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Jan Kuhlbrodt: Klang und Vernuft

Diagramme
Jan Kuhlbrodt

Klang und Vernunft – Eine Beobachtung
(Bei der Dantelektüre)

Brecht sagt in seinem Gedicht von den Großen Männern, dass man sie zwar ehren sollte, aber man soll ihnen nicht vertrauen. Und auch jene, die als Geistesgrößen betrachtet werden, stolpern zuweilen höchst albern durch den Diskurs, weil die Intelligenz machmal dem Vorurteil unterliegt.

So formuliert zum Beispiel Dante Alghieri:

„Doch obschon es die Frau ist, die gemäß der Schrift als erste gesprochen hat, ist es dennoch vernünftiger anzunehmen, der Mann habe als erster gesprochen; es ist unangemessen zu meinen, ein solch herausragender Akt des menschlichen Geschlechts wäre nicht zuerst vom Mann, sondern von der Frau vollzogen worden. Vernünftigerweise glauben wir also, dass es Adam zuerst gegeben wurde, zu sprechen.“

Dies ist eine im Fortgang des Textes „Von der Beredsamkeit in der Volkssprache“ vollkommen widersinnige Einlassung. Zumal Dante im Abschnitt zuvor auf eine sehr schöne Art auf dem Zusammenhang von Klang und Vernunft im Wort verweist.
    Ein Zusammenhang, auf den übrigens die Russen Belyj und Chlebnikow, jeder auf seine Weise, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts abzielen. Chlebnikow auch, indem er eine neue Sprache schaffen will.

Bei Dante heißt es:

„Das Menschengeschlecht braucht also, um sich Gedanken mitzuteilen, ein Zeichen, das sowohl vernünftig als auch sinnlich ist. Es sollte ja etwas von der einen Vernunft aufnehmen und auf die andere übertragen; deswegen musste es vernünftig sein. Sinnlich musste es sein, da nur durch ein sinnliches Mittel etwas von der einen Vernunft auf die andere übertragen werden kann. Wäre das Zeichen nämlich nur vernünftig, so könnte es nichts übertragen; wäre es nur sinnlich, hätte es weder von der Vernunft aufnehmen noch in der Vernunft ablegen können.
     Das Zeichen ist jener edle Gegenstand, von dem wir sprechen. Es ist ein sinnliches etwas, insofern es ein Laut ist; es ist vernünftig, insofern es etwas nach Übereinkunft bezeichnet.“ (48)

Bei Chlebnikow:

„Das Wort hat ein Doppelleben.
Zum einen wächst es einfach wie eine Pflanze, es zeugt eine Druse ihm benachbarter Klangsteine, und dann lebt das Klangprinzip ein Eigenleben, während der Anteil des Verstandes, Wort genannt, im Schatten steht; oder aber das Wort verdingt sich beim Verstande, der Klang hört auf, >allgroß< und selbstbeherrscherlich zu sein; der Klang wird Name und erfüllt gehorsam die Befehle des Verstandes, dann blüht dieser als das ewige zweite Spiel einer Druse aus sich ähnlichen Steinen.“ (Über zeitgenössische Lyrik, in Velimir Chlebnikov: Werke, Reinbek bei Hamburg, 1985, S. 318 f.

Und bei Belyj:

Der Laut ist – der Kreis der Kreise: man kann scharf denken in Bildern, wenn der einheitliche Laut gefunden ist, der sie verbindet; in den Bildgestaltungen des Mythos verzehrt sich der Laut. Der Laut ist bildlos, unbegreiflich, aber – durchdacht; wenn er den Sinn entwickeln würde, unabhängig vom vorhandenen Sinn der Begriffe – könnten wir, hinter das fallende Laub der Sprachen sehend, diese Sprachen durchschauend, auch uns bis auf den Grund durchschauen: unser verborgenes Wesen könnten wir dann schauen; und die Lautsprache ist – ein Versuch; in ihr ist die Weltschöpfung wiedererstanden.“  (Andrej Belij: Glossolalie. Poem über den Laut.)


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