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Mit Brückensprache - auf eine Insel übersetzen

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Die Insel San Simón
in der Bucht von Vigo
Mit Brückensprache
Auf eine Insel übersetzen
28 Texte, kuratiert von Timo Berger

Auf den ersten Blick scheint San Simón eine idyllische Insel in der Bucht von Vigo zu sein. Galicische Kapitäne waren einst für ihre Navigationskünste berühmt, viele von ihnen brachten Gold aus den amerikanischen Kolonien nach Spanien. San Simón war die Quarantänestation vor der Rückkehr ans Festland: Vierzig Tage ausharren, um keine Krankheiten aus der „Neuen Welt“ einzuschleppen.

Zu anderen Zeiten befand sich auf der Insel ein Kloster, später ein Gefängnis, ein klandestines Folterzentrum der Franco-Diktatur. Heute ist sie ein Gedenkort mit Seminargebäuden. Einmal im Jahr lädt die galicische Dichterin Yolanda Castaño eine Gruppe von sechs Dichter:innen verschiedener Sprachen nach San Simón ein. Auch sie versteht es, meisterhaft zu navigieren, die Untiefen der verschiedenen Sprachen und Poetiken zu umschiffen und die Besatzung ihres internationalen Workshops sicher anzulanden.

Auf Grundlage einer Brückensprache übersetzen sich die geladenen Dichter:innen eine Woche lang gegenseitig. Im Hintergrund sorgt ein Koch für das leibliche Wohl – seine Spezialität Reis in Sepia-Tinte – und ein wortkarger Fährmann bringt die Dichter:innen abends zu Lesungen in den Küstenorten Redondela, Pontevedra, Vigo.

Ich hatte das Privileg auf San Simón mit fünf wunderbaren Dichter:innen in einen intensiven Dialog zu geraten, dessen Ergebnis, die in diesem Dossier versammelten Übersetzungen sind: Gedichte von Subhro Bandopadhyay, der auf Bengali schreibt, von Abdul Hadi Abdul Hadi Sadoun, der auf Arabisch schreibt, von Miren Agur Meabe, die auf Baskisch schreibt, von Pepe Caccamo, der auf Galicisch schreibt, und von Rosa Alice Branco, die auf Portugiesisch schreibt.

Einmal verzaubert von dieser Insel musste ich immer wieder an sie zurückdenken, die windgeformte Vegetation, die Wege, die sich verzweigen, die schmale Brücke, die die beiden Eilande verbindet, aus denen San Simón eigentlich besteht, und die einst in der Quarantäne Gesunde und Kranke trennte. Aber vor allem meine Gefährten auf dieser Reise, die in dieser magischen Umgebung ihren Übersetzungen fremder Texte so viel Zärtlichkeit angedeihen ließen.

Timo Berger

An der Anlegestelle: Die galicische Dichterin Yolanda Castaño (re.) und der Fährmann Rubem.
Abdul Hadi Sadoun, geboren 1968 in Bagdad, Irak, ist Schriftsteller, Übersetzer und Hispanist und lebt derzeit in Madrid. Er promovierte in Philosophie und Literatur an der Autonomen Universität von Madrid. Von ihm erschienen Büchern, sowohl auf Arabisch als auch auf Spanisch, unter anderen: „Escribir en cuneiforme“ (2006), „Plagios familiares“ (2008), „Pájaro en la boca y otros poemas“ (2009), „Siempre todavía“ (2010), „Campos del extraño“ (2011) und „Memorias de un perro iraquí“ (2016). Sein Werk wurde ins Englische, Französische, Italienische, Persische, Kurdische und Katalanische übersetzt. Er selbst hat Lorca, Alberti, Machado, Jiménez, Aleixandre und Borges ins Arabische übersetzt. Seine Poesie wurde mit dem II. Internationalen Antonio-Machado-Stipendium (Soria, Spanien, 2009), der Ernennung zum Ehrengast der Stadt Salamanca (2016) und der Auszeichnung IX Poets of Other Worlds (International Poetry Fund, 2016) gewürdigt.
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Subhro Bandopadhyay, geboren 1978 in Kalkutta, Indien, ist Autor von fünf Gedichtbänden auf Bengali, von denen vier ins Spanische übersetzt und in Spanien veröffentlicht wurden. Er erhielt das Antonio Machado International Poetry Fellowship der spanischen Regierung (2008) und den indischen Nationalpreis für junge Schriftsteller (Sahitya Akademi Yuva Puraskar) im Jahr 2013 für einen Gedichtband. Er nahm an internationalen Residenzen teil und wurde zu bedeutenden Literaturfestivals in Indien und im Ausland eingeladen.
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Miren Agur Meabe, geboren 1962 in Lekeitio, Baskenland, schreibt sowohl für ein erwachsenes als auch für ein Kinderpublikum. Für ihre Gedichtbände „Azalaren kodea“ (2001) (Der Code der Haut) und „Bitsa eskuetan“ (2011) (Schaum an den Händen) wurde sie mit dem Premio de la Crítica ausgezeichnet, für „Nola gorde errautsa kolkoan“ (Wie Asche in der Brust aufbewahren) mit dem Nationalen Poesiepreis 2021. Sie ist auch als literarische Übersetzerin tätig. Sie nahm an zahlreichen internationalen Schriftstellerbegegnungen teil und ist Mitglied der Baskischen Akademie der Sprache.  
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Rosa Alice Branco ist Dichterin, Essayistin, Forscherin und Übersetzerin. Die promovierte Philosophin hat vier Bücher mit Essays und mehrere Gedichtbände in Portugal und im Ausland veröffentlicht. Ihr Buch „Cattle of the Lord“ wurde 2016 in den USA als eines der zwölf besten Poesiebücher ausgezeichnet. Im Jahr 2023 veröffentlichte sie den Gedichtband Amor „Cão e outras palavras que não adestram“ (Ed. Assírio& Alvim) und den Aufsatz “As cores das coisas: viagem pela natureza e pelos objectos” (Ed. Contraponto).
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Xosé María Álvarez Cáccamo, geboren 1950 in Vigo, Galicien, Spanien, ist Dichter, Literatur-kritiker und Autor von visueller und Objekt-Poesie. Außerdem hat er Erzählungen, Theaterstücke, Kinderbücher, Biografien und Memoiren veröffentlicht. „Ancoradoiro. Obra poética (1983-2003)“, erschienen 2003, ist eine Sammlung seiner bisher veröffentlichten Gedichte. Im Jahr 2004 erschien in einer zweisprachigen spanisch-galizischen Ausgabe eine Anthologie seines poetischen Werks unter dem Titel „Habitación del mar. Antología, 1983-2003“. Seitdem hat er mehr als zehn Bücher in verschiedenen Genres veröffentlicht.
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Timo Berger, geboren 1974 in Stuttgart, ist freier Publizist und Übersetzer. Von ihm erschienen zuletzt der Gedichtband "extramuros. poemas públicos" (L.U.P.I., Bilbao, 2018) und als Herausgeber "Buenos Aires. Eine literarische Einladung" (Wagenbach, Berlin, 2019). Er ist Mitgründer des lateinamerikanischen Poesiefestivals latinale.
Foto: Yolanda Castaño
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