Moammar Atwi: Das Exil als eine andere Heimat
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Moammar Atwi
Das Exil als eine andere Heimat
(Aus dem Französischen von Udo Peschken)
Was bedeutet
das Exil für mich? Warum habe ich mein Land verlassen, meine Familie, meine
Freunde und Freundinnen, meine Kameraden im Kampf für eine Veränderung? Ich
habe meine Kindheitserinnerungen verlassen, meine schönen Erlebnisse, meinen
Grund und Boden, mein Haus, und meinen Olivenhain.
Viele Fragen
laufen kreuz und quer durch meinen Kopf, wie von einem Detektiv gestellt. Aber
ich bin verwirrt, was soll ich antworten? Ich könnte die Wartezeit abkürzen mit
dem Satz "das Spüren der Entfremdung gegenüber dem eigenen Land ist letal".
Die Angst vor
physischer Schädigung kann sich einstellen, nachdem Personen des korrupten
Regimes mich mit dem Tode bedroht haben, falls ich sie weiterhin kritisieren
sollte.
Ja, Angst,
ich bin feige, denn die Seele ist wertvoll. Aber andererseits, verliert ein
Kampf ohne Preis seinen Glanz und seinen Sinn? Manchmal habe ich den Eindruck,
daß das Exil nicht nur ein Zufluchtsort ist vor Verfolgung, vor Kriegen und vor
der Angst. Es schafft eher ein günstiges Klima dafür, das zu vollenden, was man
begonnen hat.
Auf der
anderen Seite des Mittelmeers hat sich eine andere Welt in sich selbst
eingeschlossen, begründet mit einer Lüge, die den Namen wertkonservative
Gesellschaft trägt.
Ja,
das Exil ist für mich ein großzügiger Raum, um frei zu denken, weitab von den
Zwängen sozialer Rückständigkeit, religiösen Fanatismus‘, Sicherheits-terrors
und politischer Sterilität.
Allerdings,
das Exil ist nicht einfach. Es gibt viele Schwierigkeiten, wie das Erlernen
einer fremden Sprache, lange Zeit zu leben, ohne zu arbeiten, ohne eine eigene
Wohnung, die Schwierigkeit, als Flüchtling anerkannt zu werden. Das Erlangen
der Zivilrechte fordert einen langen Parcours. Anfangs ist das Exil keineswegs
das Land der Ideale, vielleicht muß man unter Brücken schlafen, in Parks oder
in Kellern. Aber im Vergleich mit der Situation in meinem Land sind das
paradiesische Zustände.
Und so muß
man sich an eine andere Kultur anpassen, an die Gebräuche, das soziale Leben,
die Mentalität, an die Kommunikation mit anderen Menschen, die Betriebe,
anpassen an staatlichen Verordnungen und Kenntnis haben von Vereinigungen, die
einem helfen können.
Trotz all‘
dieser Schwierigkeiten bleibt mir das Exil eine neue Heimat, die ich brauche,
das Land des Exils, in dem ich mich zu Hause fühle. Es ist ein Land, das mich
umarmt, das mich respektiert, mir die Hoffnung auf ein besseres Leben gibt.
Die
Exilierten lebten in ihrem Land ohne jegliches Recht auf Verwirklichung ihrer
beruflichen Wünsche oder die Realisierung eines eigenen kleinen Projekts.
Sie spüren
nun, daß sie in ihrer anderen Heimat leben, weil sie das Recht haben auf
Freiheit ihrer Wahl und der Arbeit, auf Selbstverwirklichung und auf ihre
Würde. Das hiesige System beruht auf dem Prinzip von „die richtige Person am
richtigen Ort“.
Um die
Wahrheit zu sagen: seitdem ich in Frankreich lebe, spüre ich, daß Frankreich
meine persönliche Heimat ist; währenddessen im Libanon mein Fühlen ein anderes
war, trotz der langen Jahre, die ich dort verbracht habe…. Ich habe gefühlt,
daß ich ein Fremder war und nicht dazu gehörte.