Direkt zum Seiteninhalt

Lord Byron: Don Juan - Canto 1, 81-120

Werkstatt/Reihen > Werkstatt

George Gordon Lord Byron
Don Juan, Canto I, 81-120
Parodiert von Günter Plessow


81

Zur Liebe also, Liebe allerdings,
    die Grenzen wahrt, war Julia disponiert
in ihrer Unschuld; und für Juan gings
    darum zu lernen, wie es konveniert;
zu rein der Schrein! sein Licht war schlechterdings
    nicht mehr zu löschen. Liebe, alliiert
mit ihr, belehrte ihn; wie? weiß ich nicht,
weiß nur, es war ein süßer Unterricht.

82

Sie trug die Zuneigung wie eine Fracht,
    dazu den Panzer ihrer reinen Seele,
sie hielt auf Ehre, hat bestimmt gedacht,
    ein Fels zu sein, ein Damm, und deshalb quäle
sie sich nicht mehr. Sie nahm sich nicht in acht,
    nein, nahm sich vor, was ich euch nun erzähle.
Ob Julia dem auch gewachsen war,
werden wir sehn. Ihr schien es ausführbar

83

und unschuldig zugleich, mit einem Knaben
    von sechzehn Jahren; ein Skandal? Und wenn:
was würde er in seinen Fängen haben?
    Nichts Greifbares––für die Wohlmeinenden,
die sich an ruhigem Gewissen laben,
    gelassen bleiben. Glaubten Christen denn
nicht fest, wenn sie einander einst verbrannten,
daß die Apostel auch nichts andres kannten ?

84

Und wenn ihr Gatte unterdes verblich?
    Verhüt der Himmel so einen Gedanken,
so einen Traum! Sie seufzte. Eigentlich
    ein üblicher Verlust. Sie kam ins Wanken.
Mal angenommen, inter nos, sag ich
    (will sagen: entre nous; es sind die Schranken
der Sprache, die ich aufzuheben trachte,
weil Julia so etwas französisch dachte).

85

Vorauszusetzendes vorausgesetzt,
    wär Juan das, was einer Witwe fehlte,
zum Mann herangewachsen eben jetzt,
    selbst wenn sie sich noch sieben Jahre quälte,
zu spät wärs nie und könnt zu guter Letzt
    kein Nachteil sein, wenn er die Liebe wählte:
die Anfangsgründe würde er begreifen
(und das Seraphische, es würden reifen.)

86

So viel zu Julia; für Juan sah
    der Fall schon anders aus, so ahnungslos,
wie er es war, Gefühle waren ja
    wie bei Ovids Medea viel zu groß,
sie einzudämmen, und nun stand er da
    und grübelte und sah nicht, daß sie bloß
nur zu normal war, diese Art Alarm;
etwas Geduld, dann sähe er den Charme.

87

Still und versonnen, müßig, rastlos, lief
    er aus dem Haus und in den Wald hinein,
verwundet und verwundert, sank er tief
    in seinen Gram und war mit sich allein.
Auch ich mag Einsamkeit, doch ich berief
    (und möchte bitte recht verstanden sein)
mich nie auf eine Eremitenhöhle;
Sultans Serail spricht mir aus der Seele.

88

Ah Liebe ! Wildnis, Ruhe, Überschwang,
    verzwirnt’ (so Campbell²²), ‘du beherrschst die Welt,
versinkst in Seligkeit, träumst tagelang,
    du bist ein Gott, bist göttlich.’ Mir gefällt
dieses Zitat des Barden, doch auch Zwang
    ist unverkennbar, denn die Formel hält
nicht ganz, was sie verspricht, ist eine Spur
zu sehr ‘verzwirnt’ und so wirkt sie obskur.

89

Der Dichter meint die Sinne, zweifellos,
    den guten Sinn, an den er appelliert,
die Sinnlichkeit, sie läßt uns ja nicht los,
    ein jeder spürt sie, der sich prüft, er spürt,
was alle spüren. Ist es numinos?
    Ist es ‘verzwirnt’? Er formuliert
mit ‘Überschwang’, was wir zu wissen glauben,
mit ‘Ruhe’ kann er mir die Ruhe rauben.

90

Jung-Juan wandelte den Bach entlang,
    dachte Unsagbares, und warf sich nieder
im Blätterwinkel. Sein Gedankengang
    verfing sich, wo der Kork wächst. Immer wieder
entdecken Dichter dort im dunklen Drang
    den Stoff für ihre Bücher, brav und bieder
vereinen Plan und Prosodie sich endlich;
nur Wordsworth sagt es eher unverständlich.

91

Er, Juan (und nicht Wordsworth), fand sein Heil
    in einer Selbst-Kommunion mit seinem Ich;
sein großes Herz nahm lindernd daran teil,
    zum Teil, und so beruhigte er sich
ein wenig. Aber unwohl war ihm, weil
    er nicht begriff, daß er sich eigentlich
verwandelte, wie Coleridge etwa,
zu einem Metaphysiker beinah.

92

Er dachte an das Ich und an die Welt,
    an wunder was, an Sterne, Menschen: wie
zum Teufel ist es nur um sie bestellt?
    Erdbeben; Kriege; die Peripherie
des Mondes; und wann wohl die Grenze fällt
    unseres Wissens ? wann enthüllen sie
sich endlich, diese Himmel? Da genau
gedachte er der Augen dieser Frau.
93

Nun, in Gedanken fein zu unterscheiden,
    ob es Verlangen sei, ob Höheres,
ist müßig: einer hats, die andern leiden
    und wissen einfach noch nichts Näheres.
Seltsam, der Junge denkt und hängt an beiden
    Himmelsbewegungen. Dann wäre es
Philosophie, sagt ihr (und applaudiert),
ich sag, daß Pubertät ihr assistiert.

94

Er hörte eine Stimme in den Winden,
    beschaute Blatt und Blüte, dachte an
Nymphen des Waldes und wo sie sich finden,
    an Göttinnen, die sich um einen Mann
bemühen, fand den Weg nicht, Stunden schwinden
    dahin, sah auf die Uhr, und fand sodann,
die Zeit, der alte Quälgeist, war Gewinner,
und außerdem vermißte er sein Dinner.

95

Er wandte sich und sah ins Buch, Boscán,
    vielleicht auch Garcilasso²³. Eine Seite
raschelt im Wind, so hörte es sich an,
    und Poesie und Geist strebt in die Weite,
die Seele wird erschüttert, und ein Bann
    scheint sie zu binden : hingebungsbereite
mystische Seele treibt im Sturm dahin
(sofern ich denn recht unterrichtet bin).
 
96

So war er unzufrieden und allein,
    die Stunden flohen, und er wußte nicht
so richtig, was er wollte: Träumereien,
    die in ihm glühten, oder das Gedicht?
Wonach verlangte ihn? was mocht es sein?
    ein Busen um zu schmusen? oder schlicht
ein Herz, das liebend schlägt?––ich unterschlage
hier einiges, weil ich es später sage.
 
97

Die Träumereien, das Spazierengehn,
    das Heimlichtun fiel auf, war sonnenklar
und konnt der edlen Julia nicht entgehn;
    sie sah, daß Juan unbehaglich war,
doch überraschend, schwerer zu verstehn
    war, daß es Donna Inez offenbar
nicht sah, nicht sehen wollte, wenn nicht gar
nicht konnte, klugerweise, bei Gefahr.

98

Seltsam anscheinend, aber sehr verbreitet;
    bei Herren etwa, deren Dame sich
emanzipiert und Rechte überschreitet,
    verbriefte Rechte, unabänderlich,
und welche bricht sie nicht? O mir entgleitet
    die Anzahl der Verstöße, sage ich.
Wenn solche Herrn nun eifersüchtig sind,
dann stellen sie sich in der Regel blind.

99
 
Nur wer ein Gatte ist, der hegt Verdacht,
    nicht selten tut ers an der falschen Stelle;
nicht jede Eifersucht ist angebracht,
    entstellt, verblendet, und im Fall der Fälle
verliert er seinen besten Freund. Es macht
    so wenig Sinn. Da ist er auf die Schnelle
die Gattin und den Freund los und verflucht
nur sie statt seiner eignen Eifersucht.

100

Auch Eltern gibt es, die kurzsichtig sind
    trotz Wachsamkeit, wenn längst vor aller Welt
ihr hoffnungsvolles heiß geliebtes Kind,
    er oder sie, Liebschaften unterhält,
verderbte Eskapaden, und beginnt,
    wider den Plan zu leben. Dann erst gellt
der Aufschrei einer Mutter, und der Vater
verflucht, was seine Erben für Theater

101

veranstalten. Doch Inez war ja klar,
    fast zu klar bei Verstand, drum denke ich,
daß ihr Motiv viel näherliegend war,
    um Juan der Versuchung absichtlich
zu überlassen; war der Anlaß gar
    die Bildung Juans? handelte es sich
um Don Alfonso, falls er daran dachte,
was seine teure Gattin teuer machte?

102

Es war ein Tag, ein warmer Sommertag
    ––gefährlich in der Tat, die Jahreszeit––
beziehungsweise Ende Mai, es lag
    am Sonnenschein. Die Angelegenheit
lag an, egal, was einer sagen mag
    von Treue oder auch Treulosigkeit,
Monate gibt es, munter von Natur
Hasen im März, im Mai die Schönheit pur.

103

Der sechste Juni, um genau zu sein––
    ich bin mit Daten immer sehr prekär,
beziehe auch den Monat gern mit ein,
    als wär er eine Poststation, in der
das Fatum Pferde wechselt, obendrein
    die Tonart, bis tatsächlich niemand mehr
bescheid weiß außer der Chronologie
und theologischer Schuldschein-Manie.

104

Am sechsten Juni um die sechste Stunde,
    vielleicht ein wenig später, gegen sieben,
saß Julia––wie Mahomet, imgrunde
    Anacreon, sprich Moore, es uns beschrieben,
Lorbeer und Leier reden ihm zum Munde––
    saß im Gehäuse, wie es Houris lieben––
heidnischer Himmel, himmlischer Gesang,
der Lorbeer ziere ihn ein Leben lang.

105

Sie saß, soviel ich weiß, doch nicht allein,
    weiß zwar nicht wo, doch wars ein Interview,
ich ließe, wüßte ichs, mich nicht drauf ein,
    es auszuplaudern, wüßte nicht, wozu
es gut sein sollte. Schweigsam soll man sein.
    Sie saß, und er saß bei ihr, und im Nu
geschah’s, sie sahn einander ins Gesicht,
denn zu verhindern war es einfach nicht.

106

Wie schön sie ausschaut! Wie die Wange glüht
    vom Herzen her! Weiß ja noch nichts von Schuld.
O Liebe––Mystik––Kunst, die sie bemüht,
    sich selbst zu täuschen––wem du deine Huld
gewährst und deinen Köder reichst, den zieht
    es unermeßlich tief in deinen Kult.
Ein Abgrund, aber sie wiegt sich im Glauben,
es sei die Unschuld. Wer sollte sie rauben?

107

Sie dachte an sich selbst und Juans Ju-
    gend; an die Treue, Torheit, anfechtbare
Befürchtungen, was heiß schon Sieg der Tu-
   gend ?––und an Don Alfonsos fünfzig Jahre.
Nun, diese Zahl, (mein Kind, wie konntest du?)
   bezeugt sehr selten nur, wie ich erfahre,
Liebe und Wertschätzung, nein, sie mißfällt,
es wäre denn, wir redeten vom Geld.

108

Sagt einer, ‘fünfzigmal hab ich es dich
    schon wissen lassen’, will er doch nur schelten.
Spricht ein Poet davon, es habe sich
   ‘schon fünfzigmal gereimt’, erfreut es selten.
Banden von fünfzig Dieben kenne ich.
   ‘Fünfzig’ und ‘Lieben’ sind geschiedene Welten.
Und doch geht uns die Zahl sofort ins Ohr:
was gibt es nicht für fünfzig Louisdor!

109

Julia hielt auf Ehre, Tugend, Treue,
    sie liebte Don Alfonso, und sie ging
so weit, es zu beeiden stets aufs neue,
    nie würde sie den ihr verehrten Ring
entweihen, weil sie solche Wünsche scheue.
    Und während sie so etwas dachte, hing
da eine Hand und legte sich auf die
Don Juans––aus Versehen irgendwie.

110

Die andre Hand empfand es wie ein Drücken
   und fuhr ihr spielerisch ins wirre Haar.
Verwirrend wars, Gedanken zu ersticken,
   verwirrend, wie es ihre Miene war.
Daß Juans Mutter dies aus freien Stücken
   gewähren ließ! sie, die nun Jahr um Jahr
über den Sohn gewacht. Was für ein Wahn!
Nein, meine Mutter hätt das nicht getan.

111

Die Hand, die Juans hielt, besaß Gespür,
    ihr sanfter Griff wurde allmählich fester,
als sagte sie: ‘bitte verwehr es mir!’
    Sie meinte ohne Zweifel: ‘nein, mein Bester,
der Druck ist rein platonisch’; wäre hier
   zurückgeschreckt wie ihre kleine Schwester
vor einer Natter ; aber sah sie die Gefahr
als vorsichtige Gattin denn so klar?

112

Was Juan dachte, kann ich euch nicht sagen,
    doch was er machte, tätet wohl auch ihr.
Er küßte sie (die Hand), und, das zu wagen
    beschämte ihn, auch er hatte Gespür
und ein Gewissen, wollte schier verzagen.
    So scheu ist Liebe, wenn sie jung ist. Wir
sehn, wie sie rot wird, etwas sagen will;
verschlug es ihr die Stimme? Sie schwieg still.

113

Die Sonne sank, aufstieg der gelbe Mond.
    Im Monde wohnt das Unheil, sprich der Teufel;
die keusch sie nannten, dieses sei betont,
    warn etwas keß. Da bleibt kein Tag (kein Zweifel)
von der Geschichte halbwegs nur verschont:
    drei Stunden Mondschein, die ihr Lächeln träufeln
in diesen längsten Junitag––und sie?
Sie lächelt mit, noch milder irgendwie.

114

Gefährlich dieses Schweigen, diese Stille
    um dieser Stunde, die der Seele Raum
gibt, sich zu öffnen, wenn uns jeder Wille
    zur Selbstkontrolle fehlt: ein Licht, das Baum
und Haus in Silber hüllt, Schönheit in Fülle
    ausschüttet, tiefe Weichheit, und wir kaum
zu atmen wagen! Welches Herz ermißt
diese Ermattung, die nicht Ruhe ist?

115

Und Julia in Juans Arm? Es mag
    sein, daß sie hin- und hergerissen war;
er bebte wie der Busen, wo er lag.
    Noch wähnte sie sich sicher vor Gefahr;
ihr Mieder zu entziehn, das wäre frag-
    los leicht gewesen, trotz des Zaubers, klar!
Weiß Gott wie’s weitergeht––wie fahr ich fort?
Bereue ich bereits mein erstes Wort?

116

Ach Plato, du, du hast den Weg gepflastert
    mit deinen Hirngespinsten, du hast mehr
für Unmoral getan mit deinem Raster
    geheuchelter Begriffe, die zu sehr
vom Herzen abstrahieren (und vom Laster),
    als alle unsre Dichter. Du bist der,
der langweilt, weil er falsch liegt; närrisch fast
zu glauben, was du uns vermittelt hast.

117

Und Julia weiß nicht, was sie sagen soll,
    Konversation, dafür ist es zu spät,
sie seufzt, die sanften Augen, sie sind voll
    von Tränen, das ist die Realität,
wer kann denn lieben, ohne dabei toll
    zu werden? Sicher, der Versuchung steht
Reue entgegen, doch indem sie ‘ich
füge mich niemals’ flüstert––fügt sie sich.

118

Man sagt, daß Xerxes²⁴ denen viel versprach,
    die eine neue Lustbarkeit erfanden.
Verheerend, Majestät, denn nach und nach
    macht solche Sucht die Schatzkammer zuschanden.
Ich bin da moderater, Muße lag
    mir mehr (so hab ich Liebe stets verstanden);
nicht neue Lüste locken mich, die alten
genügen mir durchaus, sofern sie halten.

119

Oh Lust, du machst tatsächlich viel Vergnügen,
    vorausgesetzt, man sei verdammt zu dir.
Im Lenz versprech ichs in den Griff zu kriegen
    und leiste jeden Eid, doch scheint er mir
im Lauf des Jahres stets davonzufliegen,
    obwohl ich auf ihn baue. Oh Plaisir,
ich bin beschämt, es tut mir furchtbar leid,
womöglich besserts sich zur Winterzeit.

120

Hier muß sich meine keusche Muse ei-
    ne Freiheit nehmen, ausnahmsweise, wenns
den keuscheren Lesern so beliebt; ich mei-
    ne eine rein poetische Lizenz,
die Regeln suspendiert, die mir ja hei-
    lig sind und bleiben ; deshalb übrigens
erbitt ich Aristoteles’ Pardon²⁵,
falls ich ein wenig abkomme davon.


²² Zitat aus Campbells Gertrude of Wyoming.
²³ Juan Boscán Almogáver (gestorben 1534), Barcelona, und sein Freund Garcilas­so de la Vega, Toledo, schrieben Sonette im Stil Petrarcas.
²⁴ Xerxes I. (regierte 486–465 v. Chr.), Sohn des Dareios, persischer Großkönig und ägyptischer Pharao; die Anekdote hatte Cicero erzählt, und auch Montaigne hatte von ihr Gebrauch gemacht.
²⁵ Gemeint die Poetik des Aristoteles (384–322 v. Chr.).


Aus George Gordon Lord Byron: Don Juan, Canto 1. Ins  Deutsche übertragen und parodiert von Günter Plessow. Deutsch. Dozwil  (Edition Signathur) 2017. 101 Seiten. 15,00 Euro.
Weiter »
Zurück zum Seiteninhalt