Franziska Beyer-Lallauret: Falterfragmente / poussière de papillon
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Wir
komischen Vögel nisten auf Flaschen
Stefan Hölscher
Der zweite Gedichtband der aus Mittweida in Sachsen stammenden und nahe
Angers im Loire-Tal lebenden Lyrikerin Franziska Beyer-Lallauret bietet alle
Texte zweisprachig an: Französisch und Deutsch. In seinem Nachwort schreibt der
in Dresden und Leipzig lebende Lyriker und Redakteur Patrick Wilden: „Falterfragmente
/ poussière de papillon – Schmetterlingsstaub; im Französi-schen sind
„Falter“ und „Schmetterling“ synonym. Beide Titel entsprechen sich nicht in
Gänze, da die poetische Alliteration im Wort fragments gestört wäre.“
„Falterfragmente“, „Schmetterlingsstaub“ – das löst in uns
Assoziationen von Fliegen, Buntheit, Garten, Natur, aber auch von Zartheit,
Verliebtheit, Fragilität und Vergänglichkeit aus. Die Gedichte von Franziska
Beyer-Lallauret führen uns in eine Welt, die all dies mit
mythisch-märchenhaften Zügen verbindet. Das nicht auf den Punkt zu bringende,
manchmal überbordend, manchmal in sich gekehrte und oft auch in beide
Bewegungsrichtungen gehende Schillern dieser Texte verrät sich inspiriert durch
das ebenso bunte, zarte, kraft- und märchenvolle poetische Universum einer Else
Lasker-Schüler. Es ist zugleich ein durch und durch weiblich geprägtes
Universum, das sich den Lesenden hier auftut – wunderbar illustriert durch acht
Bilder der Malerin und Autorin Johanna Hansen, deren Coverbild „Verführung“ mit
seinen ineinander fließenden Figuren und dem wie ein Strom oder ein Gebirge durch
sie hindurchziehenden Rot die Richtung unserer Assoziationen anbahnt.
Obwohl sich Beyer-Lallaurets zumeist auf eine
Buchseite erstreckende Gedichte trotz vieler Zeilensprünge als gram-matisch klar
strukturiert und nah an unserer Alltagssprache zeigen, wimmeln sie doch von
kleinen semantischen, rhyth-mischen und klanglichen Finessen, aus deren
Zusammenspiel dann die besondere Buntheit entsteht. Immer präsent in den Texten
sind ein Ich, ein Du und auch ein Wir. Omnipräsent in der Ontologie der Texte
sind auch naturhafte Phänomene wie Flügel, Fischschwänze, Wasser, Wurzeln,
Erlen, Mond, Katze, Bienen, Bach, Schnee, Busch, Garten, Wald… Mit kleinen
Erwartungs- und Bedeutungsverschiebungen, Sprach- und Klangspielen (besonders
Alliterationen und Assonanzen) bringt Beyer-Lallauret die Elemente ihres
Universums allerdings in beständige Bewegung:
Du sprunghafte Iris duDoppelte DosisLässt mich das Rote vom ApfelBaum runter versprechen(aus „Euphorie)
Wir komischen Vögel nisten auf FlaschenHälsen im HerbstLeerten das halbvolle Glas bis zur NeigeDa war die Kerze noch KugelNie staubte einer sie ab sie knisterteDochtwärts bis sie zur Scheibe schmolzStoben die Funken du(aus „Wolkenkuckuckskammer“)
Dein Fabeltier im Fluss bin ichBreche Dämme mache drausMürbe Ufer die sich bestaunenWende dir meine Federn zuTaste dich an und läutere dich(aus „Chimäre“)

Die irreduziblen Bildbewegungen werden dabei
durch eine Vielzahl an Wortneuprägungen noch geschärft: Da gibt es Dunkelsaft, Siebenvieh, Dochtwärts,
Redeblech, Lichtrechtecken, Gnaden-sonne, Rudel Königskinder und vieles mehr,
was uns zugleich innehalten, staunen und schmetterlingshaft weiterfliegen
lässt. Die Falterfragmente führen uns in eine zugleich fest ver-wurzelte und
mythisch-surreale Welt des lyrischen Ichs und seiner Du-Figuren hinein. Fast
alle dieser Texte kann man auch als Gedichte über Liebe und Sehnsucht
verstehen. Doch auch in dieser Hinsicht bleiben die Texte changierend, zumal
sie durchgängig mit feiner Ironie gespickt sind:
Im GelassLeg dich schlafenMit deiner Schwere dem GleißkörperBis ich rausche vor LastÜber der Kopfhaut funkeln dirTollkühne FlockenAus Eis
Dein Kinn bleibt im Schatten liegenSchließ mir die AugenMit deinen Lidern
So
ist denn auch selbst so Erhabenes wie „Königs Gefährt“ etwas, das dem einen „zu
Kopfe“ steigt und der anderen als Bauchschlupfloch dient:
Königs GefährtWeiß war es hatte ein DachDu sagtest Pferd zu ihm doch HufeHatte es keine die stelltest duDir bloß vor wie ich mir die KroneDie dir zu Kopfe stieg
Nahte es hüpfte was in mirManchmal hinderte es der SchneeDem Land in den Kurven zu liegenDann schrieben die HeizkörperRippen mir Sorry ins Knie
Es brachte uns unter NadelbäumeDa stand es dann hielt stillIch schlüpfte ihm in den BauchWurde sehr klein darinEinmal lief ich ihm nachWollte ihm den Weg abschneidenMit zwei Beinen in der HandZwischen Flur und FriedhofstorNur war es viel schnellerUnd weißer als ich
Es
sind die unermüdlich eigensinnig „hüpfenden“ Bilder, die die Welt der
Falterfragmente lebendig und spannend machen und ihr bibliophiles Erscheinen in
dem im Ziethen Verlag Oschersleben herausgegebenen Buch, das diesen
Leichtflügelgebilden einen würdigen Rahmen verleiht.
Franziska Beyer-Lallauret: Falterfragmente / Poussière de papillon. Französisch, deutsch. Oschersleben
(Dr. Ziethen Verlag) 2022. 88 Seiten. 20,00 Euro.