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Eric Giebel: Sandkorn

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Barbara Zeizinger

Eric Giebel: Sandkorn. Gedichte. Dortmund (Books on demand - edition offenes feld) 2022. 116 Seiten. 19,50 Euro. ISBN 9783756213658

Heimat als Fremde


In seinem neuen Gedichtband Sandkorn begibt sich Eric Giebel auf innere und äußere Spurensuche.

Beginnen wir mit dem Gedicht Bachdelta, das vom titelgebenden Sandkorn handelt, von dessen Reise durch die Strömung, einer Reise, die naturgemäß beschwerlich und gefährlich ist. War in den Strudel des Lebens geraten und / wurde fortgerissen über unbekannten Grund. Und während dies kleine Sandkorn sich bei einer illusorischen Atempause auf einem Schwemmkegel fragt, ob ihm noch andere Flüsse offen gestanden hätten, begeben wir uns mit dem lyrischen Ich Eric Giebels auf die Suche nach Wurzeln, nach den Bedingungen des Daseins, dem man oft genug wie ein kleines Sandkorn ausgeliefert zu sein scheint.

Den Ton setzt Eric Giebel gleich mit Zitaten von Hans-Ulrich Treichel und Daniel Schreiber, die er seinen Gedichten vorangestellt hat. Beide befassen sich mit Heimat und Fremdsein. Viel wichtiger ist es, wie und auf welche Weise man sich heimatlos und fremd in seiner Heimat fühlt. (Hans-Ulrich Treichel) und Daniel Schreiber: In vieler Hinsicht lässt sich das Heimische, jener von uns oft beschworene Ort des Anfangs unserer eigenen Geschichte, sogar als ursprüngliche Keimzelle unseres Fremdseins in der Welt verstehen.

Das Fremdsein in der Welt beschreibt Eric Giebel in vielen Facetten. Sei es wie im ersten Gedicht, in dem das lyrische Ich sich im Engadin befindet und, wie durchgehend in seinen Gedichten, mit konkreten Bildern (Bettdecke, Wasserkessel, Terracottaboden) die Situation sinnlich nachempfinden lässt, dann doch fürchtet, den Boden unter den Füßen entzogen zu bekommen. Dieses Gedicht steht in dem Kapitel Verlorenheit 1. Fünf weitere tragen ebenso die Überschrift Verlorenheit und gliedern so den Gedichtband. Wirklich verloren sind die Men-schen, die Eric Giebel in der Tetscha-Trilogie in Verlorenheit 3 beschreibt, diesen Fluss, der durch eine kerntechnische Anlage das Wasser des Flusses verseucht, so dass die Menschen an der Flusskrankheit sterben. Hier lässt der Autor Betroffene unterschiedlichen Alters (Igor, Ruslan, Wladimir) in einer Art Klagegesang selbst zu Wort kommen: Unser täglich Strontium 90 gib uns heute.

Mehrmals begibt sich Eric Giebels lyrisches Ich auf die Suche nach der eigenen Geschichte. Diese führt ihn in Verlorenheit 2 in das polnische Dorf Rzetnia, weil sich das Familiengedächtnis ungenau an einen Verwandten namens Palmes erinnert. Die Anzahl seiner Nachkommen ist groß. Umfasst mich, wie ich eine geträumte Phrase umfasse und in meine Wirklichkeit einbaue.

Eingesperrte Vögel, Kühe, an den Markt ausgelieferte Kälber, ein Fisch, der aus der Tiefe des Weihers die Angler beobachtet, wohl wissend, dass sie ihm den Bauch aufreißen werden, auch dies zählt der Autor zu den Verlorenheiten.

Mehr als noch das Gefühl der Fremdheit kann das Dasein existentielle Herausforderungen bereithalten. Davon handeln zwei sehr beeindruckende Zyklen. In Klassifikation der Wolken, Sommer 2015 beschreibt Eric Giebel den schweren Unfall seiner Frau, die täglichen Besuche in der Klinik. Ich bleibe starr im Warte / bereich. Sie / justieren dir die Lebensmaschinerie, fein, präzise und geräuschlos, beschreibt er das allmähliche Zurückkommen: Einige Tage später unser erstes Telefonat: sehr leise. In diesem Zyklus wird Eric Giebels Kunst, schwierige Inhalte, poetisch lyrisch darzustellen, ohne ihnen die Ernsthaftigkeit zu nehmen, besonders deutlich. Poetischer Halt sucht er in Wolkengattungen. Sie gelten als universal.

In der Bauchfellnische heißt der Zyklus, der seine eigene Krankheit, seine Operation zum Thema hat. Hier hält der Autor Tag für Tag seinen Zustand fest, wir lesen von Wunddrainage, Katheter, Abführmittel, deutliche Worte, doch selbst in dieser Situation hilft die Sprache, helfen Alli-terationen: Später veratme ich stechende Schmerzen mit Vokalen. / Aaron, aller Anfang angelt Angst am achten Abend … und: Poesie kann dir den Arsch retten.
Überhaupt durchzieht der Subtext Sprache das ganze Buch. Die fasst auch das abschließende Gedicht des Bandes Moos zusammen. Moos, das sich im Wald, nicht in gepflegten Gärten, ausbreitet, seine Zungen ausstreckt, als Metapher für das Schaffen von Poesie, für eine Sprache, die nach dem richtigen Wortsinn fahndet, die Ein Schaffen neuer Räume, ein Überschreiben. / Palimpseste ist.

Man muss sich Zeit nehmen für Eric Giebels Lyrikband. Es sind keine Gedichte, die sich einem immer sofort erschließen. Zornigen Schritts verlor ich die Romantik, schreibt er und ja, seine Texte beschönigen nichts, aber sie sind wahrhaftig.


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