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Eine Antwort von Jan Kuhlbrodt: Der Markt

Diskurs/Kommentare > Diskurse > Lyrikkritik
Jan Kuhlbrodt

Eine Antwort an Stefan Hölscher
Der Markt


Was würde passieren, wenn ich über die Marktgängigkeit meiner Texte nachdenken würde und versuchen, mein Schreiben danach auszurichten?

Wahrscheinlich bekäme ich noch mehr Probleme mit meinen Texten, als ich sie ohnehin schon habe.

Und wahrscheinlich würden die Verlage, in denen ich veröffentliche, kein einziges Buch verkaufen über die wenigen Exemplare hinaus, die sie ohnehin verkaufen.

Ich würde mir also Texte anschauen, deren Marktgängigkeit sich erwiesen hat. Ich würde wahrscheinlich sehr wenig Gedichtbücher finden. Und wenn ich eines fände; was dann? Würde ich versuchen, diese marktgängigen Texte zu imitieren, um selbst marktgängige Texte herzustellen?
    Es gab natürlich eine Zeit, in der ich versuchte, wie Erich Fried zu schreiben. Da war ich ca. 16 Jahre alt, und der Grund war nicht, die Marktgängigkeit Fried‘scher Texte, sondern dass sie mir gefielen, und dass ich dachte, Schreiben ginge so. Dann landete Jandl auf meinem Tisch, und mir wurde schlagartig klar, dass das mit dem Kopieren keine einfache Sache ist. Aber wichtiger noch ist, dass ich beiden Autoren unterstelle, dass sie in keinem Moment an die Marktgängigkeit ihrer Texte gedacht haben. Sie waren aber beide auf je ihre Art in ihrem Schreiben konsequent. Sicher war auch das eine Basis ihrer Marktgängigkeit.

Aber andere Autorinnen, die ich zutiefst bewundere, wie Inger Christensen oder Anne Carson sind alles andere als marktgängig. Auch sie würde ich keinesfalls zu kopieren versuchen, weil sie einzigartig sind, ich scheitern müsste.

Der Markt aber, dem natürlich auch Bücher unterworfen sind, ist eine Maschine der Gleichmacherei. Produkte die aufgrund einer Innovation eines Einfalls einen Marktvorteil erringen, können diesen nur erhalten, wenn das Unternehmen, dass sie herstellt, eine Monopolstellung hat, sonst würden andere Unternehmen das Produkt kopieren, es ihrer Einzigartigkeit berauben. So traten neben Aspirin von Bayer irgendwann Produkte mit demselben Wirkstoff auf den Markt. Und diese Produkte waren ähnlich erfolgreich, weil sie ähnlich effektiv den Kopfschmerz bekämpfen.

Ein Gedicht aber unterscheidet sich von einem anderen, ein Kunstwerk unterscheidet sich von einem anderen radikal. Das Lächeln der Mona Lisa ist nicht zu wiederholen. Ottos Mops ist Ottos Mops. Kopien würden sofort auffallen und als solche gebrandmarkt. Sie wären künstlerisch wertlos, auch wenn man mit ihnen einen gewissen Marktwert erzielen würde.

Kunst unterliegt den Marktmechanismen, denn sie wird verkauft. Aber um Kunst zu sein, muss sie sich den Marktmechanismen entziehen. Es ist eine paradoxe Situation und nicht kalkulierbar. Was sich amortisiert, amortisiert sich unter Bedingungen, die der Künstler, die Künstlerin nicht kontrolliert.
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