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Louise Glück: Winterrezepte aus dem Kollektiv

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Jan Kuhlbrodt

Louise Glück: Winterrezepte aus dem Kollektiv. Englisch / deutsch. Übersetzt von Uta Gosmann. München (Luchterhand Literaturverlag) 2021. 80 Seiten. 16,00 Euro.

Über Vergänglichkeit


Kürzlich erschien ein gnadenloser Verriss zu diesem Buch in einer größeren Tageszeitung. Etwas muss den Rezensenten schmerzlich getroffen haben, dass er das Buch wegwischte, als könne er damit dessen Wahrheit zum Verschwinden bringen.

Sich einer Gewissheit auszusetzen, mag auch ein Zeichen von Stärke sein, aber allein der Tod ist gewiss. Alles andere kann falsch sein, doch dass wir sterben werden, baucht uns niemand zu prophezeien, denn wir wissen es alle. Nur dass sich der Umgang mit diesem Wissen von Mensch zu Mensch unterscheidet.  

Nicht wann oder wie der Tod eintritt, nur dass er eintreten wird, wissen wir, für Jede und Jeden. Und für die Nachkommen heißt es, wenn sie sich einmal umblicken, dann sind sie es, die zurückgeblieben sind.

Ein Gedicht am Ende des Bandes heißt „Ein Satz“. Es sei hier, weil es eines der kürzeren zwischen den sonst epischen Konstruktionen ist, komplett zitiert.
      Die Übersetzung stammt – wie die anderen in dem Band – von Uta Gosmann. Der Band ist zweisprachig, und sicher kann man über die Qualität der Nachdichtungen streiten. (Das kann man immer.) Wer also will und meint, über das Vermögen zu verfügen, kann sich ja eigene anfertigen.

Ein Satz

Alles ist zu Ende, sagte ich.
Warum sagst du das, fragte meine Schwester
Weil, sagte ich, wenn es noch nicht zu Ende ist, es bald enden wird,
was auf dasselbe hinausläuft. Und ist das der Fall,
hat es keinen Zweck, etwas anzufangen,
nicht einmal einen Satz.
Es ist doch nicht dasselbe, sagte meine Schwester, dass es bald endet.
Eine Frage bleibt noch.
Es ist eine törichte Frage, antwortete ich.

Natürlich formuliert Louise Glück mit diesem Gedicht eine Paradoxie, die uns durch das Leben begleitet. Mit der die einen umzugehen gelernt haben, oder die andere verdrängen. Beides Wege, mit der Aussicht des Todes zu leben – und zu entscheiden, welcher der bessere ist, steht niemandem zu. Jeder kann mutmaßen.

Eines der längeren Gedichte in Glücks Band heißt übrigens „Die Verleugnung des Todes“; und es ist ein Gedicht über Abwesenheit, über die Abwesenheit des Gestorbenen. Insofern ist der Titel euphemistisch, denn der Tod geht seiner Verleugnung voraus:

Ich sage ein Monat, aber in Wahrheit hatte ich keine Vorstellung von Zeit.
Der Kellner verschwand. Ein neuer Kellner kam, dann noch einer, glaube ich.
Ab und zu setzte sich einer zu mir auf die Decke.

In der Mitte dieses Gedichtes findet sich folgende Strophe:

Ich konnte die Uhr ticken hören,
wohl um auf das Verstreichen der Zeit hinzuweisen
welches sie in Wirklichkeit aufhob.

Die Texte des Bandes haben einen fernöstlichen, vielleicht buddhistischen Gestus, der mir in seiner Unerbittlichkeit einigen Trost spendet.


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