Jerome Rothenberg: Khurbn
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Jan Kuhlbrodt
Erinnerung und Vergegenwärtigung
Dank der Literaturzeitschrift Schreibheft setzte eine bislang doch noch etwas zaghafte Rezeption des Amerikanischen Dichters und Essayisten Jerome Rothenberg ein. Motor dieser Rezeption ist der in Berlin lebende Lyriker und Übersetzer Norbert Lange. Seit ich ihn kenne, und das ist schon einige Jahre, beschäftigt er sich mit dem Werk des Amerikaners und probt sich an der Übersetzung seiner Texte. Über ein von Lange herausgegebenes Dossier haben wir hier in einer Besprechung des Schreibheftes Nr. 82 berichtet.
Im Rahmen der Reihe P im Heidelberger Verlag Das Wunderhorn ist nun ein Einzelband erschienen. Der Text trägt den Namen Khurbn, und der Band enthält neben dem amerikanischen Original, eine deutsche Übersetzung von Norbert Lange und Barbara Tax. Und um es vorweg zu nehmen, Lange und Tax haben eine großartige Arbeit geleistet und dem Original mit seinem Jiddischen Einsprengseln eine angemessene deutschsprachige Version zur Seite gestellt. Eine Arbeit, die kaum zu überschätzen ist, auch angesichts der politischen Brisanz des Textes.
1987 besucht Rothenberg den Ort, in dem seine Vorfahren lebten, und stellt bei diesem Besuch fest, dass der Ort nur fünfzehn Meilen von Treblinka entfernt ist:
„Die Abwesenheit der Lebenden wirkte, als erzeugte sie ein Vakuum, in dem die Toten – die vor ihrer Zeit gestorbenen Dibbuks – wieder sprechen durften.“
Das schreibt Rothenberg im Vorwort zu Khorbn. Und explizit nimmt er hier Bezug auf Adornos Diktum, dass es barbarisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben:
„Unsere Suche seitdem ist die nach den Ursprüngen der Poesie gewesen, nicht als mutwilliger Wunsch, reinen Tisch zu machen, sondern als Bestätigung jener anderer Stimmen & und der Reste von Gedichten, die sie im Schlamm zurückließen.“
Den Toten, den Opfern eine Stimme
geben. Oder viel mehr ihre Stimmen aus den Zerstörungsresten zu bergen. Ein
Anspruch, an dem zu scheitern, große Gefahr besteht, den aber nachzukommen
gleichermaßen notwendig ist.
„keine Sprache haben für den Schrecken,nicht mehr sprechen können, zu sehr verklumpteder Gestank ihre Kehlen,sie, die mit der Scheiße lebten& sie aus ihrenTrinkbechern kratzten“
Ich gebe es zu, es fällt mir schwer
über dieses Buch zu schreiben. Und außer mir, scheint es noch anderen so zu
gehen, sonst wäre viel mehr darüber berichtet worden, denn ich meine, dass es
sich um eine der wichtigsten Publikationen nicht nur des laufenden Jahres
handelt.
Nicht nur aufgrund des fatalen
politischen Klimas, das derzeit in Deutschland herrscht, und des Versuchs
rechter Parteien, mit der Erinnerungskultur eben die Erinnerung an die Opfer
deutscher nationalsozialistischer Politik verschwinden zu lassen, um - von solcher
Last befreit – vielleicht neues Unheil zu planen und anzurichten.
Im Nachwort erklärt Rothenberg den
Titel des Zyklus:
„Da war eine Großmutter, die ihre Toten beweinte, ich aber beweinte ihre Trauer. … es war für mich das Kinderwort (bei dem sich mir noch heute etwas in Kehle und Bauch zusammenschnürt) das Wort Khurbn (Khirbn im Dialekt meiner Herkunft).“
Der Schrecken schreibt sich in den Text ein.
Die Verse sind durchsetzt von Auslassungen. Lücken wie offene Münder. Die
ermordeten Verwandten schweigen, und dennoch sind sie in den Lücken, die sie
ließen und die nicht zu füllen sind, präsent. Man braucht Kraft, diesen Text
aufzunehmen, aber es ist geradezu unsere Pflicht, diese Kraft aufzubringen. Und
vielleicht ist es das, was Kunst vermag: wenn nicht zu heilen, die Wunden zu
zeigen, die nicht verschwinden, wenn man sie verschweigt.
Jerome Rothenberg: Khurbn. Gedichte. Hrsg. von Hans Thill, Joachim Sartorius, Ernest Wichner. Heidelberg (Verlag Das Wunderhorn - Reihe P) 2017. 60 Seiten. 17,90 Euro.