Katrin Pitz: auch solche tage waren immer schon da (2)
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Beate Tröger
Katrin Pitz:
auch solche tage waren immer schon da. Gedichte. Nettetal (Elif Verlag) 2022. 110
Seiten. 20,00 Euro. ISBN: 978-3-946989-49-3.
Nur zwei Dinge
ist ein bekanntes Gedicht von Gottfried Benn überschrieben, in dem die „ewige
Frage nach dem wozu“ als „Kinderfrage“ charakterisiert wird. Handelt es sich
aber bei Kinderfragen nicht genau um die Sorte von Fragen, um deren
Beantwortung man nicht herumkommt, wohl wissend, dass es auf viele von ihnen
keine Antwort gibt?
In gewisser Weise steckt
auch der erste Gedichtband der 1989 in Marburg geborenen Katrin Pitz voller
Kinderfragen. Die sechs Zyklen des Bandes, die auch jene Gedichte enthalten,
für die Katrin Pitz im März 2021 von der Jury des Literarischen März in
Darmstadt den Leonce und Lena-Preis zugesprochen bekam, umkreisen eine „liste
mit fragen / verwahrt im baumhaus-archiv“, wie es in „vollständigkeit und andere
ansprüche“ heißt. Wenngleich die Gedichte häufig kindliche Perspektiven für das
Sprechen einnehmen und fruchtbar machen, das lyrische Subjekt dieser Gedichte
häufig ganz durchdrungen von dem Stellen von Kinderfragen ist, so erscheint die
Kindheit in diesem Band dennoch nicht als paradiesischer Ort, im Gegenteil: von
Grausamkeit und Entsetzen geprägte Kindheitserinnerungen und Kindheitsmuster
sind geprägt, manchmal regelrecht gestanzt, von einem „tak tak“ von
Lochkartenmaschinen als Sprechmaschinen oder gedreht durch die
„kurbelmaschinchen“, wie sie in dem Gedicht „nachträgliche karte“ oder in
„meine daumen trag ich innen“ Erwähnung finden:
und dann kurbelt der mann, kurbelt und kurbeltan dem maschinchen, in das alle ihre zeit hineintunkurbelt, ohne dass wir ihn sehen dabeidoch wir sind uns recht sicheres muss ein schwerer job seinbis der tag an uns vorbei istnoch gibst du mir abendshinter dem wachmanndie handholst mir die daumenzaghaftaus dem innern herausnoch wissen wir, wie wir gemeinschaftlich weinenunseren kindlichen kummeraus den wachstumswunden heraus

Das Vergehen bzw. Erinnern kindlichen Erlebens und kindlicher Erfahrung werden hier beschrieben als durch ein Maschinchen gedreht, in das alle ihre Zeit hineintun, ein Verb, das in seiner relativen Ungelenkheit gut geeignet ist, sich erinnernd dem Blick des Kindes qua einfacher Sprache mimetisch anzunähern und dem „gemeinschaftlichen weinen eines kindlichen kummers aus den wachstumswunden heraus“ Anschaulichkeit zu verleihen. Das „maschinchen“ zeitigt „wachstumswunden“. Diminutive wie „männchen“, „fingerchen“ oder „stöckchen“ skizzieren und locken ebenfalls in Kindheitswelten, in denen es dann aber recht schaurig zugeht, in denen Menschen ein wenig wie romantische, gespenstische oder auch futuristische Maschinenwesen erscheinen können.
„ein kühlschrank voll bleichender bilder“ heißt ein anderes der Gedichte, das fortfährt: „sind wir nicht beide zu alt / mit stiften in fäusten zu malen“. Auch hier ist die Kindheit, sind kindliche Muster zugleich anrührend und irritierend. Die Ambivalenzen im Blick auf die verlorene Kindheit oder vielleicht auch auf eine Form kindlicher Regression, die das Unbedingte noch sucht, wo längst schon die Bedingung den Kurs vorgibt, sind vielfältig in Sprache übersetzt.
Katrin Pitz studierte Maschinenbau an der TU Darmstadt und hatte seitdem verschiedene Positionen in Forschung und Entwicklung inne, und etwas davon schlägt im Einsatz von Fachsprachen in ihren Gedichten nieder, am explizitesten in den Gedichten im vierten Zyklus des Bandes „naturwissenschaften“, in denen mit dem Vokabular der Zoologie, Botanik und Kybernetik sprachlich agiert wird, jedoch nicht deskriptiv, sondern das Sprachmaterial auf seinen poetischen Gehalt hin untersuchend. Auch von dieser Richtung her künden ihre Gedichte von einem stark ausgeprägten Erfindergeist, wenn sie Worte wie „wegpusteleicht“ einsetzt, wenn „wärmeverluste“ metaphorisch lesbar werden.
„auch solche tage waren immer schon da“ sind aber auch Gedichte, die von der Suche nach Liebe reden, von einem „wir“, das Wärmeverluste auszugleichen hätte, was nicht selten misslingt. Sprechen und die Sprache erscheinen gleichermaßen produktiv und versehrt in diesem Gedichtband, der mit einer Frage, einer weiteren Kinderfrage, endet:
als ich heute vom einkaufen kamschickte ein anderer den jungen von obenlos sich ein eis zu erfragen, zu kaufenmit dem klimpergeld in seiner handaber der kleine war scheu wie wir beideweinte im hausflur, wer weiß, ob ihnder vorsilben-vater noch hörteaber wie -- aber aber wie?
Es ist eine Stärke dieser Gedichte, dass sie sich so ungeschützt und unerschrocken forschend den Kinderfragen nähern, aus der Perspektive des gealterten Kindes zu sprechen wagen. Sie stören so produktiv, wie es vielleicht nur Kinder können, unsere Gewohnheit, reißen uns aus unserem Lese- und Denktrott, ermutigen zum Weiterfragen.