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Hendrik Jackson: "Qualitätssprünge?"

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Hendrik Jackson

Qualitätssprünge? –
ein Abend zur aktuellen Lyrikkritik
in der Literaturwerkstatt



In den letzten Jahren gab es die ein- oder andere Debatte um Lyrik, um Dichter, um die Aufgabe der Lyrik und dergleichen mehr. Was aber ausblieb, war eine Metakritik der Kritik, eine Frage nach den Bedingungen von Kritik, insbesondere auch der Lyrikkritik, die ja unter erschwerten Bedingungen zu kämpfen hat.
Zu Ostern nun brach sich diese Debatte dann in den Organen fixpoetry und signaturen Bahn, angestiftet von einem provokanten Einsteiger Tristan Marquards.

Nun versammelten sich in der Literaturwerkstatt Bertram Reinecke, Verleger, Kritiker, Kommentator in diversen Foren und leidenschaftlicher Lyrikliebhaber, die Literaturwissen-schaftlerin Maren Jäger, der Kritiker Stefan Schmitzer für fixpoetry und moderierend Christian Metz, Literaturwissenschaftler aus Frankfurt, den einige vielleicht jüngst als Kommentator in den hundertvierzehn diskutierten Gedichten gleichnamigen onlineportals des Fischerverlags bemerkt haben.

Sie wollten zusammen den Fragen nach Lyrikkritik, ihren Bedingungen und Kriterien nachgehen. Doch schon bei der Erzählung der Genese dieser Diskussion mit ihren über zehn Beiträgen (zum Beispiel nachzulesen unter www.facebook.de/lyrikkritik) gingen die Sichtweisen auseinander. Metz holte weit aus und begann die Geschichte der teilweisen Auslagerung der Kritik ins Internet zu erzählen, vom Defekt (Defizit?) der althergebrachten Presse. Und so bedauerlich die Entrückung der Kritik aus dem Gesichtskreis der großen Öffentlichkeit war, so ermöglichte doch genau dieser Gang in neue Foren wie lyrikkritik.de, fixpoetry, poetenladen, literaturkritik.de oder nicht zuletzt signaturen "Qualitätssprünge", von denen dann im Verlaufe des Abends noch öfter zu hören war. Bertram Reinecke ging da zeitlich nicht so weit zurück und sah in der seiner Meinung nach etwas künstlichen Debatte um Jan Wagner den Vorläufer österlicher Eruption. Dem wiederum sei eine Diskussion um die Darmstädter Protokolle des Leonce-und-Lena-Preises vorangegangen und daran anschließend eine Kritik und Diskussion um "babelsprech".
Unabhängig von der Perspektive auf die Genese schien den Diskutanten klar, dass angesichts der neuen Möglichkeiten des Netzes, der veränderten Kommunikationsformen (Kommentare, schnellere Publikation, ausführlichere Beiträge, Vernetzung etc.) eine Diskussion der Bedingungen dieser Subkultur und der Kriterien von Kritik überhaupt längst überfällig war.
Anbei durften wir erstaunt vernehmen, dass die Zeitschrift "Abwärts" eine ganze Nummer nur dem "bashing" von Jan Wagner gewidmet hatte. Wozu?

Reinecke nutzte die Gelegenheit, um mit den großen Zeitungen und ihren selektiven und in seinen Augen verfälschenden Berichten über oder Beteiligungen an Debatten hart ins Gericht zu gehen. Doch da hakte Schmitzer nach, ob dieser Qualitätssprung in den alternativ genannten Lyrikkritikforen denn wirklich einer sei, und Maren Jäger warnte vor der "facebookisierung" der Debatten.

Zunehmend wurde diese Debatte der Debatte konkreter: Wer bringt welche Rezension wann und unter welchen Bedingungen? Wie gut wird eigentlich noch oder überhaupt erst lektoriert? Wieviel Besprechungen gibt es in den Tageszeitungen? Die Zahlen, die Perlentaucher vorlegte, stimmen nicht, nach Metz, der recherchiert hatte. Die Zahl der jährlichen Rezensionen in den Printmedien bleibe seit gut 15 Jahren fast gleich.
Wann schreibt der Rezensent und wann sein Kommentator? Um ein Uhr nachts, betrunken oder nüchtern? Reinecke schwor nach dem fünften Bier auf der Bühne: Ich poste auf facebook immer nüchtern. Das wollte dann einer gleich als Aufkleber drucken lassen.
Sind Betriebs-Ich und Privat-Ich überhaupt noch zu trennen? Wenn man Rezensionen lektoriert, welches sind dann die Rahmenanforderungen?

Wer das Geld hat, hat die Diskursmacht, das zumindest ist eine alte Erkenntnis, die auch gestern (26. April) wieder aufgelegt werden musste, einfach, weil an ihr kein Vorbeikommen ist. Das gilt vor allem weiterhin für die Traditionshäuser der Medien, aber auch fixpoetry und signaturen, die Haupthelden dieses neues Theorie-sequels, wären ohne das private Engagement gar nicht denkbar. Das sind dann so die ganz basalen Bedingungen von Kritik, auf die man auch an diesem Abend zu guter Letzt aufläuft. Und knüpfte so an den Anfang an, als Maren Jäger "sichere Orte" der Kritik sich wünschte, an denen differenzierte Diskussionen, auch entgegen dem mainstream, weiter stattfinden würden.

So wie an diesem Abend in der Literaturwerkstatt. Dabei wurde deutlich, dass noch so viel ungelöste Fragen herumschwirren, dass dieser Abend nicht viel mehr tun konnte, als die richtigen Fragen zu stellen, ein wenig zu sichten und sortieren und uns dann, wie auch anders? – mit offenen Fragen in den Abend zu entlassen.


Übersicht der Beiträge zur Lyrikkritik auf den Signaturen (Stand 28.04.2016)

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