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Jörg Neugebauer: Spiritueller Aufschwung

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Jörg Neugebauer

Spiritueller Aufschwung
Zur Entstehung von Hölderlins Patmos-Hymne


Patmos ist eine kleine Insel in der Ägäis. Sie ist bis heute ausschließlich mit dem Schiff zu erreichen.
In der Antike stand auf dem höchsten Punkt der Insel ein Artemis-Tempel, als Kultstätte für die Göttin Diana.
Im 11. Jahrhundert, also vor nunmehr tausend Jahren, wurde an dieser Stelle ein großes Kloster errichtet, das Johannes-Kloster.
Benannt nach dem Apostel Johannes, der auf Patmos das Schlusskapitel des Neuen Testaments, die "Offenbarung", auch Apokalypse genannt, niedergeschrieben haben soll,
nachdem er als störrischer Christ aus Rom dorthin verbannt wurde. Möglicherweise - oder wahrscheinlich - aber war es auch ein anderer "Johannes". In dem Hölderlin-Gedicht wird der Verfasser, wer immer es war, jedenfalls mit dem Jesus-Jünger gleichgesetzt.

Der 32-jährige Hölderlin also schrieb, so um 1802, das Gedicht Patmos, das er dem Landgrafen von Homburg widmete, der ihm, wie man heute sagen würde, Asyl gewährt hatte, da ihm in Württemberg aus politischen Gründen Verfolgung drohte.
Der Landgraf war Pietist, also ein Anhänger der eher wortwörtlichen Bibelauslegung, und der wünschte sich von Hölderlin zu seinem 55. Geburtstag ein großes Gedicht in diesem Sinne. Ursprünglich hatte er Klopstock diese Aufgabe angetragen, doch der sah sich aus Altersgründen dazu außer Stande.
In sein Gedicht flocht Hölderlin nun, ganz modern im Verfahren, einerseits Zitate aus mehreren dem Landgraf bekannten Texten Klopstocks ein und griff auch das Anliegen seines Auftraggebers auf, die buchstabengetreue Bibelauslegung in seinen Versen zu thematisieren.
Zugleich ging er, seiner eigenen Auffassung entsprechend, aber auch darüber hinaus und feierte in dem Gedicht letztlich den Geist als das Entscheidende. Nicht allein der Buchstabe, sondern im Endeffekt erst der Geist einer Äußerung, der Spirit, wie wir heute sagen würden, ist Träger der Botschaft.
Selbst von diesem Schöpfergeist angerührt, kam Hölderlin im Zuge der Abfassung des Gedichts auf viele außerordentlich bildstarke und bis zum heutigen Tag unkonventionelle Formulierungen, die etwas poetisch Visionäres an sich haben.
So erfüllte er einerseits den Auftrag des Landgrafen und schuf zugleich etwas weit darüber Hinausgehendes, das in seiner poetischen Kühnheit selbst über unsere heutige Gegenwart hinausweist: Ein stark rhythmisches Sprachgebilde, das sich immer wieder in der Überlieferung erdet und das zugleich ständig "abhebt" in spirituellem Aufschwung.


Zu Teil 2: Stilleuchtende Kraft" »


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