Marcus Roloff: Mogk´s Bierstubb in Platons Schneekugel
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Michael
Braun
Ich war
durchlässig
„Mogk´s
Bierstubb in Platons Schneekugel”: Marcus Roloffs poetische Strömungslehre
Wenn wir der
Erinnerung des Dichters Marcus Roloff trauen können, dann hat die Sache mit dem
Schreiben unterm Berliner Fernsehturm angefangen. Dort las er ein Gedicht über
einen Ort, an dem sich Fahrtrouten, U-Bahn-Linien und Bahnsteige kreuzen und
überlagern: das Gleisdreieck. Es kam ihm zuerst im gleichnamigen Gedicht von Günter
Grass entgegen, der es im Titelgedicht eines 1960 publizierten Gedichtbands
verewigt hatte: „Wir fahren oft und zeigen Freunden,/ hier liegt Gleisdreieck, wir steigen aus/ und zählen mit den Fingern Gleise.“
Es war
Mitte der 1990er Jahre, als der 1973 in Neubrandenburg geborene Roloff in
Berlin ankam und dort in der „Prenzlauer Berg Connection“ (Adolf Endler) herumvagabundierte,
zwischen Lychener- und Dunckerstraße in den einschlägigen Lokalen saß und sich
dort von charismatischen Dichtern wie Ulrich Zieger inspirieren ließ. Einige
poetische Urszenen aus diesen Jahren hat er in der wunderbar mäandernden Kurzprosa
seines Bandes „Mogk´s Bierstubb in Platons Schneekugel“ festgehalten.
Diese essayistischen Vignetten sind als Dialoge
zwischen zwei poetischen Feuerköpfen angelegt, die sich zunächst in einer
Eckkneipe im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen zum Dauerdiskurs treffen, um
alsbald in weitere Pils-Kneipen zu ziehen und den Gedanken zu Poesie und
Politik, Gott und die Welt in produktiven Abschweifungen freien Lauf zu lassen.
Dass Roloff hier auf das Verfahren des platonischen Dialogs setzt, verschafft
seinen Gedankenströmen nicht nur enorme Erkenntnisgewinne, sondern erhöht auch ihre
Lesbarkeit. Denn anstatt sich, namedroppinghaft gerüstet, obersteilen
poetologischen Exaltationen hinzugeben, lässt Roloff seine beiden poetischen
Doubles in mitunter komischen Dialogen aufeinanderprallen.
Wenn in den ersten zwei Kapiteln seines schönen
Bändchens ein ebenso eifriger wie eifernder Dichter zu heftigen Tiraden gegen
alle möglichen poetischen Rivalen ansetzt, ist sein Gesprächspartner stets mit
lakonischen Zwischenfragen zur Stelle, die manchen pathetischen Aufschwung abtropfen
lassen. So entfaltet sich schließlich eine Poetik der Landschafts-wahrnehmung,
die an das Projekt „Dauerlandschaft“ anknüpft, das Roloff in einer ästhetischen Kollaboration mit dem Frankfurter
Künstler Michael Wagener entwickelt hat.
Roloff hat in
seinen Gedichten schon immer daran gearbeitet, „das Beobachtete zu
durchforsten“, wie es nun in seiner poetischen Prosa heißt. Auch in seinem
neuen Buch überprüft er die Verlässlichkeit der Sinneswahrnehmung und stellt
die Möglichkeit des Sehens und Betrachtens auf die Probe. So auch in der
Kneipen-Tour des Anfangs, die seine beiden Helden, die beide gleichermaßen als
Alter Ego des Autors gelten können, zu immer weitbogigeren Abschweifungen
drängt. In den weiteren Partien des Bandes findet Roloff zu immer dichteren
poetischen Szenen, in denen sich Imagination und Erkenntnis gegenseitig
anfeuern. Immer deutlicher konturiert sich hier das Bild eines Autors als
Kartograph und Geodät, der agiert wie ein „Landvermesser, der Seile spannt“ und
eine „trockene Rede“ entwickelt, „die sich durch Kartenmaterial und die
Klebereste der Dinge schlägt“. Im weiteren Verlauf seines erzählerisch-essayistischen
Spazier-gangs führt die Reise des reflektierenden Ich von
Frankfurt-Sachsenhausen nach Leipzig in die ferne Zeit des poetischen Aufbruchs
und die sich neu konturierende Welt des Ostens. In seiner poetischen
Strömungslehre gerät der poetische Kartograph Roloff hierbei auch an die politischen
Ränder. Mitten hinein in den „Ober- und Unterschichtsrechtsruck“ der Wutbürger
und andererseits in „das herrlich verbröckelnde neobarocke Ostberlin“. In den
intensivsten Momenten dieser Prosa gerät der Beobachter in einen Zustand des
Geöffnetseins, der die Grenzen zwischen den Dingen fluid werden lässt: „Ich war
durchlässig, nichts Festes.“ Die poetische Prosa von Marcus Roloff arbeitet mit
fließenden Übergängen, geht von Übergang zu Übergang und generiert so manchen
Offenbarungsaugenblick. „Mogk´s Bierstubb“, die Sachsenhausener Eckkneipe, bleibt
in den Tagen der Corona-Pandemie geschlossen. Zugänglich sind aber die dort
lokalisierten Erkenntnisaugenblicke von Marcus Roloff.
Marcus Roloff: Mogk´s Bierstubb in Platons
Schneekugel. Heidelberg (Hochroth
Verlag) 2019. 40 S. 8,00 Euro.