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Günter Plessow: LOVE IS NOT ALL - ein Gedicht in ein Gedicht übersetzen, Teil 4

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay


Love is not all ––

ein Gedicht in ein Gedicht übersetzen


Einblicke in den Arbeitsprozeß von Günter Plessow


Teil 4


Mit dieser Schlußredaktion

habe ich meine Bearbeitung abgebrochen. Trotz einiger Selbständigkeiten, die ich mir erlaubt habe (darunter die „Notlösung“ für Zeile 1) bin ich mit dem Grad von Äquivalenz, den ich erreicht habe, nicht unzufrieden: die Rhetorik des Originals scheint getroffen. Die Zeilen haben Konnex und das richtige Tempo. Die Gelassenheit des Anfangs und die Lakonik der Schlußvolte schließen das Ganze zur Gestalt zusammen.

Die Schlichtheit des ersten Quartetts ist allerdings nicht ganz erreicht, und die gedrängte, partizipien-gesättigte Kompli-ziertheit des dritten Quartetts ebenfalls nicht, vermutlich deshalb, weil sich bestimmte lyrische Formeln weder wörtlich noch analog wiedergeben lassen, sondern im Deutschen selbständig formuliert werden wollen. All das ist Ermessenssache.


Original

Original und Übersetzungsversuch in der Gegenüberstellung

Love is not all :  it is not meat nor drink
Nor slumber nor a roof against the rain ;
Nor yet a floating spar to men that sink
And rise and sink and rise and sink again ;
Love can not fill the thickened lung with breath,
Nor clean the blood, nor set the fractured bone ;
Yet many a man is making friends with death
Even as I speak, for lack of love alone.
It well may be that in a difficult hour,
Pinned down by pain and moaning for release,
Or nagged by want past resolution’s power,
I might be driven to sell your love for peace,
Or trade the memory of this night for food.
It well may be.  I do not think I would.

LIEBE––sie ist nicht alles, kann nicht speisen, tränken,
noch Schlummer spenden, noch ein Regendach ;
noch Treibholz sein im Strom, und wir versänken
im Auf und Ab und Auf und Nieder ;  ach,
sie füllt die Lunge nicht bei Atemnot,
sie klärt kein Blut, schient kein gebrochnes Bein ;
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod
nun ich es sag, weil sie ihm fehlt allein.
Es könnte sein, daß ich in schweren Stunden,
um Schmerzen loszuwerden, leicht zu leben,
oder zernagt von Not, längst überwunden,
bereit wär, deine Liebe dranzugeben,
und diese Nacht um Brot zu Markte brächte.
Es könnte sein.  Ich denke nicht, ich möchte.


Nachspiel


Mit diesem Ergebnis hatte ich mein Übersetzungs-experiment im November 2005 abgebrochen. Drei Jahre später wagte ich mich an die Übertragung der vollständigen Sequenz FATAL INTERVIEW und fand das Gedicht wieder:

an zentraler Stelle (als Nr. XXX von 52 Sonetten). Es steht als kühl distanzierte Wegmarke mitten in dieser heiklen Verwicklung von Staub und Äther, die sich schicksalhaft begegnen.

Der zeitliche Abstand erlaubte mir einen neuen Einstieg. Ich fand eine bessere Version für die ersten sechs Zeilen, die dichter an die schlichte Wortwahl des Originals heran- und ohne Notlösung auskam.


Original

Ich besann mich auf das durchgängige Argumentations-muster des Gedichts, nämlich die Negation, und schrieb nun einfach und guten Gewissens:  Nein, Liebe ist nicht alles …


Love is not all :  it is not meat nor drink
Nor slumber nor a roof against the rain ;
Nor yet a floating spar to men that sink
And rise and sink and rise and sink again ;
Love can not fill the thickened lung with breath,
Nor clean the blood, nor set the fractured bone ;
Yet many a man is making friends with death
Even as I speak, for lack of love alone.
It well may be that in a difficult hour,
Pinned down by pain and moaning for release,
Or nagged by want past resolution’s power,
I might be driven to sell your love for peace,
Or trade the memory of this night for food.
It well may be.  I do not think I would.


Nein, Liebe ist nicht alles, ist nicht Brot
noch Wein noch Schlummer noch ein Regendach ;
noch Treibholz dem, der zu ertrinken droht
im Auf und Ab und Auf und Nieder ;  ach
nein, Liebe lindert nicht die Atemnot,
reinigt kein Blut, schient kein gebrochnes Bein ;
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod
nun ich es sag, weil sie ihm fehlt allein.
Es könnte sein, daß ich in schweren Stunden,
um Schmerzen loszuwerden, leicht zu leben,
oder zernagt von Not, längst überwunden,
bereit wär, deine Liebe dranzugeben,
und diese Nacht um Brot zu Markte brächte.
Es könnte sein.  Ich denke nicht, ich möchte.

Diese Fassung habe ich in meine Übersetzung der Gesamtsequenz übernommen und in Love is not all, einem Auswahlband mit Gedichten von Edna St. Vincent Millay, der 2008 bei Urs Engeler in Basel erschienen ist, herausgegeben.


*
Hier breche ich ab. Aber nicht, ohne auf den ersten Satz zurückzuverweisen. Ein Gedicht in ein Gedicht zu übersetzen, ist nicht so einfach. Es braucht Mut, das Experiment zu beginnen, Geduld, sich von Hölzchen zu Stöckchen voranzutasten, und Skepsis, um das Erreichte immer neu zu befragen.

GP



Edna St. Vincent Millay: LOVE  IS  NOT  ALL. Gedichte Amerikanisch und Deutsch. Übersetzt von Günter Plessow. Badenweiler, Berlin, Basel, Weil am Rhein (Urs Engeler Editor) 2008.
  


Love is not all –– ein Gedicht in eine Gedicht übersetzen
Einblicke in den Arbeitsprozeß von Günter Plessow, Berlin ©


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