderin, die das scheinbar Einfache dechiffriere. Der Eigensinn eines Gedichtes sei demnach Anmut, sein Zusammenhalt sei Zurückhaltung und Rückhalt. Das Parodistische weicht, löst sich doppeldeutig auf in neues Rohmaterial.


Eine Kombination von Kalkül und Wahnsinn


Die sich anschließende Diskussion kreiste um praxisnahe Fragestellungen der Begriffswirtschaft. Wie immigrieren bestimmte Begriffe in den eigenen Wortschatz. In welchen Deutungszusammenhängen werden Begriffe von einst noch heute verwendet oder annektiert. Wie versteht sich das ambivalente Verhältnis zum Begrifflichen: einerseits braucht man sie, um über irgendwas zu reden – andererseits wird es kompliziert, wenn du mit Begriffen die ganze Sache in die Hand nehmen willst. Inwieweit sind Begriffe, die in einem bestimmten Diskurs Verwendung finden, kontaminiert, poetisch unbrauchbar oder gerade deshalb bewusst zu verwenden? Ist Textverständnis möglich, ohne sich den zugrundeliegenden Begriffsapparat zu erschließen, reicht ein Verständnis der darin liegenden Geste, des Habitus? Falb jedenfalls ging es dabei weniger um sprachliche Schönheit. Ihn interessiert die Art und Weise, wie Begriffe im Text konfiguriert werden, Rechercheergebnisse, Fremdmaterial. Die Strukturierung eines synthetischen Vorgangs, der Bauplätze schafft, eine neue künstliche Organik herausbildet, eine Kombination aus Kalkül und Wahnsinn. Das Gedicht als Baustelle, wie Popp zusammenfasste. Erb hingegen skizzierte ihre Arbeitsweise als diese Tortur des Abschreibens, wie sie es nannte, die einhergeht mit einer Praxis des Kommentierens, des Hinterfragens und Aussortierens. Das Projekthafte also, wie Falb einwarf, mit genau vorgegebenen Schreibvorschriften. Er verwies auf Erbs Band Sonanz, der aus 5-Minuten-Notaten besteht. Letztendlich führte die Diskussion auf die Frage der Schreibinstanz hin. Erb betonte, dass sie sich nicht als die Schreibende verstehe. Das Wort werde einem unterschwelligen Ich, einem Außen-Ich erteilt. Die Unterschwellige sei dabei wie ein Kind. Falb sprach vom Subjekt eines Schreibprozesses, von einem Ensemble, ausgestattet mit Rechnerkapazitäten, das wie ein Bewusstseinsstrom agiere.


„Anthropo-Dingsda“ (Erb)


Chicxulub Paem hieß der Text, eine Auftragsarbeit, aus dem Falb Passagen vortrug. Ausgangspunkt ist ein prähistorischer Meteoriteneinschlag, der vor ca. 66 Millionen Jahren in Yukatan mit der Explosivkraft von mehreren Millionen Hiroshima-Bomben detonierte, zu einer Klimakatastrophe führte und zum Aussterben aller Saurierarten führte. Die darauffolgenden Klimaveränderungen, sea level changes und Migrationsbewegungen werden im Text verknüpft mit denen der Gegenwart. Damit engverbunden ist der kompositorische Clou, dass das Poem eigenständig auftritt, als ein Agent, wie Falb erläuterte, der wiederum ganz viele Dinge tun, Gestalten annehmen kann, usw. Die strukturverleihende Matrix, auf der sich der Text entfaltet, basiert auf einem alternativen Zählschema, das sich nicht nach dem gregorianischen Kalender richtet, sondern nach Generationszahlen von bestimmten Spezies. Das Setting schließlich wird bestimmt durch das Auftreten ausgestorbener Homo-Spezies, die dann plötzlich durch Marbach oder andere Orte spazieren und sich expliziten Sex- und Masturbationspraktiken hingeben. Eine weitere motivische Bewegung orientiert sich an der Frage des Archivs, seiner Konservierung und Klimatisierung sowie an einem erweiterten Archivbegriff (die Erde als Archiv). Das klang dann im Einstieg so (Mitschrift): Schillerhaus Marbach - drei Klimaflüchtlinge aus Generation 7141 gehen vorbei - 17 Uhr am 10.11.4541736938 - biegen in die Torgasse - nach 75 Metern links in die Widermuth- dann Güntterstraße - gehen in Unterkunft Haus Nummer zwei. Trotz seiner Komplexität funktioniert der Text auf einer dramaturgischen Ebene durchaus publikumswirksam. Wartet er doch mit einer Reihe von Fun Facts auf, kontrastiert mit YouPorn-Vokabular und Slapstick. Irgendwo im Text heißt es passenderweise: Schön, dass dieser Manuskriptteil auf die zufällige Disposition deiner ästhetischen Fakultäten passt. Das Ganze kulminiert in einem ironisch-pathetischen Ausruf (Mitschrift): Achtung - es gibt kein Jahr vor der Erde - also kann es auch kein Jahr null geben - glaubt nicht dem Heiligen Kalender - es gibt kein Jahr null - Jahr eins ist das erste non-eschatologische Jahr.


Emissionen und Taxonomien


In der folgenden Diskussion, die um Textwirkungen und -exegese kreiste, schwang die unausgesprochene Frage nach dem Gemeinsamen dieser beiden sehr unterschiedlichen Texte mit. In beiden, könnte geschlussfolgert werden, ist der Versuch angelegt, Atmosphäre, die uns umgibt und wesensmäßig bestimmt, als Schichtmodell mit fließenden Übergängen und Durchmischungsgraden zu verstehen. Sich ihrer zu vergewissern, sie von atmosphärischen Störungen, etwa (fein)staubförmigen Emissionen, zu reinigen, Altlasten zu dekontaminieren, Karzinogenes operativ zu entfernen. Vielleicht auch bewusst mit dem Anspruch des Illusionären und dem Wissen, das Scheitern daran schon einprogrammiert zu haben.
Bei Erbs Jargon Files dreht sich alles um die Markierung und Tilgung abgehalfterter Wörter, von Phrasenmüll, von ideologischen Denkmodellen eines untergegangenen Gesellschaftssystems. Es ist eine Gratwanderung, wie angreifbar wir selbst sind, gefangen in ein System von Zwängen und Verwertungslogiken. Wir ahnen, dass es uns in 25 Jahren genauso ergehen wird mit unseren jetzigen neoliberalen Begriffsverwendungen und den sich daraus ableitenden inneren Widersprüchen und Arten des Wegschauens, wo uns gleichzeitig eingebläut wird, noch nie ginge es uns so gut wie heute.
Der Ansatz von Falb ist radikaler. Er ist erd- und klimageschichtlich, paläontologisch. Es gibt keine Geschichte, die losgelöst ist von Interpretation, von Herrschaftsverhältnissen und Deutungshoheiten. Sie basiert auf Willkür, auf Unterdrückung und kolonialistischer Aneignung. Das Switchen zwischen den Homo-Spezies auf der Jetztzeitebene verdeutlicht letztendlich nur eins: Nation, Religion, Hautfarbe, alle Distinktionsmerkmale und Dominanzpraktiken, über die wir uns definieren, sind nichts als Konstruktionen. Sie sind irrelevant, Folge von Taxonomien, von Selektion und der Macht des Archivs. Geschichtsschreibung als Geschichtsfälschung, ständig umgeschrieben je nach Interessenslage und Perspektive. Selbst unser Zeitmaß ist falsch. Wir hängen alle an dem Jahr eins der Erde. Unsere Genome haben alle denselben Ursprung, basieren auf dem Urknall, darauf, dass unsere prähistorischen Vorfahren die Katastrophe von Chicxulub überlebt haben. Soweit verkürzt die etwaige gesellschaftspolitische Haltung und Dringlichkeit, die sich hinter dem Chicxulub Paem auffächert. Falb nennt es an anderer Stelle Terrapoetik. Sie konfrontiert uns mit einem Artensterben, das womöglich auch vor uns nicht Halt machen wird.
So wie Erb aufzeigt, dass unsere Sprache von der gesellschaftlichen Atmosphäre mehr abhängt, als uns bewusst wird, veranschaulicht Falbs Text, dass das Menschenzeitalter erdzeitgeschichtlich nichts weiter als eine Episode ist, dass unsere Rolle im Naturgeschehen eine endliche ist.

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