Frank Milautzcki, Armin Steigenberger: sprich: malhorndekor & barbotine
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Erec Schumacher
Frank Milautzcki, Armin Steigenberger: sprich:
malhorndekor & barbotine. Gedichte. Scheuring (Vogel & Fitzpatrick Verlag
Black Ink) 2021. 40 Seiten. 8,00 Euro.
Hingetanzt in Fahrtrichtung
Symbiotisches Schreiben. Die Autoren Frank
Milautzcki und Armin Steigenberger haben sich in dem Lyrikband „sprich:
malhorndekor und barbotine“ zusammengefunden, um ihre individuelle
Autorschaft in einem kollaborativen Schreibprozess hinter sich zu lassen und in
einem gemeinsamen Textkorpus miteinander zu verschmelzen. Damit ist auch schon
der Werkstattcharakter des Bandes vorgegeben, das Projekthafte - ein Austausch
von Texten, Textfragmenten, ein Weiterschreiben an der Stelle, wo der Schreibpartner
nicht weiterkommt, innerlich stockt, sich verhakt, verheddert - Autorschaft so
nach und nach verwischend.
Der Band legt furios los. „arpeggien“
ist ein vielschichtiger Text zwischen Lyrik und Prosa oszillierend, ein
langsames Abzählen, ein Absenken in die Verdunklung, ein an- und abmoderiertes Selbstgespräch
in der Nacht und an die Nacht gerichtet, dessen prozessionshafter,
pathetisch-düsterer Sound gebrochen wird durch Kopfbellen und fernes,
metallisch klingendes Froschgequake. Der Text ist In drei Abschnitte unterteilt:
„tintinnabulum 1-3“. Von der Anlage erinnert er an Armin Steigenbergers leuchtenden
Text „Wohnen in einem Vorwort“, dem Opener im Jahrbuch der Lyrik
2020. In dem Wortgebrauch von „tinitinnabulum“ spiegelt sich
beispielhaft ein Operieren mit verschiedenen Bedeutungsebenen, dem man
hermeneutisch in verschiedene Richtungen folgen kann oder auch nicht. So bezeichnet
es sowohl eine Glocke bei römisch-katholischen Prozessionen als auch ein Objekt
aus der Bronzezeit, ein Ensemble von Klang- und Klapperblech, das aber keine
Klänge erzeugt und über dessen Verwendung bis heute gerätselt wird.

„tintinnabulum 1: du bist in der nacht dort wo man rabenschwarzes munkelt und wir uns eher flüchtig anmoderieren. ein paar leid-, freuden- und glückstränen sind so wie ich bin. dort ist ein teil von mir meist die hauptfigur. am ende eines langen und einsamen platzes oder tages schwebt über unseren breitengrad dunkelheit ein, senkt sich auf unsere szenerie wie ein nicht schwarzes tuch.“
Diese fast schon fatalistische Stimmungslage
wird im Folgenden immer wieder aufgegriffen und variiert. So im ebenfalls
programmatischen Gedicht „atelier für leichte waren“:
„…umdas leichtgängig ungewollteliegen zu lassen / dort im see allerabsichten dort / im meerwie fahlgelbes laub.“
In demselben Gedicht findet sich auch ein
doppeldeutiges Spiel mit dem wiederholten Appell „hör auf“ - „hör auf den
himmelsgroßen riesen / zu lieben“ - „hör
auf das melische wasser“ - „hör auf auf die barden … zu hören“ – Anrufung
und Abkehr zugleich.
Man glaubt einen Sound, einen Grundton erfasst
zu haben, aber bereits das nächste Gedicht setzt auf ganz andere Tonalitäten. Schnell
wird erkennbar, dass diese Wechselbäder System haben. Eine Lust am
Experimentieren, die sich bald auch in der Textur und Topologie der Gedichte manifestiert,
beispielhaft in „das gebrochene versprechen“, wo die Textform hin und herhüpft,
mal links-, mal rechtsbündig, um dann aufgeteilt in zwei Spalten fortzufahren,
usw.
Im „selbstraum“ hängend. Elster sein. Es
sind Mashups, Reingeworfenes, Improvisiertes, hinein in den intermediären Raum,
Kreuzverhöre, Schlagzeilen aufgreifend, Social Media-Feeds, Explorationen, Stimmungsräume
und Verzeichnisbäume, angereichert mit „aleatorischer zufüllung“ und Herzradau,
alles in Wartung und zugleich entlang der Auf- und Abwärts-bewegungen der
Diskurse, mit falscher Sicherheit und antrainierter Unsicherheit spielend.
„einfach weil ES zu spät ist“
ist einer der schönsten Texte, weil er mindestens drei Metaebenen aufspannt. Halb
im Duktus einer Erzählung fügt er Farbwelten und -tafeln von Dubuffet,
Malevitch oder de Chirico zusammen, wirft die Frage nach dem Ich (ein „leereimer
ich“) und dem ES auf, deutet Heimsuchung an, ein „graphologisches skript“,
um dann Abgesang zu sein („wurde phantom, preusischblau!“), wobei nicht
ganz ersichtlich wird, wer oder was der Adressat ist, wer die Beteiligten sind:
das „weinerliche ich“, die Wolkenspiele, die Worte auf der Bühne und der
Wind, der alles hinwegweht. Und was genau hat es mit dem ES auf sich? Gerade
die Wendungen, die ein Memento mori heraufbeschwören, sind eine durchgängige
Motivkonstante des Bandes: „… hinausgingst in den irrtum / aus dir selbst:
wie aus einer aussegnungshalle…“ - „in der spelunke des moders“ - „das
ist auflösungsprozess“ - „deine wunden oxidieren wie brandige voluten“, usw.
Vom Songs Schreiben und Narrative Flicken. Die
atmosphärische Dichte dieser und anderer Highlighttexte vermag der Band nicht
über die gesamte Länge aufrechtzuerhalten. Manchmal ist es des Guten zu viel,
und streckenweise ist die Lust am Kalauer zu überdominant („maybe
tomorrhoe“, „sell flies“, „anthropozähnchen“). Nicht jede Punchline haut
rein, nicht jedes Wortspiel, jede Wortverdrehung sitzt.
Der zum Prinzip erklärte Wille zum Originellen
spiegelt sich in einer Vielzahl von Kompo-sita: „befleckungsfail“,
„forkenmonde“, „diodenfake“, „filterblasenfritz“, „wohlfühlcasting“,
„eskapismusblusher“, „immunisierungsprofi“, „tintorettoschiene“,
„ernstherrendaminski“, „ein-wegküsschen“, „trugpflage“, „hechtmond“,
„bedeut(sch)ungsraumschaum“, „zwischenflut-ruhe“, usw.
Eingebettet sind die Texte immer wieder in Soundtracks
und Songs, sei es von The Beatles, The Kinks, Charles Mingus, David Bowie oder den
Immaculate Fools.
Es
frappiert, dass die zahlreichen name-droppings (Dichter, Musiker, Maler) fast
ausschließ-lich männlich und größtenteils tot sind.
Neben intendierter Hommage sind es dann aber auch
kritische Be- und Hinterfragungen eines androzentrischen Kanons, ein Abarbeiten
an den verwelkten „heldenkränzen“, an dem „übervaterding“, von dem sich
loszueisen noch nicht ganz gelingen will – oder vielleicht doch.
„und immer erklärt uns einer die welt“
Dazu passt dann auch das einem Gedicht
vorangestellte Nietzsche-Zitat, in dem es darum geht, die eigenen Wahrheiten
unglaubwürdig zu machen.
„vom kurs ab und immer im fluss“.
Eine Besichtigungstour durch die Kollateralschäden der Gegenwart. Man merkt dem
Band den Spaß an der Dekonstruktion an, an einem Sichaus-tobenwollen. Diese Lust
ist durchaus ansteckend. Es macht Spaß, den Band zu lesen. Fort-während stößt man
auf wunderbare Zeilen zwischen Funfacts, Seitenhieben und verbalen Glitches, im
wechselseitigen Beleuchten und Befruchten einer symbiotischen Autorschaft.
„die verlorenen signale im modus des versteckens“„aufleser sein, der bücker nach krume“„eintreten in neue resonanzen“„aufmüpfig der audioguide“„als wäre ein kompletter kulturausstieg / bis 2035 geplant“
Am stärksten sind die vulnerablen Passagen, die
der Vertreibung und Akkumulation der inneren Fragezeichen nachspüren, einer kryptischen
Resignation, die, aus dem Notstand heraus, in Euphorie kippt, in postpostmodernen
Wildwuchs; kontemplative Abschnitte, in denen der Frage nachgegangen wird,
inwieweit „sosein“ zwischen „weltgewebte(r) dramatik“ und „haltlose(r)
stille“ Bewandtnis hat. Dem gegenüber fallen die Texte ab, die sich zu
einseitig auf persiflierende Derbheiten und manieristische Wortspiele verlegen,
auf Plakativ-Pamphlethaftes, auf Zeitgeist-Entlarvung.
sprich:
malhorndekor & barbotine. Der auffällige
Titel des Bandes ist für Hermeneutiker zweifelsohne ein gefundenes Fressen. Als
Barbotine wird eine seit der hellinistischen Zeit bekannte Technik des
Auftragens von Keraminkmasse auf den Korpus mittels Spritzhörnchens bezeichnet.
Abgesehen davon, dass eine ruhige Hand erforderlich ist, liegt die
Schwierigkeit in der Verbindung der gespritzten Dekoration mit dem
Grundmaterial. Idealerweise sind beide Teile identisch in Material und Wasseranteil.
Andernfalls droht beim Trocknungsprozess oder während des Brennvorgangs ein
Abplatzen. Und genau um dieses Abplatzen geht es möglicherweise auch in den
Texten von Armin Steigenberger und Frank Milautzcki.
Womöglich wäre ein Epilog, der Einblicke in
die kollaborative Praxis vermittelt, begrüßenswert gewesen. Möglicherweise
hätte der Verzicht auf den einen oder anderen Lückenfüllertext den verbliebenen
Texten mehr Luft zum Atmen gegeben. Aber all das soll die Freude an diesem kleinen
und zugleich prallgefüllten Band nicht mindern, einer poetischen Schnitzeljagd,
die immer wieder Haken schlägt und eine Lust am Legen falscher Fährten
offenbart, sich austobt in den Fragmenten einer geschwundenen Totalität und frei
gemacht hat von den (vermeintlichen) Zwängen eines in sich geschlossen
Lyrikbands.
Suggestives
Potential entfalten die Texte insbesondere dann, wenn sie ganz in Vergegenwärtigung
aufgehen und auf rhetorische Kniffe verzichten, wie in diesem Siebenzeiler, der
sich auch als Schlussgedicht gut gemacht hätte.
„das lausigemich verfolgt ein müder vogel, der kurzund flach hechelt wie ein hund in seinerstraßenanthologie während ich kopfüberunter asphaltfarbenem wasser fliege und mirdas salz hereinrinnt und das stechen der mückewie ein surren stört peinigt was ausgebreitet liegtin dieser gigantischen hülle aus purem schwarz“
Erschienen ist der Band in der Lyrikreihe des bayrischen
Verlags Black Ink.