Margaret Atwood: Die Füchsin
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Timo Brandt
Margaret Atwood: Die
Füchsin. Gedichte 1965 – 1995. Übersetzt von Ann Cotten, Ulrike Draesner,
Christian Filips, Dagmara Kraus, Elisabeth Plessen, Kerstin Preiwuß, Monika
Rinck, Jan Wagner, Alissa Walser. Berlin (Berlin
Verlag) 2020. 416 Seiten. 40,00 Euro.
Sezierendes, Szenerien
und vielerlei Glücksfälle
„In diesen sonntäglichen Wohnviertelstraßenim trockenen Augustsonnenlicht herumzufahren:was uns ärgert, sinddie säuberlichen Verhältnisse[…] sie behauptendie Ebenheit von Fläche als Rügefür die Delle in unserer Autotür.Kein Geschrei hier, keinGlasgesplitter; nichts ist jäherals das nüchterne Gejammer eines Motormähers,der eine gerade Schneise in das mutlose Gras rasiert.“(übers. Dagmara Kraus)
Ich muss zugeben, dass ich Margaret Atwood erst in den
letzten zwei, drei Jahren für mich entdeckt habe. Die Initialzündung erfolgte
durch „Die Penelopiade“, eine Erzählung der Odyssee aus der Perspektive von
Odysseus‘ Frau Penelope, kurz darauf las ich dann Atwoods gesammelte Essays in
„Aus Neugier und Leidenschaft“ (sehr freue ich mich jetzt schon auf ihre
Geschichte der kanadischen Literatur, deren Übersetzung nächstes Jahr im Berlin
Verlag erscheinen soll).
Meine Begeisterung erhielt einen Dämpfer durch ein, zwei
Romane, die ich im Anschluss las, und so führte ich bei der Lektüre dieser Auswahl
aus ihrem Lyrikwerk gewisse Vorbehalte mit mir, die noch dadurch verstärkt
wurden, dass die jüngsten Gedichte darin bereits 25 Jahre alt sind (obwohl, ich
habe nachgesehen, es noch einen Band von 2007 gibt, „The Door“, und es
erscheint mir, ehrlich gesagt, merkwürdig, dass aus diesem, obwohl 2014 eine
Übersetzung erschien, kein Text in diese Sammlung aufgenommen wurde).
Zusätzlich war ich ein bisschen enttäuscht, als ich beim
ersten Durchblättern bemerkte, dass man komplett auf ein Anmerkungsverzeichnis
verzichtet hat (stattdessen gibt es ein ziemlich nichtssagendes Vorwort von
Michael Krüger) und dass es somit keine Kontextualisierung für die einzelnen
Gedichtbände und Texte gibt, was bei Atwoods Lyrik teilweise schon hilfreich
und angebracht wäre (kleines Beispiel: ein Gedichtband ist inspiriert durch die
Texte der kanadischen Autorin Susanna Moodie, 1803 - 1885).
Die Gedichte und Übersetzungen haben dann aber meine
Bedenken größtenteils hinweggefegt (wobei ich das Fehlen eines Anmerkungsteils
weiterhin beklagenswert finde).
„Als ich im Sandkastenuntadelige Burgen bauteschoben Bulldozer Leichenin hastig ausgehobene Gruben[…]Heute bin ich erwachsenund gebildet und sitze in meinem Sesselstill wie eine Zündschnur
und die Urwälder brennen, das Unterholzist mit Soldaten scharf gemachtdie Namen auf den umstrittenenKarten gehen in Rauch auf.“(übers. Ulrike Draesner)
Ein großer Pluspunkt der Ausgabe ist sicherlich die Vielfalt
und Qualität der Übersetzungen; jede Einzelsammlung aus dem Werk Atwoods (mit
mal mehr, mal weniger Gedichten vertreten), wurde einer anderen übersetzenden
Handschrift überlassen (Ausnahme ist Alissa Walser, die zwei Sammlungen
übersetzt hat). Bis auf Christian Filips (und das hat nichts mit der Qualität
seiner Übersetzungen zu tun, der ihm zugewiesene Gedichtband ist einfach nicht
besonders ergiebig), werde ich einmal alle Übersetzer*innen zu Wort kommen
lassen.
Der Band wirbt auf der Rückseite mit dem Slogan „Ein ganzes
Leben in Gedichten“, was den Eindruck entstehen lassen könnte, dass es sich bei
den Texten vor allem um autobiographische Gedichte über Leben, Lieben,
Scheitern, Schreiben usw. handle. Auch wenn es in Atwoods lyrischem Werk einige
autobiographische Gedichte gibt, wäre es eine sträfliche Verknappung, wenn man
diesen Aspekt vor allen anderen hervorheben würde. Ich werde versuchen, ein
paar zentrale Anliegen und Motive herauszuarbeiten, die aber wiederum nur einen
Ausschnitt darstellen können.
In den frühen Gedichten aus den Bänden, die 1966 und 1968
erschienen sind („The Circle Game“
bzw. „The Animals in That Country“) werden viele beunruhigende, teilweise auch
makabre Szenerien ausgebreitet, die auf sehr hintergründige Art und Weise mit kritischen
Zuspitzungen arbeiten. Gedichte wie „It is Dangerous to Read Newspapers/Zeitung
lesen ist gefährlich“, aus dem ich eben zitiert habe, verschieben sich ferne
Schreckensszenarien in die unmittelbare Nähe der eigenen Handlungen (fast schon
eine vorausgeeilte Globalisierungskritik), während andere Texte mit scharfer
Ironie ihre Gegenstände sezieren (siehe Anfangszitat).
Beides, das
Hintergründige und das Sezierende, sind feste Größen, auch im weiteren Verlauf.
Ein neuer Aspekt kommt in den 1971 bzw. 1974 erschienen Bänden „Power Politics“
und „You Are Happy“ hinzu, wo es zum ersten Mal stärker um Liebesbeziehungen
und ihre Konflikte geht.
We ware hard on each other
and call it honesty,
choosing our jagged truths
with care and aiming them across
the neutral table.
The things we say are
true; it is our crocked
aims, our choices
turn them criminal.
[…]
A truth should exist,
it should not be used
like this. If I love you
is that a fact or a weapon?
(übers. Elisabeth Plessen)
Love is not a profession
genteel or otherwise
sex is not dentistry
the slick filling of aches and cavities
you are not my doctor
you are not my cure,
nobody has that
power, you are merely a fellow/traveler.
(übers. Alissa Walser)
Wir
sind hart zu einander
und
nennen es Ehrlichsein,
wählen
unsere schroffen Wahrheiten
sorgsam aus
und zielen sie über
den
neutralen Tisch.
Die
Dinge, die wir sagen, sind
wahr;
nur unsere betrügerischen Absichten,
unsere
Wahl
machen
sie strafbar.
[…]
Eine
Wahrheit sollte es geben,
man sollte sie nicht so
missbrauchen. Wenn ich dich liebe
ist
das eine Tatsache oder Waffe?“
Liebe
ist kein Beruf
vornehm
oder sonstwie
Sex
ist keine Zahnheilkunde
reibungsloses Stopfen von Mängeln und Löchern
du
bist nicht mein Arzt
du bist nicht meine Arznei
keiner
hat diese
Macht, du
bist bloß ein Reisender/Gefährte.
In den Anfängen bereits mit einer gewissen
Rücksichtslosigkeit beschlagen, kippt Atwoods Ton hier und in den weiteren
Sammlungen auch schon mal ins Zynische und Sarkastische, wobei sie es versteht,
diesen Regungen etwas Kunstvolles und Bestechendes zu geben. Diese heftigen
Formen der Negation und Rohheit, treten vor allem bei zwei Themenkomplexen in
Erscheinung: Tiere und Sexualität.
Auf letzteren komme ich noch zu sprechen, wende mich aber
zunächst den Tieren zu. Sie kommen in Atwoods lyrischem Werk in großer Zahl vor
und nehmen dabei ganz unterschiedliche Funktionen ein. So ist bspw. die
Füchsin, die für den Namen des Bandes Pate stand, die magere, ängstig-verschlagene,
von Hunger aufgezehrte Protagonistin eines Gedichtes, in dem Atwood über die
Schrecken und die damit einhergehende Verderbtheit der Armut reflektiert.
Es gibt auch eine Anzahl von Gesängen, in denen Atwood dem
Schrecken von Schlachttieren eine Stimme verleiht, um dann in anderen Gedichten
wieder die Ungeheuerlichkeit eines bestimmten Tieres hervorzuheben – zum
Beispiel der Strandkrabbe und der Schlange:
Hermit, hard socket
for a timid eye,
you’re a soft gut scuttling
sideways, a blue skull,
round bone on the prowl.
Wolf of treeroots and gravelly holes,
a mouth of stilts
the husk of a small demon
(übers. Ann Cotten)
Each one is a hunter’s hunter,
nothing more than an endless gullet
pulling itself on over the still-alive prey
like a sock gone ravenous, like an evil glove
like sheer greed, lithe and devious.
Einsiedler, harte Fassung
für ein ängstliches Auge
deine weichen Innereien eilen
seitwärts, ein blauer Schädel,
runder Knochen, der durch die Gegend schleicht.
Wolf der Baumwurzeln und kiesreichen Löcher,
ein Mund auf Stelzen
die Hülse eines kleinen Dämons.”
Jede von ihnen ist eines Jägers Jäger,
weiter nichts als ein endloser Schlund
der sich über die noch lebende Beute stülpt
als gefräßiger Strumpf, als böser Handschuh,
die reine Gier, rank und verschlagen.“
(übers. Kerstin Preiwuß)Beide Ansätze haben eins gemeinsam: sie betonen die
unüberbrückbare Distanz zwischen Menschheit und Tierreich, die sich in den
Texten oft gegenseitig als Bedrohung wahrnehmen lassen, was beim Tier aus der
schieren (technologischen) Gewalt, die der Mensch entfesseln kann (und
entfesselt hat) herrührt, beim Menschen in den vielen Metaphoriken und
Geschichten einfließt, die von Tieren und den ihnen zugeschrieben Eigenschaften
handeln.
Teilweise schwingt eine gewisse Komik mit, wenn Atwood die
Tiere (wie oben) auf fast schon abfällige Weise einer sprachlichen Beschreibung
unterzieht. Das Unerhörte und die Irritation, die darin zum Ausdruck kommen,
fallen ein bisschen auf die Autorin zurück, ohne dass dadurch der Schrecken,
die Beunruhigung der Beschreibung abgeschwächt wäre. Vielmehr entsteht der Eindruck
einer grundsätzlichen Verwerfung, die eben wenig mit Erscheinungen und sehr
viel mit mutwilligen Deutungen und Zuschreibungen zu tun hat.
Andere durch die abwegigsten Beschreibungen vollständig zu
Fremden zu machen – es ist dieser Versuch, in dem sich einiges widerspiegelt:
das Nichtverstehen, das Nichtverstehenwollen, das Denunzieren, das
Entpersonalisieren. Einem Schrecken darf man schließlich alles antun … Der
Umgang mit den Tieren ist ein Sinnbild für den Umgang mit dem Unergründlichen,
Eigensinnigen des Individuums.
In einem Gedicht aus dem letzten Band „Morning in the Burned
House“ sitzt das lyrische Ich im Winter vor dem Fernseher und schaut Eishockey,
der alte kastrierte Kater macht es sich, über den Kopf kletternd, auf dem Bauch
bequem. Der eher heitere Grundton des Gedichts ändert sich dann plötzlich:
“Irgendein anderer Kater,noch nicht Eunuch, hat unsere Haustür markiert,den Krieg erklärt. Immer geht es um Sex und Revier,und genau das ist es, was uns am Endeins Verderben stürzt. Die Katzenbesitzer nebenansollten ein paar Hoden abschnippeln. Wären wir weisenHominiden gescheit, würden wir das ebenfalls tun,oder unsere Jungen fressen, wie die Haie.Aber die Liebe macht uns den Garaus. Immerwieder: »Er schießt, er trifft!«, und der Hungerkauert in den Laken“(übers. Jan Wagner)
Ganz abgesehen davon, dass ich die Zeile, in der die
Eishockey-Übertragung plötzlich mit dem Themenbereich problematische Sexualität
zusammengeführt wird, genial finde, dient mir dieses Gedicht als Übergang vom
Themenschwerpunkt Tiere zum Themenschwerpunkt Sexualität.
Atwood ist ja vornehmlich (und noch mehr seit der
Verfilmung/Umwandlung in eine Serie) bekannt durch ihren Roman „The Handmaid’s Tale/Der
Report der Magd“ (1985), die Dystopie einer radikalen, durch und durch
misogynen Gesellschaft. Ihre Kritik an patriarchalen Strukturen und Ideen
findet sich auch in ihrer Lyrik in allen Abstufungen, von subtil bis
unverhohlen, so zum Beispiel unverhohlen in dem Gedicht „A Woman’s Issue“, in
dem sie Frauenschicksale aufzählt:
„Beweismittel C ist die junge Fraudie von Hebammen in den Busch gezerrt wirdund singen muss, während sie ihr das Fleischzwischen den Beinen wegschaben. Dann binden sieihre Schenkel, bis sich Schorf bildet und sie als geheiltgilt. Nun kann sie verheiratet werden.Für jede Geburt werden sie sieaufschneiden und wieder zunähen.Männer mögen enge Frauen.Die, die sterben, werden sorgfältige begraben.“(übers. Ann Cotten)
und eher subtil in einem Gedicht, in dem sie die Geschichte
von Orpheus und Eurydike aus der Perspektive der Frau in der Unterwelt
schildert:
„By then I was used to silence.Though something stretched between uslike a whisper, like a rope:my former name,drawn tight.You had your old leashwith you, love you might call it,and your flesh voice.[…]
The lastI saw of you was a dark oval.Though I knew how this failurewould hurt you, I had tofold like a grey moth and let go.You could not believe I was more than your echo.”
Atwood scheut also weder Drastik, noch die großen Namen und
es ist diese fehlende Scheu, die ihren Dichtungen oft einen besonderen Reiz
gibt – zumal diese fehlende Scheu sich auch dadurch ausdrückt, dass Atwood
manchmal, nach einer Reihe von fast schon ätzenden, kryptischen oder
schnörkellosen Texten plötzlich ein Liebesgedicht oder Naturgedicht entspinnt,
das in seiner Verspieltheit und Zärtlichkeit geradezu betörend ist.
So kann auch ihre Anteilnahme, meist ausgedrückt durch Zorn,
Furiosität und Schärfe, mit einem Mal einen viel geruhsameren Ton bekommen,
bspw. in einem Gedicht über ihre Großmutter:
Goodby Mother
of my mother, old bone
tunnel through which I came.
You are sinking down into
your own veins, fingers
folding back into the hand,
day by day a slow retreat
behind the disk of your face
which is hard and netted like an ancient plate.
(übers. Monika Rinck)
Auf
Wiedersehen, Mutter
meiner Mutter, alter Knochen-
tunnel
durch den ich kam.
Du
sinkst in deine eigenen Venen
hinab, deine Finger
falten
sich zurück in die Hand,
Tag für Tag ein langsamer Rückzug
hinter
die Scheibe deines Gesichtes,
die hart ist und rissig wie ein antiker Teller.
Wie bereits gesagt, Atwoods Lyrik ist vielfältig, in den
Themen und in der Ausprägung. Manches Mal hat mich diese Vielfalt an das Werk
der polnischen Dichterin Wisława Szymborska erinnert, wobei die eine Art von
fein ironisierender Grandezza an den Tag legt, die Atwood eher nicht liegen
würde, denn ihre Stärke liegt meist in einer härteren Opposition zu den
Erscheinungen, in einem größeren Uneinverstandensein.
Man kam, um es einfach zusammenzufassen, in diesem Buch auf
Entdeckungstour gehen und wird ödeste Landstriche und reichste Gärten
vorfinden, bewohnt von allerlei Wesen, gefährlichen und harmlosen. Man sollte
gefasst sein auf manch scharfen Wind, manch bittere Kälte, manch schroffe
Klippen und Abgründe. Denn abgründig ist der Mensch nun mal, und so auch die Natur.
Und unsere Hoffnungen und Wünsche sind oft nur schmale Grate zwischen
aufragenden Gebirgen und tiefen Schluchten.
Zum Abschluss das Ende eines Gedichtes von Atwood über die
ägyptische Göttin Sachmet, zuständig für Krieg und Krankheit, aber auch für
Heilung.
„I just sit where I'm put, composed
of stone and wishful thinking:
that the deity who kills for pleasure
will also heal,
that in the midst of your nightmare,
the final one, a kind lion
will come with bandages in her mouth
and the soft body of a woman,
and lick you clean of fever,
and pick your soul up gently by the nape of the neck
and caress you into darkness and paradise.
of stone and wishful thinking:
that the deity who kills for pleasure
will also heal,
that in the midst of your nightmare,
the final one, a kind lion
will come with bandages in her mouth
and the soft body of a woman,
and lick you clean of fever,
and pick your soul up gently by the nape of the neck
and caress you into darkness and paradise.
Ich bleibe, wo man mich platziert hat, geformt
aus Stein und Wunschdenken:
dass die Gottheit, der Töten Freude bereitet,
auch heilen möge,
daß inmitten deines Albtraums,
des allerletzten, eine gütige Löwin
kommt, mit Verbandszeug im Mail
und dem weichen Körper einer Frau,
und dich sauberleckt von Fieber
und deine Seele sanft am Genick faßt, anhebt
und zärtlich hin zu Dunkelheit und Paradies trägt.“
(übers. Jan Wagner)