Gespräch mit Steffen Popp 3
3. Was für ein Schreiben wichtig ist
Jan Kuhlbrodt: Wie viel hat diese Kollektivpoetik Helm aus Phlox mit deinen Gedichten zu tun?
Steffen Popp: Abgesehen davon, dass sie versucht herauszufinden, was für mein Schreiben wichtig ist, nix.
Ich denke ja auch, Poetiken sind im Nachhinein formuliert, das Gedicht entsteht, und dann kann man rekonstruieren, wie es dazu gekommen ist.
Und das machen dieses Texte aus dem Helm aus Phlox ja nicht einmal. Wenn man sich das anschaut, wären es ja Arbeiten für eine schöne universitäre Dissertation. Also das nicht direkt. Aber wenn man sich die Werke von Dichtern anschaut, wenn sie ein bisschen besser, oder ein bisschen bekannter waren, dann haben alle ihr poetisches Werk mit einem essayistischen begleitet. Das geht bei Ovid los, oder noch früher. Es gibt unter verschiedensten Intentionen irgendwo ein essayistisches Interesse. Das ist mit dem poetischen Interesse verwandt. Es gibt auch genug Prosaautoren, die ihr Werk essayistisch begleiten, Virginia Woolf, Thomas Mann usw. aber bei Dichtern findet sich das ziemlich eindeutig.
Bei Jandl beispielsweise, seine Poetikvorlesungen sind grandios. Es gibt bei Gedichten auf Grund ihrer Struktur so etwas wie einen gedanklichen Überhang. Etwas, das im Gedicht nicht verhandelt werden kann, definitiv, aber als Problem da ist, das im Essay verhandelt wird, oder beispielsweise bei Martina Hefter im Tanz. Ein guter Lyriker kann nie und nimmer sich radikal auf die Lyrik versteifen.
Es mag Ausnahmen geben, wie Greßmann, aber der hat dafür andere Formate gehabt, der hat seine Dramatischen Sachen gehabt, es muss nicht der Essay sein, aber es muss nioc ein Ausweichmedium geben. Deshalb sage ich, das Verhältnis meiner Gedichte zu dieser Poetik ist klassisch.
Komplementär.
Ja, es gibt keinen direkten Zusammenhang. Man kann nicht von dem einen auf das andere schließen, aber vielleicht auch schon.
Kommen wir also zu deinen Gedichten. Collage! Ich versuche gerade herauszufinden, was du collagierst.
Ich habe immer, auch während meines Literaturstudiums versucht, eine richtig gute Unterscheidung zwischen Collage und Montage zu finden. Das ist mir nicht wirklich gelungen. Was collagiere ich? Es geht bei solchen Gebilden, die ich da entwickle, irgendwie um Mobiles, sage ich auch manchmal; es geht um Gewichtungen, und es geht auch um Kontraste in einem Gefüge, das ja nicht auseinanderfällt, sondern zusammenhält. Die Sachen die da aufeinandertreffen in diesen Texten, treffen auf Aussage und Bildebene aufeinander. Beide Aspekte sind ziemlich wichtig. Also das, was gesagt wird, die Ebene des Gedankens, der Position, der Aussage, des Urteils, das was man mit Sprache gerichtet machen kann, auf dieser begrifflichen Ebene. Dass das eine eigene Wertigkeit hat, und dass die Sachen, die dann evoziert werden auf bildlicher Ebene, auch eine Wertigkeit haben, und dass das kurzgeschlossen wird, sich gegenseitig im besten Fall verstärkt. Das ist das, wovon Philosophen manchmal träumen, wie ich im Helm aus Phlox irgendwo geschrieben habe, dass die Sprache in dem Moment, da sie präziser wird, in dem Maße auch intensiver wird.
Insofern steht das Problem, dass es, wo es präziser wird, auch in die Quantität geht, weil du die Sachen auslegst und die Differenzierung einzieht. Und das wird quantitativ, Terminologie erweitert sich usw., aber es geht von der Intensität auf bestimmte Art und Weise weg. Das Gedicht ist für mich eine Form, in der Präzision Intensität herzustellen.
Was heißt aber Präzision? Heißt es Präzision der Aussage oder Präzision des Signals?
Die Möglichkeit, komplexe Aussagen zu machen, ist im Gedicht relativ beschränkt, weil du keine essayistisch lange Struktur machen kannst. Also man könnte schon, aber ich mache das nicht. Die wenigsten machen das. Das heißt, du arbeitest mit den Aussagen im gestischen Raum. Der Ton, in dem die Aussage getroffen wird, die Diskursebene, auf der die Aussage läuft, oder die Kommunikationsebene, das alles sind Dinge, die eine Rolle spielen, und die zitiert werden im Text. Bestimmte Haltungen und bestimmte Aussagen, die im Sprechen liegen, werden im Gedicht gezeigt wie in einer Manege, wo du deine Raubtiere vorführst, oder wie auf einem Zaubertisch, wo der Zauberer die verschiedensten Sachen aus seinem Hut holt. Also hast du im Gedicht verschiedene Dukti oder Gesten. Sie zeigen nicht nur das, was sie inhaltlich sagen, sondern auch, wie sie es sagen, und vielleicht ist auch das „Wie“ überhaupt der Grund, dass die Gedichte zu diesen Aussagen kommen.
Diese Sachen kannst du zeigen mit unsichtbaren Anführungszeichen, und dann kannst du sie eben kontrastieren, oder engführen, relativieren oder groteske Effekte herstellen. Und das ist zumindest ein wichtiger Effekt bei diesen Texten, auch in diesem Band Dickicht mit Reden und Augen.
Im Titel ist schon so eine Engführung enthalten. Gedicht als Dickicht. Oder die Natur schaut dich an. Wer Karl May gelesen hat, weiß, was ich da meine. Ein ganz alter Topos ist das Rauschen des Waldes wie eine Rede oder das Murmeln des Baches, um mal auf diese Ebene hinabzusteigen, andererseits sind die Texte selbst ja auch so eine Art Dickichte, Gestrüppe, jedenfalls ziemlich verschlungene Sachen, eben enggeführte Dinge, wo Reden als Gesten eben auch auftauchen. Gedichte sind ja auch so etwas wie Mikromonologe des Autors. Kommunikationsangebote auf jeden Fall. Aber es geht eben über das Reden, was du in einer Vorlesung erlebst oder im Gespräch, hinaus. Es geht noch in eine andere Richtung. Deshalb sind eben die Augen mit im Spiel.
Also es blickt zurück.
Ja, die Sachen haben ein Eigenrecht über das hinaus, was du als Autor sagst.
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