Direkt zum Seiteninhalt

Novalis: ABC Buch

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Jan Kuhlbrodt

(Walter Zimmermann:) Novalis‘ ABC-Buch. Das »Allgemeine Brouillon«. Materialien zur Enzyklopädistik, neu geordnet nach Novalis eigenen Klassifizierungen (Batterien). Herausgegeben von Walter Zimmermann, Illustrationen Nanne Meyer. Berlin (Matthes und Seitz) 2022. 310 Seiten. 38,00 Euro.

Der Tod kommt immer zu früh!  (zu Novalis‘ ABC Buch)


„Weil wir jetzt noch ein fremder Reitz für die Natur sind, so ist unser Contact mit der Natur auch nur zeitlich. Sie seccernirt uns allmählich wieder. – Vielleicht ist es eine Wechselselektion.“(Novalis)

Das Leben bleibt in jedem Fall Fragment. Texte, die von Autorinnen und Autoren konzipiert begonnen wurden, greifen also über das Leben hinaus, bilden, wenn man es positiv wenden möchte, Module, an die Kommende ankoppeln können. Insofern ähnelt die Literatur- und Geistesgeschichte einer im Bau befindlichen Raumstation. Oder man fasst das unfertig liegen Gebliebene als Material, das zu vollenden die Späteren antreten können.

Das späte achtzehnte Jahrhundert war ein Zeitalter der Enzyklopädien, der Versuche, das Weltwissen zu sammeln, zu ordnen, zu systematisieren. Herausragendes Beispiel eines solchen Versuches ist sicher die Diderot‘sche Enzyklopädie.

Ein solcher Versuch hat natürlich etwas Hybrides, denn das Wissen ist dynamisch, wächst und verändert die Form. Eine Enzyklopädie als Sammlung birgt von Beginn an die Unmöglichkeit eines Abschlusses. Sie wäre also immer schon Fragment, oder Projekt mit offenem Ausgang. (Anders bei Hegel, der seine Encyklopädie nicht als Sammlung, sondern als Methode konzipiert, den Ausgang als offenen integriert.)

Novalis war als Dichter, Bergbautheoretiker, Naturwissenschaft-ler eben auch Philosoph und Wissenssammler. Unter dem Titel „Novalis‘ ABC Buch“ sind 2022 Novalis‘ Aufzeichnungen zum „Allgemeinen Brouillon“ erschienen. Es handelt sich dabei um Notizen, um eine Materialsammlung, die letztlich in ein enzy-klopädisches Werk münden sollte.
       Novalis starb aber am 25. März 1801 mit knapp 30 Jahren in Weißenfels. Mittlerweile gehen einige davon aus, dass er an Mukoviszidose litt. Damals firmierten viele Krankheiten, die man noch nicht beschrieben und benannt hatte, unter Schwind-sucht.

Einerseits machten die Romantiker aus dem Fragment eine literarische Form, zum anderen blieb auch vieles Fragment, weil der Tod eine Schneise schlug.

Der Komponist Walter Zimmermann hat die nachgelassenen Aufzeichnungen Novalis‘ nach dessen überlieferten Vorgaben geordnet und somit das Fragmentarische zu einem vorläufigen Abschluss gebracht, und Nanne Meyer hat die Arbeit kongenial illustriert.

Alles in allem ein Abenteuer im Bergwerk der Ahnung und des Wissens.


Zurück zum Seiteninhalt