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Max Lawton: Der Mann, der zu viel unterschrieb

Montags=Text
Max Lawton
DER MANN, DER ZU VIEL UNTERSCHRIEB:
TRIPTYCHON VON DER UMKEHR 1
Aus dem amerikanischen Englisch von Matthias Friedrich

 
Für Vladimir – ich ende nie als Slawist, versprochen


I.

Professor Smirnov ging mit seiner Unterschrift äußerst freigiebig um. Es war ihm ein Vergnügen, Bücher und Artikel, einführende und abschließende Bemerkungen, Vor- und Nachworte, Sendschreiben und persönliche Mitteilungen, Verträge und Zulassungen, Emails und Nachrichten in sozialen Medien zu unterzeichnen (was … es sah wirklich nicht so aus, als täten ihm allzu viele andere Letzteres gleich, aber so war Professor Smirnov nun einmal: Das Formelle bedeutete ihm alles) … Was das Wesen seiner Signatur betraf, schien Professor Smirnov auf Grundlage eines fast schon als metaphysisch zu bezeichnenden Irrtums zu handeln. Als Literaturhistoriker, der zur deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts arbeitete, war er besessen von dem unfehlbaren Glauben, sie würde niemals von irgendetwas getilgt, das sie einmal geziert hatte. Auch nahm er an, seine Worte über Adorno, Schmidt, Benjamin, Döblin und Handke seien dem Gewebe der Zeit selbst eingeschrieben – seine Literaturanalysen, die er von eigentümlichen theoretischen Standpunkten aus vornahm, sollten einem beliebigen Gott, der Einsicht ins Wesen der Zeit besaß und seine Runenschrift auszumachen wusste, als Gebrauchsanweisung für das Geistesleben der Menschheit dienen. Andererseits hegte Smirnov die Überzeugung, dass sämtliche von allen anderen verfasste Worte dem Vergessen anheimfallen müssten und keine schriftliche Äußerung seiner Kollegen auch nur das laufende Jahr überstehen würde. Sofern jener Gott mit Einsicht ins Wesen der Zeit nun auch die von seinen Kollegen verschriftlichten Worte auftun wollte, fände Er, so war Smirnov sich gewiss, bloß noch eine Reihe von Sprengcodes für jene böswilligen Kräfte vor, die hinter dem Tod, der Entropie und dem schlussendlichen Zusammenbruch aller Ordnung standen. Tatsache, da sich die Theoriemodelle von Smirnovs Kollegen samt und sonders als fehleranfällig erwiesen, hatten sie mehr oder weniger den Entschluss gefasst, einem ontologischen Schwarz- oder Braunhemdenkommando beizutreten – intellektuelle „Hooligans“, deren terminologische Nachlässigkeiten die Zukunft der Welt, ja des Universums ernstlich bedrohten. Allerdings wäre die Annahme, dass Smirnov solcherlei Überlegungen auch bewusst erwog, ein schrecklicher Irrtum; um von ihm ersonnen zu sein, waren sie nicht rigoros genug, stattdessen köchelten sie unter der Oberfläche seiner eigentlichen Gedanken herum und flimmerten durch, wenn die sprichwörtliche Feder für den Abschluss einer Signatur über die sprichwörtliche Seite strich. Hätte er in einem Buch hiervon gelesen, Smirnov wäre durchaus aufgegangen, was für eine Ironie da in seinen im Übermaße verdinglichten Denkansätzen am Werk war – in dem Umstand, dass sein Kopf, obwohl sich der Professor auf sein Vermögen zur Dekonstruktion einiges zugutehielt (welches Narrativ war vor Smirnovs Zugriff schon sicher!), bis zum Bersten gefüllt war mit genau den ontologischen Gewissheiten, die selbst einem Vertreter des Deutschen Idealismus die Schamesröte ins Gesicht treiben konnten.
      Smirnov war ein dicklicher kleiner Mann. Sein ungekämmtes Haar war schwarz und mittendrin durchzogen von einer weißen Strähne. Machte immer den Eindruck, als hätte er es sich mit Wasser oder Fett an den Schädel geklatscht. Wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit Peter Lorre auf. Die Art von Gesicht, die man nur mit Mühe lange anschauen kann. Wie Alpenbäche sickerten ihm ständig kleine Schweißbrunnen aus den Achselhöhlen, gleichmäßig bahnten sie sich die Flanken seiner übermäßig gestärkten, pastellfarbenen Hemden hinab. Er trug eine Brille mit elegantem Rahmen – dem Anschein nach aus Bernstein oder gefrorenem Honig – seine Zähne hingegen waren nikotinfleckig, geschwärzt und standen zu eng nebeneinander, wobei die unteren Beißer krumm aus ihrer geraden Stellung gedreht worden waren, wie mit einem Bohrer. Seine Frau hasste seine Qualmerei; schließlich ging er auf die 60 zu und sonst auch ganz gern aufs Ganze, er hatte nichts davon, weiterhin diese glühenden Leckerhappen zu schlucken. Auch nachdem sie die ersten beiden Jahre der Pandemie hinter sich gebracht hatten und beide drei Impfungen bekommen hatten (zweimal Pfizer, einmal Moderna), war Smirnovs Frau in Sorge, weil er fast permanent rauchte – auch, weil er in die Breite ging, nur trug sie die Schuld dafür, Letztere nicht geschmälert zu haben, weswegen ihr in dieser gesonderten Frage keine moralische Überlegenheit zustand. Bei Institutsveranstaltungen ging er oft eine mit dem jungen Tenure-Track-Professor rauchen, der über Sebalds Verhältnis zu Proust arbeitete (er kam aus Frankreich, trug akkurate, kleine Anzüge und sprach mit einem seltsam flachen Akzent, der so klang, als hätte man einen Google-Translate-Roboter blasiertes, gallisches Leben eingehaucht). Wie oft er sich im WC auf der dritten Etage der philosophischen Fakultät auch den Mund mit Listerine ausspülen mochte, seine bekümmerte Gattin konnte, wenn er das Maul aufsperrte, vermittels Schnüffelei einen scharfen Zigarettenatem herausschnuppern. Und Smirnovs Ausflüchte waren nie so ganz der Bringer. Im Unterschied zu den Texten, die er mit seinem Namenszug versah und den Mitteilungen, die er an andere exzellente Wissenschaftler aussandte, hoffte Smirnov, diese an seine Frau gerichteten Entschuldigungen für seine Qualmerei seien so vergänglich wie die Arbeit seiner Kollegen. Und obwohl er es niemals explizit zur Sprache brachte, bestand zwischen der Arbeit seiner Fachgenossen und den Entschuldigungen, die er seiner Frau für die Qualmerei und rotes Fleisch vortrug, eine gewisse Ähnlichkeit, die er lediglich erahnte. Stand er in solchen Momenten unter dem grellen Küchenlicht in der gemeinsamen Wohnung in Morningside Heights, wusste Smirnov, dass die Worte, die er da äußerte, denen zukamen, die die Zeit abwickeln wollten – und glaubten, den Stimmschlüssel für die Welt in Händen zu halten. In solchen Momenten, wenn ihm im Nacken die Schweißperlen ausgingen, dachte er an die alten Götter, die geduldig eine Schicht der Zeit von der anderen schälten – wie bei einem Umschlag, der einen heißen Tag lang in der Hosentasche vergessen worden war und vor Körperhitze und Flüssigkeiten zweifelhaften Ursprungs ganz klebrig geworden war, die mit Tinte notierte Anschrift des Empfängers im Ansatz bereits zerlaufen – und darin genau diese Entschuldigungen vorfanden. Seiner Signatur waren sie nicht würdig.


II.

An dem Tag, als wir zum ersten Mal hörten, dass Smirnov in Ungnade gefallen war, unternahm eine Gruppe pubertierender Mädchen den Versuch, mich an einer oberirdischen U-Bahn-Station in Deep Brooklyn abzuschleppen. Dort war ich hingefahren, um mich zur Mittagszeit mit einem Emo-Mädel für ein schräges Date in einem mexikanischen Lokal zu treffen, das praktisch schon in East New York lag. Die Speisekarten waren ölig von dem ganzen Fett, das aus der Luft getrieft und an ihnen klebengeblieben war. Die Wände waren in einem komplett jenseitigen lindgrünen Farbton gestrichen, die Tische bestanden aus imitiertem Granit und hatten einen Stich ins Smaragdene. Nach meinen Kuttel-Tacos (bestellt, um Eindruck zu machen) und den Hähnchen-Quesadillas meines Dates – nichts Großartiges, soll heißen, ich hatte einem Treffen mit ihr in dieser Gegend nur zugestimmt, weil ihre Wohnung ganz in der Nähe lag – schlug Melissa vor, wir sollten einen Spaziergang über den Evergreens Cemetery machen, der, wie sie versprach, „wirklich ein Muss“ sei. Melissas Nummer hatte ich seit der Releaseparty einer Literaturzeitschrift, die ein Freund aus Collegezeiten in Crown Heights veranstaltet hatte. Weil sie nicht wirklich begeistert war von der lokalen Szene, hatte sie der Anblick meines COCAINE DEATH-T-Shirts von Prurient über alle Maßen erfreut – ein glücklicher Zufall, dass ich mich an diesem Abend dafür entschieden hatte, ganz zu schweigen davon, dass man mir oft nachsagte, ich meinte es doch viel zu gut mit solchen T-Shirts. Sie war um die 1,78 m groß, trug Lederhosen und hohe Docs, die ihr fast bis an den Oberschenkel reichten. In beiden Ohren steckten ihr zahllose Ohrringe, sie trug einen Nasenring, hatte meergrüne Augen, flachsfarbige, direkt unterhalb ihrer gepiercten Ohren abgeschnittene Locken und einen knochigen Körperbau – Ecken und Kanten, die durch ihre milchweiße Haut stießen, wo auch immer der Blick darauf frei lag, und angesichts der ganzen Löcher in ihren Klamotten hatte man überall Blick auf ihre Haut.
         Weil auch ich nicht so wirklich begeistert war von der Zeitschriftredaktion, die sich in diesem Apartment in Crown Heights aufhielt, so durchgentrifiziert, dass es fast schon als Business-Retreat-Lodge in Colorado durchging, hatte ich Melissa aus reinem Unbehagen nach einem Date gefragt; diese Leute, die nichts erzeugten, sich aber trotzdem voller Begeisterung an den knackigen Körpern derjenigen rieben, die tatsächlich kulturelle Produkte hervorbrachten, konnte ich nicht ab – sie waren wie Perverse, die in zur Stoßzeit überfüllten U-Bahnen die Gelegenheit ausnutzten, sich an schönen Frauen zu reiben – und obwohl Melissas Tattoos (auf ihrer Brust prangten Bibelzitate in Übergröße, auf der Innenseite des rechten Vorderarms außerdem ein Kreuz und ein weiteres, umgedrehtes auf der Innenseite des rechten) mich nervös machten, sah ich sie als Treueschwur auf etwas anderes.
          Weswegen ich nun in einem unschönen Viertel (nicht wirklich nur einen Katzensprung von unserem Restaurant entfernt) einen befremdlichen Arbeiterfriedhof durchforstete. Unschön auch der Gottesacker selbst; die Zufahrtstraßen, die ihn durchschnitten, zu markant, sie lenkten alle Aufmerksamkeit auf den eigentlichen Ablauf der Leichenanlieferung – eben dafür waren solche Zufahrtstraßen ja auch gedacht. Noch dazu war der Beton, aus dem sie gefertigt waren, holprig, unter den Reifen der Autos, die darüber hinwegfuhren, spritzten einzelne Steinchen hervor, so reibungslos und schwarz wie frischer Asphalt war er nicht, der klang unter den Reifen des Autos wie Butter – oder so, wie in der eigenen Vorstellung Butter unter den Reifen eines Autos vermutlich klang.
         Ich las seit einiger Zeit Mailers Frühe Nächte, und das beeindruckende Gespür für den testosterongesteuerten Moment, das diesem Text eingeschrieben war, bildete einen harten Kontrast zum holprigen Beton der Zufahrtsstraße zum Evergreen Cemetery. Irgendwann ließen wir den rücksichtslos befahrenen Steinboden hinter uns und streiften, nachdem wir zunächst an einem Ahorn mit perfekter Krone vorbeigekommen waren (ja, seine kreisförmig miteinander verbundenen Zweige und Blätter hatten etwas Heiteres), durch die Gräberreihen, wunderten uns manchmal über lustige Namen oder bedachten zu kurze Abstände zwischen Geburts- und Sterbedatum mit einem schrägen Blick. Ein besonders stattlicher Stein sah so aus, als wäre er aus Putz gefertigt worden, obwohl das vermutlich nicht ging, und zeigte eine Frau, die sich vor einem Kreuz niederwarf. Fast so, als wollte sie versuchen, es niederzureißen. Ein ansehnlicher Stein war umgestoßen worden, auf seiner Vorderseite eine kleine, gekreuzigte Christusfigur, und es sah so aus, als wäre er oben von Rost zerfressen, was ebenfalls nicht möglich war, soll heißen: Gestein rostete nicht. Und doch wirkte die Oberfläche dieses dem Leben eines kleinen Mannes zugeeigneten Denkmals, wie es da auf dem Gras thronte, rostig.
         Von hier aus hatten wir einen wunderbaren Ausblick auf Downtown Manhattan und Melissa nahm meine Hand in ihre. Ich trug ein Langarmshirt von Vatican Shadow, auf dem KNEEL BEFORE RELIGIOUS ICONS stand, darunter eine Karte des Iraks, zwischen den Grenzen – und genau in der Mitte – eine Dornenkrone. Sie trug die gleiche Lederhose, ein löchriges weißes T-Shirt und eine Lederjacke von Rick Owens – ‚ihre Familie hat Geld‘, dachte ich. Wir spazierten an der Gräberreihe entlang, die dem Wäldchen an der äußersten Grenze des Friedhofs am nächsten lag, und bald schon tauchte vor uns ein oberirdisches Grabgewölbe auf, und zwar in besagtem Wäldchen, das dort sein sollte, wo die Grabmäler endeten. Dieses hier wirkte ziemlich alt (die Zeit hatte den Marmor abgenutzt) und die Hinterbliebenen hatten vermutlich ihre ganze Kraft darangesetzt, dass es stehenbleiben durfte.
               Plötzlich bog Melissa nach rechts ab – auf das Marmorgewölbe zu.
            Es war etwa drei Uhr nachmittags, der Himmel mit Wolken verhangen, aber von dem, was ihn da bedeckte (den Wolken), kein Anzeichen auf einen drohenden Sturzregen.
              Ich fragte mich, wieso sich überhaupt irgendwer in einem kleinen, oberirdischen Gewöl-be „beerdigen“ lassen wollte – im Grunde einer Marmorschachtel. Nichts, worin die verwesenden Überreste versickern konnten, würden sie halt so liegenbleiben bis zum Sankt Nimmerleinstag.
      Melissa zog einen riesigen Joint aus ihrer Ledertasche, versetzte unterwegs einem Ameisenhügel aus voller Absicht einen Tritt, dann ließ sie sich auf den Marmor des Gewölbes nieder. Tatsächlich, die Pappeln im Umkreis schützten es vor neugierigen Blicken, jedenfalls bis man nahe herantrat. Heißt: Von der Zufahrtstraße aus würde uns niemand sehen können.
         Melissa tätschelte den Marmor neben sich, und es war wirklich nicht so leicht, sich da hinzuhocken – wäre das ein Stuhl, dann ein zu niedriger, so einen Stuhl würde niemand bauen. Doch ich ließ mich ungeniert hinplumpsen. Ich hoffte, dass mein Hintern nicht den Grabdeckel losstoßen und, so stellte ich es mir vor, den Blick auf eine jahrhundertealte Matschepampe aus Knochen und verflüssigtem Fleisch freigab.
            Der Joint war riesig. Melissa zog ein Feuerzeug aus der Ledertasche. Machte es an. Nahm einen Zug, der so elegant wie mühelos wirkte.
     „Weißt du … Ich sitz gerne hier, also, aufm Stein, und dann stell ich mir vor, wie Atombomben auf Manhattan fallen … Soooo romantisch. Sich vorstellen, dass nix mehr da ist.“
         Mein Zug wirkte weder elegant noch mühelos, ich musste husten, weil ich nach dem Rauch heftig Luft eingesogen hatte, und als sich mein Brustbein zusammenkrampfte, dachte ich: ‚Romantisch wie … bei den Romantikern … wie Shelley und, äh, Wordsworth?‘. Aber sprach die Frage nicht aus. Und es war nett irgendwie, dass Melissa dem Klischee einer Noise-Musikerin entsprach.
        Erst nach dem dritten oder vierten Zug am Joint, als ich mich fragte, wieso ich vergessen hatte, mir eine Flasche Mineralwasser einzustecken, um meinen rauen Hals zu erquicken – na, weil ich nicht gewusst hatte, dass wir rauchen würden, deshalb – fragte ich mich, ob Melissa mehr wollte als bloß einen durchziehen. Hier sah uns niemand und Gras war jetzt eh legal, es gab also keinen Grund, sich zum Rauchen so ein ausgebufftes Versteck zu suchen.
         Der Joint war bis auf die Kippe runtergebrannt, noch ein Hänger und ich verbrannte mich an der Lippe. Melissa nahm den Stummel und schnipste ihn ins Pappeldickicht.
         Ich dachte an das Drum-Riff ganz am Anfang von Father John Mistys Hollywood Forever Cemetery Signs.
         Melissa schlüpfte aus ihrer Lederjacke, schmiss sie auf Seite und zog dann ihr T-Shirt und den BH aus. Lehnte sich dann auf dem Grab zurück.
         „Zieh mir die Hose aus.“
       Als ich die nötigen Vorkehrungen hierfür ergriff, erspähte ich unter ihren kleinen Brüsten mehrere in einer kitschig-altmodischen Schriftart gehaltene Bibelverse:
         „Wer viel weiß, hat auch viel Ärger. Je mehr einer weiß, umso mehr leidet er.“
      Als ihr Rücken den Marmor berührte, zuckte sie nicht zusammen. Auch ich würde mich zusammenreißen müssen. Die Lederhose von der Haut zu zerren, würde nicht so einfach sein.


III.

Hinterher – ich hatte Melissa vor ihrer Wohnung in einem gentrifzierten Gebäude abgesetzt, das nicht weniger albern aussah als das, in dem wir uns kennengelernt  hatten, sie schien nämlich ebenfalls ihre ganze Zeit in einem Business-Retreat unter Lampen von Soho House zu verbringen – machte ich bei einem Starbucks Halt, um mir ein Cold Brew zu holen und pinkeln zu gehen, womit ich die Wahrscheinlichkeit verringern wollte, mir eine Geschlechtskrankheit einzufangen (ein Trick, den ich mir aus einem Roman von Stephen King abgeschaut hatte). So riesige Kanister, diese Cold Brews im Starbucks, sie dräuen einem mit kühler Stimulation über dem Kopf. Und die getrocknete Kruste genitaler Hinterlassenschaften, die sich auf meinem Schambein gebildet hatte – das konnte ich so niemandem erzählen. Ein schmallippiger Abschiedskuss.
         Die Geometrie der Straßen Deep Brooklyns war mir ein einziges Rätsel. Auf dem Weg durch dieses Viertel keine in die Höhe schießenden Betonbauten. Die Häuserfronten bestanden allesamt aus Vinyl. Das schnulzige orange Licht der Cocktailbars, die Indie Rock aus den frühen Nuller Jahren spielten. Hähnchenketten. Musste in einem Taco Bell in mehr oder weniger gleichem Viertel eine Pinkelpause einlegen und hatte Angst, dass mir der Gestank der heißen Kokelei dauerhaft in den Kleidern klebenbleiben und ich bis ans Ende aller Tage hinter der aschgrauen WC-Tür aus recyceltem Holz feststecken würde (Letzteres fürchtete ich erst, als mir auffiel, dass das Schloss blockiert war – ich musste gegen die Tür hämmern und schreien, bis ein Angestellter kam, der bestimmt dachte, ich hätte eine Überdosis).
         Die oberirdischen U-Bahn-Station als so etwas wie ein ungewollter visueller Reim auf das oberirdische Marmorgewölbe, auf dem ich Melissa gevögelt hatte (oder, genauer, sie mich).
      Obwohl ich mein Cold Brew noch nicht einmal halb ausgetrunken hatte, stürzte ich die gusseisernen Stufen hinauf. Die grüne Farbe, in der sie einmal gestrichen gewesen waren, war abgeblättert und legte das stuhlfarben verrostete Metall darunter frei. In der Regel bestanden die Stufen aus Stahl, waren zick und zack mit Mustern eingekerbt und mit einem gelben Haltestreifen ausgestattet. Die hier allerdings kamen mir älter vor; jeder Schuh, der über sie hinwegschritt, brachte ihre Unversehrtheit noch stärker in Gefahr. Und diese eingezäunten Treppen, die zu der über Brooklyns Straßen schwebenden Metallplattform hinaufschossen, hatten bereits viele verschiedene Gefahren ausgestanden. Meine samtroten Loafers, die ich angezogen hatte, obwohl sie nicht auf einer Linie mit Melissas Vibe waren, nahmen ebenfalls Farbsplitter mit, wobei staubkorngroße Stücke verrosteten Metalls in den Rillen ihrer Sohlen haftenblieben.
      Beim Hinaufhasten der Stufen hörte ich hinter mir jemanden schreien. Nach acht Jahren in dieser Stadt hatte ich gelernt, dergleichen vollständig auszublenden. Ich zog meine Chase Sapphire Reserve-Kreditkarte heraus und hielt sie gegen den kontaktlosen LED-Bildschirm am Drehkreuz, bis es piepste. Nutzte meine Hüften, um durch den Kreisel zu kommen – das gelang ohne große Mühe.
     In verarmten Vierteln gehört das Schlagen der Notausgangstür fast immer zur Geräusch-kulisse. Die Rahmen solcher Türen bestehen aus engmaschigem Metallgitter. Wenn es zuschlägt, klingt es wie ein Zaun, der bei einem Sportturnier oder bei gesetzeswidrigem Verhalten in der Vorstadt einen harten Schlag abbekommt.
       Doch ich erlaubte mir schon noch einen schnellen Blick über die Schulter, um die Person zu erhaschen, die da geschrien hatte, wer auch immer das war: sechs Mädchen, 13 oder 14 Jahre alt, allesamt in imitierten Canada-Goose-Jacken, drei von ihnen mit Zahnspangen. Als ich die zweite Treppe hochstieg – diesmal eine aus Stahl, zickzack eingekerbt – und mein Bestes tat, auf dem Weg einem McFlurry Oreo auszuweichen, ertönte ein weiterer Schrei. Und obwohl mich der erste Schrei ohne Rückschlüsse auf den oder die Rufende erreicht hatte – mir als bloßer Ruf und nachträglicher Einschub zu Ohren gedrungen war –, konnte ich nun die Bandaufnahme meiner Erinnerung zurückspulen und hören, dass der Schrei, den das Mädchen da ausgestoßen hatte, von Anfang an einen klaren Hinweis auf ihre Identität enthalten hatte – soll heißen, die Stimme eines Mädchens –, allerdings mit dem nicht zu überhörenden Anklang an die Vororthaftigkeit der weißen Mittelklasse.
       „Ey, du da, mit den roten Schuhen! Ey, du da, mit den roten Schuhen! Bleib doch mal stehen, Bro! Ohne Scheiß! Stehenbleiben!“
      Da ich den Wartebereich auf dem Bahnsteig zwischen den in beide Richtungen laufenden Gleisen erreicht hatte, wartete ich, bis das Mädchen bei mir angekommen war. Es war fast dunkel.

Sie hetzte die beiden letzten Stufen hinauf, lief anschließend geschickt über die graubraunen Bahnsteigplatten, bis sie direkt vor mir stand. Erst seit kurzem trug ich in der U-Bahn keine Maske mehr, aber verschiedene Nachrichtenseiten warnten bereits, dass sich eine neue Welle angekündigt hatte.
       „Äh … du da, du mit den roten Schuhen …“ ein bisschen aus der Puste, „meine Freundin, die findet dich süß. Magst du ihr sagen, wie du auf FB heißt oder so?“
        Leicht schockiert – die schleichende Angst, in einer höchst illegalen Situation festzustecken – stammelte ich für einen Augenblick herum, ehe ich schließlich sagte:
        „Öh … also … nee, danke … aber danke …“
        „Sicher? … Die ist echt heiß … und ich glaub, sie will dich poppen …“
       Erst in diesem Moment checkte ich so nach und nach, wie das Mädchen aussah: ein bisschen unförmig, noch nicht wirklich ausgebildet (die Jugend als eine Zeit, um sowas abzuklären), schwarze Haare, drahtige, schwarze Augenbrauen und eine Zahnspange – sie reichte mir gerade mal bis ans Brustbein.
     Ich warf einen Blick nach hinten und versuchte, herauszufinden, wer da meine Nummer wollte … oder ob sie überhaupt irgendeine von ihnen wollte … Aber wie in der Coda zu Lars von Triers Antichrist hatten sich sämtliche Mädchen in eine einzige Masse aus imitierter Couture und flatterigen Blicken verwandelt. Ich konnte keine Verehrerin unter ihnen ausmachen.
       Bis ein Mädchen, fast identisch mit der Freundin, die mich angesprochen hatte, sagte:
      „Ey, der Typ ist doch zu alt für FB …“
    Und da hatten sie alle gelacht und waren auf dem Bahnsteig an mir vorbeigezogen, hatten miteinander getuschelt und meine roten Schuhe angestarrt.
      Sogleich stürmten zahlreiche beunruhigende epistemologische Fragen auf mich ein.
     Deren erste auf die allgemeine Meinung zu Facebook abzielte (oder Meta, wie es neuerdings hieß), dass die Plattform nämlich ausschließlich von alten Leuten benutzt wurde. Die Seite war der ideale Ort, wenn man Falschinformationen zur Impfung verbreiten wollte, nach unter-durchschnittlichen Clickbait-Videos suchte, die nicht einmal an die Reichweite von Instagram-Werbereels herankamen, und um aus der Nähe mitanzusehen, wie das Boomer-Brahman in Echtzeit – Status um Status um Status – zerfiel … Im Kontext dieser Zeugenschaft sahen mit lauter Rechtschreibfehlern gespickte Boomer-Ausraster über Trump und anverwandte Themen, allerdings auch Boomer-Ausraster über Mitte-Links-Politik (weiße reiche Liberalos aus Vorstädten) genau gleich aus; waren in der Seele der Zeit formidentisch.
     Andererseits hätte mich der Gedanke, Facebook als Plattform zum Aufreißen von Teenies zu benutzen, wirklich nachdenklich gestimmt. Machten sie sich über Facebook lustig? Spotteten auch nur über die Vorstellung, dass sie ein Profil auf der Seite hatten? Sah ich irgendwie hässlich aus oder lächerlich? Bildeten meine roten Schuhe so einen krassen Gegensatz zu meinem provokanten Langarmshit und den so geschmackvoll durchlöcherten Jeans? Außerdem: Wollte überhaupt irgendeins der Mädchen wissen, wie ich auf Facebook hieß? Und wenn ich dem Austausch unserer Kontaktdaten zugestimmt hätte – was dann?
     Darüber hinaus war das Angebot so etwas wie ein scheußliches Geheimnis im Inneren der Zeit, versteckt neben Smirnovs Unterschriften. Nur ein Gott, der die feuchten Falten auseinanderzog, konnte herausfinden, was ich, vom Gewebe der Zeit geschützt, zu tun imstande war. Zugleich hatte sich dies Innere auch mir offengelegt – die ersten Schritte den heillosen Gartenpfad hinab, die sich mir ohne jede Feierlichkeit darboten. Und es war nicht so, als machte das Leben mir persönlich hiermit eine Ansage über seine eigenen Qualitäten – den Umstand, dass das Laster häufiger als die Tugend vor einen hintrat und einen zu einem festen Händedruck aufforderte. Hatte mir Melissa das denn nicht schon beigebracht wie ihre milchweißen Bauchmuskeln oben auf dem Marmor erzitterten?
     Allerdings bestand das banale Grauen dieses Augenblicks eben darin, dass sich keine Lehre daraus ziehen ließ … Dass lüsterne Männer mit weniger Skrupel und/oder weniger Erfolg in romantischen Belangen das Angebot des Mädchens annehmen könnten und keinerlei metaphysische Folgen für ihre Missetaten erführen.
       Oder vielleicht auch nicht …
      Wie auch immer, als ich in den Zug ging, achtete ich darauf, in ein anderes Abteil zu steigen als die Mädchen, dann zog ich Frühe Nächte heraus und begann zu lesen. Bis nach Morningside Heights war es noch weit.


IV.

Als ich, von Station zu Station geschwirrt und ohne Zwischenstopp bei der U-Bahn-Linie D, fast schon wieder daheim angekommen war, schickte Adam mir eine Nachricht, er wollte unbedingt Burritos mit mir essen gehen.
          „alter ich muss dir UNBEDINGT was sagen“, schrieb er.
       Adam gehörte ebenfalls zu Smirnovs Studierenden. Und während ich mich auf Handkes Autofiktion im Verhältnis zu Hamsun und Knausgård spezialisiert hatte, schrieb Adam über „Sebald und die Diaspora“. Ich hatte ihn nie gefragt, über welche Diaspora denn nun genau. Adam hatte sich aus einer Arbeiterfamilie und einer öffentlichen Schule im Süden bis in dieses entspannte Promotionsprogramm hochgekämpft, in dem er sich allen anderen in gleichem Maße intellektuell überlegen fühlte wie auch zutiefst verunsichert von seiner Herkunft war. Er war hochgewachsen, hatte schütteres blondes Haar, das ihm immer noch bis hinab auf die Schulter reichte. Er trug eine Brille mit durchsichtigem Gestell und Klamotten aus dem Trödelladen, wobei er sich am liebsten in eine Jeansjacke mit Fleecefutter kleidete. Er hörte sich gerne Vaporwave-Mixsets auf YouTube an und schickte mir dann seine Favoriten. Jüdisch war er eindeutig nicht, aber das hieß keinesfalls, dass er nicht zur jüdischen Diaspora arbeiten durfte. Alle konnten zu allem arbeiten – zumindest in der Theorie.
        In den drei Jahren, die wir jetzt schon in dem Programm waren (was fast so klang, als wären wir in der Entzugsklinik), hatten Adam und ich uns wenigstens einmal die Woche im Chipotle getroffen. Aus irgendeinem Grund schlug uns die Sauberkeit ihrer Burritos in den Bann – etwas Reines, das einen harten Kontrast zur Unbotmäßigkeit des mikrobiellen Lebens im Inneren der Wraps bildete. Biss man in einen Burrito von Chipotle, war das fast schon so, als würde man das Gewebe der amerikanischen Infrastruktur als solche konsumieren. Fast schon runisch (im problematischen Sinne), diese gedünstete Tortilla – heiß, weiß, rein – wie man sie von einem großen Stapel ihrer Genossen abgeschält, dann in den Kiefer einer piepsenden Maschine gesteckt hatte. Ebenso die einzelnen, in Metallgestellen bereitgehaltenen Zutaten: die Käsesoße, die Salsa, die Guacamole, die die Angestellten so furchtsam vor dem Braunwerden durch die Zeit zu schützen versuchten, und der weiße See saurer Sahne, ein ziemlich eleganter visueller Reim auf das oberirdische Gewölbe kurz nach seiner Fertigstellung (als Melissa und ich es aufgesucht hatten, war es jedoch von schwarzen Adern durchzogen … andererseits: Wahrscheinlich wusste ich nicht so genau, ob diese schwarzen Adern schon von vornherein zum Marmor gehört oder ob die Zeit sie ihm hinzugefügt hatte; ich unterdrückte mein Verlangen, das zu googlen. Wie die saure Sahne da in einem Meer aus heißem Wasser schwamm, das die Zutaten warmhalten sollte, würde vielleicht auch sie durchzogen sein von schwarzen Adern, sofern ein unachtsamer Mitarbeiter sie in ihrem Gestell vor sich hin hatte gären lassen …). Das Reinste an diesem Burrito, von der mangelnden Würze einmal abgesehen, die manch einer scherzhaft dem Geschmack der Weißen zuschrieb, meiner Ansicht jedoch beispielhaft für die Textur des eigentlichen Amerikas stand, war die kaum vorhandene Verbindung der Zutaten mit der Tortilla – jeder Happen ein einziges, in Gummiteig geschlungenes Massenprodukt, das einem in den Backenzähnen klebenblieb. So etwas zu essen, während man an einem Tisch saß, der vollständig aus reflektierendem Metall bestand, tja, das war schon eine metaphysische Erfahrung …
        Der erste Bissen gab einen Blick auf das Innere der Burrito-Röhre frei, die sodann groß-zügig mit grüner Cholula-Sauce zu überträufeln war – die schmeckte saurer als ihr rotes Pendant. Hatte man erst einmal so ein Loch in den Burrito gekaut, sollte die Sauce von oben nach unten sickern und unterwegs jeden einzelnen Teil des Wraps mit ihrer Schärfe anstecken. Was Adam und ich auch taten – wir bissen oben in die abgerundeten Ecken, dann schüttelten wir masturbatorisch die Flaschen mit der scharfen Sauce. Wir hatten beide Wasserbecher neben uns stehen; ich konnte keine Limo dazu trinken, beim besten Willen nicht. Nebenan war ein Five Guys und vor dem Fenster, neben dem wir saßen, ein Obststand. Adam hatte mir noch nicht verraten, was er mir so Wichtiges zu erzählen hatte. Aber ich hatte ihn auch nicht danach gefragt.
         Erst als wir die Burritos halb aufgegessen hatten, sagte Adam:
        „Junge … Smirnov ist gefickt …“
        Ich blinzelte zweimal, dann senkte ich den Kopf, um noch einen Bissen von dem Burrito zu nehmen. So feucht, wie das ganze Konstrukt untenrum war, stand es gefährlich nah vor dem Zusammenbruch.
        „Wie meinst du das … wieso gefickt?“
       Adam lächelte, sagte, „wortwörtlich und im übertragenen Sinn“, dann trank er einen Schluck von seinem Wasser – aus diesen Wachspapierbechern von Chipotle schmeckte es immer nach Chemie – und nahm anschließend einen dem Anschein nach kleinen Bissen, als er jedoch mit den Zähnen daran zerrte, erwischte er zwei knorpelige Steakfetzen und musste vor dem Schlucken lange durchkauen. Eine Familie, so wie es aussah aus der Dominikanischen Republik (mein Spanisch war gut genug, um einen bestimmten Akzent herauszuhören), setzte sich an den Tisch neben uns: ein Vater, der ein Sweatshirt trug und einen geistesabwesenden Eindruck machte, eine Mutter mit schwarzen Strumpfhosen, die ihre Kurven unvorteilhaft betonten, sowie zwei bemerkenswert triefnasige Töchter.
     Als Adam gerade mit dem Kauen durch zu sein schien, ging mir auf, wieso das Wasser bei Chipotle so komisch schmeckte: Kombiniert mit dem Wachspapier des Bechers, erinnerte einen seine zahnschmelzschmerzende Kälte an das Wasser, das man beim Zahnarzt zum Ausspülen des Mundes bekam. Deshalb: Wer konnte schon beurteilen, ob das Wasser bei Chipotle wirklich schlecht schmeckte oder ob der Becher längst vergessene proustianische Erinnerungen an Zahnfüllungen wieder wachrief.
      Adam schluckte, und nachdem er sich die Sauce von den Fingern gewischt hatte – andernorts sammelte sie sich gezackt in der Burrito-Folie, die auf der spiegelnden Tischoberfläche lag – nahm er die Brille ab und rieb sich über den Nasenrücken.
    „Genau … Ich glaub, Jordyn hat dieses Video gefunden, dieses Video mit … also, das Pro-blem ist halt, ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist, also, dass sie das gefunden hat … ich kann mir nicht vorstellen, dass sie auf so Zeug steht, aber vielleicht bin ich auch zu verklemmt und Jordyn hat voll einen am Rennen, weißt du, trotz allem …“
       Und Adams Geschwafel ergab keinen Sinn, ich verstand nicht, was los war, also:
      „Junge, was zum Teufel willst du damit sagen?“
     Dann ein weiterer Bissen vom Burrito. Diesmal fast nur Reis – ein sauberer, weißer Bissen, gewürzt, allerdings mit etwas, das annähernd nach gewaschenen Textilien schmeckte.
  „Genau … Jordyn hat ein Video gefunden, auf dem Smirnov gepeggt wird … in einer Sklavenmaske ... und sie hat es an den ganzen Institut geschickt, oder Stopp, nicht an das ganze, sondern an den Listserv von den Tenure-Track-Profs, was eine ziemlich geschmacklose Art war, alle anderen über ihren, na ja, Fund zu informieren … Glaub, sie hat’s von PornHub, was auch komisch ist, wenn man bedenkt, dass die Performer nach der einen, äh, Riesenenthüllung in der New York Times oder wo das auch immer war ihre Identität bestätigen müssen, sonst fliegt das Video raus … kennste ja vielleicht, du gelangst auf unbekanntes Selbstbefleckungsterrain“, Letzteres sagte Adam so, als wollte er einen auf schlau machen (kriegte es aber nicht so wirklich hin), „dann klickst du auf ein Video mit einem Namen, denkst, jetzt kommst du dahin, wo du hinwillst, aber nee, stellt sich raus, dass die Darsteller in dem Video ihre Identität nicht bestätigt haben und es, tja, gesperrt ist bis auf Weiteres. Glaub, die holen Videos nur raus, wenn die Darsteller, äh, nicht verifiziert sind … sonst stehen die da nur und lassen sich nicht gucken …“
      Ich nahm einen weiteren Bissen, Adam tat es mir gleich, und beide näherten wir uns so langsam dem Kern des Burritos – den, na ja, Kippen (was mich wieder daran erinnerte, wie elegant Melissa die Kippe unseres Joints in den Wald neben dem Friedhof geschnipst hatte – ich musste ständig an sie denken, an die Lust, die mir ihr Körper auf dem oberirdischen Gewölbe bereitet hatte).
      „Genau, die Frage ist …“ und vermutlich sah ich so aus, als wollte ich, dass Adam endlich zur Sache kam, „immer mit der Ruhe, Junge, ich bin gleich soweit, ich bin gleich soweit … die Frage ist, wieso um alles in der Welt sollte Smirnov bestätigen, dass er in so einem Video mitspielt … Das ist ja so, als würde er seinen eigenen Abschiedsbrief unterschreiben, besonders jetzt, wo wer drüber gestolpert ist …“
         „Und woher wissen wir, dass Jordyn es an die Tenure-Track-Profs geschickt hat?“
      „Hat sie Julia so gesagt, und die konnte natürlich die Klappe nicht halten und da hat das Video die Runde gemacht.“
        „Kannst du es mir, äh, zeigen?“
       „Joa … gehen wir erstmal zur West Side, Kombuchas und Schokoriegel holen, dann können wir es uns im Park angucken …“
      „Abgemacht. Und …“ beide waren wir bei den letzten Matschhappen in der runzligen Folie angelangt – man musste die Lippen an die grobe Metallannäherung drücken, um jeden Bissen zu erwischen, für den man bezahlt hatte, „so komisch ist es nicht, dass Smirnov seine, äh, Identität auf der Seite bestätigen würde, ist ja so … dass Smirnov alles unterschreibt, wieso also nicht auch das?“


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