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Henri Meschonnic: Das Dunkel arbeitet

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Jan Kuhlbrodt

Henri Meschonnic: Das Dunkel arbeitet. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Französischen von Felix Philipp Ingold. Schönebeck (Verlag Moloko+ - Book 274) 2025. 134 Seiten. 20,00 Euro.

Korrespondenzen


Gerade erschien im Verlag Moloko Print ein Buch mit Gedichten des französischen Autors Henri Meschonnic unter dem Titel „Das Dunkel arbeitet. Ausgesuchte Gedichte“; ausgewählt und übertragen wurden die Texte von Felix Philipp Ingold.

Beim ersten Lesen fühlte ich mich an die ebenfalls von Ingold aus dem Französischen übertragenen Gebilde des Schweizer Dichters Charles Racine erinnert. Hier lag meine Achtsamkeit wohl auf der Reduktion. Auf dem ersten Blick wohlgemerkt ergibt sich ein Zusammenhang, der sich bei näherem Hinsehen jedoch in der jeweiligen Spezifik auflöst. Denn Meschonnics Sparsamkeit ist nicht nur die des Raumes, und wenn man bei Racine vorsichtig von einer Poetik der Abstraktion sprechen kann, dann bei Meschonnic von einer der Reduktion.

das gehör
ist ganz stimme
wir die geschichte es der sinn
unsere geburt
kommt nach uns

Ingold referiert Meschonnics Position im Nachwort: „Das Gedicht besteht und entsteht an und für sich, es geht allen Regeln und Konventionen und Traditionen voraus.“
Im Buch findet sich ein Zyklus mit datierten Gedichten, manchmal mit Ortsangaben versehen (meist in Reisezügen von … nach...): „ich warte auf die zeit“. Was nach Gelegen-heitsgedichten klingt, sind kristalline Erfahrungssplitter. Zeit und Vergänglichkeit. Zeit als Frist.

ich bin durchwirkt von dem was ich sehe
diese felder diese bäume diese leben
in mir ich wusste nicht
dass ich diese welten einbringen kann
in mich
ich ende bei den wolken
Vor einiger Zeit erschien bei Matthes & Seitz ein Buch mit Texten zur „Ethik und Politik des Übersetzens“. In diesem Buch versucht Meschonnic zu begründen, und es gelingt ihm, warum die Sprachauffassung, die in der europäischen Linguistik tradiert ist, von einer Position, die sich auf das Zeichen bezieht, an der Gesamtheit der Sprache vorbeigehen und letztlich scheitern muss. Der Text endet mit folgendem Abschnitt:

„Das eigentliche Problem mit all seinen poetischen, ethischen und politischen Implikationen besteht also in dem historisch bedingten Verhältnis zwischen Europa und dem Zeichen. Dies ist zugleich das eigentliche Problem des Übersetzens. Zusammen bilden sie die beiden Seiten ein- und desselben Problems.“

Es geht also letztlich darum, den Klang, die Atmung, die Pause zu übertragen, auch wenn es das Verständnis der Semantik und des Satzes für einen Moment irritiert.

ein passant
mit einer orange in der hand
enger raum wieviele
worte zwischen uns und diese
leere in uns mehr als die worte

Ein Buch, das ich nicht mehr missen möchte!


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