Latinale 2017 - Agustina Ortiz: Sie ließen uns liegen

Foto: Rolf Urban
Agustina Ortiz
Aus dem mexikanischen Spanisch von Laura Haber
Nos dejaron tiradas
a las once de la noche
ahogándonos
desnudas entre el polvo
de la calle
unas manos que pasaban
nos dieron en sus cuencos
tragos de palabras líquidas
cristalinas
y nos levantamos
fieles sólo las muertas
que ya no beben
somos
astillas de huesos
vaginas rotas
columnas blancas
donde lloran las criaturas
tragedia y coros
es de día
los agresores
no han vuelto a bloquearnos
el umbral de los espejos
fieles sólo las muertas
que ya no beben.
Sie ließen uns liegen
um elf in der Nacht
nackt
erstickten wir im Staub
der Straße
Hände, die vorüberkamen,
gaben uns, gewölbt zu Schalen,
Schlucke flüssiger Worte zu trinken
kristallklarer Worte
und wir standen auf
treu nur die Toten
die nicht mehr trinken
wir sind
Knochensplitter
zerrissene Vaginen
weiße Säulen
an denen sich die Kinder ausweinen
Tragödie und Chöre
es ist Tag
die Angreifer
haben uns nicht nochmals
die Schwelle zu den Spiegeln versperrt
treu nur die Toten
die nicht mehr trinken.
Agustina Ortiz stammt aus Michoacán, Mexiko. Sie immigrierte zuerst in die USA und später nach Deutschland. Seit mehreren Jahrzehnten erforscht und erspürt sie das Lebensgefühl der drei Länder. Sie ist Autorin der Gedichtbände Luna de papel (2015) und El eco de las sombras (2012), ein weiterer sowie ein Roman sind in Vorbereitung. Sowohl ihr lyrisches als auch ihr narratives Werk wurde in zahlreiche Anthologien und Zeitschriften aufgenommen, darunter Ámbitos Feministas (Western Kentucky University), Ventana abierta (University of California in Santa Barbara), Ixchel: letras y diosas. Antología de poesía y narrativa, México: Eterno Femenino Ediciones, (2014) etc.
Agustina Ortiz ist mit der Latinale 2017 in München am 26.10. um 18 Uhr in der Librería Española en Múnich (Spanische Buchhandlung).
Zusammengestellt von Timo Berger, Rike Bolte und Laura Haber
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