E.T.A. Hoffmann: Der Kampf der Sänger
Montags=Text

Moritz von Schwind: Fresko auf der Wartburg, 1855
E.T.A. Hoffmann
Der Kampf der Sänger
Zur Zeit
wenn Frühling und Winter am Scheiden stehn, in der Nacht des Äquinoktiums, saß
einer im einsamen Gemach und hatte Johann Christoph Wagenseils Buch von der
Meistersinger holdseliger Kunst vor sich aufgeschlagen. Der Sturm räumte
draußen tosend und brausend die Felder ab, schlug die dicken Regentropfen gegen
die klirrenden Fenster und pfiff und heulte des Winters tolles Ade durch die
Rauchfänge des Hauses, während die Strahlen des Vollmondes an den Wänden
spielten und gaukelten, wie bleiche Gespenster. Das achtete aber jener nicht,
sondern schlug das Buch zu und schaute tiefsinnend, ganz befangen von dem
Zauberbilde längst vergangener Zeit, das sich ihm dargestellt, in die Flammen,
die im Kamin knisterten und sprühten. Da war es, als hinge ein unsichtbares
Wesen einen Schleier nach dem andern über sein Haupt, so daß alles um ihn her
in immer dichterem und dichterem Nebel verschwamm. Das wilde Brausen des
Sturms, das Knistern des Feuers wurde zu lindem harmonischen Säuseln und
Flüstern, und eine innere Stimme sprach, das ist der Traum, dessen Flügel so lieblich
auf und nieder rauschen, wenn er wie ein frommes Kind sich an die Brust des
Menschen legt und mit einem süßen Kuß das innere Auge weckt, daß es vermag die
anmutigsten Bilder eines höheren Lebens voll Glanz und Herrlichkeit zu
erschauen. – Ein blendendes Licht zuckte empor wie Blitzstrahl, der
Verschleierte schlug die Augen auf, aber kein Schleier, keine Nebelwolke
verhüllten mehr seinen Blick. Er lag auf blumigen Matten in der dämmernden
Nacht eines schönen dichten Waldes. Die Quellen murmelten, die Büsche rauschten
wie in heimlichem Liebesgeplauder und dazwischen klagte eine Nachtigall ihr
süßes Weh. Der Morgenwind erhob sich und bahnte, das Gewölk vor sich her
aufrollend, dem hellen lieblichen Sonnenschein den Weg, der bald auf allen
grünen Blättern flimmerte und die schlafenden Vögelein weckte, die in
fröhlichem Trillerieren von Zweig zu Zweig flatterten und hüpften. Da
erschallte von ferne her lustiges Hörnergetön, das Wild rüttelte sich raschelnd
auf aus dem Schlafe, Rehe, Hirsche guckten aus dem Gebüsch den, der auf
den Matten lag, neugierig an mit klugen Augen und sprangen scheu zurück in das
Dickicht. Die Hörner schwiegen, aber nun erhoben sich Harfenklänge und Stimmen
so herrlich zusammentönend wie Musik des Himmels. Immer näher und näher kam der
liebliche Gesang, Jäger die Jagdspieße in den Händen, die blanken Jagdhörner um
die Schulter gehängt, ritten hervor aus der Tiefe des Waldes. Ihnen folgte auf
einem schönen goldgelben Roß ein stattlicher Herr im Fürstenmantel nach alter
deutscher Art gekleidet, ihm zur Seite ritt auf einem Zelter eine Dame von
blendender Schönheit und köstlich geschmückt. Aber nun kamen auf sechs schönen
Rossen von verschiedner Farbe sechs Männer, deren Trachten, deren
bedeutungsvolle Gesichter auf eine längst verflossene Zeit hinwiesen. Die
hatten den Pferden die Zügel über den Hals gelegt und spielten auf Lauten und
Harfen und sangen mit wunderbar helltönenden Stimmen, während ihre Rosse
gebändigt, gelenkt durch den Zauber der süßen Musik, den Waldweg entlang auf
anmutige Weise in kurzen Sprüngen nachtanzten dem fürstlichen Paar. Und wenn
mitunter der Gesang einige Sekunden innehielt, stießen die Jäger in die Hörner,
und der Rosse Gewieher ertönte wie ein fröhliches Jauchzen in übermütiger Lust.
Reichgekleidete Pagen und Diener beschlossen den festlichen Zug, der im tiefen
Dickicht des Waldes verschwand.
Der über den
seltsamen, wundervollen Anblick in tiefes Staunen Versunkene raffte sich auf
von den Matten und rief begeistert: »O Herr des Himmels: ist denn die alte
prächtige Zeit erstanden aus ihrem Grabe? – wer waren denn die herrlichen
Menschen!« Da sprach ein tiefe Stimme hinter ihm: »Ei, lieber Herr, solltet Ihr
nicht die erkennen, die Ihr fest in Sinn und Gedanken traget?« Er schaute um
sich und gewahrte einen ernsten stattlichen Mann mit einer großen schwarzen
Lockenperücke auf dem Haupt und ganz schwarz nach der Art gekleidet, wie man
sich ums Jahr eintausendsechshundertundachtzig tragen mochte. Er erkannte
alsbald den alten gelehrten Professor Johann Christoph Wagenseil, der also
weitersprach: »Ihr hättet ja wohl gleich wissen können, daß der stattliche Herr
im Fürstenmantel niemand anders war, als der wackere Landgraf Hermann von
Thüringen. Neben ihm ritt der Stern des Hofes, die edle Gräfin Mathilde,
blutjunge Witwe des in hohen Jahren verstorbenen Grafen Cuno von Falkenstein.
Die sechs Männer, welche nachritten singend und die Lauten und Harfen rührend,
sind die sechs hohen Meister des Gesanges, welche der edle Landgraf, der
holdseligen Singerkunst mit Leib und Seele zugetan, an seinem Hofe versammelt
hat. Jetzt geht das lustige Jagen auf, aber dann versammeln sich die Meister
auf einem schönen Wiesenplan in der Mitte des Waldes und beginnen ein
Wettsingen. Da wollen wir jetzt hinschreiten, damit wir schon dort sind, wenn
die Jagd beendigt ist.« – Sie schritten fort, während der Wald, die fernen
Klüfte von den Hörnern, dem Hundegebell, dem Hussah der Jäger widerhallten. Es
geschah so wie der Professor Wagenseil es gewollt; kaum waren sie auf dem in
goldnem Grün leuchtenden Wiesenplan angekommen, als der Landgraf, die Gräfin,
die sechs Meister aus der Ferne sich langsam nahten: »Ich will«, begann
Wagenseil, »ich will Euch nun, lieber Herr! jeden der Meister besonders zeigen
und mit Namen nennen. Seht Ihr wohl jenen Mann, der so fröhlich um sich schaut,
der sein hellbraunes Pferd, den Zügel angezogen, so lustig hertänzeln läßt? –
seht wie der Landgraf ihm zunickt – er schlägt eine helle Lache auf. Das ist
der muntre Walther von der Vogelweid. Der mit den breiten Schultern, mit dem
starken krausen Bart, mit den ritterlichen Waffen, auf dem Tiger im gewichtigen
Schritt daherreitend, das ist Reinhard von Zwekhstein. – Ei ei – der dort auf
seinem kleinen Schecken, der reitet ja statt hieher waldeinwärts! Er blickt
tiefsinnig vor sich her, er lächelt, als stiegen schöne Gebilde vor ihm auf aus
der Erde. Das ist der stattliche Professor Heinrich Schreiber. Der ist wohl
ganz abwesenden Geistes und gedenkt nicht des Wiesenplans, nicht des
Wettsingens, denn seht nur, lieber Herr, wie er in den engen Waldweg
hineinschiebt, daß ihm die Zweige um den Kopf schlagen. -- Da sprengt Johannes
Bitterolff an ihn heran. Ihr seht doch den stattlichen Herrn auf dem Falben mit
dem kurzen rötlichen Bart? Er ruft den Professor an. Der erwacht aus dem
Traume. Sie kehren beide zurück. – Was ist das für ein tolles Gebraus dorten in
dem dichten Gebüsch? – Ei fahren denn Windsbräute so niedrig durch den Wald?
Hei! – Das ist ja ein wilder Reiter, der sein Pferd so spornt, daß es schäumend
in die Lüfte steigt. Seht nur den schönen bleichen Jüngling, wie seine Augen
flammen, wie alle Muskeln des Gesichts zucken vor Schmerz, als quäle ihn ein
unsichtbares Wesen, das hinter ihm aufgestiegen. – Es ist Heinrich von
Ofterdingen. Was mag denn über den gekommen sein? Erst ritt er ja so ruhig
daher, mit gar herrlichen Tönen einstimmend in den Gesang der anderen Meister!
– O seht doch, seht den prächtigen Reiter auf dem schneeweißen arabischen
Pferde. Seht wie er sich hinabschwingt, wie er, die Zügel um den Arm geschlungen,
mit gar ritterlicher Courtoisie der Gräfin Mathilde die Hand reicht und sie
hinabschweben läßt von dem Zelter. Wie anmutig steht er da, die holde Frau
anstrahlend mit seinen hellen blauen Augen. Es ist Wolfframb von Eschinbach! –
Aber nun nehmen sie alle Platz, nun beginnt wohl das Wettsingen!« –
Jeder
Meister, einer nach dem andern, sang nun ein herrliches Lied. Leicht war es zu
erkennen, daß jeder sich mühte, den zu übertreffen, der vor ihm gesungen.
Schien das aber nun auch keinem recht gelingen zu wollen, konnte man gar nicht
entscheiden, wer von den Meistern am herrlichsten gesungen: so neigte die Dame
Mathilde sich doch zu Wolfframb von Eschinbach hin mit dem Kranz, den sie für
den Sieger in den Händen trug. Da sprang Heinrich von Ofterdingen auf von
seinem Sitze; wildes Feuer sprühte aus seinen dunklen Augen; so wie er rasch
vorschritt bis in die Mitte des Wiesenplans, riß ihm ein Windstoß das Barett
vom Kopfe, das freie Haar spießte sich empor auf der totenbleichen Stirn.
»Haltet ein«, schrie er auf, »haltet ein! Noch ist der Preis nicht gewonnen; mein
Lied, mein Lied muß erst gesungen sein und dann mag der Landgraf
entscheiden, wem der Kranz gebührt.« Darauf kam, man wußte nicht auf welche
Weise, eine Laute von wunderlichem Bau, beinahe anzusehen wie ein erstarrtes
unheimliches Tier, in seine Hand. Die fing er an zu rühren so gewaltig,
daß der ferne Wald davon erdröhnte. Dann sang er drein mit starker Stimme. Das
Lied lobte und pries den fremden König, der mächtiger sei als alle andere
Fürsten und dem alle Meister demütiglich huldigen müßten, wollten sie nicht in
Schande und Schmach geraten. Einige seltsam gellende Laute klangen recht
verhöhnend dazwischen. Zornig blickte der Landgraf den wilden Sänger an. Da
erhoben sich die anderen Meister und sangen zusammen. Ofterdingens Lied wollte
darüber verklingen, stärker und stärker griff er aber in die Saiten, bis sie
wie mit einem laut aufheulenden Angstgeschrei zersprangen. Statt der Laute, die
Ofterdingen im Arm getragen, stand nun plötzlich eine finstre entsetzliche
Gestalt vor ihm und hielt ihn, der zu Boden sinken wollte, umfaßt und hob ihn
hoch empor in die Lüfte. Der Gesang der Meister versauste im Widerhall,
schwarze Nebel legten sich über Wald und Wiesenplan, und hüllten alles ein in
finstre Nacht. Da stieg ein in milchweißem Licht herrlich funkelnder Stern
empor aus der Tiefe und wandelte daher auf der Himmelsbahn, und ihm nach zogen
die Meister auf glänzenden Wolken singend und ihr Saitenspiel rührend. Ein
flimmerndes Leuchten zitterte durch die Flur, die Stimmen des Waldes erwachten
aus dumpfer Betäubung und erhoben sich und tönten lieblich hinein in die
Gesänge der Meister. –
Du gewahrst
es, vielgeliebter Leser! daß der, welchem dieses alles träumte, eben derjenige
ist, der im Begriff steht, dich unter die Meister zu führen, mit denen er durch
den Professor Johann Christoph Wagenseil bekannt wurde. –
Es begibt
sich wohl, daß, sehen wir fremde Gestalten in der dämmernden Ferne
daher-schreiten, uns das Herz bebt vor Neugier, wer die wohl sein, was sie wohl
treiben mögen. Und immer näher und näher kommen sie. Wir erkennen Farbe der
Kleidung, Gesicht, wir hören ihr Gespräch, wiewohl die Worte verhallen in den
weiten Lüften. Aber nun tauchen sie unter in die blauen Nebel eines tiefen
Tals. Dann können wir es kaum erwarten, daß sie nur wieder aufsteigen, daß sie
bei uns sich einfinden, damit wir sie erfassen, mit ihnen reden können. Denn
gar zu gern möchten wir doch wissen, wie die ganz in der Nähe geformt
und gestaltet sind, welche in der Ferne sich so verwunderlich ausnahmen. –
Möchte der
erzählte Traum in dir, geliebter Leser, ähnliche Empfindungen erregen. Möchtest
du es dem Erzähler freundlich vergönnen, daß er dich nun gleich an den Hof des
Landgrafen Hermann von Thüringen nach der schönen Wartburg bringe.
Die Meistersänger auf der Wartburg
Es mochte
wohl ums Jahr eintausendzweihundertundacht sein, als der edle Landgraf von
Thüringen, eifriger Freund, rüstiger Beschützer der holdseligen Sängerkunst,
sechs hohe Meister des Gesanges an seinem Hofe versammelt hatte. Es befanden
sich allda Wolfframb von Eschinbach, Walther von der Vogelweid, Reinhard von
Zwekhstein, Heinrich Schreiber, Johannes Bitterolff, alle ritterlichen Ordens,
und Heinrich von Ofterdingen, Bürger zu Eisenach. Wie Priester einer
Kirche lebten die Meister in frommer Liebe und Eintracht beisammen, und all ihr
Streben ging nur dahin, den Gesang, die schönste Gabe des Himmels, womit der
Herr den Menschen gesegnet, recht in hohen Ehren zu halten. Jeder hatte nun
freilich seine eigne Weise, aber wie jeder Ton eines Akkords anders klingt und
doch alle Töne im lieblichsten Wohllaut zusammenklingen, so geschah es auch,
daß die verschiedensten Weisen der Meister harmonisch miteinander tönten und
Strahlen schienen eines Liebessterns. Daher kam es, daß keiner seine eigne
Weise für die beste hielt, vielmehr jede andre hoch ehrte, und wohl meinte, daß
seine Weise ja gar nicht so lieblich klingen könne ohne die andern, wie denn
der Ton dann erst sich recht freudig erhebt und aufschwingt, wenn der ihm
verwandte erwacht und ihn liebend begrüßt.
Waren
Walthers von der Vogelweid, des Landherrn, Lieder gar vornehm und zierlich, und
dabei voll kecker Lust, so sang Reinhard von Zwekhstein dagegen derb und
ritterlich mit gewichtigen Worten. Bewies sich Heinrich Schreiber gelehrt und
tiefsinnig, so war Johannes Bitterolff voller Glanz und reich an kunstvollen
Gleichnissen und Wendungen. Heinrich von Ofterdingens Lieder gingen durch die
innerste Seele, er wußte, selbst ganz aufgelöst in schmerzlichem Sehnen, in
jedes Brust die tiefste Wehmut zu entzünden. Aber oft schnitten grelle häßliche
Töne dazwischen, die mochten wohl aus dem wunden zerrissenen Gemüt kommen, in
dem sich böser Hohn angesiedelt, bohrend und zehrend wie ein giftiges Insekt.
Niemand wußte, wie Heinrich von solchem Unwesen befallen. Wolfframb von
Eschinbach war in der Schweiz geboren. Seine Lieder voller süßer Anmut und
Klarheit glichen dem reinen blauen Himmel seiner Heimat, seine Weisen klangen
wie liebliches Glocken- und Schalmeiengetön. Aber dazwischen brausten auch
wilde Wasserfälle, dröhnten Donner durch die Bergklüfte. Wunderbar wallte, wenn
er sang, jeder mit ihm wie auf den glänzenden Wogen eines schönen Stroms, bald
sanft dahergleitend, bald kämpfend mit den sturmbewegten Wellen, bald die
Gefahr überwunden, fröhlich hinsteuernd nach dem sichern Port. Seiner Jugend
unerachtet mochte Wolfframb von Eschinbach wohl für den erfahrensten von allen
andern Meistern gelten, die am Hofe versammelt. Von Kindesbeinen an war er der
Sängerkunst ganz und gar ergeben, und zog, sowie er zum Jüngling gereift, ihr
nach durch viele Lande, bis er den großen Meister traf, Friedebrand geheißen.
Dieser unterwies ihn getreulich in der Kunst und teilte ihm viele
Meistergedichte in Schriften mit, die Licht in sein inneres Gemüt
hineinströmten, daß er das, was ihm sonst verworren und gestaltlos geschienen,
nun deutlich zu erkennen vermochte. Vorzüglich aber zu Siegebrunnen in
Schottland brachte ihm Meister Friedebrand etliche Bücher, aus denen er die
Geschichten nahm, die er in deutsche Lieder faßte, sonderlich von Gamurret und
dessen Sohn Parcivall, von Markgraf Wilhelm von Narben und dem starken
Rennewart, welches Gedicht hernach ein anderer Meistersänger, Ulrich von
Türkheimb, auf vornehmer Leute Bitten, die Eschinbachs Lieder wohl nicht recht
verstehen mochten, in gemeine deutsche Reime brachte und zum dicken Buche
ausdehnte. So mußt es wohl kommen, daß Wolfframb wegen seiner herrlichen Kunst
weit und breit berühmt wurde und vieler Fürsten und großer Herren Gunst
erhielt. Er besuchte viele Höfe und bekam allenthalben stattliche Verehrungen
seiner Meisterschaft, bis ihn endlich der hocherleuchtete Landgraf Hermann von
Thüringen, der sein großes Lob an allen Enden verkünden hörte, an seinen Hof
berief. Nicht allein Wolfframbs große Kunst, sondern auch seine Milde und Demut
gewannen ihm in kurzer Zeit des Landgrafs volle Gunst und Liebe, und wohl mocht
es sein, daß Heinrich von Ofterdingen, der sonst in dem hellsten Sonnenlicht
der fürstlichen Gnade gestanden, ein wenig in den Schatten zurücktreten mußte.
Demunerachtet hing keiner von den Meistern dem Wolfframb so mit rechter inniger
Liebe an, als eben Heinrich von Ofterdingen. Wolfframb erwiderte dies aus dem
tiefsten Grunde seines Gemüts, und so standen beide da, recht in Liebe
verschlungen, während die andern Meister sie umgaben wie ein schöner lichter
Kranz.
Heinrich von Ofterdingens Geheimnis
Ofterdingens
unruhiges zerrissenes Wesen nahm mit jedem Tage mehr überhand. Düstrer und
unsteter wurde sein Blick, blässer und blässer sein Antlitz. Statt daß die
andern Meister, hatten sie die erhabensten Materien der Heiligen Schrift
besungen, ihre freudigen Stimmen erhoben zum Lobe der Damen und ihres wackern
Herrn, klagten Ofterdingens Lieder nur die unermeßliche Qual des irdischen
Seins und glichen oft dem jammernden Wehlaut des auf den Tod Wunden, der
vergebens hofft auf Erlösung im Tode. Alle glaubten, er sei in trostloser
Liebe; aber eitel blieb alles Mühen, ihm das Geheimnis zu entlocken. Der
Landgraf selbst, dem Jünglinge mit Herz und Seele zugetan, unternahm es, ihn in
einer einsamen Stunde um die Ursache seines tiefen Leids zu befragen. Er gab
ihm sein fürstliches Wort, daß er alle seine Macht aufbieten wolle, irgendein
bedrohliches Übel zu entfernen oder durch die Beförderung irgendeines jetzt ihm
hoffnungslos scheinenden Wunsches sein schmerzliches Leiden zu wandeln in
fröhliches Hoffen, allein so wenig wie die andern vermochte er den Jüngling,
ihm das Innerste seiner Brust aufzutun. »Ach mein hoher Herr«, rief Ofterdingen,
indem ihm die heißen Tränen aus den Augen stürzten, »ach mein hoher Herr, weiß
ich's denn selbst, welches höllische Ungeheuer mich mit glühenden Krallen
gepackt hat und mich emporhält zwischen Himmel und Erde, so daß ich dieser
nicht mehr angehöre und vergebens dürste nach den Freuden über mir? Die
heidnischen Dichter erzählen von den Schatten Verstorbener, die nicht dem
Elysium angehören, nicht dem Orkus. An den Ufern des Acheron schwanken sie
umher und die finstern Lüfte, in denen nie ein Hoffnungsstern leuchtet, tönen
wider von ihren Angstseufzern, von den entsetzlichen Wehlauten ihrer namenlosen
Qual. Ihr Jammern, ihr Flehen ist umsonst, unerbittlich stößt sie der alte
Fährmann zurück, wenn sie hinein wollen in den verhängnisvollen Kahn. Der Zustand
dieser fürchterlichen Verdammnis ist der meinige.«
Bald nachher
als Heinrich von Ofterdingen auf diese Weise mit dem Landgrafen gesprochen,
verließ er, von wirklicher Krankheit befallen, die Wartburg, und begab sich
nach Eisenach. Die Meister klagten, daß solch schöne Blume aus ihrem Kranze so
vor der Zeit wie angehaucht von giftigen Dünsten dahinwelken müsse. Wolfframb
von Eschinbach gab indessen keinesweges alle Hoffnung auf, sondern meinte
sogar, daß eben jetzt, da Ofterdingens Gemütskrankheit sich gewendet in
körperliches Leiden, Genesung nahe sein könne. Begäbe es sich denn nicht oft,
daß die ahnende Seele im Vorgefühl körperlichen Schmerzes erkranke, und so sei
es denn auch wohl mit Ofterdingen geschehen, den er nun getreulich trösten und
pflegen wolle.
Wolfframb
ging auch alsbald nach Eisenach. Als er eintrat zu Ofterdingen, lag dieser
ausgestreckt auf dem Ruhebette, zum Tode matt, mit halbgeschlossenen Augen. Die
Laute hing an der Wand ganz verstaubt, mit zum Teil zerrissenen Saiten. Sowie
er den Freund gewahrte, richtete er sich ein wenig empor und streckte
schmerzlich lächelnd ihm die Hand entgegen. Als nun Wolfframb sich zu ihm
gesetzt, die herzigen Grüße von dem Landgraf und den Meistern gebracht und
sonst noch viel freundliche Worte gesprochen, fing Heinrich mit matter kranker
Stimme also an: »Es ist mir viel Absonderliches begegnet. Wohl mag ich mich bei
euch wie ein Wahnsinniger gebärdet haben, wohl mochtet ihr alle glauben, daß
irgendein in meiner Brust verschlossenes Geheimnis mich so verderblich hin und
her zerre. Ach! mir selbst war ja mein trostloser Zustand ein Geheimnis. Ein
wütender Schmerz zerriß meine Brust, aber unerforschlich blieb mir seine
Ursache. All mein Treiben schien mir elend und nichtswürdig, die Lieder, die
ich sonst gar hoch gehalten, klangen mir falsch, schwach – des schlechtesten
Schülers unwert. Und doch brannte ich, von eitlem Wahn betört, dich – alle
übrigen Meister zu übertreffen. Ein unbekanntes Glück, des Himmels höchste
Wonne stand hoch über mir, wie ein golden funkelnder Stern – zu dem mußt ich
mich hinaufschwingen, oder trostlos untergehen. Ich schaute hinauf, ich
streckte die Arme sehnsuchtsvoll empor, und dann wehte es mich schaurig an mit
eiskalten Flügeln und sprach: ›Was will all dein Sehnen, all dein Hoffen? Ist
dein Auge nicht verblindet, deine Kraft nicht gebrochen, daß du nicht vermagst
den Strahl deiner Hoffnung zu ertragen, dein Himmelsglück zu erfassen?‹ – Nun –
nun ist mein Geheimnis mir selbst erschlossen. Es gibt mir den Tod, aber im
Tode die Seligkeit des höchsten Himmels. – Krank und siech lag ich hier im
Bette. Es mochte zur Nachtzeit sein, da ließ der Wahnsinn des Fiebers, der mich
tosend und brausend hin und her geworfen, von mir ab. Ich fühlte mich ruhig,
eine sanfte wohltuende Wärme glitt durch mein Inneres. Es war mir, als schwämme
ich im weiten Himmelsraum daher auf dunklen Wolken. Da fuhr ein funkelnder
Blitz durch die Finsternis und ich schrie laut auf : ›Mathilde!‹ – Ich war
erwacht, der Traum verrauscht. Das Herz bebte mir vor seltsamer süßer Angst,
vor unbeschreiblicher Wonne. Ich wußte, daß ich laut gerufen: ›Mathilde!‹ Ich
erschrak darüber, denn ich glaubte, daß Flur und Wald, daß alle Berge, alle
Klüfte den süßen Namen widertönen, daß tausend Stimmen es ihr selbst sagen
würden, wie unaussprechlich bis zum Tode ich sie liebe; daß sie – sie der
funkelnde Stern sei, der in mein Innerstes strahlend allen zehrenden Schmerz
trostloser Sehnsucht geweckt, ja daß nun die Liebesflammen hoch empor gelodert,
und daß meine Seele dürste – schmachte nach ihrer Schönheit und Holdseligkeit!
– Du hast nun, Wolfframb, mein Geheimnis und magst es tief in deiner Brust
begraben. Du gewahrst, daß ich ruhig bin und heiter, und traust mir wohl, wenn
ich dich versichere, daß ich lieber untergehen als in törichtem Treiben mich
euch allen verächtlich machen werde. Dir – dir, der Mathilden liebt, dem
sie mit gleicher Liebe hingeneigt, mußt ich ja eben alles sagen, alles
vertrauen. Sowie ich genesen, ziehe ich, die Todeswunde in der blutenden Brust,
fort in fremde Lande. Hörst du dann, daß ich geendet, so magst du Mathilden es
sagen, daß ich –«
Der Jüngling
vermochte nicht weiterzusprechen, er sank wieder in die Kissen und kehrte das
Gesicht hin nach der Wand. Sein starkes Schluchzen verriet den Kampf in seinem
Innern. Wolfframb von Eschinbach war nicht wenig bestürzt über das, was ihm
Heinrich eben entdeckt hatte. Den Blick zur Erde gesenkt saß er da und sann und
sann, wie nun der Freund zu retten von dem Wahnsinn törichter Leidenschaft, die
ihn ins Verderben stürzen mußte.
Er versuchte
allerlei tröstende Worte zu sprechen, ja sogar den kranken Jüngling zu
ver-mögen, daß er nach der Wartburg zurückkehre und, Hoffnung in der Brust, keck
hineintrete in den hellen Sonnenglanz, den die edle Dame Mathilde um sich
verbreite. Er meinte sogar, daß er selbst sich Mathildens Gunst auf keine
andere Weise erfreue als durch seine Lieder, und daß ja ebensogut Ofterdingen
sich in schönen Liedern aufschwingen und so um Mathildens Gunst werben könne.
Der arme Heinrich schaute ihn aber an mit trübem Blick und sprach: – »Niemals
werdet ihr mich wohl auf der Wartburg wiedersehen. Soll ich mich denn in die
Flammen stürzen? – Sterb ich denn nicht fern von ihr den schöneren süßeren Tod
der Sehnsucht?« – Wolfframb schied und Ofterdingen blieb in Eisenach.
Was sich weiter mit Heinrich von Ofterdingen begeben
Es geschieht wohl, daß der Liebesschmerz in unserer Brust, die er zu
zerreißen drohte, heimisch wird, so daß wir ihn gar hegen und pflegen. Und die
schneidenden Jammerlaute, sonst uns von unnennbarer Qual erpreßt, werden zu
melodischen Klagen süßen Wehs, die tönen wie ein fernes Echo zurück in unser
Inneres und legen sich lindernd und heilend an die blutende Wunde. So geschah
es auch mit Heinrich von Ofterdingen. Er blieb in heißer sehnsüchtiger Liebe,
aber er schaute nicht mehr in den schwarzen hoffnungslosen Abgrund, sondern er
hob den Blick empor zu den schimmernden Frühlingswolken. Dann war es ihm, als
blicke ihn die Geliebte aus ferner Höhe an mit ihren holdseligen Augen und
entzünde in seiner Brust die herrlichsten Lieder, die er jemals gesungen. Er
nahm die Laute herab von der Wand, bespannte sie mit neuen Saiten und trat
hinaus in den schönen Frühling, der eben aufgegangen. Da zog es ihn denn nun
freilich mit Gewalt hin nach der Gegend der Wartburg. Und wenn er dann in der
Ferne die funkelnden Zinnen des Schlosses erblickte und daran dachte, daß er
Mathilden niemals wiedersehen, daß sein Lieben nur ein trostloses Sehnen
bleiben solle, daß Wolfframb von Eschinbach die Herrliche gewonnen durch die
Macht des Gesanges, da gingen all die schönen Hoffnungsgebilde unter in düstere
Nacht und alle Todesqualen der Eifersucht und Verzweiflung durchschnitten sein
Inneres. Dann floh er wie von bösen Geistern getrieben zurück in sein einsames
Zimmer, da vermochte er Lieder zu singen, die ihm süße Träume und in ihnen die
Geliebte selbst zuführten.
Lange Zeit hindurch war es ihm gelungen, die Nähe der Wartburg zu vermeiden.
Eines Tages geriet er aber doch, selbst wußte er nicht wie, in den Wald, der
vor der Wartburg lag und aus dem heraustretend man das Schloß dicht vor Augen
hatte. Er war zu dem Platz im Walde gekommen, wo zwischen dichtem Gesträuch und
allerlei häßlichem stachlichten Gestrüpp sich seltsam geformtes mit bunten
Moosen bewachsenes Gestein erhob. Mühsam kletterte er bis zur Mitte herauf, so
daß er durch die Schlucht die Spitzen der Wartburg in der Ferne hervorragen
sah. Da setzte er sich hin und verlor sich, alle Qual böser Gedanken
bekämpfend, in süßen Hoffnungsträumen.
Längst war die Sonne untergegangen; aus den düstern Nebeln, die sich über
die Berge gelagert, stieg in glühendem Rot die Mondesscheibe empor. Durch die
hohen Bäume sauste der Nachtwind und von seinem eisigen Atem angehaucht
rüttelte und schüttelte sich das Gebüsch wie in Fieberschauern. Die Nachtvögel
schwangen sich kreischend auf aus dem Gestein und begannen ihren irren Flug.
Stärker rauschten die Waldbäche, rieselten die fernen Quellen. Aber wie nun der
Mond lichter durch den Wald funkelte, wogten die Töne eines fernen Gesanges
daher. Heinrich fuhr empor. Er gedachte, wie nun die Meister auf der Wartburg
ihre frommen Nachtlieder angestimmt. Er sah, wie Mathilde im Davonscheiden noch
den geliebten Wolfframb anblickte. Alle Liebe und Seligkeit lag in diesem
Blick, der den Zauber der süßesten Träume wecken mußte in der Seele des
Geliebten. – Heinrich, dem das Herz zerspringen wollte vor Sehnsucht und
Verlangen, ergriff die Laute und begann ein Lied, wie er vielleicht noch
niemals eins gesungen. Der Nachtwind ruhte, Baum und Gebüsch schwiegen, durch
die tiefe Stille des düstern Waldes leuchteten Heinrichs Töne wie mit den
Mondesstrahlen verschlungen. Als nun sein Lied in bangen Liebesseufzern dahinsterben
wollte, schlug dicht hinter ihm plötzlich ein gellendes schneidendes Gelächter
auf. Entsetzt drehte er sich rasch um und erblickte eine große finstere
Gestalt, die, ehe er sich noch besinnen konnte, mit recht häßlichem höhnenden
Ton also begann: »Ei, habe ich doch hier schon eine ganze Weile herumgesucht,
um den zu finden, der noch in tiefer Nacht solche herrliche Lieder
singt. Also seid Ihr es, Heinrich von Ofterdingen? – Nun wohl hätte ich das
wissen können, denn Ihr seid doch nun einmal der allerschlechteste von all den
sogenannten Meistern dort auf der Wartburg, und das tolle Lied ohne Gedanken,
ohne Klang, konnte wohl nur aus Euerm Munde kommen.« Halb noch in Entsetzen,
halb in aufglühendem Zorn rief Heinrich: »Wer seid Ihr denn, daß Ihr mich kennt
und glaubt, mich hier mit schnöden Worten necken zu können?« Dabei legte
Ofterdingen die Hand an sein Schwert. Aber der Schwarze schlug nochmals ein
gellendes Gelächter auf, und dabei fiel ein Strahl in sein leichenblasses
Antlitz, daß Ofterdingen die wildfunkelnden Augen, die eingefallnen Wangen, den
spitzigen rötlichen Bart, den zum grinsenden Lachen verzogenen Mund, die
schwarze reiche Kleidung, das schwarzbefiederte Barett des Fremden recht
deutlich gewahren konnte. »Ei«, sprach der Fremde: »ei, lieber junger Gesell,
Ihr werdet doch keine Mordwaffen gegen mich gebrauchen wollen, weil ich Eure
Lieder tadle? – Freilich möget ihr Sänger das nicht wohl leiden und verlanget
wohl gar, daß man alles hoch preisen soll, was von euch berühmten Leuten kommt,
sei es nun auch von Grund aus schlecht. Aber eben daran, daß ich das nicht
achte, sondern Euch geradezu heraus sage, daß Ihr statt ein Meister, höchstens
ein mittelmäßiger Schüler der edlen Kunst des Gesanges zu nennen seid, ja eben
daran solltet Ihr erkennen, daß ich Euer wahrer Freund bin und es gut mit Euch
meine.« »Wie könnt Ihr«, sprach Ofterdingen, von unheimlichen Schauern erfaßt,
»wie könnt Ihr mein Freund sein und es gut mit mir meinen, da ich mich gar
nicht erinnere, Euch jemals gesehen zu haben?« – Ohne auf diese Frage zu
antworten, fuhr der Fremde fort: »Es ist hier ein wunderlich schöner Platz, die
Nacht gar behaglich, ich werde mich im traulichen Mondesschimmer zu Euch
setzen, und wir können, da Ihr doch jetzt nicht nach Eisenach zurückkehren
werdet, noch ein wenig miteinander plaudern. Horcht auf meine Worte, sie können
Euch lehrreich sein.« Damit ließ sich der Fremde auf den großen bemoosten Stein
dicht neben Ofterdingen nieder. Dieser kämpfte mit den seltsamsten Gefühlen.
Furchtlos wie er sonst wohl sein mochte, konnte er sich doch in der öden
Einsamkeit der Nacht an diesem schaurigen Orte des tiefen Grauens nicht
erwehren, das des Mannes Stimme und sein ganzes Wesen erweckte. Es war ihm, als
müsse er ihn den jähen Abhang hinab in den Waldstrom stürzen, der unten
brauste. Dann fühlte er sich aber wieder gelähmt an allen Gliedern. – Der
Fremde rückte indessen dicht an Ofterdingen heran und sprach leise, beinahe ihm
ins Ohr flüsternd: »Ich komme von der Wartburg – ich habe dort oben die gar
schlechte schülermäßige Singerei der sogenannten Meister gehört; aber die Dame
Mathilde ist von solch holdem und anmutigen Wesen wie vielleicht keine mehr auf
Erden.« »Mathilde!« rief Ofterdingen mit dem Ton des schneidendsten
Wehs.»Hoho!« – lachte der Fremde, »hoho junger Gesell, liegt es Euch daran?
Doch laßt uns jetzt von ernsthaften, oder vielmehr von hohen Dingen reden: ich
meine von der edlen Kunst des Gesanges. Mag es sein, daß ihr alle dort oben es
recht gut meint mit euern Liedern, daß euch das alles so recht schlicht und
natürlich herauskommt, aber von der eigentlichen tiefern Kunst des Sängers habt
ihr wohl gar keinen Begriff. Ich will Euch nur einiges davon andeuten, dann
werdet Ihr wohl selbst einsehen, wie Ihr auf dem Wege, den Ihr wandelt, niemals
zu dem Ziel gelangen könnet, das Ihr Euch vorgesteckt habt.« Der Schwarze
begann nun in ganz absonderlichen Reden, die beinahe anzuhören wie fremde
seltsame Lieder, die wahre Kunst des Gesanges zu preisen. Indem der Fremde
sprach, ging Bild auf Bild in Heinrichs Seele auf und verschwand wie vom Sturm
verhaucht; es war als erschlösse sich ihm eine ganz neue Welt voll üppiger
Gestalten. Jedes Wort des Fremden entzündete Blitze, die schnell aufloderten
und ebenso schnell wieder erloschen. Nun stand der Vollmond hoch über dem
Walde. Beide, der Fremde und Heinrich, saßen in vollstem Licht und dieser
bemerkte nun wohl, daß des Fremden Antlitz gar nicht so abscheulich war, als es
ihm erst vorgekommen. Funkelte auch aus seinen Augen ein ungewöhnliches Feuer,
so spielte doch (wie Heinrich bemerken wollte) um den Mund ein liebliches
Lächeln und die große Habichtsnase, die hohe Stirne dienten nur dazu, dem
ganzen Gesicht den vollsten Ausdruck tüchtiger Kraft zu geben. »Ich weiß
nicht«, sprach Ofterdingen, als der Fremde innehielt, »ich weiß nicht, welch
ein wunderliches Gefühl Eure Reden in mir erwecken. Es ist mir, als erwache
erst jetzt in mir die Ahnung des Gesanges, als wäre das alles, was ich bisher
dafür gehalten, ganz schlecht und gemein, und nun erst werde mir die wahre
Kunst aufgehen. Ihr seid gewiß selbst ein hoher Meister des Gesanges und werdet
mich wohl als Euern fleißigen, wißbegierigen Schüler annehmen, warum ich Euch
gar herzlich bitte.« Der Fremde schlug wieder seine häßliche Lache auf, erhob
sich vom Sitze und stand so riesengroß mit wildverzerrtem Antlitz, vor Heinrich
von Ofterdingen, daß diesem jenes Grauen wieder ankam, das er empfunden, als
der Fremde auf ihn zutrat. Dieser sprach mit starker Stimme, die weit durch die
Klüfte hallte: »Ihr meint, ich sei ein hoher Meister des Gesanges? – Nun
zuzeiten mag ich's wohl sein, aber mit Lehrstunden kann ich mich ganz und gar
nicht abgeben. Mit gutem Rat diene ich gern solchen wißbegierigen Leuten, wie
Ihr einer zu sein scheint. Habt Ihr wohl von dem in aller Wissenschaft tief
erfahrnen Meister des Gesanges, Klingsohr geheißen, reden hören? Die Leute
sagen, er sei ein großer Negromant und habe sogar Umgang mit jemanden, der
nicht überall gern gesehen. Laßt Euch das aber nicht irren, denn was die Leute
nicht verstehen und handhaben können, das soll gleich was Übermenschliches
sein, was dem Himmel angehört oder der Hölle. Nun! – Meister Klingsohr wird
Euch den Weg zeigen, der Euch zum Ziele führt. Er hauset in Siebenbürgen, zieht
hin zu ihm. Da werdet Ihr erfahren, wie die Wissenschaft und Kunst dem hohen
Meister alles, was es Ergötzliches gibt auf Erden, gespendet hat in hohem Maße:
Ehre – Reichtum – Gunst der Frauen. – Ja, junger Gesell! Wäre Klingsohr hier,
was gält es, er brächte selbst den zärtlichen Wolfframb von Eschinbach, den
seufzenden Schweizerhirten, um die schöne Gräfin Mathilde?« »Warum nennt Ihr
den Namen?« – fuhr Heinrich von Ofterdingen zornig auf, »verlaßt mich, Eure
Gegenwart erregt mir Schauer!« – »Hoho«, lachte der Fremde, »werdet nur nicht
böse, kleiner Freund! – An den Schauern, die Euch schütteln, ist die kühle
Nacht schuld und Euer dünnes Wams, aber nicht ich. War es Euch denn nicht wohl
zumute, als ich erwärmend an Eurer Seite saß? – Was Schauer, was Erstarren! mit
Glut und Blut kann ich Euch dienen: – Gräfin Mathilde! – ja ich meinte nur, daß
die Gunst der Frauen erlangt wird durch den Gesang, wie ihn Meister Klingsohr
zu üben vermag. Ich habe zuvor Eure Lieder verachtet, um Euch selbst auf Eure
Stümperei aufmerksam zu machen. Aber daran, daß Ihr gleich das Wahre ahntet,
als ich von der eigentlichen Kunst zu Euch sprach, habt Ihr mir Eure guten
Anlagen hinlänglich bewiesen. Vielleicht seid Ihr bestimmt, in Meister
Klingsohrs Fußtapfen zu treten und dann würdet Ihr Euch wohl mit gutem Glück um
Mathildens Gunst bewerben können. Macht Euch auf! – zieht nach Siebenbürgen. –
Aber wartet, ich will Euch, könnt Ihr nicht gleich nach Siebenbürgen ziehen,
zum fleißigen Studium ein kleines Buch verehren, das Meister Klingsohr verfaßt
hat und das nicht allein die Regeln des wahren Gesanges, sondern auch einige
treffliche Lieder des Meisters enthält.«
Damit hatte der Fremde ein kleines Buch hervorgeholt, dessen blutroter
Deckel hell im Mondenschein flimmerte. Das überreichte er Heinrich von
Ofterdingen. Sowie dieser es faßte trat der Fremde zurück und verschwand im
Dickicht.
Heinrich versank in Schlaf. Als er erwachte, war die Sonne sehr hoch
aufgestiegen. Lag das rote Buch nicht auf seinem Schoße, er hätte die ganze
Begebenheit mit dem Fremden für einen lebhaften Traum gehalten.
Von der Gräfin Mathilde. Ereignisse auf der Wartburg
Gewiß, vielgeliebter Leser! befandest du dich einmal in einem Kreise, der,
von holden Frauen, sinnvollen Männern gebildet, ein schöner, von den
verschiedensten in Duft und Farbenglanz miteinander wetteifernden Blumen
geflochtener Kranz zu nennen. Aber wie der süße Wohllaut der Musik über alle
hinhauchend in jedes Brust die Freude weckt und das Entzücken, so war es auch
die Holdseligkeit einer hochherrlichen Frau, die über alle hinstrahlte
und die anmutige Harmonie schuf, in der sich alles bewegte. In dem Glanz ihrer
Schönheit wandelnd, in die Musik ihrer Rede einstimmend erschienen die
andern Frauen schöner, liebenswürdiger als sonst, und die Männer fühlten ihre
Brust erweitert und vermochten mehr als jemals die Begeisterung, die sonst
scheu sich im Innern verschloß, auszuströmen in Worten oder Tönen, wie es denn
eben die Ordnung der Gesellschaft zuließ. Sosehr die Königin sich mit frommem
kindlichen Wesen mühen mochte, ihre Huld jedem zuzuteilen in gleichem Maße,
doch gewahrte man, wie ihr Himmelsblick länger ruhte auf jenem Jüngling, der
schweigend ihr gegenüberstand und dessen vor süßer Rührung in Tränen glänzende
Augen die Seligkeit der Liebe verkündeten, die ihm aufgegangen. Mancher mochte
wohl den Glücklichen beneiden, aber keiner konnte ihn darum hassen, ja vielmehr
jeder, der sonst mit ihm in Freundschaft verbunden, liebte ihn nun noch
inniger, um seiner Liebe willen.
So geschah es, daß an dem Hofe Landgraf Hermanns von Thüringen in dem
schönen Kranz der Frauen und Dichter die Gräfin Mathilde, Witwe des in hohem
Alter verstorbenen Grafen Cuno von Falkenstein, die schönste Blume war, welche
mit Duft und Glanz alle überstrahlte.
Wolfframb von Eschinbach, von ihrer hohen Anmut und Schönheit tief gerührt,
sowie er sie erblickte, kam bald in heiße Liebe. Die andern Meister, wohl auch
von der Holdseligkeit der Gräfin begeistert, priesen ihre Schönheit und Milde
in vielen anmutigen Liedern. Reinhard von Zwekhstein nannte sie die Dame seiner
Gedanken, für die er stehen wolle im Lustturnier und im ernsten Kampf; Walther
von der Vogelweid ließ alle kecke Lust ritterlicher Liebe aufflammen, während
Heinrich Schreiber und Johannes Bitterolff sich mühten in den wunderbarsten
kunstvollsten Gleichnissen und Wendungen die Dame Mathilde zu erheben. Doch
Wolfframbs Lieder kamen aus der Tiefe des liebenden Herzens und trafen, gleich
funkelnden scharfgespitzten Pfeilen hervorblitzend, Mathildens Brust. Die
anderen Meister gewahrten das wohl, aber es war ihnen als umstrahle Wolfframbs
Liebesglück sie alle wie ein lieblicher Sonnenschimmer, und gäbe auch ihren
Liedern besondere Stärke und Anmut.
Der erste finstre Schatten, der in Wolfframbs glanzvolles Leben fiel, war
Ofterdingens unglückliches Geheimnis. Wenn er gedachte, wie die andern Meister
ihn liebten, unerachtet gleich ihm auch ihnen Mathildens Schönheit hell
aufgegangen, wie nur in Ofterdingens Gemüt sich mit der Liebe zugleich
feindseliger Groll eingenistet und ihn fortgebannt in die öde freudenlose
Einsamkeit, da konnte er sich des bittern Schmerzes nicht erwehren. Oft war es
ihm, als sei Ofterdingen nur von einem verderblichen Wahnsinn befangen, der
austoben werde, dann aber fühlte er wieder recht lebhaft, daß er selbst es ja
auch nicht würde haben ertragen können, wenn er sich hoffnungslos um Mathildens
Gunst beworben. »Und«, sprach er zu sich selbst, »und welche Macht hat denn
meinem Anspruch größeres Recht gegeben? Gebührt mir denn irgendein Vorzug vor
Ofterdingen? – Bin ich besser, verständiger, liebenswürdiger als er? Wo liegt
der Abstand zwischen uns beiden? – Also nur die Macht eines feindlichen
Verhängnisses, das mich so gut als ihn hätte treffen können, drückt ihn zu
Boden und ich, der treue Freund, gehe unbekümmert vorüber, ohne ihm die Hand zu
reichen.« – Solche Betrachtungen führten ihn endlich zu dem Entschluß, nach
Eisenach zu gehen und alles nur Mögliche anzuwenden, Ofterdingen zur Rückkehr
nach der Wartburg zu bewegen. Als er indessen nach Eisenach kam, war Heinrich
von Ofterdingen verschwunden, niemand wußte, wohin er gegangen. Traurig kehrte
Wolfframb von Eschinbach zurück nach der Wartburg und verkündete dem Landgrafen
und den Meistern Ofterdingens Verlust. Nun erst zeigte sich recht, wie sehr sie
ihn alle geliebt trotz seines zerrissenen oft bis zur höhnenden Bitterkeit
mürrischen Wesens. Man betrauerte ihn wie einen Toten, und lange Zeit hindurch
lag diese Trauer wie ein düstrer Schleier auf allen Gesängen der Meister und
nahm ihnen allen Glanz und Klang, bis endlich das Bild des Verlornen immer mehr
und mehr entwich in weite Ferne.
Der Frühling war gekommen und mit ihm alle Lust und Heiterkeit des neu
erkräftigten Lebens. Auf einem anmutigen von schönen Bäumen eingeschlossenen
Platz im Garten des Schlosses waren die Meister versammelt, um das junge Laub,
die hervorsprießenden Blüten und Blumen mit freudigen Liedern zu begrüßen. Der
Landgraf, Gräfin Mathilde, die andern Damen hatten sich ringsumher auf Sitzen
niedergelassen, eben wollte Wolfframb von Eschinbach ein Lied beginnen, als ein
junger Mann, die Laute in der Hand, hinter den Bäumen hervortrat. Mit freudigem
Erschrecken erkannten alle in ihm den verloren geglaubten Heinrich von
Ofterdingen. Die Meister gingen auf ihn zu mit freundlichen herzlichen Grüßen.
Ohne das aber sonderlich zu beachten nahte er sich dem Landgrafen, vor dem, und
dann vor der Gräfin Mathilde, er sich ehrfurchtsvoll neigte. Er sei, sprach er
dann, von der bösen Krankheit, die ihn befallen, nun gänzlich genesen und
bitte, wolle man ihn vielleicht aus besonderen Gründen nicht mehr in die Zahl
der Meister aufnehmen, ihm doch zu erlauben, daß er so gut wie die andern seine
Lieder absinge. Der Landgraf meinte dagegen, sei er auch eine Zeitlang abwesend
gewesen, so sei er doch deshalb keinesweges aus der Reihe der Meister
geschieden und er wisse nicht, wodurch er sich dem schönen Kreise, der hier
versammelt, entfremdet glaube. Damit umarmte ihn der Landgraf und wies ihm
selbst den Platz zwischen Walther von der Vogelweid und Wolfframb von
Eschinbach an, wie er ihn sonst gehabt. Man merkte bald, daß Ofterdingens Wesen
sich ganz und gar verändert. Statt daß er sonst den Kopf gebeugt, den Blick zu
Boden gesenkt daherschlich, trat er jetzt, das Haupt emporgerichtet, starken
Schrittes einher. So blaß als zuvor war das Antlitz, aber der Blick, sonst irr
umherschweifend, fest und durchbohrend. Statt der tiefen Schwermut lag jetzt
ein düstrer stolzer Ernst auf der Stirn und ein seltsames Muskelspiel um Mund
und Wange sprach bisweilen recht unheimlichen Hohn aus. Er würdigte die Meister
keines Wortes, sondern setzte sich schweigend auf seinen Platz. Während die
andern sangen, sah er in die Wolken, schob sich auf dem Sitz hin und her,
zählte an den Fingern, gähnte, kurz bezeigte auf alle nur mögliche Weise Unmut
und Langeweile. Wolfframb von Eschinbach sang ein Lied zum Lobe des Landgrafen
und kam dann auf die Rückkehr des verloren geglaubten Freundes, die er so recht
aus dem tiefsten Gemüt schilderte, daß sich alle innig gerührt fühlten.
Heinrich von Ofterdingen runzelte aber die Stirn und nahm, sich von Wolfframb
abwendend, die Laute, auf ihr einige wunderbare Akkorde anschlagend. Er stellte
sich in die Mitte des Kreises und begann ein Lied, dessen Weise so ganz anders
als alles, was die andern gesungen, so unerhört war, daß alle in die größte
Verwunderung, ja zuletzt in das höchste Erstaunen gerieten. Es war als schlüge
er mit seinen gewaltigen Tönen an die dunklen Pforten eines fremden
verhängnisvollen Reichs und beschwöre die Geheimnisse der unbekannten dort
hausenden Macht herauf. Dann rief er die Gestirne an, und indem seine
Lautentöne leiser lispelten, glaubte man der Sphären klingenden Reigen zu
vernehmen. Nun rauschten die Akkorde stärker, und glühende Düfte wehten daher
und Bilder üppigen Liebesglücks flammten in dem aufgegangenen Eden aller Lust.
Jeder fühlte sein Inneres erbeben in seltsamen Schauern. Als Ofterdingen
geendet, war alles in tiefem Schweigen verstummt, aber dann brach der jubelnde
Beifall stürmisch hervor. Die Dame Mathilde erhob sich schnell von ihrem Sitz,
trat auf Ofterdingen zu, und drückte ihm den Kranz auf die Stirne, den sie als
Preis des Gesanges in der Hand getragen.
Eine flammende Röte fuhr über Ofterdingens Antlitz, er ließ sich nieder auf
die Knie und drückte die Hände der schönen Frau mit Inbrunst an seine Brust.
Als er aufstand, traf sein funkelnder stechender Blick den treuen Wolfframb von
Eschinbach, der sich ihm nahen wollte, aber wie von einer bösen Macht feindlich
berührt zurückwich. Nur ein einziger stimmte nicht ein in den begeisterten
Beifall der übrigen und das war der Landgraf, welcher, als Ofterdingen sang,
sehr ernst und nachdenklich geworden und kaum vermochte, etwas zum Lobe seines
wunderbaren Liedes zu sagen. Ofterdingen schien sichtlich darüber erzürnt. Es
begab sich, daß am späten Abend, als schon die tiefe Dämmerung eingebrochen,
Wolfframb von Eschinbach den geliebten Freund, den er überall vergebens
gesucht, in einem Lustgange des Schloßgartens traf. Er eilte auf ihn zu, er
drückte ihn an seine Brust und sprach: »So bist du denn, mein herzlieber
Bruder, der erste Meister des Gesanges worden, den es wohl auf Erden geben mag.
Wie hast du es denn angefangen, das zu erfassen, was wir alle, was du selbst
wohl nicht ahntest? – Welcher Geist stand dir zu Gebot, der dir die wunderbaren
Weisen einer andern Welt lehrte? O du herrlicher hoher Meister, laß dich
noch einmal umarmen.« »Es ist«, sprach Heinrich von Ofterdingen, indem er
Wolfframbs Umarmung auswich, »es ist gut, daß du es erkennest, wie hoch ich
mich über euch sogenannte Meister emporgeschwungen habe, oder vielmehr wie ich
allein dort gelandet und heimisch worden, wohin ihr vergebens strebt auf irren
Wegen. Du wirst es mir dann nicht verargen, wenn ich euch alle mit eurer
schnöden Singerei recht albern und langweilig finde.« »So verachtest du uns«,
erwiderte Wolfframb, »die du sonst hoch in Ehren hieltest, nunmehro ganz und
gar, und magst nichts mehr mit uns insgemein haben? – Alle Freundschaft, alle
Liebe ist aus deiner Seele gewichen, weil du ein höherer Meister bist als wir
es sind! – Auch mich – mich hältst du deiner Liebe nicht mehr wert, weil
ich vielleicht mich nicht so hoch hinaufzuschwingen vermag in meinen Liedern
als du? – Ach Heinrich, wenn ich dir sagen sollte, wie es mir bei deinem
Gesange ums Herz war.« – »Magst mir«, sprach Heinrich von Ofterdingen indem er
höhnisch lachte, »magst mir das ja nicht verschweigen, es kann für mich
lehrreich sein.« »Heinrich!« begann Wolfframb mit sehr ernstem und festen Ton,
»Heinrich! es ist wahr, dein Lied hatte eine ganz wunderbare unerhörte Weise
und die Gedanken stiegen hoch empor, bis über die Wolken, aber mein Inneres
sprach, solch ein Gesang könne nicht herausströmen aus dem rein menschlichen
Gemüt, sondern müsse das Erzeugnis fremder Kräfte sein, so wie der Negromant
die heimische Erde düngt mit allerlei magischen Mitteln, daß sie die fremde
Pflanze des fernsten Landes hervorzutreiben vermag. – Heinrich, du bist gewiß ein
großer Meister des Gesanges geworden und hast es mit gar hohen Dingen zu tun,
aber! – verstehst du noch den süßen Gruß des Abendwindes, wenn du durch des
Waldes tiefe Schatten wandelst? Geht dir noch das Herz auf in frohem Mut bei
dem Rauschen der Bäume, dem Brausen des Waldstroms? Blicken dich noch die
Blumen an mit frommen Kindesaugen? Willst du noch vergehen in Liebesschmerz bei
den Klagen der Nachtigall? Wirft dich dann noch ein unendliches Sehnen an die
Brust, die sich dir liebend aufgetan? – Ach, Heinrich, es war manches in deinem
Liede, wobei mich ein unheimliches Grauen erfaßte. Ich mußte an jenes
entsetzliche Bild von den am Ufer des Acheron herumschwankenden Schatten
denken, das du einmal dem Landgrafen aufstelltest, als er dich um die Ursache deiner
Schwermut befragte. Ich mußte glauben, aller Liebe habest du entsagt, und was
du dafür gewonnen, wäre nur der trostlose Schatz des verirrten Wanderers in der
Wüste. – Es ist mir – ich muß es dir geradezu heraussagen – es ist mir, als
wenn du deine Meisterschaft mit aller Freude des Lebens, die nur dem frommen
kindlichen Sinn zuteil wird, erkauft hättest. Eine düstre Ahnung befängt mich.
Ich denke daran, was dich von der Wartburg forttrieb, und wie du hier wieder
erschienen bist. Es kann dir nun manches gelingen – vielleicht geht der schöne
Hoffnungsstern, zu dem ich bis jetzt emporblickte, auf ewig für mich unter –
doch Heinrich! – hier! – fasse meine Hand, nie kann irgendein Groll gegen dich
in meiner Seele Raum finden! – Alles Glücks unerachtet, das dich überströmt,
findest du dich vielleicht einmal plötzlich an dem Rande eines tiefen
bodenlosen Abgrundes und die Wirbel des Schwindels erfassen dich und du willst
rettungslos hinabstürzen, dann stehe ich festen Mutes hinter dir und halte dich
fest mit starken Armen.«
Heinrich von Ofterdingen hatte alles, was Wolfframb von Eschinbach sprach,
in tiefem Schweigen angehört. Jetzt verhüllte er sein Gesicht im Mantel und
sprang schnell hinein in das Dickicht der Bäume. Wolfframb hörte, wie er leise
schluchzend und seufzend sich entfernte.
Der Krieg von Wartburg
Sosehr die andern Meister anfangs die Lieder des stolzen Heinrichs von
Ofterdingen bewundert und hoch erhoben hatten, so geschah es doch, daß sie bald
von falschen Weisen, von dem eitlen Prunk, ja von der Ruchlosigkeit der Lieder
zu sprechen begannen, die Heinrich vorbringe. Nur die Dame Mathilde hatte sich
mit ganzer Seele zu dem Sänger gewendet, der ihre Schönheit und Anmut auf eine
Weise pries, die alle Meister, Wolfframb von Eschinbach, der sich kein Urteil
erlaubte, ausgenommen, für heidnisch und abscheulich erklärten. Nicht lange
währte es, so war die Dame Mathilde in ihrem Wesen ganz und gar verändert. Mit
höhnendem Stolz sah sie herab auf die andern Meister, und selbst dem armen
Wolfframb von Eschinbach hatte sie ihre Gunst entzogen. Es kam so weit, daß
Heinrich von Ofterdingen die Gräfin Mathilde unterrichten mußte in der Kunst
des Gesanges, und sie selbst begann Lieder zu dichten, die gerade so klingen
sollten, wie die, welche Ofterdingen sang. Seit dieser Zeit war es aber, als
schwände von der berückten Frau alle Anmut und Holdseligkeit. Alles
vernachlässigend, was zur Zierde holder Frauen dient, sich alles weiblichen
Wesens entschlagend, wurde sie zum unheimlichen Zwitterwesen, von den Frauen gehaßt,
von den Männern verlacht. Der Landgraf, befürchtend, daß der Wahnsinn der
Gräfin wie eine böse Krankheit die andern Damen des Hofes ergreifen könne,
erließ einen scharfen Befehl, daß keine Dame bei Strafe der Verbannung sich an
das Dichten machen solle, wofür ihm die Männer, denen Mathildens Schicksal
Schrecken eingejagt, herzlich dankten. Die Gräfin Mathilde verließ die Wartburg
und bezog ein Schloß unfern Eisenach, wohin ihr Heinrich von Ofterdingen
gefolgt wäre, hätte der Landgraf ihm nicht befohlen, noch den Kampf
auszufechten, den ihm die Meister geboten. »Ihr habt«, sprach Landgraf Hermann
zu dem übermütigen Sänger, »Ihr habt durch Eure seltsame unheimliche Weise den
schönen Kreis, den ich hier versammelt, gar häßlich gestört. Mich konntet Ihr niemals
betören, denn von dem ersten Augenblick an habe ich es erkannt, daß Eure Lieder
nicht aus der Tiefe eines wackern Sängergemüts kommen, sondern nur die Frucht
der Lehren irgendeines falschen Meisters sind. Was hilft aller Prunk, aller
Schimmer, aller Glanz, wenn er nur dazu dienen soll, einen toten Leichnam zu
umhüllen. Ihr sprecht von hohen Dingen, von den Geheimnissen der Natur, aber
nicht wie sie, süße Ahnungen des höhern Lebens, in der Brust des Menschen
aufgehen, sondern wie sie der kecke Astrolog begreifen und messen will mit
Zirkel und Maßstab. Schämt Euch, Heinrich von Ofterdingen, daß Ihr so geworden
seid, daß Euer wackrer Geist sich gebeugt hat unter die Zucht eines unwürdigen
Meisters.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Heinrich von Ofterdingen, »ich weiß nicht, mein
hoher Herr, inwiefern ich Euern Zorn, Eure Vorwürfe verdiene. Vielleicht ändert
Ihr indessen Eure Meinung, wenn Ihr erfahrt, welcher Meister mir
dasjenige Reich des Gesanges, welches dessen eigentlichste Heimat ist,
erschlossen. In tiefer Schwermut hatte ich Euern Hof verlassen, und wohl mocht
es sein, daß der Schmerz, der mich vernichten wollte, nur das gewaltsame
Treiben war, der schönen Blüte, die in meinem Innern verschlossen nach dem
befruchtenden Atem der höheren Natur schmachtete. Auf seltsame Weise kam mit
ein Büchlein in die Hände, in welchem der höchste Meister des Gesanges auf
Erden mit der tiefsten Gelehrsamkeit die Regeln der Kunst entwickelt und selbst
einige Lieder hinzugefügt hatte. Je mehr ich nun in diesem Büchlein las, desto
klarer wurde es mir, daß es wohl gar dürftig ausfalle, wenn der Sänger nur
vermöge, das in Worte zu fassen, was er nun gerade im Herzen zu
empfinden glaubt. Doch dies nicht genug – ich fühlte nach und nach mich wie
verknüpft mit unbekannten Mächten, die oft statt meiner aus mir heraus sangen
und doch war und blieb ich der Sänger. Meine Sehnsucht, den Meister
selbst zu schauen und aus seinem eignen Munde die tiefe Weisheit, den
richtenden Verstand ausströmen zu hören, wurde zum unwiderstehlichen Triebe.
Ich machte mich auf, und wanderte nach Siebenbürgen. Ja! – vernahmt es, mein
hoher Herr! Meister Klingsohr selbst ist es, den ich aufsuchte und dem ich den
kühnen überirdischen Schwung meiner Lieder verdanke. Nun werdet Ihr wohl von
meinen Bestrebungen günstiger urteilen.«
»Der Herzog von Österreich«, sprach der Landgraf, »hat mir gar viel zu dem
Lobe Eures Meisters gesagt und geschrieben. Meister Klingsohr ist ein in tiefen
geheimen Wissenschaften erfahrener Mann. Er berechnet den Lauf der Gestirne und
erkennt die wunderbaren Verschlingungen ihres Ganges mit unserer Lebensbahn.
Ihm sind die Geheimnisse der Metalle, der Pflanzen, des Gesteins offenbar, und
dabei ist er erfahren in den Händeln der Welt, und steht dem Herzog von
Österreich zur Seite mit Rat und Tat. Wie das alles aber nun mit dem reinen
Gemüt des wahren Sängers bestehen mag, weiß ich nicht und glaube auch wohl, daß
eben deshalb Meister Klingsohrs Lieder, so künstlich und wohlausgedacht, so
schön geformt sie auch sein mögen, mein Gemüt ganz und gar nicht rühren können.
– Nun, Heinrich von Ofterdingen, meine Meister, beinahe erzürnt über dein
stolzes hochfahrendes Wesen, wollen mit dir um den Preis singen einige Tage
hindurch, das mag denn nun geschehen.«
Der Kampf der Meister begann. Sei es aber nun, daß Heinrichs, durch falsche
Lehren irre gewordener Geist, sich gar nicht mehr zu fassen vermochte in dem
reinen Strahl des wahrhaftigen Gemüts, oder daß besondere Begeisterung die
Kraft der andern Meister verdoppelte: – genug! – jeder, wider Ofterdingen
singend, jeder ihn besiegend, erhielt den Preis, um den dieser sich vergebens
mühte. Ofterdingen ergrimmte über diese Schmach und begann nun Lieder, die, mit
verhöhnenden Anspielungen auf den Landgrafen Hermann, den Herzog von Österreich
Leopold den Siebenten bis über die Sterne erhoben und ihn die hellfunkelnde
Sonne nannten, welche allein aller Kunst aufgegangen. Kam nun noch hinzu, daß
er ebenso die Frauen am Hofe mit schnöden Worten angriff und die Schönheit und
Holdseligkeit der Dame Mathilde allein auf heidnische ruchlose Art zu preisen
fortfuhr, so konnt es nicht fehlen, daß alle Meister, selbst den sanften
Wolfframb von Eschinbach nicht ausgenommen, in gerechten Zorn gerieten und in
den heftigsten schonungslosesten Liedern seine Meisterschaft zu Boden traten.
Heinrich Schreiber und Johannes Bitterolff bewiesen, den falschen Prunk von
Ofterdingens Liedern abstreifend, die Elendigkeit der magern Gestalt, die sich
dahinter verborgen, aber Walther von der Vogelweid und Reinhard von Zwekhstein
gingen weiter. Die sagten, Ofterdingens schnödes Beginnen verdiene
schwere Rache und die wollten sie an ihm nehmen, mit dem Schwerte in der Hand.
So sah nun Heinrich von Ofterdingen seine Meisterschaft in den Staub
getreten und selbst sein Leben bedroht. Voller Wut und Verzweiflung rief er den
edelgesinnten Landgrafen Hermann an, sein Leben zu schützen, ja noch mehr, die
Entscheidung des Streites über die Meisterschaft des Gesanges dem berühmtesten
Sänger der Zeit, dem Meister Klingsohr zu überlassen. »Es ist«, sprach der
Landgraf, »es ist nunmehr mit Euch und den Meistern so weit gekommen, daß es
noch um anderes gilt als um die Meisterschaft des Gesanges. Ihr habt in Euern
wahnsinnigen Liedern mich, Ihr habt die holden Frauen an meinem Hofe schwer
beleidigt. Euer Kampf betrifft also nicht mehr die Meisterschaft allein,
sondern auch meine Ehre, die Ehre der Damen. Doch soll alles im Wettsingen
ausgemacht werden und ich gestatte es, daß Euer Meister Klingsohr selbst
entscheide. Einer von meinen Meistern, das Los soll ihn nennen, stellt sich
Euch gegenüber und die Materie, worüber zu singen, möget ihr beide dann selbst
wählen. – Aber der Henker soll mit entblößtem Schwerte hinter euch stehen und
wer verliert, werde augenblicklich hingerichtet. – Gehet – schaffet, daß Meister
Klingsohr binnen Jahresfrist nach der Wartburg komme und den Kampf auf Tod und
Leben entscheide.« – Heinrich von Ofterdingen machte sich davon und so war zur
Zeit die Ruhe auf der Wartburg wieder hergestellt.
Die Lieder, welche die Meister wider Heinrich von Ofterdingen gesungen,
waren damals der Krieg von Wartburg geheißen.