Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, Teil 3
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Immanuel Kant
Zum ewigen Frieden
Ein philosophischer Entwurf
Teil 3
Anhang
I. Über die Mißhelligkeit zwischen der Moral und der Politik, in Absicht auf den ewigen Frieden
Die
Moral ist schon an sich selbst eine Praxis in objektiver Bedeutung, als
Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen,
und es ist offenbare Ungereimtheit, nachdem man diesem Pflichtbegriff seine
Autorität zugestanden hat, noch sagen zu wollen, daß man es doch nicht könne. Denn
alsdann fällt dieser Begriff aus der Moral von selbst weg (ultra posse nemo
obligatur); mithin kann es keinen Streit der Politik, als ausübender
Rechtslehre, mit der Moral, als einer solchen, aber theoretischen (mithin
keinen Streit der Praxis mit der Theorie) geben: man müßte denn unter der
letzteren eine allgemeine Klugheitslehre, d.i. eine Theorie der Maximen verstehen,
zu seinen auf Vorteil berechneten Absichten die tauglichsten Mittel zu wählen,
d.i. leugnen, daß es überhaupt eine Moral gebe.
Die
Politik sagt: »Seid klug wie die Schlangen«; die Moral setzt (als
einschränkende Bedingung) hinzu: »und ohne Falsch wie die Tauben«. Wenn beides
nicht in einem Gebote zusammen bestehen kann, so ist wirklich ein Streit der
Politik mit der Moral; soll aber doch durchaus beides vereinigt sein, so ist
der Begriff vom Gegenteil absurd, und die Frage, wie jener Streit auszugleichen
sei, läßt sich gar nicht einmal als Aufgabe hinstellen. Obgleich der Satz: Ehrlichkeit
ist die beste Politik, eine Theorie enthält, der die Praxis, leider! sehr
häufig widerspricht: so ist doch der gleichfalls theoretische: Ehrlichkeit
ist besser denn alle Politik, über allen Einwurf unendlich erhaben, ja
die unumgängliche Bedingung der letzteren. Der Grenzgott der Moral weicht nicht
dem Jupiter (dem Grenzgott der Gewalt); denn dieser steht noch unter dem
Schicksal, d.i. die Vernunft ist nicht erleuchtet genug, die Reihe der
vorherbestimmenden Ursachen zu übersehen, die den glücklichen oder schlimmen
Erfolgs aus dem Tun und Lassen der Menschen, nach dem Mechanism der Natur, mit
Sicherheit vorher verkündigen (obgleich ihn dem Wunsche gemäß hoffen) lassen.
Was man aber zu tun habe, um im Gleise der Pflicht (nach Regeln der Weisheit)
zu bleiben, dazu und hiemit zum Endzweck leuchtet sie uns überall hell genug
vor. Nun gründet aber der Praktiker (dem die Moral bloße Theorie ist) seine
trostlose Absprechung unserer gutmütigen Hoffnung (selbst bei eingeräumtem Sollen
und Können) eigentlich darauf: daß er aus der Natur des Menschen
vorher zu sehen vorgibt, er werde dasjenige nie wollen, was
erfordert wird, um jenen zum ewigen Frieden hinführenden Zweck zu Stande zu
bringen. – Freilich ist das Wollen aller einzelnen Menschen, in einer
gesetzlichen Verfassung nach Freiheitsprinzipien zu leben (die distributive
Einheit des Willens aller), zu diesem Zweck nicht hinreichend, sondern
daß alle zusammen diesen Zustand wollen (die kollektive Einheit
des vereinigten Willens), diese Auflösung einer schweren Aufgabe, wird noch
dazu erfordert, damit ein Ganzes der bürgerlichen Gesellschaft werde, und, da
also, über diese Verschiedenheit des partikularen Wollens aller, noch eine
vereinigende Ursache desselben hinzukommen muß, um einen gemeinschaftlichen
Willen herauszubringen, welches keiner von allen vermag: so ist in der Ausführung
jener Idee (in der Praxis) auf keinen andern Anfang des rechtlichen
Zustandes zu rechnen, als den durch Gewalt, auf deren Zwang nachher das öffentliche
Recht gegründet wird; welches dann freilich (da man ohnedem des Gesetzgebers
moralische Gesinnung hiebei wenig in Anschlag bringen kann, er werde) nach
geschehener Vereinigung der wüsten Menge in ein Volk, diesem es nur überlassen,
eine rechtliche Verfassung durch ihren gemeinsamen Willen zu Stande zu bringen,
große Abweichungen von jener Idee (der Theorie) in der wirklichen Erfahrung schon
zum voraus erwarten läßt. Da heißt es dann: wer einmal die Gewalt in Händen hat,
wird sich vom Volk nicht Gesetze vorschreiben lassen. Ein Staat, der einmal im
Besitz ist, unter keinen äußeren Gesetzen zu stehen, wird sich in Ansehung der
Art, wie er gegen andere Staaten sein Recht suchen soll, nicht von ihrem
Richterstuhl abhängig machen, und selbst ein Weltteil, wenn er sich einem andern,
der ihm übrigens nicht im Wege ist, überlegen fühlt, wird das Mittel der
Verstärkung seiner Macht, durch Beraubung oder gar Beherrschung desselben, nicht
unbenutzt lassen; und so zerrinnen nun alle Plane der Theorie, für das Staats-,
Völker- und Weltbürgerrecht, in sachleere unausführbare Ideale, dagegen eine
Praxis, die auf empirische Prinzipien der menschlichen Natur gegründet ist,
welche es nicht für zu niedrig hält, aus der Art, wie es in der Welt zugeht, Belehrung
für ihre Maximen zu ziehen, einen sicheren Grund für ihr Gebäude der
Staatsklugheit zu finden allein hoffen könne. Freilich, wenn es keine Freiheit
und darauf gegründetes moralisches Gesetz gibt, sondern alles, was geschieht oder
geschehen kann, bloßer Mechanism der Natur ist, so ist Politik (als Kunst,
diesen zur Regierung der Menschen zu benutzen) die ganze praktische Weisheit,
und der Rechtsbegriff ein sachleerer Gedanke. Findet man diesen aber doch
unumgänglich nötig mit der Politik zu verbinden, ja ihn gar zur einschränkenden
Bedingung der letztern zu erheben, so muß die Vereinbarkeit beider eingeräumt
werden. Ich kann mir nun zwar einen moralischen Politiker, d.i. einen,
der die Prinzipien der Staatsklugheit so nimmt, daß sie mit der Moral zusammen
bestehen können, aber nicht einen politischen Moralisten denken, der
sich eine Moral so schmiedet, wie es der Vorteil des Staatsmanns sich
zuträglich findet.
Der
moralische Politiker wird es sich zum Grundsatz machen: wenn einmal Gebrechen
in der Staatsverfassung oder im Staatenverhältnis angetroffen werden, die man
nicht hat verhüten können, so sei es Pflicht, vornehmlich für
Staatsoberhäupter, dahin bedacht zu sein, wie sie, sobald wie möglich,
gebessert, und dem Naturrecht, so wie es in der Idee der Vernunft uns zum
Muster vor Augen steht, angemessen gemacht werden könne: sollte es auch ihrer
Selbstsucht Aufopferungen kosten. Da nun die Zerreißung eines Bandes der
Staats- oder weltbürgerlichen Vereinigung, ehe noch eine bessere Verfassung an
die Stelle derselben zu treten in Bereitschaft ist, aller, hierin mit der Moral
einhelligen, Staatsklugheit zuwider ist, so wäre es zwar ungereimt, zu fordern,
jenes Gebrechen müsse sofort und mit Ungestüm abgeändert werden; aber daß
wenigstens die Maxime der Notwendigkeit einer solchen Abänderung dem
Machthabenden innigst beiwohne, um in beständiger Annäherung zu dem Zwecke (der
nach Rechtsgesetzen besten Verfassung) zu bleiben, das kann doch von ihm
gefordert werden. Ein Staat kann sich auch schon republikanisch regieren,
wenn er gleich noch, der vorliegenden Konstitution nach, despotische Herrschermacht
besitzt: bis allmählich das Volk des Einflusses der bloßen Idee der
Autorität des Gesetzes (gleich als ob es physische Gewalt besäße) fähig wird,
und sonach zur eigenen Gesetzgebung (welche ursprünglich auf Recht gegründet
ist) tüchtig befunden wird. Wenn auch durch den Ungestüm einer von der
schlechten Verfassung erzeugten Revolution unrechtmäßigerweise eine gesetzmäßigere
errungen wäre, so würde es doch auch alsdann nicht mehr für erlaubt gehalten
werden müssen, das Volk wieder auf die alte zurück zu führen, obgleich während
derselben jeder, der sich damit gewalttätig oder arglistig bemengt, mit Recht
den Strafen des Aufrührers unterworfen sein würde. Was aber das äußere
Staatenverhältnis betrifft, so kann von einem Staat nicht verlangt werden, daß
er seine, obgleich despotische, Verfassung (die aber doch die stärkere in
Beziehung auf äußere Feinde ist) ablegen solle, so lange er Gefahr läuft, von
andern Staaten so fort verschlungen zu werden; mithin muß bei jenem Vorsatz
doch auch die Verzögerung der Ausführung bis zu besserer Zeitgelegenheit
erlaubt sein.14
Es
mag also immer sein: daß die despotisierende (in der Ausübung fehlende)
Moralisten wider die Staatsklugheit (durch übereilt genommene oder angepriesene
Maßregeln) mannigfaltig verstoßen, so muß sie doch die Erfahrung, bei diesem
ihrem Verstoß wider die Natur, nach und nach in ein besseres Gleis bringen;
statt dessen die moralisierende Politiker, durch Beschönigung rechtswidriger
Staatsprinzipien, unter dem Vorwande einer des Guten, nach der Idee, wie sie
die Vernunft vorschreibt, nicht fähigen menschlichen Natur, so viel an
ihnen ist, das Besserwerden unmöglich machen, und die Rechtsverletzung verewigen.
Statt
der Praxis, deren sich diese staatskluge Männer rühmen, gehen sie mit Praktiken
um, indem sie bloß darauf bedacht sind, dadurch, daß sie der jetzt herrschenden
Gewalt zum Munde reden (um ihren Privatvorteil nicht zu verfehlen), das Volk,
und, wo möglich, die ganze Welt Preis zu geben; nach der Art echter Juristen
(vom Handwerke, nicht von der Gesetzgebung), wenn sie sich bis zur
Politik versteigen. Denn da dieser ihr Geschäfte nicht ist, über Gesetzgebung selbst
zu vernünfteln, sondern die gegenwärtige Gebote des Landrechts zu vollziehen,
so muß ihnen jede, jetzt vorhandene, gesetzliche Verfassung, und, wenn diese
hohem Orts abgeändert wird, die nun folgende, immer beste sein; wo dann alles
so in seiner gehörigen mechanischen Ordnung ist. Wenn aber diese
Geschicklichkeit, für alle Sättel gerecht zu sein, ihnen den Wahn einflößt,
auch über Prinzipien einer Staatsverfassung überhaupt nach
Rechtsbegriffen (mithin a priori) nicht empirisch, urteilen zu können; wenn sie
darauf groß tun, Menschen zu kennen (welches freilich zu erwarten ist,
weil sie mit vielen zu tun haben), ohne doch den Menschen, und was aus
ihm gemacht werden kann, zu kennen (wozu ein höherer Standpunkt der
anthropologischen Beobachtung erfordert wird), mit diesen Begriffen aber
versehen ans Staats- und Völkerrecht, wie es die Vernunft vorschreibt, gehen:
so können sie diesen Überschritt nicht anders, als mit dem Geist der Schikane
tun, indem sie ihr gewohntes Verfahren (eines Mechanisms nach despotisch
gegebenen Zwangsgesetzen) auch da befolgen, wo die Begriffe der Vernunft einen nur
nach Freiheitsprinzipien gesetzmäßigen Zwang begründet wissen wollen, durch
welchen allererst eine zu Recht beständige Staatsverfassung möglich ist; welche
Aufgabe der vorgebliche Praktiker, mit Vorbeigehung jener Idee, empirisch, aus
Erfahrung, wie die bisher noch am besten bestandene, mehrenteils aber
rechtswidrige, Staatsverfassungen eingerichtet waren, lösen zu können glaubt. –
Die Maximen, deren er sich hiezu bedient (ob er sie zwar nicht laut werden läßt),
laufen ohngefähr auf folgende sophistische Maximen hinaus.
1.
Fac et excusa. Ergreife die günstige Gelegenheit zur eigenmächtigen
Besitznehmung (entweder eines Rechts des Staats über sein Volk, oder über ein
anderes benachbarte); die Rechtfertigung wird sich weit leichter und zierlicher
nach der Tat vortragen, und die Gewalt beschönigen lassen (vornehmlich
im ersten Fall, wo die obere Gewalt im Innern so fort auch die gesetzgebende
Obrigkeit ist, der man gehorchen muß, ohne darüber zu vernünfteln); als wenn
man zuvor auf überzeugende Gründe sinnen, und die Gegengründe darüber noch erst
abwarten wollte. Diese Dreustigkeit selbst gibt einen gewissen Anschein von innerer
Überzeugung der Rechtmäßigkeit der Tat, und der Gott bonus eventus ist nachher
der beste Rechtsvertreter.
2.
Si fecisti nega. Was du selbst verbrochen hast, z.B. um dein Volk zur
Verzweiflung, und so zum Aufruhr zu bringen, das leugne ab, daß es deine
Schuld sei; sondern behaupte, daß es die der Widerspenstigkeit der Untertanen,
oder auch, bei deiner Bemächtigung eines benachbarten Volks, die Schuld der Natur
des Menschen sei, der, wenn er dem andern nicht mit Gewalt zuvorkommt, sicher
darauf rechnen kann, daß dieser ihm zuvorkommen und sich seiner bemächtigen
werde.
3.
Divide et impera. Das ist: sind gewisse privilegierte Häupter in deinem Volk,
welche dich bloß zu ihrem Oberhaupt (primus inter pares) gewählt haben, so
veruneinige jene unter einander, und entzweie sie mit dem Volk: stehe nun dem
letztern, unter Vorspiegelung größerer Freiheit, bei, so wird alles von deinem unbedingten
Willen abhängen. Oder sind es äußere Staaten, so ist Erregung der Mißhelligkeit
unter ihnen ein ziemlich sicheres Mittel, unter dem Schein des Beistandes des
Schwächeren, einen nach dem andern dir zu unterwerfen.
Durch
diese politische Maximen wird nun zwar niemand hintergangen; denn sie sind
insgesamt schon allgemein bekannt; auch ist es mit ihnen nicht der Fall sich zu
schämen, als ob die Ungerechtigkeit gar zu offenbar in die Augen leuchtete.
Denn, weil sich große Mächte nie vor dem Urteil des gemeinen Haufens, sondern
nur eine vor der andern schämen, was aber jene Grundsätze betrifft, nicht das
Offenbarwerden, sondern nur das Mißlingen derselben sie beschämt machen
kann (denn in Ansehung der Moralität der Maximen kommen sie alle unter einander
überein), so bleibt ihnen immer die politische Ehre übrig, auf die sie
sicher rechnen können, nämlich die der Vergrößerung ihrer Macht,
auf welchem Wege sie auch erworben sein mag.15
* * *
Aus
allen diesen Schlangenwendungen einer unmoralischen Klugheitslehre, den
Friedenszustand unter Menschen aus dem kriegerischen des Naturzustandes herauszubringen,
erhellet wenigstens so viel: daß die Menschen, eben so wenig in ihren
Privatverhältnissen, als in ihren öffentlichen, dem Rechtsbegriff entgehen können,
und sich nicht getrauen, die Politik öffentlich bloß auf Handgriffe der
Klugheit zu gründen, mithin dem Begriffe eines öffentlichen Rechts allen Gehorsam
aufzukündigen (welches vornehmlich in dem des Völkerrechts auffallend ist),
sondern ihm an sich alle gebührende Ehre widerfahren lassen, wenn sie auch
hundert Ausflüchte und Bemäntelungen aussinnen sollten, um ihm in der Praxis
auszuweichen, und der verschmitzten Gewalt die Autorität anzudichten, der
Ursprung und der Verband alles Rechts zu sein. – Um dieser Sophisterei (wenn
gleich nicht der durch sie beschönigten Ungerechtigkeit) ein Ende zu machen,
und die falsche Vertreter der Mächtigen der Erde zum Geständnisse zu
bringen, daß es nicht das Recht, sondern die Gewalt sei, der sie zum Vorteil sprechen,
von welcher sie, gleich als ob sie selbst hiebei was zu befehlen hätten, den
Ton annehmen, wird es gut sein, das Blendwerk aufzudecken, womit man sich und
andere hintergeht, das oberste Prinzip, von dem die Absicht auf den ewigen
Frieden ausgeht, ausfindig zu machen und zu zeigen: daß alles das Böse, was ihm
im Wege ist, davon herrühre: daß der politische Moralist da anfängt, wo der
moralische Politiker billigerweise endigt, und, indem er so die Grundsätze dem
Zweck unterordnet (d.i. die Pferde hinter den Wagen spannt), seine eigene
Absicht vereitelt, die Politik mit der Moral in Einverständnis zu bringen. Um
die praktische Philosophie mit sich selbst einig zu machen, ist nötig,
zuvörderst die Frage zu entscheiden; ob in Aufgaben der praktischen Vernunft vom
materialen Prinzip derselben, dem Zweck (als Gegenstand der
Willkür) der Anfang gemacht werden müsse, oder vom formalen, d.i.
demjenigen (bloß auf Freiheit im äußern Verhältnis gestellten), darnach es heißt:
handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle ein allgemeines Gesetz
werden (der Zweck mag sein welcher er wolle).
Ohne
alle Zweifel muß das letztere Prinzip vorangehen: denn es hat, als
Rechtsprinzip, unbedingte Notwendigkeit, statt dessen das erstere, nur unter Voraussetzung
empirischer Bedingungen des vorgesetzten Zweck? nämlich der Ausführung
desselben, nötigend ist, und, wenn dieser Zweck (z.B. der ewige Friede) auch
Pflicht wäre, so müßte doch diese selbst aus dem formalen Prinzip der Maximen,
äußerlich zu handeln, abgeleitet worden sein. – Nun ist das erstere Prinzip,
das des politischen Moralisten (das Problem des Staats-, Völker- und
Weltbürgerrechts), eine bloße Kunstaufgabe (problema technicum), das
zweite dagegen, als Prinzip des moralischen Politikers, welchem es eine sittliche
Aufgabe (problema morale) ist, im Verfahren von dem anderen himmelweit
unterschieden, um den ewigen Frieden, den man nun nicht bloß als physisches
Gut, sondern auch als einen aus Pflichtanerkennung hervorgehenden Zustand
wünscht, herbeizuführen.
Zur
Auflösung des ersten, nämlich des Staats-Klugheitsproblems, wird viel Kenntnis
der Natur erfordert, um ihren Mechanism zu dem gedachten Zweck zu benutzen, und
doch ist alle diese ungewiß in Ansehung ihres Resultats, den ewigen Frieden
betreffend; man mag nun die eine oder die andere der drei Abteilungen des
öffentlichen Rechts nehmen. Ob das Volk im Gehorsam und zugleich im Flor besser
durch Strenge, oder Lockspeise der Eitelkeit, ob durch Obergewalt eines
einzigen, oder durch Vereinigung mehrerer Häupter, vielleicht auch bloß durch
einen Dienstadel, oder durch Volksgewalt, im Innern, und zwar auf lange Zeit,
gehalten werden könne, ist ungewiß. Man hat von allen Regierungsarten (die
einzige echt-republikanische, die aber nur einem moralischen Politiker in den
Sinn kommen kann, ausgenommen) Beispiele des Gegenteils in der Geschichte. –
Noch Ungewisser ist ein auf Statute nach Ministerialplanen vorgeblich
errichtetes Völkerrecht, welches in der Tat nur ein Wort ohne Sache ist,
und auf Verträgen beruht, die in demselben Akt ihrer Beschließung zugleich den
geheimen Vorbehalt ihrer Übertretung enthalten.
–
Dagegen dringt sich die Auflösung des zweiten, nämlich des Staatsweisheitsproblems,
so zu sagen, von selbst auf, ist jedermann einleuchtend, und macht alle
Künstelei zu Schanden, führt dabei gerade zum Zweck; doch mit der Erinnerung
der Klugheit, ihn nicht übereilterweise mit Gewalt herbei zu ziehen, sondern
sich ihm, nach Beschaffenheit der günstigen Umstände, unablässig zu nähern. Da
heißt es denn: »trachtet allererst nach dem Reiche der reinen praktischen
Vernunft und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch euer Zweck (die
Wohltat des ewigen Friedens) von selbst zufallen«. Denn das hat die Moral
Eigentümliches an sich, und zwar in Ansehung ihrer Grundsätze des öffentlichen
Rechts (mithin in Beziehung auf eine a priori erkennbare Politik), daß, je
weniger sie das Verhalten von dem vorgesetzten Zweck, dem beabsichtigten, es
sei physischem oder sittlichem Vorteil, abhängig macht, desto mehr sie dennoch
zu diesem im allgemeinen zusammenstimmt; welches daher kömmt, weil es gerade
der a priori gegebene allgemeine Wille (in einem Volk, oder im Verhältnis
verschiedener Völker unter einander) ist, der allein, was unter Menschen
Rechtens ist, bestimmt;
diese Vereinigung des Willens aller aber, wenn nur in der Ausübung konsequent
verfahren wird, auch nach dem Mechanism der Natur, zugleich die Ursache sein
kann, die abgezweckte Wirkung hervorzubringen, und dem Rechtsbegriffe Effekt zu
verschaffen.
–
So ist es z.B. ein Grundsatz der moralischen Politik: daß sich ein Volk zu
einem Staat nach den alleinigen Rechtsbegriffen der Freiheit und Gleichheit
vereinigen solle, und dieses Prinzip ist nicht auf Klugheit, sondern auf
Pflicht gegründet. Nun mögen dagegen politische Moralisten noch so viel über
den Naturmechanism einer in Gesellschaft tretenden Menschenmenge, welcher jene
Grundsätze entkräftete, und ihre Absicht vereiteln werde, vernünfteln, oder
auch durch Beispiele schlecht organisierter Verfassungen alter und neuer Zeiten
(z.B. von Demokratien ohne Repräsentationssystem) ihre Behauptung dagegen zu
beweisen suchen, so verdienen sie kein Gehör; vornehmlich, da eine solche
verderbliche Theorie das Übel wohl gar selbst bewirkt, was sie vorhersagt, nach
welcher der Mensch mit den übrigen lebenden Maschinen in eine Klasse geworfen
wird, denen nur noch das Bewußtsein, daß sie nicht freie Wesen sind, beiwohnen
dürfte, um sie in ihrem eigenen Urteil zu den elendesten unter allen Weltwesen
zu machen. Der zwar etwas renommistisch klingende, sprüchwörtlich in Umlauf
gekommene, aber wahre Satz: fiat iustitia, pereat mundus, das heißt zu deutsch:
»es herrsche Gerechtigkeit, die Schelme in der Welt mögen auch insgesamt
darüber zu Grunde gehen«, ist ein wackerer, alle durch Arglist oder Gewalt
vorgezeichnete krumme Wege abschneidender Rechtsgrundsatz; nur daß er nicht
mißverstanden, und etwa als Erlaubnis, sein eigenes Recht mit der größten Strenge
zu benutzen (welches der ethischen Pflicht widerstreiten würde), sondern als
Verbindlichkeit der Machthabenden, niemanden sein Recht aus Ungunst oder
Mitleiden gegen andere zu weigern oder zu schmälern, verstanden wird; wozu
vorzüglich eine nach reinen Rechtsprinzipien eingerichtete innere Verfassung
des Staats, dann aber auch die der Vereinigung desselben mit andern
benachbarten oder auch entfernten Staaten zu einer (einem allgemeinen Staat analogischen)
gesetzlichen Ausgleichung ihrer Streitigkeiten erfordert wird. – Dieser Satz
will nichts anders sagen, als: die politische Maximen müssen nicht von der, aus
ihrer Befolgung zu erwartenden, Wohlfahrt und Glückseligkeit eines jeden
Staats, also nicht vom Zweck, den sich ein jeder derselben zum Gegenstande macht
(vom Wollen), als dem obersten (aber empirischen) Prinzip der Staatsweisheit,
sondern von dem reinen Begriff der Rechtspflicht (vom Sollen, dessen Prinzip a
priori durch reine Vernunft gegeben ist) ausgehen, die physische Folgen daraus
mögen auch sein, welche sie wollen. Die Welt wird keinesweges dadurch
untergehen, daß der bösen Menschen weniger wird. Das moralisch Böse hat die von
seiner Natur unabtrennliche Eigenschaft, daß es in seinen Absichten
(vornehmlich in Verhältnis gegen andere Gleichgesinnete) sich selbst zuwider
und zerstörend ist, und so dem (moralischen) Prinzip des Guten, wenn gleich
durch langsame Fortschritte, Platz macht.
* * *
Es
gibt also objektiv (in der Theorie) gar keinen Streit zwischen der Moral
und der Politik. Dagegen subjektiv (in dem selbstsüchtigen Hange der
Menschen, der aber, weil er nicht auf Vernunftmaximen gegründet ist, noch nicht
Praxis genannt werden muß) wird und mag er immer bleiben, weil er zum Wetzstein
der Tugend dient, deren wahrer Mut (nach dem Grundsatze: tu ne cede malis, sed
contra audentior ito) in gegenwärtigem Falle nicht sowohl darin besteht, den
Übeln und Aufopferungen mit festem Vorsatz sich entgegenzusetzen, welche hiebei
übernommen werden müssen, sondern dem weit gefährlichem lügenhaften und
verräterischen, aber doch vernünftelnden, die Schwäche der menschlichen Natur
zur Rechtfertigung aller Übertretung vorspiegelnden bösen Prinzip in uns
selbst, in die Augen zu sehen und seine Arglist zu besiegen.
In
der Tat kann der politische Moralist sagen: Regent und Volk, oder Volk und Volk
tun einander nicht Unrecht, wenn sie einander gewalttätig oder
hinterlistig befehden, ob sie zwar überhaupt darin Unrecht tun, daß sie dem
Rechtsbegriffe, der allein den Frieden auf ewig begründen könnte, alle Achtung
versagen. Denn weil der eine seine Pflicht gegen den andern übertritt, der
gerade eben so rechtswidrig gegen jenen gesinnt ist, so geschieht ihnen
beiderseits ganz recht, wenn sie sich unter einander aufreiben, doch so, daß
von dieser Rasse immer noch genug übrig bleibt, um dieses Spiel bis zu den
entferntesten Zeiten nicht aufhören zu lassen, damit eine späte
Nachkommenschaft an ihnen dereinst ein warnendes Beispiel nehme. Die Vorsehung
im Laufe der Welt ist hiebei gerechtfertigt; denn das moralische Prinzip im
Menschen erlöscht nie, die, pragmatisch, zur Ausführung der rechtlichen Ideen
nach jenem Prinzip tüchtige Vernunft wächst noch dazu beständig durch immer fortschreitende
Kultur, mit ihr aber auch die Schuld jener Übertretungen. Die Schöpfung allein:
daß nämlich ein solcher Schlag von verderbten Wesen überhaupt hat auf Erden
sein sollen, scheint durch keine Theodizee gerechtfertigt werden zu können
(wenn wir annehmen, daß es mit dem Menschengeschlechte nie besser bestellt sein
werde noch könne); aber dieser Standpunkt der Beurteilung ist für uns viel zu
hoch, als daß wir unsere Begriffe (von Weisheit) der obersten uns
unerforschlichen Macht in theoretischer Absicht unterlegen könnten. – Zu
solchen verzweifelten Folgerungen werden wir unvermeidlich hingetrieben, wenn
wir nicht annehmen, die reine Rechtsprinzipien haben objektive Realität, d.i.
sie lassen sich ausführen; und darnach müsse auch von Seiten des Volks im
Staate, und weiterhin von Seiten der Staaten gegen einander, gehandelt werden;
die empirische Politik mag auch dagegen einwenden, was sie wolle. Die wahre
Politik kann also keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben,
und ob zwar Politik für sich selbst eine schwere Kunst ist, so ist doch Vereinigung
derselben mit der Moral gar keine Kunst; denn diese haut den Knoten entzwei,
den jene nicht aufzulösen vermag, sobald beide einander widerstreiten.
–
Das Recht dem Menschen muß heilig gehalten werden, der herrschenden Gewalt mag
es auch noch so große Aufopferung kosten. Man kann hier nicht halbieren, und
das Mittelding eines pragmatisch-bedingten Rechts (zwischen Recht und Nutzen)
aussinnen, sondern alle Politik muß ihre Knie vor dem erstern beugen, kann aber
dafür hoffen, ob zwar langsam, zu der Stufe zu gelangen, wo sie beharrlich
glänzen wird.
II. Von der Einhelligkeit der Politik mit der Moral nach dem transzen-dentalen Begriffe des öffentlichen Rechts
Wenn
ich von aller Materie des öffentlichen Rechts (nach den verschiedenen
empirisch-gegebenen Verhältnissen der Menschen im Staat oder auch der Staaten unter
einander), so wie es sich die Rechtslehrer gewöhnlich denken, abstrahiere, so
bleibt mir noch die Form der Publizität übrig, deren Möglichkeit ein jeder
Rechtsanspruch in sich enthält, weil ohne jene es keine Gerechtigkeit (die nur
als öffentlich kundbar gedacht werden kann), mit hin auch kein Recht,
das nur von ihr erteilt wird, geben würde. Diese Fähigkeit der Publizität muß
jeder Rechtsanspruch haben, und sie kann also, da es sich ganz leicht
beurteilen läßt, ob sie in einem vorkommenden Falle statt finde, d.i. ob sie
sich mit den Grundsätzen des Handelnden vereinigen lasse oder nicht, ein leicht
zu brauchendes, a priori in der Vernunft anzutreffendes Kriterium abgeben, im
letzteren Fall die Falschheit (Rechtswidrigkeit) des gedachten Anspruchs (praetensio
iuris), gleichsam durch ein Experiment der reinen Vernunft, so fort zu
erkennen. Nach einer solchen Abstraktion von allem Empirischen, was der Begriff
des Staats- und Völkerrechts enthält (dergleichen das Bösartige der
menschlichen Natur ist, welches den Zwang notwendig macht), kann man folgenden
Satz die transzendentale Formel des öffentlichen Rechts nennen:
»Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht«.
Dieses
Prinzip ist nicht bloß als ethisch (zur Tugendlehre gehörig), sondern
auch als juridisch (das Recht der Menschen angehend) zu betrachten. Denn
eine Maxime, die ich nicht darf laut werden lassen, ohne dadurch meine
eigene Absicht zugleich zu vereiteln, die durchaus verheimlicht werden
muß, wenn sie gelingen soll, und zu der ich mich nicht öffentlich bekennen
kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand aller gegen meinen Vorsatz
gereizt werde, kann diese notwendige und allgemeine, mithin a priori einzusehende,
Gegenbearbeitung aller gegen mich nirgend wovon anders, als von der
Ungerechtigkeit her haben, womit sie jedermann bedroht. – Es ist ferner bloß negativ,
d.i. es dient nur, um, vermittelst desselben, was gegen andere nicht recht ist,
zu erkennen.
–
Es ist gleich einem Axiom unerweislich-gewiß und überdem leicht anzuwenden, wie
aus folgenden Beispielen des öffentlichen Rechts zu ersehen ist.
1. Was das Staatsrecht (ius
civitatis), nämlich das innere betrifft: so kommt in ihm die Frage vor,
welche viele für schwer zu beantworten halten, und die das transzendentale
Prinzip der Publizität ganz leicht auflöset: »ist Aufruhr ein rechtmäßiges
Mittel für ein Volk, die drückende Gewalt eines so genannten Tyrannen (non
titulo sed exercitio talis) abzuwerfen?« Die Rechte des Volks sind gekränkt,
und ihm (dem Tyrannen) geschieht kein Unrecht durch die Entthronung; daran ist
kein Zweifel. Nichts desto weniger ist es doch von den Untertanen im höchsten
Grade unrecht, auf diese Art ihr Recht zu suchen, und sie können eben so wenig
über Ungerechtigkeit klagen, wenn sie in diesem Streit unterlägen und nachher
deshalb die härteste Strafe ausstehen müßten.
Hier
kann nun vieles für und dawider vernünftelt werden, wenn man es durch eine dogmatische
Deduktion der Rechtsgründe ausmachen will; allein das transzendentale Prinzip
der Publizität des öffentlichen Rechts kann sich diese Weitläuftigkeit
ersparen. Nach demselben fragt sich vor Errichtung des bürgerlichen Vertrags
das Volk selbst, ob es sich wohl getraue, die Maxime des Vorsatzes einer
gelegentlichen Empörung öffentlich bekannt zu machen. Man sieht leicht ein,
daß, wenn man es bei der Stiftung einer Staatsverfassung zur Bedingung machen
wollte, in gewissen vorkommenden Fällen gegen das Oberhaupt Gewalt auszuüben,
so müßte das Volk sich einer rechtmäßigen Macht über jenes anmaßen. Alsdann
wäre jenes aber nicht das Oberhaupt, oder, wenn beides zur Bedingung der
Staatserrichtung gemacht würde, so würde gar keine möglich sein, welches doch
die Absicht des Volks war. Das Unrecht des Aufruhrs leuchtet also dadurch ein,
daß die Maxime desselben dadurch, daß man sich öffentlich dazu bekennte,
seine eigene Absicht unmöglich machen würde. Man müßte sie also notwendig
verheimlichen. – Das letztere wäre aber von Seiten des Staatsoberhaupts eben
nicht notwendig. Er kann frei heraus sagen, daß er jeden Aufruhr mit dem Tode
der Rädelsführer bestrafen werde, diese mögen auch immer glauben, er habe
seinerseits das Fundamentalgesetz zuerst übertreten; denn wenn er sich bewußt
ist, die unwiderstehliche Obergewalt zu besitzen (welches auch in jeder
bürgerlichen Verfassung so angenommen werden muß, weil der, welcher nicht Macht
genug hat, einen jeden im Volk gegen den andern zu schützen, auch nicht das
Recht hat, ihm zu befehlen), so darf er nicht sorgen, durch die Bekanntwerdung
seiner Maxime seine eigene Absicht zu vereiteln, womit auch ganz wohl
zusammenhängt, daß, wenn der Aufruhr dem Volk gelänge, jenes Oberhaupt in die
Stelle des Untertans zurücktreten, eben sowohl keinen Wiedererlangungsaufruhr
beginnen, aber auch nicht zu befürchten haben müßte, wegen seiner vormaligen
Staatsführung zur Rechenschaft gezogen zu werden.
2.
Was das Völkerrecht betrifft. – Nur unter Voraussetzung irgend eines rechtlichen
Zustandes (d.i. derjenigen äußeren Bedingung, unter der dem Menschen ein Recht
wirklich zu Teil werden kann) kann von einem Völkerrecht die Rede sein; weil
es, als ein öffentliches Recht, die Publikation eines, jedem das Seine
bestimmenden, allgemeinen Willens schon in seinem Begriffe enthält, und dieser
status iuridicus muß aus irgend einem Vertrage hervorgehen, der nicht eben
(gleich dem) woraus ein Staat entspringt, auf Zwangsgesetze gegründet sein
darf, sondern allenfalls auch der einer fortwährend-freien Assoziation
sein kann, wie der oben erwähnte der Föderalität verschiedener Staaten. Denn
ohne irgend einen rechtlichen Zustand, der die verschiedene
(physische oder moralische) Personen tätig verknüpft, mithin im Naturstande, kann
es kein anderes als bloß ein Privatrecht geben. – Hier tritt nun auch ein
Streit der Politik mit der Moral (diese als Rechtslehre betrachtet) ein, wo dann
jenes Kriterium der Publizität der Maximen gleichfalls seine leichte Anwendung
findet, doch nur so: daß der Vertrag die Staaten nur in der Absicht verbindet,
unter einander und zusammen gegen andere Staaten sich im Frieden zu erhalten,
keinesweges aber um Erwerbungen zu machen. – Da treten nun folgende Fälle der
Antinomie zwischen Politik und Moral ein, womit zugleich die Lösung derselben
verbunden wird.
a)
»Wenn einer dieser Staaten dem andern etwas versprochen hat: es sei
Hülfleistung, oder Abtretung gewisser Länder, oder Subsidien u. d. gl., fragt
sich, ob er sich in einem Fall, an dem des Staats Heil hängt, vom Worthalten
dadurch los machen kann, daß er sich in einer doppelten Person betrachtet
wissen will, erstlich als Souverän, da er niemanden in seinem Staat
verantwortlich ist; dann aber wiederum bloß als oberster Staatsbeamte,
der dem Staat Rechenschaft geben müsse: da denn der Schluß dahin ausfällt, daß,
wozu er sich in der ersteren Qualität verbindlich gemacht hat, davon werde er
in der zweiten losgesprochen.« – Wenn nun aber ein Staat (oder dessen
Oberhaupt) diese seine Maxime laut werden ließe, so würde natürlicherweise
entweder ein jeder andere ihn fliehen, oder sich mit anderen vereinigen, um
seinen Anmaßungen zu widerstehen, welches beweiset, daß Politik mit aller ihrer
Schlauigkeit auf diesen Fuß (der Offenheit) ihren Zweck selber vereiteln,
mithin jene Maxime unrecht sein müsse.
b)
»Wenn eine bis zur furchtbaren Größe (potentia tremenda) angewachsene
benachbarte Macht Besorgnis erregt: kann man annehmen, sie werde, weil sie kann,
auch unterdrücken wollen, und gibt das der Mindermächtigen ein Recht zum
(vereinigten) Angriffe derselben, auch ohne vorhergegangene Beleidigung?« – Ein
Staat, der seine Maxime hier bejahend verlautbaren wollte, würde das
Übel nur noch gewisser und schneller herbeiführen. Denn die größere Macht würde
der kleineren zuvorkommen, und, was die Vereinigung der letzteren betrifft, so
ist das nur ein schwacher Rohrstab gegen den, der das divide et impera zu
benutzen weiß. – Diese Maxime der Staatsklugheit, öffentlich erklärt, vereitelt
also notwendig ihre eigene Absicht, und ist folglich ungerecht.
c)
»Wenn ein kleinerer Staat durch seine Lage den Zusammenhang eines größeren
trennt, der diesem doch zu seiner Erhaltung nötig ist, ist dieser nicht
berechtigt, jenen sich zu unterwerfen und mit dem seinigen zu vereinigen?« –
Man sieht leicht, daß der größere eine solche Maxime ja nicht vorher müsse laut
werden lassen; denn, entweder die kleinem Staaten würden sich frühzeitig
vereinigen, oder andere Mächtige würden um diese Beute streiten, mithin macht
sie sich durch ihre Offenheit selbst untunlich; ein Zeichen, daß sie ungerecht
ist und es auch in sehr hohem Grade sein kann; denn ein klein Objekt der
Ungerechtigkeit hindert nicht, daß die daran bewiesene Ungerechtigkeit
sehr
groß sei.
3.
Was das Weltbürgerrecht betrifft, so übergehe ich es hier mit
Stillschweigen; weil, wegen der Analogie desselben mit dem Völkerrecht, die
Maximen desselben leicht anzugeben und zu würdigen sind.
* * *
Man
hat hier nun zwar, an dem Prinzip der Unverträglichkeit der Maximen des
Völkerrechts mit der Publizität, ein gutes Kennzeichen der Nichtübereinstimmung
der Politik mit der Moral (als Rechtslehre). Nun bedarf man aber auch belehrt
zu werden, welches denn die Bedingung ist, unter der ihre Maximen mit dem Recht
der Völker übereinstimmen? Denn es läßt sich nicht umgekehrt schließen: daß,
welche Maximen die Publizität vertragen, dieselbe darum auch gerecht sind;
weil, wer die entschiedene Obermacht hat, seiner Maximen nicht Hehl haben darf.
– Die Bedingung der Möglichkeit eines Völkerrechts überhaupt ist: daß zuvörderst
ein rechtlicher Zustand existiere. Denn ohne diesen gibt's kein
öffentliches Recht, sondern alles Recht, was man sich außer demselben denken mag
(im Naturzustande), ist bloß Privatrecht. Nun haben wir oben gesehen: daß ein
föderativer Zustand der Staaten, welcher bloß die Entfernung des Krieges zur
Absicht hat, der einzige, mit der Freiheit derselben vereinbare, rechtliche
Zustand sei. Also ist die Zusammenstimmung der Politik mit der Moral nur in
einem föderativen Verein (der also nach Rechtsprinzipien a priori gegeben und
notwendig ist) möglich, und alle Staatsklugheit hat zur rechtlichen Basis die Stiftung
des ersteren, in ihrem größt-möglichen Umfange, ohne welchen Zweck alle ihre
Klügelei Unweisheit und verschleierte Ungerechtigkeit ist. –
Diese
Afterpolitik hat nun ihre Kasuistik, trotz der besten Jesuiterschule –
die reservatio mentalis: in Abfassung öffentlicher Verträge, mit solchen
Ausdrükken, die man gelegentlich zu seinem Vorteil auslegen kann, wie man will
(z.B. den Unterschied des status quo de fait und de droit); – den
Probabilismus: böse Absichten an anderen zu erklügeln, oder auch
Wahrscheinlichkeiten ihres möglichen Übergewichts zum Rechtsgrunde der
Untergrabung anderer friedlicher Staaten zu machen; – endlich das peccatum
philosophicum (peccatillum, bagatelle): Das Verschlingen eines kleinen Staats,
wenn dadurch ein viel größerer, zum vermeintlich größern Weltbesten,
gewinnt, für eine leicht-verzeihliche Kleinigkeit zu halten.16 Den Vorschub hiezu gibt die Zweizüngigkeit
der Politik in Ansehung der Moral, einen oder den andern Zweig derselben zu
ihrer Absicht zu benutzen. – Beides, die Menschenliebe und die Achtung fürs Recht
der Menschen, ist Pflicht; jene aber nur bedingte, diese dagegen unbedingte,
schlechthin gebietende Pflicht, welche nicht übertreten zu haben derjenige zuerst
völlig versichert sein muß, der sich dem süßen Gefühl des Wohltuns überlassen
will. Mit der Moral im ersteren Sinne (als Ethik) ist die Politik leicht
einverstanden, um das Recht der Menschen ihren Oberen Preis zu geben: Aber mit
der in der zweiten Bedeutung (als Rechtslehre), vor der sie ihre Knie beugen müßte,
findet sie es ratsam sich gar nicht auf Vertrag einzulassen, ihr lieber alle
Realität abzustreiten, und alle Pflichten auf lauter Wohlwollen auszudeuten; welche
Hinterlist einer lichtscheuen Politik doch von der Philosophie durch die
Publizität jener ihrer Maximen leicht vereitelt werden würde, wenn jene es nur wagen
wollte, dem Philosophen die Publizität der seinigen angedeihen zu lassen.
In
dieser Absicht schlage ich ein anderes transzendentales und bejahendes Prinzip
des öffentlichen Rechts vor, dessen Formel diese sein würde: »Alle Maximen, die
der Publizität bedürfen (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit
Recht und Politik vereinigt zusammen«. Denn, wenn sie nur durch die Publizität
ihren Zweck erreichen können, so müssen sie dem allgemeinen Zweck des Publikums
(der Glückseligkeit) gemäß sein, womit zusammen zu stimmen (es mit seinem
Zustande zufrieden zu machen) die eigentliche Aufgabe der Politik ist. Wenn
aber dieser Zweck nur durch die Publizität, d.i. durch die Entfernung alles
Mißtrauens gegen die Maximen derselben, erreichbar sein soll, so müssen diese
auch mit dem Recht des Publikums in Eintracht stehen; denn in diesem allein ist
die Vereinigung der Zwecke aller möglich. – Die weitere Ausführung und
Erörterung dieses Prinzips muß ich für eine andere Gelegenheit aussetzen; nur
daß es eine transzendentale Formel sei, ist aus der Entfernung aller
empirischen Bedingungen (der Glückseligkeitslehre), als der Materie des
Gesetzes und der bloßen Rücksicht auf die Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit zu
ersehen.
* * *
Wenn
es Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoffnung da ist, den Zustand eines
öffentlichen Rechts, obgleich nur in einer ins Unendliche fortschreitenden Annäherung
wirklich zu machen, so ist der ewige Friede, der auf die bisher
fälschlich so genannte Friedensschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) folgt, keine
leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele
(weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte geschehen) hoffentlich immer
kürzer werden, beständig näher kommt.
Fußnoten
14 Dies sind Erlaubnisgesetze der Vernunft, den Stand eines
mit Ungerechtigkeit behafteten öffentlichen Rechts noch so lange beharren zu
lassen, bis zur völligen Umwälzung alles entweder von selbst gereift, oder
durch friedliche Mittel der Reife nahe gebracht worden; weil doch irgend eine rechtliche,
obzwar nur in geringem Grade rechtmäßige, Verfassung besser ist als gar keine,
welches letztere Schicksal (der Anarchie) eine übereilte Reform treffen
würde. – Die Staatsweisheit wird sich also in dem Zustande, worin die Dinge
jetzt sind, Reformen, dem Ideal des öffentlichen Rechts angemessen, zur Pflicht
machen: Revolutionen aber, wo sie die Natur von selbst herbei führt, nicht zur
Beschönigung einer noch größeren Unterdrückung, sondern als Ruf der Natur
benutzen, eine auf Freiheitsprinzipien gegründete gesetzliche Verfassung, als
die einzige dauerhafte, durch gründliche Reform zu Stande zu bringen.
15 Wenn gleich eine gewisse in der menschlichen Natur
gewurzelte Bösartigkeit von Menschen, die in einem Staat zusammen leben,
noch bezweifelt, und, statt ihrer, der Mangel einer noch nicht weit genug fortgeschrittenen
Kultur (die Rohigkeit) zur Ursache der gesetzwidrigen Erscheinungen ihrer
Denkungsart mit einigem Scheine angeführet werden möchte, so fällt sie doch, im
äußeren Verhältnis der Staaten gegen einander, ganz unverdeckt und
unwidersprechlich in die Augen. Im Innern jedes Staats ist sie durch den Zwang
der bürgerlichen Gesetze verschleiert, weil der Neigung zur wechselseitigen
Gewalttätigkeit der Bürger eine größere Gewalt, nämlich die der Regierung, mächtig
entgegenwirkt, und so nicht allein dem Ganzen einen moralischen Anstrich
(causae non causae) gibt, sondern auch dadurch, daß dem Ausbruch gesetzwidriger
Neigungen ein Riegel vorgeschoben wird, die Entwickelung der moralischen
Anlage, zur unmittelbaren Achtung fürs Recht, wirklich viel Erleichterung bekommt.
– Denn ein jeder glaubt nun von sich, daß er wohl den Rechtsbegriff heilig
halten und treu befolgen würde, wenn er sich nur von jedem andern eines
Gleichen gewärtigen könnte; welches letztere ihm die Regierung zum Teil
sichert; wodurch dann ein großer Schritt zur Moralität (obgleich noch nicht
moralischer Schritt) getan wird, diesem Pflichtbegriff auch um sein selbst
willen, ohne Rücksicht auf Erwiderung, anhänglich zu sein. – Da ein jeder aber,
bei seiner guten Meinung von sich selber, doch die böse Gesinnung bei allen
anderen voraussetzt, so sprechen sie einander wechselseitig ihr Urteil: daß sie
alle, was das Faktum betrifft, wenig taugen (woher es komme, da es doch
der Natur des Menschen, als eines freien Wesens, nicht Schuld gegeben
werden kann, mag unerörtert bleiben). Da aber doch auch die Achtung für den
Rechtsbegriff, deren der Mensch sich schlechterdings nicht entschlagen kann,
die Theorie des Vermögens, ihm angemessen zu werden, auf das feierlichste
sanktioniert, so sieht ein jeder, daß er seinerseits jenem gemäß handeln müsse,
andere mögen es halten, wie sie wollen.
16 Die Belege zu solchen Maximen kann man in des Herrn Hofr.
Garve Abhandlung: »über die Verbindung der Moral mit der Politik, 1788«,
antreffen. Dieser würdige Gelehrte gesteht gleich zu Anfange, eine genugtuende
Antwort auf diese Frage nicht geben zu können. Aber sie dennoch gut zu heißen,
ob zwar mit dem Geständnis, die dagegen sich regende Einwürfe nicht völlig
heben zu können, scheint doch eine größere Nachgiebigkeit gegen die zu sein,
die sehr geneigt sind, sie zu mißbrauchen, als wohl ratsam sein möchte,
einzuräumen.