Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden
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Immanuel Kant
Zum ewigen Frieden
Ein philosophischer Entwurf
Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein. Das bedingt sich aber der Verfasser des Gegenwärtigen aus, daß, da der praktische Politiker mit dem theoretischen auf dem Fuß steht, mit großer Selbstgefälligkeit auf ihn als einen Schulweisen herabzusehen, der dem Staat, welcher von Erfahrungsgrundsätzen ausgehen müsse, mit seinen sachleeren Ideen keine Gefahr bringe, und den man immer seine eilf Kegel auf einmal werfen lassen kann, ohne, daß sich der weltkundige Staatsmann daran kehren darf, dieser auch, im Fall eines Streits mit jenem sofern konsequent verfahren müsse, hinter seinen auf gut Glück gewagten, und öffentlich geäußerten Meinungen nicht Gefahr für den Staat zu wittern; – durch welche clausula salvatoria der Verfasser dieses sich dann hiemit in der besten Form wider alle bösliche Auslegung ausdrücklich verwahrt wissen will.
Erster Abschnitt, welcher die Präliminarartikel zum ewigen Frieden
unter Staaten enthält
1. »Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.«
Denn alsdenn wäre er ja ein bloßer Waffenstillstand, Aufschub der Feindseligkeiten, nicht Friede, der das Ende aller Hostilitäten bedeutet, und dem das Beiwort ewig anzuhängen ein schon verdächtiger Pleonasm ist. Die vorhandene, obgleich jetzt vielleicht den Paziszierenden selbst noch nicht bekannte, Ursachen zum künftigen Kriege sind durch den Friedensschluß insgesamt vernichtet, sie mögen auch aus archivarischen Dokumenten mit noch so scharfsichtiger Ausspähungsgeschicklichkeit ausgeklaubt sein. – Der Vorbehalt (reservatio mentalis) alter allererst künftig auszudenkender Prätensionen, deren kein Teil für jetzt Erwähnung tun mag, weil beide zu sehr erschöpft sind, den Krieg fortzusetzen, bei dem bösen Willen, die erste günstige Gelegenheit zu diesem Zweck zu benutzen, gehört zur Jesuitenkasuistik, und ist unter der Würde der Regenten, so wie die Willfährigkeit zu dergleichen Deduktionen unter der Würde eines Ministers desselben, wenn man die Sache, wie sie an sich selbst ist, beurteilt. –
Wenn aber, nach aufgeklärten Begriffen der Staatsklugheit, in beständiger Vergrößerung der Macht, durch welche Mittel es auch sei, die wahre Ehre des Staats gesetzt wird, so fällt freilich jenes Urteil als schulmäßig und pedantisch in die Augen.
2. »Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von einem andern Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.«
Ein Staat ist nämlich nicht (wie etwa der Boden, auf dem er seinen Sitz hat) eine Habe (patrimonium). Er ist eine Gesellschaft von Menschen, über die niemand anders, als er selbst, zu gebieten und zu disponieren hat. Ihn aber, der selbst als Stamm seine eigene Wurzel hatte, als Pfropfreis einem andern Staate einzuverleiben, heißt seine Existenz, als einer moralischen Person, aufheben, und aus der letzteren eine Sache machen, und widerspricht also der Idee des ursprünglichen Vertrags, ohne die sich kein Recht über ein Volk denken läßt.1 In welche Gefahr das Vorurteil dieser Erwerbungsart Europa, denn die andern Weltteile haben nie davon gewußt, in unsern bis auf die neuesten Zeiten gebracht habe, daß sich nämlich auch Staaten einander heuraten könnten, ist jedermann bekannt, teils als eine neue Art von Industrie, sich auch ohne Aufwand von Kräften durch Familienbündnisse übermächtig zu machen, teils auch auf solche Art den Länderbesitz zu erweitern. – Auch die Verdingung der Truppen eines Staats an einen andern, gegen einen nicht gemeinschaftlichen Feind, ist dahin zu zählen; denn die Untertanen werden dabei als nach Belieben zu handhabende Sachen gebraucht und verbraucht.
3. »Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.«
Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen diese an, sich einander in Menge der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertreffen, und, indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden; wozu kommt, daß zum Töten, oder getötet zu werden in Sold genommen zu sein einen Gebrauch von Menschen als bloßen Maschinen und Werkzeugen in der Hand eines andern (des Staats) zu enthalten scheint, der sich nicht wohl mit dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person vereinigen läßt. Ganz anders ist es mit der freiwilligen periodisch vorgenommenen Übung der Staatsbürger in Waffen bewandt, sich und ihr Vaterland dadurch gegen Angriffe von außen zu sichern. – Mit der Anhäufung eines Schatzes würde es eben so gehen, daß er, von andern Staaten als Bedrohung mit Krieg angesehen, zu zuvorkommenden Angriffen nötigte (weil unter den drei Mächten, der Heeresmacht, der Bundesmacht und der Geldmacht, die letztere wohl das zuverlässigste Kriegswerkzeug sein dürfte; wenn nicht die Schwierigkeit, die Größe desselben zu erforschen, dem entgegenstände).
4. »Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden.«
Zum Behuf der Landesökonomie (der Wegebesserung, neuer Ansiedelungen, Anschaffung der Magazine für besorgliche Mißwachsjahre u.s.w.) außerhalb oder innerhalb dem Staate Hülfe zu suchen, ist diese Hülfsquelle unverdächtig. Aber, als entgegenwirkende Maschine der Mächte gegen einander, ist ein Kreditsystem ins Unabsehliche anwachsender und doch immer für die gegenwärtige Forderung (weil sie doch nicht von allen Gläubigern auf einmal geschehen wird) gesicherter Schulden – die sinnreiche Erfindung eines handeltreibenden Volks in diesem Jahrhundert – eine gefährliche Geldmacht, nämlich ein Schatz zum Kriegführen, der die Schätze aller andern Staaten zusammengenommen übertrifft, und nur durch den einmal bevorstehenden Ausfall der Taxen (der doch auch durch die Belebung des Verkehrs, vermittelst der Rückwirkung auf Industrie und Erwerb, noch lange hingehalten wird) erschöpft werden kann. Diese Leichtigkeit Krieg zu führen, mit der Neigung der Machthabenden dazu, welche der menschlichen Natur eingeartet zu sein scheint, verbunden, ist also ein großes Hindernis des ewigen Friedens, welches zu verbieten um desto mehr ein Präliminarartikel desselben sein müßte, weil der endlich doch unvermeidliche Staatsbankerott manche andere Staaten unverschuldet in den Schaden mit verwickeln muß, welches eine öffentliche Läsion der letzteren sein würde. Mithin sind wenigstens andere Staaten berechtigt, sich gegen einen solchen und dessen Anmaßungen zu verbünden.
5. »Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.«
Denn was kann ihn dazu berechtigen? Etwa das Skandal, was er den Untertanen eines andern Staats gibt? Es kann dieser vielmehr, durch das Beispiel der großen Übel, die sich ein Volk durch seine Gesetzlosigkeit zugezogen hat, zur Warnung dienen; und überhaupt ist das böse Beispiel, was eine freie Person der andern gibt, (als scandalum acceptum) keine Läsion derselben. – Dahin würde zwar nicht zu ziehen sein, wenn ein Staat sich durch innere Veruneinigung in zwei Teile spaltete, deren jeder für sich einen besondern Staat vorstellt, der auf das Ganze Anspruch macht; wo einem derselben Beistand zu leisten einem äußern Staat nicht für Einmischung in die Verfassung des andern (denn es ist alsdann Anarchie) angerechnet werden könnte. So lange aber dieser innere Streit noch nicht entschieden ist, würde diese Einmischung äußerer Mächte Verletzung der Rechte eines nur mit seiner innern Krankheit ringenden, von keinem andern abhängigen Volks, selbst also ein gegebenes Skandal sein, und die Autonomie aller Staaten unsicher machen.
6. »Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als da sind, Anstellung der Meuchelmörder (percussores), Giftmischer (venefici), Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verrats (perduellio) in dem bekriegten Staat etc.«
Das sind ehrlose Stratagemen. Denn irgend ein Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes muß mitten im Kriege noch übrig bleiben, weil sonst auch kein Friede abgeschlossen werden könnte, und die Feindseligkeit in einen Ausrottungskrieg (bellum internecinum) ausschlagen würde; da der Krieg doch nur das traurige Notmittel im Naturzustande ist (wo kein Gerichtshof vorhanden ist, der rechtskräftig urteilen könnte), durch Gewalt sein Recht zu behaupten; wo keiner von beiden Teilen für einen ungerechten Feind erklärt werden kann (weil das schon einen Richterausspruch voraussetzt), sondern der Ausschlag desselben (gleich als vor einem so genannten Gottesgerichte) entscheidet, auf wessen Seite das Recht ist; zwischen Staaten aber sich kein Bestrafungskrieg (bellum punitivum) denken läßt (weil zwischen ihnen kein Verhältnis eines Obern zu einem Untergebenenm statt findet). – Woraus denn folgt: daß ein Ausrottungskrieg, wo die Vertilgung beide Teile zugleich, und mit dieser auch alles Rechts treffen kann, den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung statt finden lassen würde. Ein solcher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel, die dahin führen, muß schlechterdings unerlaubt sein. – Daß aber die genannte Mittel unvermeidlich dahin führen, erhellt daraus: daß jene höllische Künste, da sie an sich selbst niederträchtig sind, wenn sie in Gebrauch gekommen, sich nicht lange innerhalb der Grenze des Krieges halten, wie etwa der Gebrauch der Spione (uti exploratoribus), wo nur die Ehrlosigkeit anderer (die nun einmal nicht ausgerottet werden kann) benutzt wird, sondern auch in den Friedenszustand übergehen, und so die Absicht desselben gänzlich vernichten würden.
* * *
Obgleich die angeführte Gesetze objektiv, d.i. in der Intention der Machthabenden, lauter Verbotgesetze (leges prohibitivae) sind, so sind doch einige derselben von der strengen, ohne Unterschied der Umstände geltenden Art (leges strictae), die so fort auf Abschaffung dringen (wie Nr. 1, 5, 6), andere aber (wie Nr. 2, 3, 4); die zwar nicht als Ausnahmen von der Rechtsregel, aber doch in Rücksicht auf die Ausübung derselben, durch die Umstände, subjektiv für die Befugnis erweiternd, (leges latae), und Erlaubnisse enthalten, die Vollführung aufzuschieben, ohne doch den Zweck aus den Augen zu verlieren, der diesen Aufschub, z.B. der Wiedererstattung der gewissen Staaten, nach Nr. 2, entzogenen Freiheit, nicht auf dem Nimmertag (wie August zu versprechen pflegte, ad calendas graecas) auszusetzen, mithin die Nichterstattung, sondern nur, damit sie nicht übereilt und so der Absicht selbst zuwider geschehe, die Verzögerung erlaubt. Denn das Verbot betrifft hier nur die Erwerbungsart, die fernerhin nicht gelten soll, aber nicht den Besitzstand, der, ob er zwar nicht den erforderlichen Rechtstitel hat, doch zu seiner Zeit (der putativen Erwerbung), nach der damaligen öffentlichen Meinung, von allen Staaten für rechtmäßig gehalten wurde.2
Zweiter Abschnitt, welcher die Definitivartikel zum ewigen Frieden unter Staaten enthält
Der Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturstand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d.i. wenn gleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Er muß also gestiftet werden; denn die Unterlassung der letzteren ist noch nicht Sicherheit dafür, und, ohne daß sie einem Nachbar von dem andern geleistet wird (welches aber nur in einem gesetzlichen Zustande geschehen kann), kann jener diesen, welchen er dazu aufgefordert hat, als einen Feind behandeln.3
Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden
Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein.
Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen); und drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß – ist die republikanische.4 Diese ist also, was das Recht betrifft, an sich selbst diejenige, welche allen Arten der bürgerlichen Konstitution ursprünglich zum Grunde liegt; und nun ist nur die Frage: ob sie auch die einzige ist, die zum ewigen Frieden hinführen kann? Nun hat aber die republikanische Verfassung, außer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen zu sein, noch die Aussicht in die gewünschte Folge, nämlich den ewigen Frieden; wovon der Grund dieser ist. – Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, »ob Krieg sein solle, oder nicht«, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen: Da hingegen in einer Verfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger, die also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigentümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u.d.gl. durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen, und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann.
* * *
Damit man die republikanische Verfassung nicht (wie gemeiniglich geschieht) mit der demokratischen verwechsele, muß folgendes bemerkt werden. Die Formen eines Staats (civitas) können entweder nach dem Unterschiede der Personen, welche die oberste Staatsgewalt inne haben, oder nach der Regierungsart des Volks durch sein Oberhaupt, er mag sein welcher er wolle, eingeteilt werden, die erste heißt eigentlich die Form der Beherrschung (forma imperii), und es sind nur drei derselben möglich, wo nämlich entweder nur einer, oder einige unter sich verbunden, oder alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen (Autokratie, Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt). Die zweite ist die Form der Regierung (forma regiminis), und betrifft die auf die Konstitution (den Akt des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder republikanisch oder despotisch. Der Republikanism ist das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; der Despotism ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird. – Unter den drei Staatsformen ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Worts, notwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist.
Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig, wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besondern unter jenem im Untersatze) sein kann, und, wenn gleich die zwei andern Staatsverfassungen so fern immer fehlerhaft sind, daß sie einer solcher Regierungsart Raum geben, so ist es bei ihnen doch wenigstens möglich, daß sie eine dem Geiste eines repräsentativen Systems gemäße Regierungsart annähmen, wie etwa Friedrich II. wenigstens sagte: er sei bloß der oberste Diener des Staats,5 da hingegen die demokratische es unmöglich macht, weil alles da Herr sein will. – Man kann daher sagen: je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch allmähliche Reformen sich dazu endlich zu erheben. Aus diesem Grunde ist es in der Aristokratie schon schwerer, als in der Monarchie, in der Demokratie aber unmöglich, anders, als durch gewaltsame Revolution zu dieser einzigen vollkommen rechtlichen Verfassung zu gelangen. Es ist aber an der Regierungsart6 dem Volk ohne alle Vergleichung mehr gelegen, als an der Staatsform (wiewohl auch auf dieser ihre mehrere oder mindere Angemessenheit zu jenem Zwecke sehr viel ankommt). Zu jener aber, wenn sie dem Rechtsbegriffe gemäß sein soll, gehört das repräsentative System, in welchem allein eine republikanische Regierungsart möglich, ohne welches sie (die Verfassung mag sein welche sie wolle) despotisch und gewalttätig ist. – Keine der alten sogenannten Republiken hat dieses gekannt, und sie mußten sich darüber auch schlechterdings in dem Despotism auflösen, der unter der Obergewalt eines Einzigen noch der erträglichste unter allen ist.
Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden
Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein.
Völker, als Staaten, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d.i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein lädieren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen ähnliche, Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müßte. Darin aber wäre ein Widerspruch; weil ein jeder Staat das Verhältnis eines Oberen (Gesetzgebenden) zu einem Unteren (Gehorchenden, nämlich dem Volk) enthält, viele Völker aber in einem Staate nur ein Volk ausmachen würden, welches (da wir hier das Recht der Völker gegen einander zu erwägen haben, so fern sie so viel verschiedene Staaten ausmachen, und nicht in einem Staat zusammenschmelzen sollen) der Voraussetzung widerspricht. Gleichwie wir nun die Anhänglichkeit der Wilden an ihre gesetzlose Freiheit, sich lieber unaufhörlich zu balgen, als sich einem gesetzlichen, von ihnen selbst zu konstituierenden, Zwange zu unterwerfen, mithin die tolle Freiheit der vernünftigen vorzuziehen, mit tiefer Verachtung ansehen, und als Rohigkeit, Ungeschliffenheit und viehische Abwürdigung der Menschheit betrachten, so, sollte man denken, müßten gesittete Völker (jedes für sich zu einem Staat vereinigt) eilen, aus einem so verworfenen Zustande je eher desto lieber herauszukommen: Statt dessen aber setzt vielmehr jeder Staat seine Majestät (denn Volksmajestät ist ein ungereimter Ausdruck) gerade darin, gar keinem äußeren gesetzlichen Zwange unterworfen zu sein, und der Glanz seines Oberhaupts besteht darin, daß ihm, ohne daß er sich eben selbst in Gefahr setzen darf, viele Tausende zu Gebot stehen, sich für eine Sache, die sie nichts angeht, aufopfern zu lassen,7 und der Unterschied der europäischen Wilden von den amerikanischen besteht hauptsächlich darin, daß, da manche Stämme der letzteren von ihren Feinden gänzlich sind gegessen worden, die ersteren ihre Überwundene besser zu benutzen wissen, als sie zu verspeisen, und lieber die Zahl ihrer Untertanen, mithin auch die Menge der Werkzeuge zu noch ausgebreitetem Kriegen durch sie zu vermehren wissen. Bei der Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blikken läßt (indessen daß sie im bürgerlich-gesetzlichen Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleiert), ist es doch zu verwundern, daß das Wort Recht aus der Kriegspolitik noch nicht als pedantisch ganz hat verwiesen werden können, und sich noch kein Staat erkühnet hat, sich für die letztere Meinung öffentlich zu erklären; denn noch werden Hugo Grotius, Pufendorf, Vattel u.a.m. (lauter leidige Tröster), obgleich ihr Kodex, philosophisch oder diplomatisch abgefaßt, nicht die mindeste gesetzliche Kraft hat, oder auch nur haben kann (weil Staaten als solche nicht unter einem gemeinschaftlichen äußeren Zwange stehen), immer treuherzig zur Rechtfertigung eines Kriegsangriffs angeführt, ohne daß es ein Beispiel gibt, daß jemals ein Staat durch mit Zeugnissen so wichtiger Männer bewaffnete Argumente wäre bewegen worden, von seinem Vorhaben abzustehen. – Diese Huldigung, die jeder Staat dem Rechtsbegriffe (wenigstens den Worten nach) leistet, beweist doch, daß eine noch größere, ob zwar zur Zeit schlummernde, moralische Anlage im Menschen anzutreffen sei, über das böse Prinzip in ihm (was er nicht ableugnen kann) doch einmal Meister zu werden, und dies auch von andern zu hoffen; denn sonst würde das Wort Recht den Staaten, die sich einander befehden wollen, nie in den Mund kommen, es sei denn, bloß um seinen Spott damit zu treiben, wie jener gallische Fürst es erklärte; »Es ist der Vorzug, den die Natur dem Stärkern über den Schwächern gegeben hat, daß dieser ihm gehorchen soll«.
Da die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, nie, wie bei einem äußern Gerichtshofe, der Prozeß, sondern nur der Krieg sein kann, durch diesen aber und seinen günstigen Ausschlag, den Sieg, das Recht nicht entschieden wird, und durch den Friedensvertrag zwar wohl dem diesmaligen Kriege, aber nicht dem Kriegszustande (immer zu einem neuen Vorwand zu finden) ein Ende gemacht wird (den man auch nicht geradezu für ungerecht erklären kann, weil in diesem Zustande jeder in seiner eigenen Sache Richter ist), gleichwohl aber von Staaten, nach dem Völkerrecht, nicht eben das gelten kann, was von Menschen im gesetzlosen Zustande nach dem Naturrecht gilt, »aus diesem Zustande herausgehen zu sollen« (weil sie, als Staaten, innerlich schon eine rechtliche Verfassung haben, und also dem Zwange anderer, sie nach ihren Rechtsbegriffen unter eine erweiterte gesetzliche Verfassung zu bringen, entwachsen sind), indessen daß doch die Vernunft, vom Throne der höchsten moralisch gesetzgebenden Gewalt herab, den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht, welcher doch, ohne einen Vertrag der Völker unter sich, nicht gestiftet oder gesichert werden kann: – so muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte. Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgend einer Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats, für sich selbst und zugleich anderer verbündeten Staaten, ohne daß diese doch sich deshalb (wie Menschen im Naturzustande) öffentlichen Gesetzen, und einem Zwange unter denselben, unterwerfen dürfen. – Die Ausführbarkeit (objektive Realität) dieser Idee der Föderalität, die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll, und so zum ewigen Frieden hinführt, läßt sich darstellen. Denn wenn das Glück es so fügt: daß ein mächtiges und aufgeklärtes Volk sich zu einer Republik (die ihrer Natur nach zum ewigen Frieden geneigt sein muß) bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der föderativen Vereinigung für andere Staaten ab, um sich an sie anzuschließen, und so den Freiheitszustand der Staaten, gemäß der Idee des Völkerrechts, zu sichern, und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach immer weiter auszubreiten. Daß ein Volk sagt: »es soll unter uns kein Krieg sein; denn wir wollen uns in einen Staat formieren, d.i. uns selbst eine oberste gesetzgebende, regierende und richtende Gewalt setzen, die unsere Streitigkeiten friedlich ausgleicht« – das läßt sich verstehen. – –
Wenn aber dieser Staat sagt: »es soll kein Krieg zwischen mir und andern Staaten sein, obgleich ich keine oberste gesetzgebende Gewalt erkenne, die mir mein, und der ich ihr Recht sichere«, so ist es gar nicht zu verstehen, worauf ich dann das Vertrauen zu meinem Rechte gründen wolle, wenn es nicht das Surrogat des bürgerlichen Gesellschaftbundes, nämlich der freie Föderalism ist, den die Vernunft mit dem Begriffe des Völkerrechts notwendig verbinden muß, wenn überall etwas dabei zu denken übrig bleiben soll.
Bei dem Begriffe des Völkerrechts, als eines Rechts zum Kriege, läßt sich eigentlich gar nichts denken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allgemein gültigen äußern, die Freiheit jedes einzelnen einschränkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen Maximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen), es müßte denn darunter verstanden werden: daß Menschen, die so gesinnet sind, ganz recht geschieht, wenn sie sich unter einander aufreiben, und also den ewigen Frieden in dem weiten Grabe finden, das alle Greuel der Gewalttätigkeit samt ihren Urhebern bedeckt. – Für Staaten, im Verhältnisse unter einander, kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie, eben so wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen, und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden, und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit beständiger Gefahr ihres Aus-bruchs (Furor impius intus – fremit horridus ore cruento. Virgil).8
Dritter Definitivartikel zum ewigen Frieden
»Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein.«
Es ist hier, wie in den vorigen Artikeln, nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede, und da bedeutet Hospitalität (Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann; so lange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlich begegnen. Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohltätiger Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden zu müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der andere. – Unbewohnbare Teile dieser Oberfläche, das Meer und die Sandwüsten, trennen diese Gemeinschaft, doch so, daß das Schiff, oder das Kamel (das Schiff der Wüste) es möglich machen, über diese herrenlose Gegenden sich einander zu nähern, und das Recht der Oberfläche, welches der Menschengattung gemeinschaftlich zukommt, zu einem möglichen Verkehr zu benutzen. Die Unwirtbarkeit der Seeküsten (z.B. der Barbaresken), Schiffe in nahen Meeren zu rauben, oder gestrandete Schiffsleute zu Sklaven zu machen, oder die der Sandwüsten (der arabischen Beduinen), die Annäherung zu den nomadischen Stämmen als ein Recht anzusehen, sie zu plündern ist also dem Naturrecht zuwider, welches Hospitalitätsrecht aber, d.i. die Befugnis der fremden Ankömmlinge, sich nicht weiter erstreckt, als auf die Bedingungen der Möglichkeit, einen Verkehr mit den alten Einwohnern zu versuchen. – Auf diese Art können entfernte Weltteile mit einander friedlich in Verhältnisse kommen, die zuletzt öffentlich gesetzlich werden, und so das menschliche Geschlecht endlich einer weltbürgerlichen Verfassung immer näher bringen können.
Vergleicht man hiemit das inhospitale Betragen der gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Weltteils, so geht die Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker (welches ihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) beweisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerländer, die Gewürzinseln, das Kap etc. waren, bei ihrer Entdeckung, für sie Länder, die keinem angehörten; denn die Einwohner rechneten sie für nichts. In Ostindien (Hindustan) brachten sie, unter dem Vorwande bloß beabsichtigter Handelsniederlagen, fremde Kriegesvölker hinein, mit ihnen aber Unterdrükkung der Eingebornen, Aufwiegelung der verschiedenen Staaten desselben zu weit ausgebreiteten Kriegen, Hungersnot, Aufruhr, Treulosigkeit, und wie die Litanei aller Übel, die das menschliche Geschlecht drükken, weiter lauten mag. China9 und Japan (Nippon), die den Versuch mit solchen Gästen gemacht hatten, haben daher weislich, jenes zwar den Zugang, aber nicht den Eingang, dieses auch den ersteren nur einem einzigen europäischen Volk, den Holländern, erlaubt, die sie aber doch dabei, wie Gefangene, von der Gemeinschaft mit den Eingebornen ausschließen. Das Ärgste hiebei (oder, aus dem Standpunkte eines moralischen Richters betrachtet, das Beste) ist, daß sie dieser Gewalttätigkeit nicht einmal froh werden, daß alle diese Handlungsgesellschaften auf dem Punkte des nahen Umsturzes stehen, daß die Zuckerinseln, dieser Sitz der allergrausamsten und ausgedachtesten Sklaverei, keinen wahren Ertrag abwerfen, sondern nur mittelbar, und zwar zu einer nicht sehr löblichen Absicht, nämlich zu Bildung der Matrosen für Kriegsflotten, und also wieder zu Führung der Kriege in Europa dienen, und dieses möchten, die von der Frömmigkeit viel Werks machen, und, indem sie Unrecht wie Wasser trinken, sich in der Rechtgläubigkeit für Auserwählte gehalten wissen wollen. Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staatsals Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.
Fußnoten:
1 Ein Erbreich ist nicht ein Staat, der von einem andern Staate,
sondern dessen Recht zu regieren an eine andere physische Person vererbt werden
kann. Der Staat erwirbt alsdann einen Regenten, nicht dieser als ein solcher
(d.i. der schon ein anderes Reich besitzt) den Staat.
2 Ob es außer dem Gebot (leges praeceptivae), und Verbot
(leges prohibitivae) noch Erlaubnisgesetze (leges permissivae) der
reinen Vernunft geben könne, ist bisher nicht ohne Grund bezweifelt worden.
Denn Gesetze überhaupt enthalten einen Grund objektiver praktischer
Notwendigkeit, Erlaubnis aber einen der praktischen Zufälligkeit gewisser
Handlungen; mithin würde ein Erlaubnisgesetz Nötigung zu einer Handlung,
zu dem, wozu jemand nicht genötiget werden kann, enthalten, welches, wenn das
Objekt des Gesetzes in beiderlei Beziehung einerlei Bedeutung hätte, ein
Widerspruch sein würde. – Nun geht aber hier im Erlaubnisgesetze das
vorausgesetzte Verbot nur auf die künftige Erwerbungsart eines Rechts (z.B.
durch Erbschaft), die Befreiung aber von diesem Verbot, d.i. die Erlaubnis, auf
den gegenwärtigen Besitzstand, welcher letztere, im Überschritt aus dem Naturzustande
in den bürgerlichen, als ein, obwohl unrechtmäßiger, dennoch ehrlicher,
Besitz (possessio putativa) nach einem Erlaubnisgesetz des Naturrechts noch
fernerhin fortdauern kann, obgleich ein putativer Besitz, so bald er als ein
solcher erkannt worden, im Naturzustande, im gleichen eine ähnliche
Erwerbungsart im nachmaligen bürgerlichen (nach geschehenem Überschritt)
verboten ist, welche Befugnis des fortdaurenden Besitzes nicht statt finden
würde, wenn eine solche vermeintliche Erwerbung im bürgerlichen Zustande
geschehen wäre; denn da würde er, als Läsion, sofort nach Entdeckung seiner
Unrechtmäßigkeit aufhören müssen. Ich habe hiemit nur beiläufig die Lehrer des
Naturrechts auf den Begriff einer lex permissiva, welcher sich einer
systematisch-einteilenden Vernunft von selbst darbietet, aufmerksam machen
wollen; vornehmlich, da im Zivilgesetze (statuarischen) öfters davon Gebrauch
gemacht wird, nur mit dem Unterschiede, daß das Verbotgesetz für sich allein
dasteht, die Erlaubnis aber nicht als einschränkende Bedingung (wie es sollte)
in jenes Gesetz mit hinein gebracht, sondern unter die Ausnahmen geworfen wird.
– Da heißt es dann: dies oder jenes wird verboten: es sei denn Nr. 1,
Nr. 2, Nr. 3, und so weiter ins Unabsehliche, die Erlaubnisse nur zufälliger
Weise, nicht nach einem Prinzip, sondern durch Herumtappen unter vorkommenden
Fällen, zum Gesetz hinzukommen; denn sonst hätten die Bedingungen in die Formel
des Verbotsgesetzes mit hineingebracht werden müssen, wodurch es dann
zugleich ein Erlaubnisgesetz geworden wäre. – Es ist daher zu bedauern, daß die
sinnreiche, aber unaufgelöst geblichene, Preisaufgabe des eben so weisen als
scharfsinnigen Herrn Grafen von Windischgrätz, welche gerade auf das
letztere drang, sobald verlassen worden. Denn die Möglichkeit einer solchen
(der mathematischen ähnlichen) Formel ist der einzige echte Probierstein einer konsequent
bleibenden Gesetzgebung, ohne welche das so genannte ius certum immer ein
frommer Wunsch bleiben wird, – Sonst wird man bloß generale Gesetze (die
im allgemeinen gelten), aber keine universale (die allgemein gelten)
haben, wie es doch der Begriff eines Gesetzes zu erfordern scheint.
3 Gemeiniglich nimmt man an, daß man gegen niemand feindlich
verfahren dürfe, als nur, wenn er mich schon tätig lädiert hat, und das
ist auch ganz richtig, wenn beide im bürgerlich-gesetzlichen Zustande sind.
Denn dadurch, daß dieser in denselben getreten ist,
leistet er jenem (vermittelst der Obrigkeit, welche über beide Gewalt hat) die
erforderliche Sicherheit. – Der Mensch aber (oder das Volk) im bloßen
Naturstande benimmt mir diese Sicherheit, und lädiert mich schon durch eben
diesen Zustand, indem er neben mir ist, obgleich nicht tätig (facto), doch
durch die Gesetzlosigkeit seines Zustandes (statu iniusto), wodurch ich
beständig von ihm bedroht werde, und ich kann ihn nötigen, entweder mit mir in
einen gemeinschaftlich-gesetzlichen Zustand zu treten, oder aus meiner
Nachbarschaft zu weichen. – Das Postulat also, was allen folgenden Artikeln zum
Grunde liegt, ist: Alle Menschen, die auf einander wechselseitig einfließen
können, müssen zu irgend einer bürgerlichen Verfassung gehören.
Alle
rechtliche Verfassung aber ist, was die Personen betrifft, die darin stehen,
1)
die nach dem Staatsbürgerrecht der Menschen, in einem Volke (ius
civitatis),
2)
nach dem Völkerrecht der Staaten in Verhältnis gegen einander (ius
gentium),
3)
die nach dem Weltbürgerrecht, so fern Menschen und Staaten, in äußerem
auf einander einfließendem Verhältnis stehend, als Bürger eines allgemeinen Menschenstaats
anzusehen sind (ius cosmopoliticum). Diese Einteilung ist nicht willkürlich,
sondern notwendig in Beziehung auf die Idee vom ewigen Frieden. Denn wenn nur
einer von diesen im Verhältnisse des physischen Einflusses auf den andern, und
doch im Naturstande wäre, so würde damit der Zustand des Krieges verbunden
sein, von dem befreit zu werden hier eben die Absicht ist.
4 Rechtliche (mithin
äußere) Freiheit kann nicht, wie man wohl zu tun pflegt, durch die
Befugnis definiert werden: »alles zu tun, was man will, wenn man nur keinem
Unrecht tut«. Denn was heißt Befugnis? Die Möglichkeit einer Handlung,
so fern man dadurch keinem Unrecht tut. Also würde die Erklärung so lauten: »Freiheit
ist die Möglichkeit der Handlungen, dadurch man keinem Unrecht tut. Man tut
keinem Unrecht (man mag auch tun was man will), wenn man nur keinem Unrecht
tut«: folglich ist es leere Tautologie. – Vielmehr ist meine äußere
(rechtliche) Freiheit so zu erklären: sie ist die Befugnis, keinen
äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beistimmung habe
geben können. – Eben so ist äußere (rechtliche) Gleichheit in einem
Staate dasjenige Verhältnis der Staatsbürger, nach welchem keiner den andern wozu
rechtlich verbinden kann, ohne daß er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von
diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu können.
(Vom Prinzip der rechtlichen Abhängigkeit, da dieses schon in dem
Begriffe einer Staatsverfassung überhaupt liegt, bedarf es keiner Erklärung.) –
Die Gültigkeit dieser angebornen, zur Menschheit notwendig gehörenden und
unveräußerlichen Rechte wird durch das Prinzip der rechtlichen Verhältnisse des
Menschen selbst zu höheren Wesen (wenn er sich solche denkt) bestätigt und
erhoben, indem er sich nach eben denselben Grundsätzen auch als Staatsbürger einer
übersinnlichen Welt vorstellt. – Denn, was meine Freiheit betrifft, so habe
ich, selbst in Ansehung der göttlichen, von mir durch bloße Vernunft erkennbaren
Gesetze, keine Verbindlichkeit, als nur so fern ich dazu selber habe meine
Beistimmung geben können (denn durchs Freiheitsgesetz meiner eigenen Vernunft
mache ich mir allererst einen Begriff vom göttlichen Willen). Was in Ansehung
des erhabensten Weltwesens außer Gott, welches ich mir etwa denken möchte
(einen großen Äon), das Prinzip der Gleichheit betrifft, so ist kein
Grund da, warum ich, wenn ich in meinem Posten meine Pflicht tue, wie jener Äon
es in dem seinigen, mir bloß die Pflicht zu gehorchen, jenem aber das Recht zu
befehlen zukommen solle. –
Daß
dieses Prinzip der Gleichheit nicht (so wie das der Freiheit) auch auf
das Verhältnis zu Gott paßt, davon ist der Grund dieser, weil dieses Wesen das einzige
ist, bei dem der Pflichtbegriff aufhört. Was aber das Recht der Gleichheit
aller Staatsbürger, als Untertanen, betrifft, so kommt es in Beantwortung der
Frage von der Zulässigkeit des Erbadels allein darauf an: »ob der vom
Staat zugestandene Rang (eines Untertans vor dem andern) vor dem Verdienst,
oder dieses vor jenem vorhergehen müsse«. – Nun ist offenbar: daß, wenn der
Rang mit der Geburt verbunden wird, es ganz ungewiß ist, ob das Verdienst (Amtsgeschicklichkeit
und Amtstreue) auch folgen werde; mithin ist es eben so viel, als ob er ohne
alles Verdienst dem Begünstigten zugestanden würde (Befehlshaber zu sein);
welches der allgemeine Volkswille in einem ursprünglichen Vertrage (der doch
das Prinzip aller Rechte ist) nie beschließen wird. Denn ein Edelmann ist darum
nicht so fort ein edler Mann. – Was den Amtsadel (wie man den
Rang einer höheren Magistratur nennen könnte, und den man sich durch Verdienste
erwerben muß) betrifft, so klebt der Rang da nicht, als Eigentum, an der
Person, sondern am Posten, und die Gleichheit wird dadurch nicht verletzt; weil,
wenn jene ihr Amt niederlegt, sie zugleich den Rang ablegt, und unter das Volk
zurücktritt. –
5 Man hat die hohe Benennungen, die einem Beherrscher oft
beigelegt werden (die eines göttlichen Gesalbten, eines Verwesers des
göttlichen Willens auf Erden und Stellvertreters desselben), als grobe, schwindlig
machende Schmeicheleien oft getadelt; aber mich dünkt, ohne Grund. – Weit
gefehlt, daß sie den Landesherrn sollten hochmütig machen, so müssen sie ihn
vielmehr in seiner Seele demütigen, wenn er Verstand hat (welches man doch
voraussetzen muß), und es bedenkt, daß er ein Amt übernommen habe,
was für einen Menschen zu groß ist, nämlich das Heiligste, was Gott auf Erden
hat, das Recht der Menschen zu verwalten, und diesem Augapfel
Gottes irgend worin zu nahe getreten zu sein jederzeit in Besorgnis stehen muß.
6 Mallet du Pan rühmt in seiner genietönenden, aber hohlen
und sachleeren Sprache: nach vieljähriger Erfahrung endlich zur Überzeugung von
der Wahrheit des bekannten Spruchs des Pope gelangt zu sein: »laß über
die beste Regierung Narren streiten; die bestgeführte ist die beste«. Wenn das
soviel sagen soll: die am besten geführte Regierung ist am besten geführt, so
hat er, nach Swifts Ausdruck, eine Nuß aufgebissen, die ihn mit einer Made
belohnte; soll es aber bedeuten, sie sei auch die beste Regierungsart, d.i. Staatsverfassung,
so ist es grundfalsch; denn Exempel von guten Regierungen beweisen nichts für
die Regierungsart. – Wer hat wohl besser regiert als ein Titus und Marcus
Aurelius, und doch hinterließ der eine einen Domitian, der andere
einen Commodus zu Nachfolgern; welches bei einer guten Staatsverfassung nicht
hätte geschehen können, da ihre Untauglichkeit zu diesem Posten früh genug
bekannt war, und die Macht des Beherrschers auch hinreichend war, um sie
auszuschließen.
7 So gab ein bulgarischer Fürst dem griechischen Kaiser,
der gutmütigerweise seinen Streit mit ihm durch einen Zweikampf ausmachen
wollte, zur Antwort: »Ein Schmied, der Zangen hat, wird das glühende Eisen aus
den Kohlen nicht mit seinen Händen herauslangen«.
8 Nach einem beendigten Kriege, beim Friedensschlusse, möchte
es wohl für ein Volk nicht unschicklich sein, daß nach dem Dankfeste ein Bußtag
ausgeschrieben würde, den Himmel, im Namen des Staats, um Gnade für die große
Versündigung anzurufen, die das menschliche Geschlecht sich noch immer zu Schulden
kommen läßt, sich keiner gesetzlichen Verfassung, im Verhältnis auf andere
Völker, fügen zu wollen, sondern stolz auf seine Unabhängigkeit lieber das
barbarische Mittel des Krieges (wodurch doch das, was gesucht wird, nämlich das
Recht eines jeden Staats nicht ausgemacht wird) zu gebrauchen. – Die Dankfeste
während dem Kriege über einen erfochtenen Sieg, die Hymnen, die (auf gut
israelitisch) dem Herrn der Heerscharen gesungen werden, stehen mit der
moralischen Idee des Vaters der Menschen in nicht minder starkem Kontrast; weil
sie außer der Gleichgültigkeit wegen der Art, wie Völker ihr gegenseitiges Recht
suchen (die traurig genug ist), noch eine Freude hineinbringen, recht viel
Menschen, oder ihr Glück zernichtet zu haben.
9 Um dieses große Reich mit dem Namen, womit es sich selbst
benennt, zu schreiben (nämlich China, nicht Sina, oder einen diesem
ähnlichen Laut), darf man nur Georgii Alphab. Tibet, pag. 651-654, vornehmlich Nota
b unten, nachsehen. – Eigentlich führt es, nach des Petersb. Prof. Fischer Bemerkung,
keinen bestimmten Namen, womit es sich selbst benennt; der gewöhnlichste ist
noch der des Worts Kin, nämlich Gold (welches die Tibetaner mit Ser
ausdrücken), daher der Kaiser König des Goldes (des herrlichsten Landes
von der Welt) genannt wird, welches Wort wohl im Reiche selbst wie Chin lauten,
aber von den italienischen Missionarien (des Gutturalbuchstabens wegen) wie Kin
ausgesprochen sein mag. – Hieraus ersieht man dann, daß das von den Römern
sogenannte Land der Serer China war, die Seide aber über Groß-Tibet (vermutlich
durch Klein-Tibet und die Bucharei über Persien, so weiter) nach Europa
gefördert worden, welches zu manchen Betrachtungen über das Altertum dieses
erstaunlichen Staats, in Vergleichung mit dem von Hindustan, bei der
Verknüpfung mit Tibet, und, durch dieses, mit Japan, hinleitet; indessen
daß der Name Sina, oder Tschina, den die Nachbarn diesem Lande geben sollen, zu
nichts hinführt.
–
– Vielleicht läßt sich auch die uralte, ob zwar nie recht bekannt gewordene
Gemeinschaft Europens mit Tibet aus dem, was uns Hesychius hievon
aufbehalten hat, nämlich dem Zuruf Konx Ompax (Konx Ompax) des
Hierophanten in den Eleusinischen Geheimnissen erklären. (S. Reise des jungem
Anacharsis, 5ter Teil, S. 447 u. f.) – Denn nach Georgii Alph. Tibet, bedeutet
das Wort Concioa Gott, welches eine auffallende Ähnlichkeit mit Konx
hat. Pah-ciò (ib. p. 520), welches von den Griechen leicht wie pax
ausgesprochen werden konnte, promulgator legis, die durch die ganze Natur
verteilte Gottheit (auch Cenresi genannt, p. 177). – Om aber, welches La Croze
durch benedictus, gesegnet, übersetzt, kann, auf die Gottheit angewandt,
wohl nichts anders als den Seliggepriesenen bedeuten, p. 507. Da nun P. Franz.
Horatius von den Tibetanischen Lamas, die er oft betrug, was sie
unter Gott (Concioa) verständen, jederzeit die Antwort bekam: »es ist die
Versammlung aller Heiligen « d.i. der seligen durch die Lamaische
Wiedergeburt, nach vielen Wanderungen durch allerlei Körper, endlich in die
Gottheit zurückgekehrten, in Burchane, d.i. anbetungswürdige Wesen,
verwandelten Seelen (p. 223), so wird jenes geheimnisvolle Wort, Konx Ompax,
wohl das heilige (Konx), selige (Om) und weise (Pax),
durch die Welt überall verbreitete höchste Wesen (die personifizierte Natur)
bedeuten sollen, und, in den griechischen Mysterien gebraucht, wohl den Monotheism
für die Epopten, im Gegensatz mit dem Polytheism des Volks
angedeutet haben; obwohl P. Horatius (a. a. O.) hierunter einen Atheism
witterte.
–
Wie aber jenes geheimnisvolle Wort über Tibet zu den Griechen gekommen, läßt
sich auf obige Art erklären und umgekehrt dadurch auch das frühe Verkehr Europens
mit China über Tibet (vielleicht eher noch als mit Hindustan) wahrscheinlich
machen.
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