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Lord Byron: Don Juan - Canto 1, 41-80

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George Gordon Lord Byron
Don Juan, Canto I, 41-80
Parodiert von Günter Plessow


41

Klassische Studien waren etwas schwierig,
    verfilzte Götterliebschaften, darauf
war die Antike jederzeit begierig,
    noch Pantalone¹⁶ regt ein Mieder auf,
das offen steht. Und er studierte rührig
    Aeneis, Ilias, Odyssee, die Rauf-
lust und die Rage der Mythologie––
für Inez unentschuldbar irgendwie.

42

Ovid ist liederlich, Anakreon¹⁷
    moralisch zweifellos noch etwas schlimmer,
Catull fehlt jeder Anstand, ja, und schon
    der großen Sappho Oden sind nicht immer
das beste Beispiel für den hohen Ton,
    den hymnischen (ein loses Frauenzimmer),
und nur Vergil ist sauber, sehn wir mal
von Schäferstücken ab, die sind fatal.

43

Lukrez ist viel zu irreligiös
    und unverdaulich für den frühen Magen.
Kann mir nicht helfen: Juvenal war bös,
    gut nur im Kern, um es mal so zu sagen,
er sprach zu offen und zu maliziös
    und viel zu viel, wie soll das Früchte tragen?
Und wer nimmt Anteil an den Epigrammen
Martials, den Lüsten, die aus Lastern stammen?

44

Juan las ihn in der besten Edition,
    bereinigt von den richtigen Gelehrten,
die von des Schülers scheuer Vision
    das Schlimmste fernhält, ohn den Hochverehrten
zu deutlich zu entstellen (etwas schon),
    und ohn das Werk des Barden zu entwerten:
statt auf den Index kommts in den Appendix,
dort ists salviert (und sicher eines Fan-Blicks).

45

Dort findet sich all das dann konzentriert,
    statt überall verstreut auf tausend Seiten,
in einem Aufwasch, gut organisiert,
    um den Gescheiten Freuden zu bereiten,
bis einst, wer weiß, es keinen mehr geniert,
    da, wo es steht, und diese Peinlichkeiten
nicht mehr nur unter sich sind wie im Garten
die Götter (und noch nicht mal die aparten).

46

Auch das Missale der Familie war
    ornamentiert auf eine Weise, die,
und das bei alten Mess-Büchern sogar,
    Grotesken illustrierte; seltsam, wie,
die die Figuren da am Rande klar
    und deutlich sahen––seltsam schon, wie sie
dies küssen und dann beten konnten ; nein,
das konnte Juans Exemplar nicht sein.

47

So gab sie ihm ein andres; Juan las
    Sermone, Kanzelreden, Lebensbilder
des heiligen Hieronymus, besaß
    auch den Chrysostomus, vermeintlich milder,
doch strenger Lehrer. Lernte er etwas
    von Augustinus? war er gar ein wilder
Bewundrer seiner großen Konfessionen,
beneidenswerter Glaubens-Transgressionen?

48

Im Gegenteil, dies Buch war ihm versagt.
    Zu recht, die Frau Mama wußte genau,
was richtig war für Juan. Jede Magd,
    weil Inez ihm nicht traute, jede Frau
in ihrem Haushalt war stets hochbetagt,
    und nahm sie eine neue, nahm sie schlau
ein Schreckensbild, was sonst sollte sie wählen?
Ich kann es jeder Hausfrau nur empfehlen.

49

Jung-Juan wuchs heran, war gut und schön,
    mit sechs charmantes Kind, mit elf bereits
warn ihm die feinen Züge anzusehn
    des Mannes, der er wurde, voller Reiz.
Sein Studium trug ihn in höchste Höhn,
    geradewegs zum Himmel, beiderseits
geleitet von der Schule und der Beichte
und der Mama, die alles dies erreichte.

50

Mit sechs in lauter Anmut eingehüllt,
    mit zwölf ein feiner, aber stiller Knabe,
gelegentlich vielleicht noch etwas wild;
    sie zähmten ihn, zerstörten manche Gabe
die ihm Natur verlieh, und warn erfüllt
    von dieser Mühe, schiens. Der Mutter Labe
war, festzustellen, wie Beständigkeit
dem jungen Denker schon viel Weisheit leiht.

51

Ich hatte Zweifel, hege sie vielleicht
    noch immer, steh nicht hüben und nicht drüben.
Den Vater kannt ich gut, doch ob das reicht,
    Augur zu spielen und auf ihn zu schieben,
wie Juan wird? Die falsche Paarung, deucht
    mich, wars, und wäre besser unterblieben.
Skandal ist mir zuwider, selbst im Spaß,
und üble Nachrede––ich hasse das.

52

Für mein Teil sag ich nichts, doch möcht ich meinen
    (und habe meine Gründe): hätte ich
selbst einen Sohn (gottlob, ich habe keinen!),
    nicht Donna Inez wär es, sicherlich,
und nicht der Katechismus, dem ich seinen
    Geist anvertraute (Gott, bewahre mich!).
Nein, nein, ins College hätt ich ihn geschickt,
denn was ich weiß, dort hab ichs aufgepickt.

53

Dort lernt man––ohne mich mit dem hervor-
    zutun, was ich erwarb––ich übergeh
es mit dem Griechischen, das ich verlor;
    doch verbum sat (ein Wort genügt, ich seh:
dort aufgepickt); es paßt nicht nur ins Ohr,
    nährt auch den Sachensinn, für den ich steh.
War nie vermählt und weiß doch genuin:
so sollt man seine Söhne nicht erziehn!

54

Jung-Juan war inzwischen sechzehn Jahre,
    hoch aufgeschossen, schlank und gut gebaut;
aktiv, nicht pagenhaft, es war das klare
    Air eines Mannes––sagte man es laut,
geriet man sich natürlich in die Haare
    mit der Mama, sie fuhr fast aus der Haut:
Frühreife war für sie ein rotes Tuch,
in ihren Augen nahezu ein Fluch.

55

Sie hatte unter etlichen Bekannten,
    erlesen, weil sie heimlich an ihr hingen,
die Donna Julia––hübsch?––die sie so nannten,
    verstanden nicht, auf den Begriff zu bringen
die Fülle des Natürlichen, Charmanten,
    das Süß der Blüte, Salz der See, sie hingen
an Venus’ Saum, am Bogen Cupidos,
ein törichter Vergleich, wie einfallslos.

56

Ihr dunkles Auge wirkte orientalisch,
    es lag so etwas Maurisches darin,
ihr Blut war nicht rein spanisch––unmoralisch,
    ein Sündenfall bei einer Spanierin.
Sultan Boabdil¹⁸ weinte theatralisch
    beim Fall Granadas, viele mußten fliehn
nach Afrika, doch manche blieben da,
zum Beispiel Julias Ur-Ur-Großmama.

57

Sie heiratete (so vermute ich)
    einen Hidalgo, der sein edles Blut
vermischte, weniger edel als es sich
    für einen Edlen ziemte, denn man tut
sich schwer, vermählt sich angelegentlich
    mit Nichten oder Tanten, gar nicht gut
fürs eigne Blut und wider die Natur,
je mehr mans tut, denn man verdirbt es nur.

58

Das Heidnische hats wieder eingerenkt;
    blüht nicht das Blut, so doch das Fleisch: aus der
häßlichsten Wurzel wuchs nun wie geschenkt
    ein Zweig, so schön wie frisch. Nun ist nicht mehr
der Sohn zu klein, die Tochter zu beschränkt.
    Von Julias Großmama heißts, daß sie sehr
viel mehr aus Lebenslust am Liebesspiel
für Erben sorgte als aus Pflichtgefühl.

59

Wie dem auch sei, die Wurzel trieb, es hieß,
    sie wurde immer edler jedesmal,
trieb schließlich einen Sohn, er hinterließ
    nur eine Tochter. Und in dieser Zahl
meiner Erzählung steckt bereits, daß dies
    nur Julia sein kann, die nun erst einmal
besprochen werden müßte. Sie war drei-
undzwanzig, keusch, bezaubernd, nicht mehr frei.

60

Ihr Aug (ja, hübsche Augen mag ich sehr)
    war groß und dunkel, von verhaltner Glut,
erst wenn sie sprach, und wie von ungefähr,
    flammte es auf, mehr Stolz als Zornesmut,
Ausdruck von Leidenschaft, der Liebe wär,
    vielleicht, vorausgesetzt, die Seele tut
das ihrige dazu, durchkämpft das Leben,
durchdringt das Ganze, läutert unser Streben.

61

Herrliches Haar, es bauschte sich so kühn
    über der Stirn, der schönen, weichen, klugen;
die Bogenform der Augenbrauen schien
    so leicht, die Wange leuchtete, die Jugend,
gesteigert noch zu transparentem Glühn,
    strahlte wie Purpur, wie ein Air von Tugend
und Grazie––ganz außerordentlich;
war rank und schlank––Rundliche hasse ich.

62

Vermählt war sie seit Jahren––einem Herrn
    um fünfzig, solche Gatten sind Legion,
und doch, statt eines solchen könnt man gern
    an zwei von fünfundzwanzig denken, schon
bei uns, viel mehr im Süden. Insofern
    ist klar, daß Damen jener Region,
wie tugendhaft sie sonst auch immer seien,
nen Gatten unter dreißig lieber freien.

63

So traurig es auch ist, ich muß es sagen:
    der Sonne dort geht jeder Anstand ab,
ein Klumpen Lehm kann einiges vertragen.
    Sie brennt, bäckt, siedet, sintert bis ins Grab,
das Fleisch ist schwach seit Paradieses Tagen,
    kein Fasten und kein Beten hilft. Ich hab
es selbst erlebt, wie dort galante Spiele
und Ehebruch gedeihen in der Schwüle.

64

Glücklicher Norden: alles ist Moral,
    ist Tugend dort, wo selbst die Winterzeit
zwar Sünde schickt, doch keinen warmen Schal
    (der Schnee machte Antonius¹⁹ gescheit!),
wo Richter überschlagen, ganz legal,
    was Frauen wert sind, was der Mann bereit
zu zahlen sein muß, Markt bestimmt den Preis
üblicherweise, wie ein jeder weiß.

65

Alfonso hieß der Herr, den Julia
    zum Manne nahm, ganz nett für seine Jahre,
nicht heiß geliebt, auch nicht verabscheut, ja,
    sie lebten wie die meisten, annehmbare
Schwächen auf beiden Seiten waren da
    und auszuhalten, wenn auch nicht das Wahre.
Doch er war eifersüchtig ; vor der Welt
verbarg ers, wußte, Eifersucht entstellt.

66

Julia war––warum ? nicht einzusehn––
    mit Donna Inez eng befreundet ; zwar
schien wenig Einverständnis zu bestehn,
    weil Julia so gar kein Blaustrumpf war.
Man munkelte (aus Arglist, bitteschön,
    denn jeder wußte ja, es war nicht wahr),
daß Inez, eh Alfonso sich vermählte,
mit ihm vergaß, daß aller Stolz nicht zählte,

67

und die Beziehung, die in letzter Zeit
    sehr keusch geworden war, aufrecht erhielt
und seiner Lady Liebenswürdigkeit
    entgegenbrachte, gar nicht schlecht gespielt.
Sie protegierte Julia, ging so weit,
    Alfonso zu Geschmack und Stilgefühl
zu gratulieren und so den Skandal
zu dämpfen, wenigstens für dieses Mal.

68

Ob Julia die Affaire auch so sah
    wie andre Leute, könnte ich nicht sagen,
ob sie ihn selbst entdeckte, den Eklat,
    und ob er ihr ein wenig Unbehagen
bereitete? Wer weiß, ob Julia
    sich wirklich darum scherte? Ihr Betragen
verriet es nicht, und ich bin irritiert;
womöglich war sie desinteressiert.

69

Sie kannte Juan schon als hübsches Kind
    und herzte ihn und fand auch nichts dabei,
unschuldig, harmlos, wie die Damen sind,
    solang sie zwanzig zählen und er drei-
zehn ; ob mans noch genau so harmlos findt,
    wenn sechzehn er, sie dreiundzwanzig? Ei,
drei Jahre nur, und wie sie alles ändern,
besonders dort in diesen heißen Ländern!

70

Zunächst einmal zog Julia sich zurück
    und schlug die Augen nieder, er war scheu,
befangen, grüßte stumm, ein blinder Blick,
    ein Unbehagen beiderseits dabei.
Woran das lag ? Sie ahnte es zum Glück
    und wußte ohne Zweifel allerlei,
er nicht, er war vernagelt, war wie der,
der Ozeane sieht und doch kein Meer.

71

Doch Julias große Kühle war noch süß,
    und ihre schmale Hand, sie bebte, wenn
sie sich zurückzog von der seinen, hinterließ
    sie leichten, milden Druck, kaum merklichen,
ja, nichtigen, und doch, er fühlte dies
    und zweifelte zugleich ; der magischen
Verzauberung Rinaldos durch Armida²⁰
vergleichbar gab sein Herz den Eindruck wieder.

72

Und traf sie ihn––sie lächelte nicht mehr,
    sah traurig aus, süßer, als wenn sie lachte,
als sei ihr Herz bedrückt, gedankenschwer,
    unmöglich, daß sie das zum Ausdruck brachte,
was sie bedrückte, brannte es doch sehr.
    Die Unschuld währte lang––das heißt, sie dachte
nicht daran, auch der Wahrheit zu genügen;
die Jugend lehrt die Liebe fromme Lügen.

73

Passion verstellt sich äußerst raffiniert,
    geht gern in Schwarz ; ein solcher Himmel sagt
den schwersten Sturm voraus, und so agiert
    sie, ob du acht gibst oder nicht, sie fragt
sich nicht einmal, womit sie sich maskiert:
    am Ende heuchelt sie, und ob sie klagt,
verabscheut, haßt, heiß oder kalt, es sind
nur Masken, die sie trägt, sie machen blind.

74

Da seufzt man tief, so tief, un-unterdrücklich,
    stiehlt Seitenblicke, schaut in seinen Schoß,
errötet tief, so süß und noch so schicklich,
    erbebt, wenn man sich trifft, geht ruhelos.
Präludien––unverzichtbar, eh man glücklich
    zu Liebe und Besitz kommt––dienen bloß
dazu, zu zeigen : die Verlegenheit
ist ziemlich groß in dieser ersten Zeit.
 
75
 
Julias armes Herz im achtenswerten
    Zustand der Unbeholfenheit : sie spürt,
es geht um sie und geht um den Gefährten,
    um Ehre, Stolz, Religion ; es führt
zu Weiterungen, wie sie den geehrten
    Tarquinius²¹ quälten. Kurz, sie war gerührt
und betete zur Jungfrau, nachgerade
die rechte Richterin, und bat um Gnade.

76

Sie schwor, sie werde Juan nie mehr sehn,
    und schaute nächsten Tags nach der Mama,
war sehr gespannt und sah die Tür aufgehn,
    nen andren einzulassen! war, nun ja,
der Jungfrau dankbar, aber ganz verstehn
    konnt sie es nicht, und abermals kam da
kein Juan durch die Tür! Nein, diese Nacht
ward, fürcht ich, kein Gebet mehr dargebracht.

77

Woraufhin sie behauptete, frau solle
    Versuchungen ins Auge sehn anstatt
feig auszuweichen, eine wundervolle
    Erwägung sozusagen: frau hats satt,
Gefühle zu empfinden, ihrer Rolle
    gemäß, wie sie der Mann erfunden hat;
wiewohl es Männer gebe, immer wieder,
die mehr gefallen als andre (meist sinds Brüder).

78

Und selbst wenn sie durch Zufall doch entdeckte
    ––wer weiß? der Teufel lauert im Detail––,
daß tief im Innersten der Zweifel steckte,
    ob nicht der eine oder andre Liebespfeil
sehr angenehm sein könnte: die perfekte
    und tugendsame Dame sinnt aufs Heil,
verleugnet und verdrängt halt. Ich empfehle,
sich selbst genau zu prüfen in der Seele.

79

Gibt es doch Dinge, die sich wirklich lohnen,
    göttliche Liebe, makellos und rein,
die Engel denken sie und die Matronen,
    die sicher sind, sie muß platonisch sein,
vollkommen, ‘so wie meine’. Sich zu schonen,
    richtete Julia sich darin ein.
Ich ließe sie so denken, wär ich der,
von dem sie himmlisch träumte, denn dann wär

80

es wahr, daß solche Liebe schuldlos ist,
    die, ohne ernstlich in Gefahr zu bringen,
erst eine Hand, dann eine Lippe küßt.
    Es heißt (doch ich bin fremd in solchen Dingen),
daß wer sich dieser Freiheiten vermißt,
    meist äußerst nahe dran ist am Mißlingen.
Wer weiter geht, begeht schon ein Verbrechen.
Ich werd in aller Unschuld davon sprechen.


¹⁶ Pantalone, Figur des geilen Alten in der Commedia dell’Arte..
¹⁷ Ovid, Anacreon…: gemeint sind OVIDs Ars Amatoria, die Liebeshymnen Anacre­ons und Sapphos Ode an Aphrodite, Catulls Lieder
¹⁸ Boabdil (Mohammed XI) war der letzte Herrscher der Mauren über Granada.
¹⁹ Byron verwechselt hier den heiligen Antonius mit Franz von Assisi…
²⁰ Armida, die Zauberin in Torquato Tassos La Gerusalemme Liberata, läßt Rinaldo seinen Schwur als Kreuzfahrer vergessen.
²¹ Lucius Tarquinius Superbus, König in Rom, war für seine Tyrannei und Arroganz berüchtigt. Byron spielt hier auf Shakespeares Rape of Lucrece (1594) an.


Aus George Gordon Lord Byron: Don Juan, Canto 1. Ins  Deutsche übertragen und parodiert von Günter Plessow. Deutsch. Dozwil  (Edition Signathur) 2017. 101 Seiten. 15,00 Euro.
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