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Lord Byron: Don Juan - Canto 1, 1-40

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George Gordon Lord Byron
Don Juan, Canto I, 1 - 40
Parodiert von Günter Plessow


1

Ich brauche einen Helden––sonderbar,
    bekommen wir nicht täglich einen neuen
geliefert ?––wenns auch nie der rechte war,
    der in der Zeitung stand, zu oft bereuen
die Schreiber ihr Geschreibsel und sogar
    das höchste Lob. Drum wähle ich den treuen
Don Juan, unsern Freund, der weit und breit
gerühmt wird; fuhr zur Hölle vor der Zeit.

2

Vernon, der Schlächter Cumberland & Co,
    Prinz Ferdinand und andre, neun genau––
wohl oder übel spricht man irgendwo
    von ihnen, Namensschilder stehn zur Schau,
Ruhm folgt auf Ruhm und stets ist ein Banquo
    im bösen Spiel: ‘neun Ferkel jener Sau’.
Selbst Frankreich rühmt in Moniteur und Coúrier
Napoleon sowohl als auch Dumoúrier.

3

Die Revolutionäre: Mirabeau,
    Danton, Marat, Condorcet, La Fayette…,
berühmte Leute, allesamt Franzo-
    sen, wie wir wissen, unvergessen, nette
bemühte Militärs: Marceau, Moreau…,
    bemerkenswert zu ihrer Zeit; ich hätte
nur wenig Lust, sie hier hinein zu ziehn,
so weit ist selbst mein Reim noch nicht gediehn.

4

Nelson, der einst Britannias Kriegsgott war,
    ists nun nicht mehr, das Blatt hat sich gewendet,
mehr wär auch nicht zu sagen: Trafalgar
    ist eingeäschert, selbst ein Ort verendet
mit seinem Helden, und ein andrer Star
    wird auf den Schild gehoben, heute spendet
man Wellington¹⁰ das Lob, und man vergißt,
daß er nur einer unter andern ist.

5

‘Vor Agamemnon lebten brave Männer’
    wie nach ihm, tapfer, überaus gescheit;
vergleichbar oder nicht, Horaz, der Kenner,
    sagt, sie gerieten in Vergessenheit,
weil kein Poem sie nennt; er weiß es, denn er
    war selber Dichter. Deshalb brauch ich heut
für mein Poem (das neue, das ich schreibe)
Don Juan, meinen Freund, bei dem ich bleibe.

6

Die meisten gehn sofort in medias res
    (Horaz macht daraus seinen Königsweg),
der Held berichtet meistens sinngemäß,
    was vorher war, und hält uns ein Kolleg
ex post, ja, plaudert fast, als wäre es
    der Nachtisch und er säße oder läg
im Boudoir und machte sichs bequem
bei Mistress oder Dame, je nachdem.

7

Das ist so Usus, aber nicht für mich,
    ich liebe, mit dem Anfang anzufangen,
die rechte Reihenfolge wahre ich
    prinzipiell und hab sie nie umgangen.
Deshalb beginn ich (habe sicherlich
    zu lang andern Gedanken angehangen),
damit, von Juans Vater zu erzählen,
sowie von Juans Mutter, ihr könnt wählen.

8

Geboren in Sevilla, hübsches Städtchen,
    berühmt für Apfelsinen ; wers nie sah,
ist zu bedauern, schon wegen der Mädchen,
    so sagt das Sprichwort, und ich sage ja.
Kein Ort ist hübscher, möchte ich bestätigen,
    Cadiz vielleicht, wir werden sehn. Ja, da
lebten Don Juans Eltern am Gestade
des edlen Stroms, wie hieß er doch gerade?

9

Guadalquivir! Sein Vater hieß José––
    ein Don, ja, ein Hidalgo von Geblüt,
nicht Maure, nicht Hebräer, war er e-
    her Abkömmling der Goten. Schwerlich sieht
und sah man einen bessern Chevalier
    durch Spanien reiten (bis Valladolid)
als Don José : er zeugte unsern Helden,
der zeugte––nun, das werden wir vermelden.

10

Die Mutter war gebildet und berüchtigt
    dafür, sie wußte alles, denn sie kannte
so gut wie alle Zungen, das ertüchtigt
    die Tugend und den Witz, und jeder nannte
sie klüger als die Klügsten, und bezichtigt
    die Guten selbst der Eifersucht; man wandte
sich wider sie, man wußte, daß man nie tat,
was mehr Erfolg versprach als das, was sie tat.

11

Sie hatte ein Gedächtnis…! Rezitierte
    Lope zum Teil und Calderon¹¹ total;
wenn wer nicht weiterwußte, nun, so zierte
    sie sich nicht lang und sagte eben mal
ein bißchen vor. Die Mnemotechnik führte
    für sie zu nichts, die Kunst war ihr egal:
sie schmückte nicht einmal so ein sublimes
Gehirn wie das der edlen Donna Inez¹².

12

Sie gab sich gern besonders mathematisch,
    sie legte großen Wert auf Edelmut,
ihr Witz (bisweilen übte sie) war attisch,
    tendierte zur Erhabenheit. Nun gut,
sie war ein Monstrum, doch nicht unsympathisch.
    Ihr Morgenrock war schlicht und absolut
durabel, abends trug sie reine Seide,
im Sommer Musselin zur Augenweide.

13

Sie sprach Latein, d.h. sie dilettierte,
    und Griechisch, wenigstens das Alphabet,
sie las Romane ab und an, parlierte
    ganz nett für den, der auch nicht viel versteht,
das Spanische hingegen ignorierte
    sie nahezu und hat den Sinn verdreht.
Sie dachte Wörter ; das war ihr Problem:
nichts war so edel wie ein Theorem.

14

Sie sagte gern, daß Englisch und Hebräisch
    einander analog sind, und bewies
es an der Liturgie, zu galiläisch
    womöglich, deshalb überlass ich dies
den Eingeweihten. Wahrhaft manichäisch
    dagegen war, worauf sie uns verwies:
‘Was im Hebräischen Ich bin bedeutet,
wird englisch zum Verdammtsein ausgeweitet’.

15

Zum Weib gehört die Zunge ; sie hielt Reden,
    die Augen den Sermon, die Stirn die Predigt,
und dominierte damit all und jeden:
    eine, die recht hat und das Recht erledigt
wie Romilly,¹³ der reformiert und Fehden
    verstaatlicht, Selbstmord macht und andre schädigt,
ein Beispiel mehr, daß ‘alles eitel sei’
(die Jury fand, Verrücktheit war dabei).

16

Kurzum, sie war ein wandelndes Kalkül,
    bezog aus Titelbildern der Romane
(Miss Edgeworths¹⁴ etwa) so etwas wie Stil,
    aus Büchern zur Erziehung das Humane
(wie’s Mrs. Trimmer sieht), und sehr sehr viel
    Persönlichkeit, und sei es subkutane.
Wir alle sind nicht frei davon zu ‘fehlen’,
sie wars––oh Graus, was soll ich mehr erzählen?

17

Sie war perfekt ohn jede Parallele,
    keine moderne Heilige kam ihr gleich,
erhaben selbst über die List der Hölle,
    ihr Schutzengel beschützte den Bereich.
Mit kleinstem Aufwand überall zur Stelle,
    präzise wie ein Uhrwerk, sag ich euch.
Unüberbietbar ihre Fertigkeiten
und Tugenden, wer wollte es bestreiten?

18

Perfekt war sie, doch alle Perfektion
    ist schal auf dieser Welt der lauen Christen,
aus der die Ur-Ur-Eltern damals schon
    vertrieben wurden, ehe sie sich küßten,
wo alles Unschuld war und guter Ton
    (12 Stunden Tugend täglich, fern den Lüsten).
Nur Don José stammte von Eva ab
und pflückte, wo es was zu pflücken gab.

19

Er war so sterblich, wie er sorglos war,
    und hielt nicht viel davon, zu viel zu wissen,
er ging wohin er wollte, hat sogar
    im Traum nicht an die Lady denken müssen.
Die Welt, zur Bosheit neigend, sah es klar,
    der Hausstand war im Innersten zerrissen,
man sprach von ner Maitresse oder zweien,
wo eine reicht für Ehe-Reibereien.

20

Donna Inez indessen machte sich
    ein hohes Bild der eignen Qualitäten,
sah sich verkannt, und das ertrug sie nicht
    im Licht der heiligen Moralitäten,
und dann, wenn sie ein Teufelsgeist beschlich,
    vermischte sie ihn mit Realitäten
und ließ nichts aus, um ihren hohen Herrn
in irgendeine Not hinein zu zerrn.

21

Es war so leicht, weil diese Art von Mann
    oft Unrecht hat und selten darauf achtet,
und selbst die klügsten kann man momentan
    unvorbereitet treffen, wie umnachtet,
‘mit einem Fächer’, heißt es, ‘könne man
    den Schädel spalten’, manche Lady trachtet
danach, mit leichter Hand hart zuzuschlagen,
warum, weshalb, wieso––wer kann das sagen?

22

Bedauerlich, wenn Jungfrauen von Geist
    gebunden sind an einen, dem er fehlt,
aus guten Hause zwar, und doch zumeist
    zu müde, um sich wenigstens gewählt
zu unterhalten. Wer bin ich, um dreist
    davon zu sprechen? Hätt es gern verhehlt.
Ihr seid gefragt, ihr intellektuellen
Pantoffelhelden, die sich unter-stellen.

23

José und Inez stritten stets. Warum?
    Kaum einer ahnte, was es wirklich war.
Es trieb indes einige Tausend um,
    obwohl es sie nichts anging. Mich sogar
genausowenig. Neugier wiederum
    zu leugnen? Auch verächtlich. Bin ein Star
des Arrangierens solcher Fremd-Affairen
(hab selber keine, die zu nennen wären).

24

Ich habe mich––aus Neigung––eingemischt
    aus bester Absicht, aber diese Toren,
sie hätten mich ab liebsten aufgemischt
    besessen, wie sie waren, unvergoren,
ihr Träger hat mirs später aufgetischt––
    nun denn, vorbei––Don Juan, jüngst geboren,
kam über mich mit einem Eimer Wasser,
den er vergoß, und ich war niemals nasser.

25

Ein kleiner Tunichtgut mit krausem Haar,
    der Unheil stiftete von Anfang an;
die Eltern, uneins sonst, warn nun sogar
    total von Sinnen durch den kleinen Mann,
sonst hätten sie den Bengel, sonnenklar,
    zum Schulmeister geschickt oder irgendwann
zuhaus gezüchtigt, um vor allen Dingen
ihm erst einmal Manieren beizubringen.

26

 
Doch leider führten sie, wie soll ichs nennen?
    ein Leben, dessen Unglück war, einander
den Tod zu wünschen, ohne sich zu trennen,
    warn Mann und Frau, respektvolles Selbander
nach außen, andres war nicht zu erkennen,
    kein Zwist, nur Ölzweig, Frieden, Oleander,
doch endlich brach das Feuer eben aus,
ganz ohne Zweifel brannte jenes Haus.

27

Denn Inez rief nach Ärzten, suchte Rat
    und Beistand, falls ihr Mann wahnsinnig wär,
doch als er sonnenklar war in der Tat,
    entschied sie, Bosheit wiegt genau so schwer;
und fragte man, was sie denn als probat
    im Auge habe, kam nichts Rechtes mehr,
es sei denn eine Pflicht ‘vor Mensch und Gott’,
die sie erfüllen müsse––Zebaoth!?

28

Sie führte Tagebuch, notierte Fehler,
    sie wälzte Bücher, erbrach Brief-Kassetten,
um daraus zu zitieren. Dann gabs Hehler
    in ganz Sevilla, darauf würd ich wetten,
nebst ihrer Großmama. Hörer, Erzähler,
    und Wiederholer, und sie alle hätten
den Casus ausgekostet, Advokaten
aus altem Groll, die ihren Spaß dran hatten.

29

Und dann trug diese freundlichste der Damen
    das Leid am Gatten heiter und gelassen,
wie Spartas Damen einst es heiter nahmen:
    fiel der Gemahl––sie wußten sich zu fassen
und nannten nicht einmal mehr seinen Namen.
    Geruhsam hörte sie all diese krassen
Verleumdungen, sah seine Agonien––
die Welt sah ihre Großmut, nicht den Spleen.

30

Wenn uns die Welt verdammt, ist die Geduld
    im Freundeskreis durchaus empfehlenswert,
und zugetraute Großmut eine Huld,
    vor allem, wenn die Welt davon erfährt,
und malus animus ist nicht gleich Schuld,
    behaupten die Juristen, wie man hört.
Daß Rachsucht keine Tugend ist––je nun;
ists denn mein Fehl, wenn andre Unrecht tun?

31

Und sollten wir hier altem Zank mit ein
    zwei Lügen zusätzlich zu Hilfe kommen,
kann ich, wie ihr wohl wißt, nicht schuldig sein
    und auch kein andrer, sind doch solche frommen
Zutaten Tradition; mein Glorienschein
    wird heller leuchten (als er sonst geglommen).
Die Wissenschaft gewinnt: tote Skandale
sind fürs Sezieren doch das Ideale.

32

Freunde versuchten Schlichtung, doch der Streit
    vertiefte sich noch mehr, als die Verwandten
sich eingemischt; die Angelegenheit
    sucht ihresgleichen (unter mir bekannten).
Die Advokaten taten, tut mir leid,
    ihr Bestes für die Scheidung, doch erkannten,
als Don José verstarb, daß Honorar
nun beiderseits nicht zu erwarten war.

33

Er starb, ein Elend wars, ein großes, weil
    nach all den Hinweisen, die ich erhielt
von Rechtsberatern, kundigen zum Teil
    (die dunkel reden, wie es sich empfiehlt),
sein Tod den Fall zerschlug wie mit dem Beil.
    Bedauerlicher noch, weithin gefühlt,
die Resonanz des Publikums, die schon
beachtlich war, fast eine Sensation.

34

Doch ach, er starb, und mit im Grabe lagen  
    das Anteilnehmen und die Interessen.
Der Hausstand aufgelöst in wenigen Tagen,
    ein Jude nahm die eine der Mätressen,
die andere ein Priester, wie sie sagen.
    Woran er starb? Es hieß, infolgedessen,
daß ihn ein Fieber schwächte lange schon.
Der Witwe blieb nur ihre Aversion.

35

Jedoch er war ein ehrenwerter Mann,
    das muß ich sagen, kannte ihn ja gut.
Auf seine Schwächen spiel ich nicht mehr an;
    da warn auch nicht mehr viele: Übermut,
ein wenig Leidenschaft, am Ende dann
    die Galligkeit, sie lag ihm wohl im Blut.
Kein friedlicher Numa Pompilius¹⁵,
zu schlecht erzogen leider––Punkt und Schluß.

36

Der Arme––ob nun wertlos oder wert––,
    war hierorts einfach zu verwundbar, geben
wirs zu, es war vielleicht ein unerhört
    mißlicher Augenblick, da stand er eben
allein an seinem ruinierten Herd,
    gescheitert seine Götter––aufzuleben
stand nicht zur Wahl für den Gescheiterten,
Tod oder Amtsgericht––so starb er denn.

37

Starb ohne Testament, und Juan war
    sein Erbe: Titel, Haus und Ländereien;
er war versorgt, noch minderjährig zwar,
    denn Inez wars, die ihn nun zu betreuen
bestellt war, fairerweise, seinen freien
    natürlichen Bedürfnissen sogar
entsprach: einziger Mutter einziger Sohn––
warf sie sich weislich auf Edukation.

38

Als weiseste der Witwen dachte sie
    bei Juan nur an musterhafte Sitten,
war doch sein Stammbaum edel irgendwie
    (Kastilien mit Aragon verschnitten),
prädestiniert für die Chevalerie
    im Kriegsfall, kurz: er ist sehr viel geritten,
lernte die Kunst, über den Zaun zu setzen,
zu schießen, zu erobern, zu ergötzen.

39

Doch das, was Donna Inez eigentlich
    ersehnte, was sie in und vor sich sah,
noch vor all den Gelehrten, die sie sich
    verschrieb, war strikteste Moral––nun ja,
und alles, was er angelegentlich
    studierte, Künste, Wissenschaften, ah,
erforschte sie zuerst, denn ihrem Lichte
war nichts ein Rätsel, nur Naturgeschichte!
 
40

Die Sprachen, insbesondere die toten,
    die Wissenschaften, meistens sehr obskur,
die Künste, die Absonderliches boten,
    exzeptionell und wider die Natur––
bekam er vorgesetzt, doch die, die drohten,
    Zusammenhang zu stiften und Kultur,
die wurden nicht geduldet, weil Gefahr
bestand, ihn zu verführen, sonnenklar.



Byron selbst war als Autor von Childe Harold’s Pilgrimage (1812–1818) in eigener Person zum romantischen Helden schlechthin geworden.
Banquo: Heerführer des schottischen Königs Duncan in Shakespeares Macbeth (um 1606), wird von seinem Freund Macbeth ermordet.
Horatio Nelson (1758–1805), Admiral, Sieger in vielen Seeschlachten, fiel 1805 vor Trafalgar.
¹⁰ Arthur Wellesley, 2. Duke of Wellington (1769–1814) General, Sieger bei Water­loo 1815; einer untern andern: ob Byron an den preußischen General Blücher dachte?
¹¹ Felix Lope de Vega Carpio (1562–1635) und Pedro Calderon de la Barca (1600–1681), die beiden berühmtesten Dichter und Dramatiker des spanischen Barock.
¹² Das Modell zum Porträt der Donna Inez ist angeblich Annabella Milbanke, die Gattin des Dichters, von der er sich 1816 getrennt hatte.
¹³ Sir Samuel Romilly, Rechtsanwalt und Staatssekretär, hatte zunächst Byron im Ehestreit vertreten, war aber zu Lady Byron übergelaufen.
¹⁴ Miss Edgeworth (1767–1849) und Sarah Trimmer (1741–1810), Autorinnen.
¹⁵ Numa Pompilius, zweiter König Roms, hielt 43 Jahre lang Frieden (Aeneis VI. 810).


Aus George Gordon Lord Byron: Don Juan, Canto 1. Ins  Deutsche übertragen und parodiert von Günter Plessow. Deutsch. Dozwil  (Edition Signathur) 2017. 101 Seiten. 15,00 Euro.
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