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Kai Pohl: Staatenlose Insekten

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Jan Kuhlbrodt


Zu Kai Pohl: Staatenlose Insekten


Anlässlich der Vorstellung des jüngst erschienenen Schwarzbuchs der Lyrik in Leipzig kam es zu einer Diskussion, in der Kai Pohl es ablehnte, seine Dichtung mit dem Adjektiv politisch zu kennzeichnen, weil dieses Wort noch nichts über die Haltung des Dichters und den Inhalt seiner Gedichte aussage. Letztlich seien Texte mit faschistischer Ausrichtung ja auch politisch.

Es ist der Titel von Pohls Buch, der das erste Signal setzt und gleich auch etwas von dem offenbart, was den Leser erwartet. Denn wir sind konditioniert. Und im Grunde sind wir von Kind an dazu angehalten, Bienen und Ameisen und andere Staaten bildende Insekten dafür zu bewundern, dass das Individuum in jenen biologischen Organisationen vollends in seiner Funktion aufgeht, sich darin verliert. Natürlich ist es identisch mit seiner Funktionsbeschreibung und letztlich, vor allem im Fall der Bienen, speist sich diese Bewunderung nicht nur aus der Funktionserfüllung an sich, sondern es ist vor allem Funktion für uns. Bestäubung und Honig erscheinen als Ziel der bienenhaften Existenz. Stürbe die Biene aus, verginge der Mensch, heißt es. Gern wird auch der Bienenstaat als Vorbild fürs menschliche Gemeinwesen betrachtet, und das nicht nur im Fall von Bonsels Biene Maja. Im übrigen hatte Bonsels selbst aufgrund seiner Betrachtungsweise der Natur auch weniger Probleme, sich ins nationalsozialistische Gemeinwesen zu fügen.

Die zweite Strophe des Gedichtes Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne treibt diese tradierte Betrachtung auf ihren ironischen Höhepunkt:

Am Freitag schon auf Montag freuen.
Kondore über rollenden Köpfen,
die Beute erwartet den Jäger,
simuliertes Ertränken am Brett.


Was hier in aller Drastik daherkommt, wird im Buch auf verschiedene Weise durchgespielt. Und das Faszinierende ist, dass die Texte sich dabei der vielfältig tradierten lyrischen Mittel bedienen. Das zeigt aber auch, dass Lyrik ihre Unschuld schon lange eingebüßt hat, wenn sie je in einer Unschuldssituation gewesen ist.

Die Landschaft ist deutlich

zu groß geraten. Weite, jeglicher Fülle beraubt.
Mit Einfalt versiegelt, von Auswuchs befreit,
warten nicht bloß die Wasser auf Klärung.
Am Ende fehlt für die Krücke der Stock.


Den Texten sind einige Schwarz-Weiß-Fotografien beigegeben, die die Aussage des zuletzt Zitierten gewissermaßen konterkarieren. Sie gehen ins Detail, suchen nicht die Weite, sondern letztlich das anscheinend banale Einfache. Zum Beispiel finden sich auf einer Fotografie benachbart montierte Lichtschalter, die bei gleicher Funktion offensichtlich verschiedenen Technikepochen entstammen und wahrscheinlich, die Aufnahmen hat Pohl in Ungarn gemacht, auch verschiedenen politischen Systemen.


Lyrik und lyrisches Sprechen sind Teil eines Systems, einer Totalität, dessen ist Pohl sich bewusst. Wollen Gedichte, will Sprache über das Bestehende hinaus, müssen sie zuerst ihrer Verflochtenheit in das Bestehende gewahr werden. Insofern sind Pohls Gedichte Aufklärung. Sie suchen kompromisslos in der Sprache das Falsche, Positionen, die Sprache an das ketten, was sie überwinden will. Und sie betreiben dieses Geschäft mit Humor. Und Humor heißt bei Pohl das Aufzeigen der Absurditäten der Situation, wie diese zu Tage tritt, und der sprachlichen Formen. Dass er sich dabei zuweilen der Technik des Cut ups bedient, ist naheliegend, und auch dass er im Band das Gedicht WELTENDE zitiert. Diese wahrscheinlich erste Anwendung dieser Technik, deren Protagonisten wie Jakob van Hoddis von den Nazis ermordet oder ins Exil getrieben wurden. Eine Technik also, die uns heute als Re-Import aus dem Amerikanischen erscheint.


Kai Pohl: Staatenlose Insekten. Berlin (Quiqueg Verlag) 2016. 110 Seiten. 14,50 Euro.

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