Direkt zum Seiteninhalt

Günter Plessow: LOVE IS NOT ALL - ein Gedicht in ein Gedicht übersetzen, Teil 3

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay


Love is not all ––

ein Gedicht in ein Gedicht übersetzen


Einblicke in den Arbeitsprozeß von Günter Plessow


Teil 3


Reime in den Blick nehmen

Wie komme ich jetzt weiter? Wohl oder übel muß ich mich jetzt der Reimnot stellen, muß anfangen, aus dem bloßen Wortmaterial stimmige Zeilenpaare und kanonisch ge-reimte Quartette zu entwickeln. Das braucht Geduld und eine gesunde Skepsis gegenüber dem Erreichten.

Ich stelle also meiner Blankversversion einen zunächst fast leeren Textrahmen gegenüber und versuche, ihn schritt-weise zu füllen. Zunächst habe ich kaum mehr als die beiden rot markierten Textpartien in der Hand, auf die ich aufbauen kann.


Blankversversion

Der Zufall will, daß es die zentrale Zeile meiner Blankvers-Version ist, die mir weiterverwendbar scheint. Ich beginne also meine Arbeit in der Mitte des Textes und versuche eine achte Zeile als Antwort darauf.


Die Liebe ist nicht alles :  ist nicht Fleisch
noch Trank noch Schlaf noch Dach über dem Kopf ;
noch weniger
ein Treibholz dem, der sinkt
und auftaucht, sinkt und auftaucht, wieder sinkt ;
sie kann die Lunge nicht mit Atem füllen,
das Blut nicht reinigen, den Knochen richten ;
u. doch schließt mancher Freundschaft mit d. Tod
jetzt, wo ichs sag, um Liebe, die ihm fehlt.
Es mag wohl sein, daß ich in schwerer Stunde,
erpreßt von Schmerz u. nach Erlösung schmachtend,
von Not zernagt, die über meine Kraft geht,
gedrängt bin, deine Liebe zu verkaufen/verhökern
um Frieden, diese Nacht um ein Stück Brot.
Es mag wohl sein. Ich denke nicht, ich würde.

[Die?] Liebe ist nicht alles :  kann nicht speisen, tränken,
noch Schlummer spenden, noch ein Regendach ;
noch
Treibholz sein im Strom…
und…und…und….
…nicht…
…noch… ;
u. doch schließt mancher Freundschaft mit d. Tod
gerade jetzt, weil Liebe fehlt allein.
Es mag wohl sein…




Es mag wohl sein…

Die Liebe ist nicht alles …














Ich müßte mich jetzt von der ersten Zeile auf die zentrale Zeile vorarbeiten, aber gerade mit der ersten Zeile habe ich metrische Probleme.

Warum? Weil der Artikel, mit dem meine Blank-versversion beginnt, im Original nicht dasteht, und weil
Liebe ist nicht alles drei Trochäen wären, mit denen ich ein jambisches Gedicht nicht beginnen möchte.

Ich sinne also auf einen Ausweg und erwäge, Liebe wie einen Titel „auszulagern“, um dann vielleicht
LIEBE––sie ist nicht alles sagen zu können. Eine Notlösung, die mir wenig gefällt, auf die ich mich aber einstweilen stützen kann, um wenigstens die ersten acht Zeilen (die ersten beiden Quartette), in Angriff zu nehmen und, ausgehend von dem probeweise Hingeschriebenen, passende Reimen zu suchen.



Im ersten Quartett probiere ich nun Pendents zu den bislang gesetzten tränken und Dach. In Zeile vier halte ich an dem und…und…und… fest. Im zweiten Quartett probiere ich
Atemnot als Pendent zu Tod.

Die Liebe ist nicht alles :  ist nicht Fleisch
noch Trank noch Schlaf noch Dach über dem Kopf ;
noch weniger ein Treibholz dem, der sinkt
und auftaucht, sinkt und auftaucht, wieder sinkt ;
sie kann die Lunge nicht mit Atem füllen,
das Blut nicht reinigen, den Knochen richten ;
und doch schließt mancher Freundschaft mit dem Tod
jetzt, wo ichs sag, um Liebe, die ihm fehlt.
Es mag wohl sein, daß ich in schwerer Stunde,
erpreßt von Schmerz u. nach Erlösung schmachtend,
von Not zernagt, die über meine Kraft geht,
gedrängt bin, deine Liebe zu verkaufen/verhökern
um Frieden, diese Nacht um ein Stück Brot.
Es mag wohl sein. Ich denke nicht, ich würde.

LIEBE––sie ist nicht alles, kann nicht speisen, tränken,
noch Schlummer spenden, noch ein Regendach ;
noch Treibholz sein im Strom, und wir versänken
im Auf und Ab und Auf und Nieder ;  ach,
sie füllt die Lunge nicht bei
Atemnot,
sie klärt kein Blut, heilt kein gebrochnes Bein ;
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod
gerade jetzt, weil Liebe fehlt allein.
Es mag wohl sein…




Es mag wohl sein…


Der Textrahmen füllt sich, vorläufig. Ich überarbeite die 8. Zeile, die mir zu weit weg ist von
Even as I speak, und beginne mit Versuchen zum 3. Quartett. Noch fehlen Reime. Für die Formel It well may be tendiere ich zu Es könnte sein.


Die Liebe ist nicht alles :  ist nicht Fleisch
noch Trank noch Schlaf noch Dach über dem Kopf ;
noch weniger ein Treibholz dem, der sinkt
und auftaucht, sinkt und auftaucht, wieder sinkt ;
sie kann die Lunge nicht mit Atem füllen,
das Blut nicht reinigen, den Knochen richten ;
und doch schließt mancher Freundschaft mit dem Tod
jetzt, wo ichs sag, um Liebe, die ihm fehlt.
Es mag wohl sein, daß ich in schwerer Stunde,
erpreßt von Schmerz u. nach Erlösung schmachtend,
von Not zernagt, die über meine Kraft geht,
gedrängt bin, deine Liebe zu verkaufen/verhökern
um Frieden, diese Nacht um ein Stück Brot.
Es mag wohl sein. Ich denke nicht, ich würde.

LIEBE––sie ist nicht alles, kann nicht speisen, tränken,
noch Schlummer spenden, noch ein Regendach ;
noch Treibholz sein im Strom, und wir versänken
im Auf und Ab und Auf und Nieder ;  ach,
sie füllt die Lunge nicht bei Atemnot,
sie klärt kein Blut, heilt kein gebrochnes Bein ;
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod
jetzt, wo ichs sag, weil sie ihm fehlt allein.
Es könnte sein, daß ich in schweren Stunden,
vom Schmerz erpreßt, mich nach Erlösung
sehne
oder zernagt vom Mangel, kraftlos, überwunden,
bereit wär, deine Liebe dranzugeben/zu verraten

Es könnte sein


Das Original


Nun stelle ich das Original wieder neben den Textrahmen und überarbeite das dritte Quartett, formuliere komplexer und flüssiger und finde das fehlende Reimwort. Aber wie nun weiter?


Love is not all :  it is not meat nor drink
Nor slumber nor a roof against the rain ;
Nor yet a floating spar to men that sink
And rise and sink and rise and sink again ;
Love can not fill the thickened lung with breath,
Nor clean the blood, nor set the fractured bone ;
Yet many a man is making friends with death
Even as I speak, for lack of love alone.
It well may be that in a difficult hour,
Pinned down by pain and moaning for release,
Or nagged by want past resolution’s power,
I might be driven to sell your love for peace,
Or trade the memory of this night for food.
It well may be.  I do not think I would.

LIEBE––sie ist nicht alles, kann nicht speisen, tränken,
noch Schlummer spenden, noch ein Regendach ;
noch Treibholz sein im Strom, und wir versänken
im Auf und Ab und Auf und Nieder ;  ach,
sie füllt die Lunge nicht bei Atemnot,
sie klärt kein Blut, heilt kein gebrochnes Bein ;
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod
jetzt, wo ichs sag, weil sie ihm fehlt allein.
Es könnte sein, daß ich in schweren Stunden,
die Schmerzen los sein möchte, nur noch leben,
oder zernagt von Not, längst überwunden,
bereit wär, deine Liebe dranzugeben.

Es könnte sein…


Was mache ich mit trade the memory of this night for food? Nach einigem Nachsinnen komme ich auf:
und diese Nacht um Brot zu Markte brächte. Und auf einmal weiß ich, wie die Schlußzeile lauten muß: Es könnte sein. Ich denke nicht, ich möchte. Diese Lapidarität brauche ich hier.

Love is not all :  it is not meat nor drink
Nor slumber nor a roof against the rain ;
Nor yet a floating spar to men that sink
And rise and sink and rise and sink again ;
Love can not fill the thickened lung with breath,
Nor clean the blood, nor set the fractured bone ;
Yet many a man is making friends with death
Even as I speak, for lack of love alone.
It well may be that in a difficult hour,
Pinned down by pain and moaning for release,
Or nagged by want past resolution’s power,
I might be driven to sell your love for peace,
Or trade the memory of this night for food.
It well may be.  I do not think I would.

LIEBE––sie ist nicht alles, kann nicht speisen, tränken,
noch Schlummer spenden, noch ein Regendach ;
noch Treibholz sein im Strom, und wir versänken
im Auf und Ab und Auf und Nieder ;  ach,
sie füllt die Lunge nicht bei Atemnot,
sie klärt kein Blut, heilt kein gebrochnes Bein ;
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod
jetzt, wo ichs sag, weil sie ihm fehlt allein.
Es könnte sein, daß ich in schweren Stunden,
die Schmerzen los sein möchte, nur noch leben,
oder zernagt von Not, längst überwunden,
bereit wär, deine Liebe dranzugeben,
und diese Nacht um Brot zu Markte brächte.
Es könnte sein. Ich denke nicht, ich möchte.


Nun kann ich mich an die Schlußredaktion wagen und noch drei Änderungen einbauen. Zeile 6 wird mit
schient griffiger. Zeile 8 beginnt jetzt mit: nun ich es sag. Zeile 10 lautet jetzt, flüssiger gefaßt: um Schmerzen loszuwerden, leicht zu leben.

Love is not all :  it is not meat nor drink
Nor slumber nor a roof against the rain ;
Nor yet a floating spar to men that sink
And rise and sink and rise and sink again ;
Love can not fill the thickened lung with breath,
Nor clean the blood, nor set the fractured bone ;
Yet many a man is making friends with death
Even as I speak, for lack of love alone.
It well may be that in a difficult hour,
Pinned down by pain and moaning for release,
Or nagged by want past resolution’s power,
I might be driven to sell your love for peace,
Or trade the memory of this night for food.
It well may be.  I do not think I would.

LIEBE––sie ist nicht alles, kann nicht speisen, tränken,
noch Schlummer spenden, noch ein Regendach ;
noch Treibholz sein im Strom, und wir versänken
im Auf und Ab und Auf und Nieder ;  ach,
sie füllt die Lunge nicht bei Atemnot,
sie klärt kein Blut, schient kein gebrochnes Bein ;
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod
nun ich es sag, weil sie ihm fehlt allein.
Es könnte sein, daß ich in schweren Stunden,
um Schmerzen los zu werden, leicht zu leben,
oder zernagt von Not, längst überwunden,
bereit wär, deine Liebe dranzugeben,
und diese Nacht um Brot zu Markte brächte.
Es könnte sein. Ich denke nicht, ich möchte.

Weiter
zu Teil 4 »

Zurück zum Seiteninhalt