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Hans-Christian Riechers: Peter Szondi. Eine intellektuelle Biographie

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Jan Kuhlbrodt

Hans-Christian Riechers: Peter Szondi. Eine intellektuelle Biographie. Frankfurt a.M. (Campus Verlag) 2020. 281 Seiten. 39,95 Euro.

Die Aktualität Peter Szondis


Ich war bislang kein großer Freund von Biografien, aber vielleicht hat sich diese Einstellung sukzessive geändert, denn in letzter Zeit sind zumindest einige Bücher erschienen, die mich doch stark angeregt haben, weil sie die Sucht nach Pikanterie, die Manche zu Biografien greifen lässt, außen vor und unbefriedigt halten. Nicht zuletzt hat mich das bei Hans-Christian Riechers verfasstem Buch Peter Szondi – Eine intellektuelle Biografie, das zum Jahreswechsel im Campus Verlag erschienen ist, überzeugt.

Riechers zeigt Szondis Werdegang vor dessen biografischen Stationen. Die dramatische, von antisemitischer Bedrohung und Verfolgung überschattete Jugend, die fast unwirkliche Ausreise und Rettung aus dem besetzten Ungarn auf verschiedenen Stationen in die Schweiz und die Momente des Studiums und der intellektuellen Findung gegen den Kontext einer überkommenen eher konservativen Wissenschaft. Letztlich wurde eine wissenschaftliche Erneuerung von zurückkehrenden Emigranten oder von verfolgten Wissenschaftlern in Gang gesetzt, was dazu führte, dass Szondi einen ihm entsprechenden Stand erhielt, der seiner Bedeutung gemäß zum Ruf an die FU Berlin führte.

Das wird deutlich in der Abfolge und am wachsenden Einfluss von Szondis Veröffentlichungen zur Dramatik und Literatur überhaupt, und weil es ihm gelingt, die Betrachtung aus dem engen nationalsprachlichen Korsett zu lösen und in einen weiteren Kontext zu stellen. Beeindruckend hierbei die Genese einer Betrachtung zwischen Strukturalismus und Hermeneutik, die ihre Objektivität erlangt, gerade weil sie das subjektive Moment des Wissenschaftlers einbezieht. Es entsteht die Komparatistik; ein abenteuerlicher Prozess, weit entfernt von akademischer Trockenheit. Und darüber hinaus ist beeindruckend, dass Szondi seine Erkenntnisse auf Deutsch formulierte, obwohl es nicht seine Muttersprache war. Er leistete damit auch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Rettung dieser Sprache aus der nationalsozialistischen Umklam-merung und Überformung.

Auch im Zuge der Beschäftigung mit Paul Celan kommt man an Peter Szondi nicht vorbei. Nicht nur, weil er der erste war, der die Gedichte Celans einer genaueren ernstzunehmenden Betrachtung unterzog, und so ganz war er ja doch nicht der erste. Im Buch von Hans-Christian Riechers wird dargelegt, wie weit eine frühe Celan-Rezeption von verschiedenen nicht zuletzt in der Zeit des Nationalsozialismus gründenden Aus-gangspunkten von Rezipienten abhängig war. Ein ganzes Kapitel ist zum Beispiel der Auseinandersetzung Szondis mit dem Germanisten Hans Egon Holthusen gewidmet. Über-schrieben ist dieses Kapitel mit „Die Mühlen des Todes“; eine jener Metaphern die Claire Goll zum Anlass nahm, Celan Plagiatsvorwürfe zu machen, da eine ähnliche wenn auch französische Formulierung in einem Gedicht Yvan Golls auftaucht.

Die Plagiatsdebatte nimmt in dieser Biografie folglich einen entsprechenden Raum ein, nicht zuletzt weil Szondi den entscheidenden Artikel lieferte, die Vorwurfe zu entkräften, indem er herausarbeitete, inwieweit entsprechende Wendungen bei Celan schon vor der Veröffentlichung Goll‘scher Gedichte vorhanden waren.
   In Zusammenhang mit Holthusen gewinnt diese Celan‘sche Wendung aber noch eine ganz andere Bedeutung. Riechers zitiert einen Leserbrief Szondis an die FAZ:

„Holthusen, der einst ebenfalls die SS-Uniform trug, darf im Literaturblatt der FAZ vom (2. Mai1964) behaupten, der Ausdruck 'Mühlen des Todes' sei bei Celan das Zeichen einer 'Vorliebe für die surrealistische in X-beliebigkeiten schwelgende Genitivmetapher' gewesen.“

Nicht minder spannend ist ein paar Kapitel vorher eine Zusammenführung dieser Debatten in Abgrenzung zu Benns berühmter Rede Probleme der Lyrik.

Riechers beschreibt Celans Position so, dass ein Gedicht sich dadurch konstituiere, dass es in höchstem Maße eine Individualität besitze. Hier verweist Riechers darauf, dass Celan sich auf Leibniz Monadologie beruft, nach der es keine zwei Wesen gebe, die einander vollkommen glichen. Dem aber stellt Celan eine Vorstellung von Intertextualität zur Seite, die letztlich auf die von Szondi mehrfach angeführten Parallelstellen verweist. Goll und seine Verfechter verwechseln Intertextualität und Plagiat. Natürlich entstehen Gedichte in einem historisch gegebenen, sprachlich vermittelten Diskurs. Aber: „Die Möglichkeit oder die Tatsache von Gedichten weise vielmehr auf die Singularität von Sprachereignissen hin, deren etwa biografisch bedingte Überschneidungen nichts an der Einzigartigkeit der Stelle ändern, die durch ihren ganz anderen sprachlichen oder persönlichen Kontext gegeben sei.“

Auf Einladung der Zeitschrift „Das Gedicht“ wählte eine Jury aus 50 Literaturwissenschaftlern, Dichtern und Kritikern übrigens im Herbst 1999 Gottfried Benn zum bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum. Man mag solchen Superlativen skeptisch gegenüber-stehen, und man hat damit mit Sicherheit recht, zumal sich die Einschätzungen mit der Zeit auch wieder verändern, aber sie sind andererseits auch ein Symptom. Eine Auseinandersetzung mit Benn spielt in Riechers Szondi-Biografie auch nur am Rande eine Rolle, dennoch wird sie schlaglichtartig prägnant beleuchtet.

„Die Quintessenz dieses Gedankens lautet in Celans Rede: „Das absolute Gedicht – nein, das gibt es gewiss nicht, das kann es nicht geben!“ (Meridian). Das absolute Gedicht ist ein Hinweis auf die Marburger Rede Probleme der Lyrik des Büchnerpreisträgers Gottfried Benn, dort heißt es ganz im Gegensatz zur späteren Meridian-Poetik, Gedichte seien an niemanden gerichtet … Auch um demgegenüber die notwendige Gerichtetheit des Gedichtes an jemanden, die ihm innewohnende Gerichtetheit auszudrücken, schreibt Celan dem Gedicht Persönlichkeitsrechte zu.“

Persönlichkeitsrechte werden angemahnt, weil die Gedichte sich als Individuen in einem gesellschaftlichen Kontext konstituieren. Weiter unten heißt es:

„Die Individualität, von deren 'Hinfälligkeit' Benn in seiner Rede spricht, behauptet Celan desto vehementer und schreibt sie dem Gedicht ein. Indem menschliches Individuum und individuelles Gedicht zur Entsprechung gebracht werden, sind zugleich der Epitaph-Gedanke, der Celans Reflexion auf seine Gedichte durchzieht, und die grundsätzliche Verfehltheit der Plagiatsvorwürfe, nicht zuletzt aufgrund einer ungenügenden Sprachauffassung, zum Ausdruck gebracht.“

Riechers formuliert hier einen bis heute nicht gelösten Konflikt. Auch wenn es den Anschein hat, Benn sei mit seiner These, dass Gedichte an niemanden gerichtet seien, als Sieger daraus hervorgegangen, scheint sich gerade das Blatt ein wenig zu wenden, was nicht nur an der aufgrund runder Todes- und Geburtstage einsetzenden erneuten Rezeption liegen kann. Wir werden darauf zurückkommen.

Riechers Szondi-Biografie ist als Dissertation entstanden. Sie sei zu lesen anempfohlen, weil sie in einer eleganten Wissenschaftsprosa ungelöste Probleme des vergangenen Jahrhunderts vergegenwärtigt und so ein wertvoller Beitrag auch zu aktuellen Debatten sein kann.


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