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Konzentrische Kreise

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Echoraum der Vergangenheit




Konzentrische Kreise – fünf an der Zahl: Herr der Ringe werden, tief ins Bewusstsein dringen, in die Wahrnehmung des Menschen, des Tiers, der Pflanzen, der Mineralien, dann das Schweigen als fünfter Ring? Fünf Steine ins Wasser geworfen, fünf Ringe, die sich aber – laut Piktogramm im Gedichtband – nicht ausbreiten, sondern nach innen dringen, den Raum zum Labyrinth machen, dieses nicht öffnen, sondern konzentrieren.
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Im Lyrik Kabinett, am 3. Februar, las Yang Lian auf seiner Lesereise (von Stuttgart aus) aus dem vierten Ring nach innen, las von konstruierten Orten, von dem sich weitenden Labyrinth (so zwei der Titel des Poems). Die chinesische Kultur könne sich nicht im Äußeren finden, sondern nur im Innern, sagte Lian in der Einführung. Ein chinesischer Künstler müsse heute auch ein großer Denker sein.

Lian, ein Chinese mit lebendiger Tradition, in Berlin im Exil. Einer, der den Dialog mit der eigenen Existenz in seinem Poem beschreibt. Übersetzt und auf Deutsch vorgetragen hat es Wolfgang Kubin, der Sinologe aus Bonn, selber Lyriker, dessen „Geschichte der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert“ als Standardwerk gilt.

Wolfgang Kubin und Yang Lian

Gegen den Willen Kubins, der dem Publikum eher leichtere Kost gewünscht hätte, bestand Lian auf die Fortführung der sich verengenden Ringe, auf den vierten Kreis (nach meiner Rechnung die Bewusstseinsstufe der Erde als Element, der Minerale, des Todes), den er dann auch komplett vorgetragen hat – er will das ganze Buch auf der Tournee lesen, und den Kreis 4 diesen Abend. Vier ist die Autobiografie, die Autopsie, lyrisch zu Papier gebracht: Lians Stationen seit 1989.²


Der konstruierte Ort

Unter hängendem Fels erst ist ein Garten, ist ein erloschener Vulkan.
Sie bedrohen den Ozean zwölf Monate lang.
Du bist es, der die Straße hinuntersteigt. Es ist die Straße, die zur Brücke wird.
Unter der Brücke binden Leichname eine anhaltende Regenzeit.
Es ist Oakland, schleifend die bluttriefende Axt im Möwengeschrei.

Die ganze Menschheit sei in den letzten Jahren ins Exil gegangen, nicht nur er. Denn das Exil des Dichters ist zugleich das Exil der Menschheit. Mit diesem Langgedicht habe Lian sich internationalisiert, bestätigte Kubin.


Die Wiederaufführung einer Komödie

Alle Geschichten ereignen sich in den Winkeln falscher Zähne.
Und du im Hintergrund von Geschichten bist völlig verharzt.
Knaben, sie alle lodern an Kreuzungen töricht und dumm.

Wie er zur Dichtung gefunden habe? Sein Vater habe ihn als Achtjährigen in die Lyrik eingeführt, indem er einen Achtzeiler von Du Fu auswendig lernen musste, dem wohl berühmtesten chinesischen Dichter (8. Jh.).


Viele der Verse des Poems sind aphoristische Orakel.

Einem Spiegel, der sein Spiegelbild verliert, wächst ewig Fleisch.“ Wie Sprüche Laotses, die in zwei Richtungen interpretierbar sind. (Verliert man sein Spiegelbild, ist man tot. Wer hier im Diesseits ins Fleisch geboren wird aber, ist auch für die orphische Tradition des Westens der Tote, denn er sieht seine eigentliche (himmlische) Natur nicht mehr und ist abgeschnitten).


Der nächste Vers ein leichter Wink: „Und ewig meint ewig nicht.“

Naturgemäß bei solchen Werken endete der Abend mit einem Gespräch über das hermetische Sprechen – Nicht sprechen, über das Schweigen. Der späte Paul Celan wurde von Lian als Beispiel angeführt; selber wollte er nur über die Geschichte des Schweigens in Andeutungen reden, und erwähnte von Laotse bis Wittgenstein die Wortführer. Ich glaube, er nannte auch John Cage (Silence).³ So gesehen sei das Tao nicht das Tao, sondern auch ein Schweigen, ein Zustand, der ins Zentrum des Labyrinths führe, dorthin, wo Worte nicht weiterhelfen, vielleicht ganz verschwunden sind.

KK


¹ Bertolt Brecht: Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration, 5:
Doch der Mann in einer heitren Regung
Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“
Sprach der Knabe: „Dass das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.“

² Etwa zu der Zeit nach dem Tian’anmen-Massaker, als Lians Proteste bewirkten, dass seine Werke in China auf die Zensurliste gesetzt und ihm die chinesische Staatsbürgerschaft entzogen wurde.
³ Martin Lüdke: Ein Echo Becketts (Peter Handke: Bis dass der Tag euch scheidet, Suhrkamp Verlag):
Becketts Werk hatte mit den Sprachkaskaden von "Murphy" begonnen. Es endete bekanntlich im Schweigen. Und damit war die literarische Moderne ebenso an einem Endpunkt angelangt wie die moderne Musik mit John Cage etwa, oder die Malerei mit dem Werk von Lucio Fontana, der seine monochromen Farbquadrate zusätzlich noch mit einem Messer aufgeschlitzt hatte. Weiter geht es nicht. Irgendwann muss jede Reduktion an ihr Ende kommen. Fraglich bleibt freilich die Deutung dieses Prozesses.

Yang Lian: Konzentrische Kreise. Ein Poem. Übersetzt von Wolfgang Kubin. München (Edition Lyrik Kabinett bei Hanser) 2013. 128 S., 14,90 Euro.


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