Hellmuth Opitz: Flauschnacht Rauschnacht
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Timo Brandt
Hellmuth Opitz: Flauschnacht
Rauschnacht. Gedichte. Bielefeld (Pendragon Verlag) 2022. 120 S. 20,00
Euro.
Wunde(r)n, mit und ohne Flügel
„Es war die Zeit, als wir nichts vorhatten, als überallPläne herumlagen, zerknülltes Futur, als wir unsfreuen wollten und nicht mehr wussten worauf.Es war die Zeit als die Sprechblasen platzten, KinnMund und Nase verklebten und sich so in perfekteAtemschutzmasken verwandelten, währendder Frühling einfach ohne uns weitermachte, dieNarzissen knipsten ihr Licht an in den Vorgärten undmorgens kam die Ohrenbetäubung von den Vögeln
in den abgestillten Straßen, die Sonne plakatierte großauf der Werbefläche eines blanken Himmels unddie Leute fingen an, Distanzen zu tanzen.“
Gedichte haben gegenüber Romanen
den Vorteil, dass sie schneller auf Aktuelles Bezug nehmen können. Romane, die ein
Thema wirklich durchdringen, erscheinen in der Regel Jahre nachdem es aufkam,
erste Gedichte aber werden bereits geschrieben (und publiziert), wenn ein
Phänomen, ein Thema noch (relativ) neu ist. Lyrik ist sozusagen oftmals, nach
dem Feuilleton und Social Media, der erste Austragungsort einer literarischen
Auseinandersetzung (dicht gefolgt vom Essay).
Entstehen solche Gedichte aus einem
Reflex heraus, also mehr aus dem Wunsch auf die Geschehnisse sofort adäquat zu
reagieren, sie vielleicht schon zu deuten (statt zu konservieren, dieses neue
Phänomen, eingebettet ins Erleben, im Gedicht auf lange Sicht noch fassbar und
erfahrbar zu machen) geraten sie schnell, schon im Verlauf der nächsten
Entwicklungen, in eine Schieflage, erscheinen bald verkürzt, gar fremd.
So geschehen mit einem Gedicht Durs
Grünbeins, in dem Passanten „asiatisch maskiert“ sind (wer denkt heute noch bei
Maskenträger*innen an Asien; ganz abgesehen davon, dass es auch damals schon
eine fragwürdige Metapher war) oder mit den Corona-Gedichten von Daniela Danz
(deren Band Wildniß ich ansonsten großartig fand), deren Haltlosigkeit
nicht mehr ganz zu dem Auf und Ab, dem Gesamtgefühl von 2 ½ Jahren Corona zu
passen scheint.
Zwar gab und gibt es einige gute
Ansätze (bspw. Lars Bornscheins Buch „Aufwachraum“ oder einige Abschnitte in
Safiye Cans „Poesie und Pandemie“), aber ich muss zugeben, die ersten wirklich
überzeugenden Gedichte zur (oder eher: im Umfeld der) Coronapandemie, durfte
ich bei Hellmuth Opitz lesen.
„Als das Draußen sich nach innen stülptewie der Ärmel einer Jacke, als es uns alleauf links drehte in jenen Monaten, dablühten in den Schaufenstern Religionen,Zusammenhalt war das Zauberwort,Hoffnung ein trojanischer Container,alle scharten sich um die Brennpunkteim Fernsehen, darin Scheite aus Panikund Trost Seit' an Seit' besinnlich knackten.[…]Als wir nach Wochen aus dem Exil desZimmers traten und in die Sonne blinzelten,hätte ich den Taxischein machen könnenfür das Straßennetz deiner Handlinien, ichwar Vielflieger, Bonusmeilensammlerauf der Strecken zwischen den Muttermalenauf deinem Rücken, hätte Verfassereines Synonymlexikons werden können,167 Namen allein für den verstecktestenWinkel. Was bleibt davon?“
Dass mich diese Gedichte so
überzeugen, mag daran liegen, dass sie selten Corona allein zum Inhalt haben.
Vielmehr wird beschrieben, wie die damit einhergehenden Zustände sich auf das
Leben auswirken, wie sie Sichtweisen bedingen, Geschichten mitschreiben, eine
andere Art von Umwelt erschaffen, deren Inhalt aber nach wie vor geprägt ist
von denselben Zufällen, Bedürfnissen, Gedanken (oder zumindest engverwandten).
Als Beispiel eben das obenzitierte
Gedicht, in dem ein Lockdown mit einer neuen (oder alten, durch die Abwesenheit
anderer Nähe neu entflammten) Liebe zusammenfällt. Wie großartig jene letzte
Zeile der dritten Strophe: Was bleibt davon?, in der es um die Beziehung geht,
um die Pandemie, aber in der auch, noch größer, die Frage anklingt, was
generell von der Liebe bleibt, bleiben kann (oder von allem anderen, dass uns
eine Weile in Atem hielt).
„Sie werden nicht mehr wissen,welches Jahr es genau war, alsaus intim im Team wurde, siewerden sagen: Wir harmonieren.Wir haben uns etwas aufgebaut.Was wir alles geschafft haben.[…]Und die Lust? Wird abgebucht unterdas Körperliche. Das lässt nach,sagen sie gelassen lächelnd,man wird ruhiger mit der Zeit.
Weniger ist von der Traurigkeitdie Rede, den Momenten, wenn dieErinnerung an eine Berührungnur noch ein fernes Echo ist, wenndas Begehren mit kleinen Fäustengegen Stirnhöhle und Herzwändetrommelt und wenn ihnen danndie Gegenwart ihre kühle Handin den Nacken legt: Komm, ist gut.“
Überhaupt kann ich Opitz (mal
wieder) nur bewundern für seine Liebesgedichte (oder besser gesagt: Gedichte um
und über die Liebe). Diesem, heute nicht mehr von vielen Dichter*innen
regelmäßig frequentierten Genre hat er bereits einige großartige Stücke
hinzugefügt (wer mir nicht glaubt, lege sich diesen und alle früheren Bände zu,
er*sie wird fündig werden, versprochen) und auch in diesem Band finden sich
wieder 3, 4 Sternstunden.
In diesen Gedichten trifft ein
Höchstmaß an Freimütigkeit auf eine Essenz an Zärtlichkeit. Opitz gibt sich
hier (und auch in den meisten seiner anderen Texte in diesem Band) nie als
Virtuose aus, sondern schlägt die Klaviatur sehr behutsam an, überschüttet uns
weder mit Harmonien noch mit Dissonanzen, sondern führt uns geduldig ein in die
Melodie, von der er will, dass wir sie hören können, sie erkennen, variiert,
hebt und senkt sie, bis wir uns an sie erinnern, sie zu vernehmen meinen.
Und gerade in dieser Behutsamkeit
erweist sich Opitz Dichtung immer wieder als virtuos, elegant, unwiderstehlich.
Seine Poesie ist für mich ein nachhaltiger Beweis dafür, dass in sprachlichen
Belangen weniger oft mehr sein kann. Die Sparsamkeit, mit der er seine Bilder
setzt, machen sie zu Illuminationen, in deren Licht einem das Dasein auf jene
Weise magisch erscheint, die auf der unwillkürlichen Begegnung mit dem
Lebendigen beruht, mit den Flügeln und Wunden, die es einem verpasst.
Eingefangen wird die Spannung des Moments, in dem das Erlebte, das Schöne, das
Intensive sich im Außen zu verflüchtigen und im Inneren zu verweilen beginnt.
Diese Umsicht führt dazu, dass das
Gedicht nicht zum Feuerwerk verkommt, sondern in die Tiefe geht. Wobei: ein
bisschen sind Opitz‘ Gedichte schon auch Feuerwerk (und waren es, in vielen
früheren Bänden). Aber in diesem Band sind sie mehr wie das Gefühl, ein
Feuerwerk zu sehen, aus dem Moment des Feuerwerks eine Erinnerung zu machen.
„Dieser Sommerabend, der allmählich ausläuftwie eine Langspielplatte, die du liebst.Du lauschst ihr nach, der letzten RilleHelligkeit, inmitten eines Bauerngartens,der das Ende dieses Tages mit Furore begeht,der seine Malven, Ranunkeln, Dahlienan die Dämmerung verschwendet, währenddu hier sitzt an diesem Kirschholztisch undliest. Entziffern wäre das bessere Wort.“
Ein bisschen anders, das klang
schon an, ist der neuste Gedichtband im Vergleich zu seinen Vorgängern und das
liegt nicht nur daran, dass hier und da Corona thematisiert wird. Vielmehr habe
ich das Gefühl, dass die Gedichte – wie auch der Klappentext vermerkt –
erzählerischer geworden sind, aber auch entrückter, etwas weniger darauf aus,
sich in ihre Sujets hineinzustürzen.
Wobei ich das schon direkt wieder
zurücknehmen will, denn je nachdem wo man den Band aufschlägt, könnte dieser
Eindruck bestärkt, aber auch widerlegt werden. Mal erscheint ein Gedicht über
einen alten Baum im Garten, der den Dichter auch noch überleben wird, fast
schmucklos und bezieht seine Tiefe aus dem Inhalt des Gedankengangs, aber dann
liest man sich durch die Gedichte über die Vögel und die Haie (beiden Spezies
ist ein eigenes Kapitel vergönnt) und ist mitten im Gezwitscher bzw. Getümmel.
Vielleicht ist es aber auch gar
nicht so, dass sich inhaltlich und/oder formal viel verändert hat. Vielleicht
ist es vielmehr so, dass die Sehnsucht, die bei Opitz früher oft etwas
Drängendes, Überschäumendes und Vakantes an sich hatte, in vielen der neueren
Gedichte einer grundsätzlichen Sehnsucht gewichen ist, die keine konkreten
Ziele mehr kennt, sondern sich zwischen allen Dingen und Erfahrungen finden
lässt, ansammelt, auftürmt.
„Es gab dort kleine Tümpel, überdenen die blauen Nadeln der Libellenstanden bei flirrender Hitze undden Nachmittag vernähten. Das wareine ganze Welt. Jetzt hat man siein einer Viertelstunde komplettumkreist auf enger Umlaufbahn,die Neubaugebiete, die nachhaltigenWohnquartiere mit ihren Solardächern,Carports, Buchsbaumhecken.“
Wie so oft, habe ich am Ende das
Gefühl, nicht genug gesagt, nicht genug schwarze Buchstaben gruppiert zu haben, um
die Highlights des Bandes hervorzuheben. Müsste man nicht noch etwas über den
feinen Witz schreiben, die ironische Finesse hier und da, oder bräuchte es
nicht doch eine Thematisierung der Resignation, oder im Gegenteil: des
Widerständigen in diesen Gedichten?
Ich kann nur hoffen, dass das Licht
in den Besprechungen anderer Rezensent*innen bis dahin dringt und es bei mir
weit genug gedrungen ist, um einige Leser*innen zum Kauf zu animieren. Bei der
Lektüre wird sich diesen wiederum einiges mehr eröffnen, als ich hier überhaupt
aufzählen, einfassen kann.
Das letzte Wort hat der Dichter:
„April, das Morgenlicht serviert schon KännchenIch döse noch und hör Gespenster,es tickert wie besessen an mein Fenster.Schwanzmeisen-Balz, na klar: ein Männchen.Pickt es Insekten von den Scheibenim Schnabel-Morse-Alphabet?Wie dem auch sei, die Botschaft steht:Ich soll jetzt streng zuhause bleiben.Oder war's anders? Jedenfalls: Wie wildhackt dieser Vogel auf sein Spiegelbild.Ein Flügelspreizen, Flattern, ein Theater!Ein Zuschauer nur, doch der ist ganzgebannt, bisweilen zuckt sein Schwanzbei diesem Bühnenauftritt: unser Kater.“