E.T.A. Hoffmann: Der Kampf der Sänger - Teil 2
Montags=Text
E.T.A. Hoffmann
Der Kampf der Sänger
Teil 2
Meister Klingsohr kommt nach Eisenach
Beinahe ein Jahr war verflossen, als die Nachricht nach der Wartburg kam,
daß Meister Klingsohr wirklich in Eisenach angelangt und bei dem Bürger,
Helgrefe geheißen, vor dem St. Georgentore eingezogen sei. Die Meister
freuten sich nicht wenig, daß nun wirklich der böse Streit mit Heinrich von
Ofterdingen geschlichtet werden solle, keiner war aber so voller Ungeduld, den
weltberühmten Mann von Angesicht zu Angesicht zu schauen, als Wolfframb von
Eschinbach. »Mag es sein«, sprach er zu sich selbst, »mag es sein, daß, wie die
Leute sagen, Klingsohr bösen Künsten ergeben ist, daß unheimliche Mächte ihm zu
Gebote stehen, ja ihm wohl gar geholfen zur Meisterschaft in allem Wissen; aber
wächst nicht der edelste Wein auf der verglühten Lava? Was geht es den
dürstenden Wandrer an, daß die Trauben, an denen er sich erlabt, aus der Glut
der Hölle selbst emporgekeimt sind? So will ich mich an des Meisters tiefer
Wissenschaft und Lehre erfreuen, ohne weiter zu forschen und ohne mehr davon zu
bewahren, als was ein reines frommes Gemüt in sich zu tragen vermag.«
Wolfframb machte sich alsbald auf nach Eisenach. Als er vor das Haus des
Bürgers Helgrefe kam, fand er einen Haufen Leute versammelt, die alle
sehnsüchtig nach dem Erker hinaufblickten. Er erkannte unter ihnen viele junge
Leute als Schüler des Gesanges, die hörten nicht auf, dieses, jenes, von dem
berühmten Meister vorzubringen. Der eine hatte die Worte aufgeschrieben, die
Klingsohr gesprochen, als er zu Helgrefe eingetreten, der andere wußte genau,
was der Meister zu Mittag gespeiset, der dritte behauptete, daß ihn der Meister
wirklich angeblickt und gelächelt, weil er ihn als Sänger erkannt am Barett,
das er genauso trage wie Klingsohr, der vierte fing sogar ein Lied an, von dem
er behauptete, es sei nach Klingsohrs Weise gedichtet. Genug es war ein
unruhiges Treiben hin und her. Wolfframb von Eschinbach drang endlich mit Mühe
durch und trat ins Haus. Helgrefe hieß ihn freundlich willkommen und lief
herauf, um ihn seinem Begehren gemäß bei dem Meister melden zu lassen. Da hieß
es aber, der Meister sei im Studieren begriffen und könne jetzt mit niemanden
sprechen. In zwei Stunden solle man wiederum anfragen. Wolfframb mußte sich
diesen Aufschub gefallen lassen. Nachdem er nach zwei Stunden wiedergekommen
und noch eine Stunde gewartet, durfte Helgrefe ihn hinaufführen. Ein seltsam in
bunter Seide gekleideter Diener öffnete die Türe des Gemachs, und Wolfframb
trat hinein. Da gewahrte er einen großen stattlichen Mann, in einen langen
Talar von dunkelrotem Samt mit weiten Ärmeln, und mit Zobel reich besetzt,
gekleidet, der mit langsamen gravitätischen Schritten die Stube entlang hin und
her wandelte. Sein Gesicht war beinahe anzusehen, wie die heidnischen Bildner
ihren Gott Jupiter darzustellen pflegten, solch ein gebieterischer Ernst lag
auf der Stirne, solch drohende Flammen blitzten aus den großen Augen. Um Kinn
und Wangen legte sich ein wohlgekräuselter schwarzer Bart und das Haupt
bedeckte ein fremdgeformtes Barett oder ein sonderbar verschlungenes Tuch, man
konnte das nicht unterscheiden. Der Meister hatte die Arme vor der Brust
übereinandergeschlagen und sprach mit hellklingender Stimme im Auf- und Abschreiten
Worte, die Wolfframb gar nicht verstand. Sich im Zimmer umschauend, das mit
Büchern und allerlei wunderlichen Gerätschaften angefüllt war, erblickte
Wolfframb in einer Ecke ein kleines kaum drei Fuß hohes altes blasses Männlein,
das auf einem hohen Stuhl vor einem Pulte saß und mit einer silbernen Feder auf
einem großen Pergamentblatt emsig alles aufzuschreiben schien, was Meister
Klingsohr sprach. Es hatte eine feine Weile gedauert, da fielen endlich des
Meisters starre Blicke auf Wolfframb von Eschinbach und mit dem Sprechen
innehaltend, blieb er in der Mitte des Zimmers stehen. Wolfframb begrüßte den
Meister nun mit anmutigen Versen im schwarzen Ton. Er sagte, wie er gekommen
sei, um sich zu erbauen an Klingsohrs hoher Meisterkunst, und bat, er solle nun
ihm antworten im gleichen Ton und so seine Kunst hören lassen. Da maß ihn der
Meister mit zornigen Blicken von Kopf bis zu Fuß und sprach dann: »Ei wer seid
Ihr denn, junger Gesell! daß Ihr es wagt, hier so mit Euren albernen Versen
hereinzubrechen und mich sogar herauszufordern, als sollt es ein Wettsingen
gelten? Ha! Ihr seid ja wohl Wolfframb von Eschinbach, der
allerungeschickteste, ungelehrteste Laie von allen, die sich dort oben auf der
Wartburg Meister des Gesanges nennen? – Nein, mein lieber Knabe, Ihr müßt wohl
noch etwas wachsen, ehe Ihr Euch mit mir zu messen Verlangen tragen könnt.«
Einen solchen Empfang hatte Wolfframb von Eschinbach gar nicht erwartet. Das
Blut wallte ihm auf vor Klingsohrs schnöden Worten, er fühlte lebhafter als
jemals die ihm inwohnende Kraft, die ihm die Macht des Himmels verliehen. Ernst
und fest blickte er dem stolzen Meister ins Auge, und sprach dann: »Ihr tut gar
nicht gut, Meister Klingsohr, daß Ihr in solchen bittern, harten Ton fallet,
statt mir liebreich und freundlich, wie ich Euch begrüßte, zu antworten. Ich
weiß es, daß Ihr mir in aller Wissenschaft und wohl auch in der Kunst des
Gesanges weit überlegen seid, aber das berechtigt Euch nicht zu der eitlen
Prahlerei, die Ihr als Eurer unwürdig verachten müßtet. Ich sage es Euch frei
heraus, Meister Klingsohr! daß ich nunmehr das glaube, was die Welt von Euch
behauptet. Die Macht der Hölle sollt Ihr bezwingen, Umgang mit bösen Geistern
sollt Ihr haben, mittelst der unheimlichen Wissenschaften, die Ihr getrieben. Daher
soll Eure Meisterschaft kommen, weil Ihr aus der Tiefe die schwarzen Geister
ins helle Licht heraufbeschworen, vor denen sich der menschliche Geist
entsetzt. Und so ist es nur dieses Entsetzen, was Euch den Sieg verschafft, und
nicht die tiefe Rührung der Liebe, welche aus dem reinen Gemüt des Sängers
strömt in das verwandte Herz, das in süßen Banden gefangen, ihm untertan wird.
Daher seid Ihr so stolz, wie kein Sänger es sein kann, der reinen Herzens
geblieben.« »Hoho«, erwiderte Meister Klingsohr, »hoho junger Gesell, versteigt
Euch nicht so hoch! – Was meinen Umgang mit unheimlichen Mächten betrifft,
davon schweigt, das versteht Ihr nicht. Daß ich daher meine
Meisterschaft des Gesanges dem zu verdanken haben soll, das ist das
abgeschmackte Gewäsch einfältiger Kinder. Aber sagt mir doch, woher Euch die
Kunst des Gesanges gekommen? Glaubt Ihr, daß ich nicht wußte, wie zu
Siegebrunnen in Schottland Meister Friedebrand Euch einige Bücher borgte, die
Ihr undankbar nicht zurückgabt, sondern an Euch behieltet, alle Eure Lieder
daraus schöpfend? Hei! – hat mir der Teufel geholfen, so half Euch Euer
undankbares Herz.« Wolfframb erschrak beinahe vor diesem häßlichen Vorwurf. Er
legte die Hand auf die Brust und sprach: »So wahr mir Gott helfe! – Der Geist
der Lüge ist mächtig in Euch, Meister Klingsohr – wie hätte ich denn meinen
hohen Meister Friedebrand so schändlich betrügen sollen um seine herrliche
Schriften. Wißt, Meister Klingsohr, daß ich diese Schriften nur so lange, wie
Friedebrand es wollte, in Händen hielt, daß er sie dann von mir wiedernahm.
Habt Ihr denn nie Euch aus den Schriften anderer Meister belehrt?« »Mag«, fuhr
Meister Klingsohr fort, ohne auf Wolfframbs Rede sonderlich zu achten, »mag dem
sein wie ihm wolle, woher möget Ihr denn nun Eure Kunst haben? Was berechtigt
Euch, sich mir gleichzustellen? Wißt Ihr nicht, wie ich zu Rom, zu Paris, zu
Krakau den Studien fleißig obgelegen, wie ich selbst nach den fernsten
Morgenländern gereiset und die Geheimnisse der weisen Araber erforscht, wie ich
dann auf allen Singschulen das Beste getan und wider alle, die in den Streit
mit mir gegangen, den Preis errungen, wie ich ein Meister der sieben freien
Künste worden? – Aber Ihr, der Ihr, entfernt von aller Wissenschaft und Kunst,
in dem öden Schweizerlande gehauset, der Ihr ein in aller Schrift unerfahrner
Laie geblieben, wie solltet Ihr denn zur Kunst des wahren Gesanges kommen?«
Wolfframbs Zorn hatte sich indessen ganz gelegt, welches wohl daher rühren
mochte, daß bei Klingsohrs prahlerischen Reden die köstliche Gabe des Gesanges
in seinem Innern heller und freudiger hervorleuchtete wie die Sonnenstrahlen
schöner funkeln, wenn sie siegend durch die düstern Wolken brechen, die der
wilde Sturm herangejagt. Ein mildes anmutiges Lächeln hatte sich über sein ganzes
Antlitz gelegt, und er sprach mit ruhigem, gefaßten Ton zu dem zornigen Meister
Klingsohr: »Ei, mein lieber Meister, wohl könnt ich Euch entgegnen, daß, hab
ich gleich nicht zu Rom und Paris studiert, suchte ich gleich nicht die weisen
Araber auf, in ihrer eignen Heimat, ich doch nächst meinem hohen Meister
Friedebrand, dem ich nachzog bis ins tiefe Schottland, noch viele gar
kunstreiche Sänger vernahm, deren Unterricht mir vielen Nutzen brachte, daß ich
an vielen Höfen unserer hohen deutschen Fürsten gleich Euch den Preis des
Gesanges gewann. Ich meine aber, daß wohl aller Unterricht, alles Vernehmen der
höchsten Meister mir gar nichts geholfen haben würde, wenn die ewige Macht des
Himmels nicht den Funken in mein Innres gelegt hätte, der in den schönen Strahlen
des Gesanges aufgeglommen, wenn ich nicht mit liebendem Gemüt alles Falsche und
Böse von mir fern gehalten und noch hielte, wenn ich nicht mich mühte in reiner
Begeisterung, nur das zu singen, was meine Brust mit freudiger, süßer Wehmut
ganz und gar erfüllt.«
Selbst wußte Wolfframb von Eschinbach nicht wie es geschah, daß er ein
herrliches Lied im güldnen Ton begann, das er erst vor kurzem gedichtet.
Meister Klingsohr ging voller Wut auf und ab; dann blieb er vor Wolfframb
stehen und blickte ihn an, als wolle er ihn durchbohren mit seinen starren,
glühenden Augen. Als Wolfframb geendet, legte Klingsohr beide Hände auf
Wolfframbs Schultern und sprach sanft und gelassen: »Nun, Wolfframb, weil Ihr
es denn nicht anders wollt, so laßt uns um die Wette singen, in allerlei
künstlichen Tönen und Weisen. Doch laßt uns anderswohin gehen, das Gemach taugt
zu dergleichen nicht und Ihr sollt überdem einen Becher edlen Weins mit mir
genießen.«
In dem Augenblick stürzte das kleine Männlein, das erst geschrieben, hinab
von dem Stuhle und gab bei dem harten Fall auf den Boden einen feinen ächzenden
Laut von sich. Klingsohr drehte sich rasch um und stieß mit dem Fuße den
Kleinen in den unter dem Pulte befindlichen Schrank, den er verschloß.
Wolfframb hörte das Männlein leise weinen und schluchzen. Nun schlug Klingsohr
die Bücher zu, welche ringsumher offen herumlagen und jedesmal, wenn ein Deckel
niederklappte, ging ein seltsamer schauerlicher Ton, wie ein tiefer
Todesseufzer, durch die Zimmer. Wunderliche Wurzeln nahm nun Klingsohr in die
Hand, die in dem Augenblick anzusehen waren wie fremde unheimliche Kreaturen
und mit den Faden und Ästen zappelten, wie mit Armen und Beinen, ja oft zuckte
ein kleines verzerrtes Menschengesichtlein hervor, das auf häßliche Weise grinzte
und lachte. Und dabei wurd es in den Schränken ringsumher unruhig und ein
großer Vogel schwirrte in irrem Fluge umher, mit goldgleißendem Fittich. Die
tiefe Abenddämmerung war eingebrochen, Wolfframb fühlte sich von tiefem Grauen
erfaßt. Da nahm Klingsohr aus einer Kapsel einen Stein hervor, der sogleich im
ganzen Gemach den hellsten Sonnenglanz verbreitete. Alles wurde still und
Wolfframb sah und hörte nichts mehr von dem, was ihm erst Entsetzen erregt.
Zwei Diener, so seltsamlich in bunter Seide gekleidet, wie der,
welcher erst die Türe des Gemachs geöffnet, traten hinein, mit prächtigen
Kleidern, die sie dem Meister Klingsohr anlegten.
Beide, Meister Klingsohr und Wolfframb von Eschinbach, gingen nun zusammen
nach dem Ratskeller.
Sie hatten auf Versöhnung und Freundschaft getrunken und sangen nun
widereinander in den verschiedensten künstlichsten Weisen. Kein Meister war
zugegen, der hätte entscheiden können, wer den andern besieget, aber jeder
würde den Klingsohr für überwunden gehalten haben, denn sosehr er sich in
großer Kunst, in mächtigem Verstande mühte, niemals konnte er nur im mindesten
die Stärke und Anmut der einfachen Lieder erreichen, welche Wolfframb von
Eschinbach vorbrachte.
Wolfframb hatte eben ein gar herrliches Lied geendet, als Meister Klingsohr
zurückgelehnt in den Polsterstuhl, den Blick niedergeschlagen, mit gedämpfter
düstrer Stimme sprach: »Ihr habt mich vorhin übermütig und prahlerisch genannt,
Meister Wolfframb, aber sehr würdet Ihr irren, wenn Ihr etwa glaubtet, daß mein
Blick, verblendet durch einfältige Eitelkeit, nicht sollte die wahre Kunst des
Gesanges erkennen können, ich möge sie nun antreffen in der Wildnis, oder in
dem Meistersaal. Keiner ist hier, der zwischen uns richten könnte, aber ich
sage Euch, Ihr habt mich überwunden, Meister Wolfframb, und daß ich Euch das
sage, daran möget Ihr auch die Wahrhaftigkeit meiner Kunst erkennen.« »Ei, mein
lieber Meister Klingsohr«, erwiderte Wolfframb von Eschinbach, »wohl mocht es
sein, daß eine besondere Freudigkeit, die in meiner Brust aufgegangen, meine
Lieder mir heute besser gelingen ließ, als sonst, aber ferne sei es von mir,
daß ich mich deshalb über Euch stellen sollte. Vielleicht war heute Euer
Inneres verschlossen. Pflegt es denn nicht zu geschehen, daß manchmal eine
drückende Last auf einem ruht, wie ein düstrer Nebel auf heller Wiese, vor dem
die Blumen nicht vermögen, ihre glänzenden Häupter zu erheben. Aber erklärt Ihr
Euch heute auch für überwunden, so habe ich doch in Euern schönen
Liedern gar Herrliches vernommen und es kann sein, daß morgen Ihr den
Sieg erränget.«
Meister Klingsohr sprach: »Wozu hilft Euch Eure fromme Bescheidenheit!«
sprang dann schnell vom Stuhle auf, stellte sich, den Rücken Wolfframb
zugekehrt, unter das hohe Fenster und schaute schweigend in die bleichen
Mondesstrahlen, die aus der Höhe hinabfielen.
Das hatte wohl einige Minuten gedauert, da drehte er sich um, ging auf
Wolfframb los und sprach, indem ihm die Augen vor Zorn funkelten, mit starker
Stimme: »Ihr habt recht, Wolfframb von Eschinbach, über finstre Mächte gebietet
meine Wissenschaft, unser inneres Wesen muß uns entzweien. Mich habt Ihr
überwunden, aber in der Nacht, die dieser folgt, will ich Euch einen schicken,
der Nasias geheißen. Mit dem beginnt ein Wettsingen und seht Euch vor, daß der
Euch nicht überwinde.«
Damit stürmte Meister Klingsohr fort zur Türe des Ratskellers hinaus.
Nasias kommt in der Nacht zu Wolfframb von Eschinbach
Wolfframb wohnte in Eisenach dem Brothause gegenüber, bei einem Bürger,
Gottschalk geheißen. Das war ein freundlicher frommer Mann, der seinen Gast
hoch in Ehren hielt. Es mochte wohl sein, daß, unerachtet Klingsohr und
Eschinbach auf dem Ratskeller sich einsam und unbelauscht geglaubt, doch
manche, vielleicht von jenen jungen Schülern des Gesanges, die dem berühmten
Meister auf Schritt und Tritt folgten und jedes Wort, das von seinen Lippen
kam, zu erhaschen suchten, Mittel gefunden hatten, das Wettsingen der Meister
zu erhorchen. Durch ganz Eisenach war das Gerücht gedrungen, wie Wolfframb von
Eschinbach den großen Meister Klingsohr im Gesange besieget, und so hatte auch
Gottschalk es erfahren. Voller Freude lief er herauf zu seinem Gast und fragte,
wie das nur habe geschehen können, daß sich der stolze Meister auf dem
Ratskeller in ein Wettsingen eingelassen? Wolfframb erzählte getreulich, wie
sich alles begeben und verschwieg nicht, wie Meister Klingsohr gedroht, ihm in
der Nacht einen auf den Hals zu schicken, der Nasias geheißen und mit dem er um
die Wette singen solle. Da erblaßte Gottschalk vor Schreck, schlug die Hände
zusammen und rief mit wehmütiger Stimme: »Ach du Gott im Himmel, wißt Ihr's
denn nicht, lieber Herr, daß es Meister Klingsohr mit bösen Geistern zu tun
hat, die ihm untertan sind und seinen Willen tun müssen. Helgrefe, bei dem
Meister Klingsohr Wohnung genommen, hat seinen Nachbarsleuten die
wunderlichsten Dinge von seinem Treiben erzählt. Zur Nachtzeit soll es oft
sein, als wäre eine große Gesellschaft versammelt, obschon man niemand ins Haus
gehen sehen, und dann beginne ein seltsames Singen und tolles Wirtschaften und
blendendes Licht strahle durch die Fenster! Ach, vielleicht ist dieser Nasias,
mit dem er Euch bedroht, der böse Feind selbst, der Euch ins Verderben stürzen
wird! – Zieht fort, lieber Herr, wartet den bedrohlichen Besuch nicht ab; ja
ich beschwöre Euch: zieht fort.« – »Ei«, erwiderte Wolfframb von Eschinbach,
»ei, lieber Hauswirt Gottschalk, wie sollt ich denn scheu dem mir gebotenen
Wettsingen ausweichen, das wäre ja gar nicht Meistersängers Art. Mag nun Nasias
ein böser Geist sein oder nicht, ich erwarte ihn ruhig. Vielleicht übertönt er
mich mit allerlei acherontischen Liedern, aber vergebens wird er versuchen,
meinen frommen Sinn zu betören und meiner unsterblichen Seele zu schaden.« »Ich
weiß es schon«, sprach Gottschalk, »ich weiß es schon, Ihr seid ein gar mutiger
Herr der eben den Teufel selbst nicht fürchtet. Wollt Ihr denn nun durchaus
hier bleiben, so erlaubt wenigstens, daß künftige Nacht mein Knecht Jonas bei
Euch bleibe. Das ist ein tüchtiger frommer Mensch mit breiten Schultern, dem
das Singen durchaus nicht schadet. Solltet Ihr nun etwa vor dem Teufelsgeplärre
schwach und ohnmächtig werden, und Nasias Euch was anhaben wollen, so soll
Jonas ein Geschrei erheben und wir rücken dann an mit Weihwasser und geweihten
Kerzen. Auch soll der Teufel den Geruch von Bisam nicht vertragen können, den
in einem Säckchen ein Kapuziner auf der Brust getragen. Den will ich ebenfalls
in Bereitschaft halten, und sobald Jonas geschrien, dermaßen räuchern, daß dem
Meister Nasias im Singen der Atem vergehn soll.« Wolfframb von Eschinbach
lächelte über seines Hauswirts gutmütige Besorglichkeit, und meinte, er sei nun
einmal auf alles gefaßt und wolle es schon mit dem Nasias aufnehmen. Jonas, der
fromme Mensch mit breiten Schultern und gewappnet gegen alles Singen möge aber
immerhin bei ihm bleiben. Die verhängnisvolle Nacht war hereingebrochen. Noch
blieb alles still. Da schwirrten und dröhnten die Gewichte der Kirchuhr, es
schlug zwölfe. Ein Windstoß brauste durch das Haus, häßliche Stimmen heulten
durcheinander und ein wildes krächzendes Angstgeschrei, wie von verscheuchten
Nachtvögeln, fuhr auf. Wolfframb von Eschinbach hatte allerlei schönen frommen
Dichtergedanken Raum gegeben und des bösen Besuchs beinahe vergessen. Jetzt
rannen doch Eisschauer durch sein Innres, er faßte sich aber mit Macht zusammen
und trat in die Mitte des Gemachs. Mit einem gewaltigen Schlage, von dem das
ganze Haus erdröhnte, sprang die Türe auf und eine große, von rotem Feuerglanze
umflossene Gestalt, stand vor ihm und schaute ihn an mit glühenden, tückischen
Augen. Die Gestalt war von solch greulichem Ansehen, daß wohl manchem andern
aller Mut entflohen, ja daß er, von wildem Entsetzen erfaßt, zu Boden gesunken,
doch Wolfframb hielt sich aufrecht und fragte mit ernstem, nachdrücklichen Ton:
»Was habt Ihr des Orts zu tun oder zu suchen?« Da rief die Gestalt mit widrig
gellender Stimme: »Ich bin Nasias und gekommen, mit Euch zu gehen in den Kampf
der Sängerkunst.« Nasias schlug den großen Mantel auseinander und Wolfframb
gewahrte, daß er unter den Armen eine Menge Bücher trug, die er nun auf den
Tisch fallen ließ, der ihm zur Seite stand. Nasias fing auch alsbald ein wunderliches
Lied an, von den sieben Planeten und von der himmlischen Sphären Musik, wie sie
in dem Traum des Scipio beschrieben, und wechselte mit den künstlichsten
seltsamsten Weisen. Wolfframb hatte sich in seinen großen Polsterstuhl gesetzt,
und hörte ruhig mit niedergeschlagenen Blicken alles an, was Nasias vorbrachte.
Als der nun sein Lied endlich geschlossen, begann Eschinbach eine schöne fromme
Weise, von geistlichen Dingen. Da sprang Nasias hin und her und wollte
dazwischenplärren und mit den schweren Büchern, die er mitgebracht, nach dem
Sänger werfen, aber je heller und mächtiger Wolfframbs Lied wurde, desto mehr
verblaßte Nasias' Feuerglanz, desto mehr schrumpfte seine Gestalt zusammen, so
daß er zuletzt eine Spange lang mit seinem roten Mäntelchen und der dicken
Halskrause an den Schränken auf und ab kletterte, widrig quäkend und miauend.
Wolfframb, nachdem er geendet, wollte ihn ergreifen, da schoß er aber plötzlich
auf, so hoch wie er zuvor gewesen, und hauchte zischende Feuerflammen um sich
her. »Hei hei«, rief Nasias dann mit hohler entsetzlicher Stimme, »hei hei!
spaße nicht mit mir, Geselle! – Ein guter Theologe magst du sein und dich wohl
verstehen auf die Spitzfündigkeiten und Lehren Eures dicken Buchs, aber darum
bist du noch kein Sänger, der sich messen kann mit mir und meinem Meister. Laßt
uns ein schönes Liebeslied singen und du magst dich dann vorsehen mit deiner
Meisterschaft.« Nasias begann nun ein Lied von der schönen Helena und von den
überschwenglichen Freuden des Venusberges. In der Tat klang das Lied gar
verlockend und es war als wenn die Flammen, die Nasias um sich sprühte, zu
lüsterne Begierde und Liebeslust atmenden Düften würden, in denen die süßen
Töne auf und nieder wogten, wie gaukelnde Liebesgötter. So wie die vorigen
Lieder, hörte Wolfframb auch dieses ruhig mit niedergesenktem Blicke an. Aber
bald war es ihm als wandle er in den düstern Gängen eines lieblichen Gartens
und die holden Töne einer herrlichen Musik schlüpften über die Blumenbeete hin
und brächen wie flimmerndes Morgenrot durch das dunkle Laub, und das Lied des
Bösen versinke in Nacht vor ihnen, wie der scheue Nachtvogel sich krächzend
hinabstürzt in die tiefe Schlucht vor dem siegenden Tage. Und als die Töne
heller und heller strahlten, bebte ihm die Brust vor süßer Ahnung und
unaussprechlicher Sehnsucht. Da trat sie, sein einziges Leben, in vollem
Glanz aller Schönheit und Holdseligkeit hervor aus dem dichten Gebüsch, und in
tausend Liebesseufzern die herrlichste Frau grüßend, rauschten die Blätter und
plätscherten die blanken Springbrunnen. Wie auf den Fittichen eines schönen
Schwans, schwebte sie daher auf den Flügeln des Gesanges, und sowie ihr
Himmelsblick ihn traf, war alle Seligkeit der reinsten, frömmsten Liebe
entzündet in seinem Innern. Vergebens rang er nach Worten, nach Tönen. Sowie
sie verschwunden, warf er sich voll des seligsten Entzückens hin auf den bunten
Rasen. Er rief ihren Namen in die Lüfte hinein, er umschlang in heißer
Sehnsucht die hohen Lilien, er küßte die Rosen auf den glühenden Mund und alle
Blumen verstanden sein Glück und der Morgenwind, die Quellen, die Büsche
sprachen mit ihm von der unnennbaren Lust frommer Liebe! – So gedachte
Wolfframb, während daß Nasias fortfuhr mit seinen eitlen Liebesliedern, jenes
Augenblicks, als er die Dame Mathilde zum erstenmal erblickte in dem Garten auf
der Wartburg, sie selbst stand vor ihm in der Holdseligkeit und Anmut wie
damals, sie blickte ihn an wie damals, so fromm und liebend. Wolfframb hatte
nichts vernommen von dem Gesange des Bösen; als dieser aber nun schwieg, begann
Wolfframb ein Lied, das in den herrlichsten, gewaltigsten Tönen die
Himmelsseligkeit der reinen Liebe des frommen Sängers pries.
Unruhiger und unruhiger wurde der Böse, bis er endlich auf garstige Weise zu
meckern und herumzuspringen und im Gemach allerlei Unfug zu treiben begann. Da
stand Wolfframb auf von seinem Polsterstuhl und befahl dem Bösen, in Christus
und der Heiligen Namen, sich davonzupacken. Nasias, heftige Flammen um sich
sprühend, raffte seine Bücher zusammen, und rief mit höhnischem Gelächter:
»Schnib, Schnab, was bist du mehr denn ein grober Lai, darum gib nur Klingsohr
die Meisterschaft!« – Wie der Sturm brauste er fort und ein erstickender
Schwefeldampf erfüllte das Gemach.
Wolfframb öffnete die Fenster, die frische Morgenluft strömte hinein und
vertilgte die Spur des Bösen. Jonas fuhr auf aus dem tiefen Schlafe, in den er
versunken, und wunderte sich nicht wenig, als er vernahm, daß schon alles
vorüber. Er rief seinen Herrn herbei. Wolfframb erzählte, wie sich alles
begeben und hatte Gottschalk den edlen Wolfframb schon zuvor hoch verehrt, so
erschien er ihm jetzt wie ein Heiliger, dessen fromme Weihe die verderblichen
Mächte der Hölle besiege. Als nun Gottschalk in dem Gemach zufällig den Blick
in die Höhe richtete, da wurde er zu seiner Bestürzung gewahr, daß hoch über
der Türe in feuriger Schrift die Worte standen: Schnib, Schnab, was bist du
mehr denn ein grober Lai, darum gib nur Klingsohr die Meisterschaft!
So hatte der Böse im Verschwinden die letzten Worte, die er gesprochen,
hingeschrieben, wie eine Herausforderung auf ewige Zeiten. »Keine ruhige
Stunde«, rief Gottschalk, »keine ruhige Stunde kann ich hier verleben, in
meinem eignen Hause, solange die abscheuliche Teufelsschrift, meinen lieben
Herrn Wolfframb von Eschinbach verhöhnend, dort an der Wand fortbrennt.« Er
lief auch stracks zu Maurern, die die Schrift übertünchen sollten. Das war aber
ein eitles Mühen. Eines Fingers dick strichen sie den Kalk über und doch kam
die Schrift wieder zum Vorschein, ja, als sie endlich den Mörtel wegschlugen,
brannte die Schrift doch wiederum hervor aus den roten Ziegelsteinen.
Gottschalk jammerte sehr und bat Herrn Wolfframb, er möge doch durch ein
tüchtiges Lied den Nasias zwingen, daß er selbst die abscheulichen Worte weglösche.
Wolfframb sprach lächelnd, daß das vielleicht nicht in seiner Macht stehen
möge, Gottschalk solle indessen nur ruhig sein, da die Schrift, wenn er
Eisenach verlasse, vielleicht von selbst verschwinden werde.
Es war hoher Mittag, als Wolfframb von Eschinbach frohen Mutes und voll
lebendiger Heiterkeit, wie einer, der den herrlichsten Hoffnungsschimmern
entgegenziehet, Eisenach verließ. Unfern der Stadt kamen ihm in glänzenden
Kleidern, auf schön geschmückten Rossen, begleitet von vieler Dienerschaft, der
Graf Meinhard zu Mühlberg und der Schenk Walther von Vargel entgegen. Wolfframb
von Eschinbach begrüßte sie und erfuhr, daß der Landgraf Hermann sie nach
Eisenach sende, um den berühmten Meister Klingsohr feierlich abzuholen und zu
geleiten nach der Wartburg. Klingsohr hatte zur Nachtzeit sich auf einen hohen
Erker in Helgrefens Hause begeben und mit großer Mühe und Sorgfalt die Sterne
beobachtet. Als er nun seine astrologischen Linien zog, bemerkten ein paar
Schüler der Astrologie, die sich zu ihm gefunden, an seinem seltsamen Blick, an
seinem ganzen Wesen, daß irgendein wichtiges Geheimnis, welches er in den
Sternen gelesen, in seiner Seele liege. Sie trugen keine Scheu, ihn darum zu
befragen. Da stand Klingsohr auf von seinem Sitze und sprach mit feierlicher
Stimme: »Wisset, daß in dieser Nacht dem Könige von Ungarn, Andreas dem
Zweiten, ein Töchterlein geboren wurde. Die wird aber Elisabeth heißen und ob
ihrer Frömmigkeit und Tugend heiliggesprochen werden in künftiger Zeit von dem
Papst Gregor dem Neunten. Und die heilige Elisabeth ist erkoren zum Weibe
Ludwigs, des Sohnes Eures Herrn Landgrafen Hermann!«
Diese Prophezeiung wurde sogleich dem Landgrafen hinterbracht, der darüber
tief bis in das Herz hinein erfreut war. Er änderte auch seine Gesinnung gegen
den berühmten Meister, dessen geheimnisvolle Wissenschaft ihm einen solchen
schönen Hoffnungsstern aufgehen lassen, und beschloß, ihn mit allem Prunk, als
sei er ein Fürst und hoher Herr, nach der Wartburg geleiten zu lassen.
Wolfframb meinte, daß nun wohl gar darüber die Entscheidung des
Sängerkampfes auf Tod und Leben unterbleiben werde, zumal Heinrich von
Ofterdingen sich noch gar nicht gemeldet. Die Ritter versicherten dagegen, daß
der Landgraf schon Nachricht erhalten, wie Heinrich von Ofterdingen angekommen.
Der innere Burghof werde zum Kampfplatz eingerichtet und der Scharfrichter
Stempel aus Eisenach sei auch schon nach der Wartburg beschieden.
Meister Klingsohr verläßt die Wartburg. Entscheidung des Dichterkampfs
In einem schönen hohen Gemach auf der Wartburg saßen Landgraf Hermann und
Meister Klingsohr im traulichen Gespräch beisammen, Klingsohr versicherte
nochmals, daß er die Konstellation der vorigen Nacht in die Elisabeths Geburt
getreten, ganz und gar erschaut und schloß mit dem Rat, daß Landgraf Hermann
sofort eine Gesandtschaft an den König von Ungarn abschicken und für seinen
eilfjährigen Sohn Ludwig um die neugeborne Prinzessin werben lassen solle. Dem
Landgrafen gefiel dieser Rat sehr wohl, und als er nun des Meisters Wissenschaft
rühmte, begann dieser von den Geheimnissen der Natur, von dem Mikrokosmus und
Makrokosmus so gelehrt und herrlich zu sprechen, daß der Landgraf, selbst nicht
ganz unerfahren in dergleichen Dingen, erfüllt wurde von der tiefsten
Bewunderung. »Ei«, sprach der Landgraf, »ei, Meister Klingsohr, ich möchte
beständig Eures lehrreichen Umgangs genießen. Verlaßt das unwirtbare
Siebenbürgen und zieht an meinen Hof, an dem, wie Ihr es einräumen werdet,
Wissenschaft und Kunst höher geachtet werden, als irgendwo. Die Meister des
Gesanges werden Euch aufnehmen wie ihren Herrn, denn wohl möget Ihr in dieser
Kunst ebenso reich begabt sein, als in der Astrologie und andern tiefen
Wissenschaften. Also bleibt immer hier und gedenkt nicht zurückzukehren nach
Siebenbürgen.« »Erlaubt«, erwiderte Meister Klingsohr, »erlaubt, mein hoher
Fürst, daß ich noch in dieser Stunde zurückkehren darf nach Eisenach und dann
weiter nach Siebenbürgen. Nicht so unwirtbar ist das Land, als Ihr es glauben
möget, und dann meinen Studien so recht gelegen. Bedenkt auch weiter, daß ich
unmöglich meinem Könige Andreas dem Zweiten zu nahe treten darf, von dem ich ob
meiner Bergwerkskunde, die ihm schon manchen an den edelsten Metallen reichen
Schacht aufgetan, einen Jahrgehalt von dreitausend Mark Silber genieße, und
also lebe in der sorgenlosen Ruhe, die allein Kunst und Wissenschaft gedeihen
läßt. Hier würde es nun, sollt ich auch wohl jenen Jahrgehalt entbehren können,
nichts als Zank und Streit geben mit Euern Meistern. Meine Kunst beruht auf
andern Grundfesten, als die ihrige, und will sich nun auch dann ganz anders
gestalten von innen und außen. Mag es doch sein, daß ihr frommer Sinn und ihr
reiches Gemüt (wie sie es nennen) ihnen genug ist zum Dichten ihrer Lieder, und
daß sie sich wie furchtsame Kinder nicht hinauswagen wollen in ein fremdes
Gebiet, ich will sie darum gar nicht eben verachten, aber mich in ihre Reihe zu
stellen, das bleibt unmöglich.« »So werdet Ihr«, sprach der Landgraf, »doch
noch dem Streit, der sich zwischen Euerm Schüler Heinrich von Ofterdingen und
den andern Meistern entsponnen, als Schiedsrichter beiwohnen?« »Mitnichten«,
erwiderte Klingsohr, »wie könnt ich denn das, und wenn ich es auch könnte, so
würde ich es doch nie wollen. Ihr selbst, mein hoher Fürst, entscheidet den Streit,
indem Ihr nur die Stimme des Volks bestätigt, die gewißlich laut werden wird.
Nennt aber Heinrich von Ofterdingen nicht meinen Schüler. Es schien, als wenn
er Mut und Kraft hätte, aber nur an der bittern Schale nagte er, ohne die
Süßigkeit des Kerns zu schmecken! – Nun! – bestimmt getrost den Tag des Kampfs,
ich werde dafür sorgen, daß Heinrich von Ofterdingen sich pünktlich gestelle.«
Die dringendsten Bitten des Landgrafen vermochten nichts über den
störrischen Meister. Er blieb bei seinen Entschlüssen und verließ, vom
Landgrafen reichlich beschenkt, die Wartburg.
Der verhängnisvolle Tag, an dem der Kampf der Sänger beginnen und enden
sollte, war gekommen. In dem Burghofe hatte man Schranken gebauet, beinahe als
sollte es ein Turnier geben. Mitten im Kreise befanden sich zwei schwarz
behängte Sitze für die kämpfenden Sänger, hinter denselben war ein hohes
Schafott errichtet. Der Landgraf hatte zwei edle, des Gesanges kundige Herren
vom Hofe, eben dieselben, die den Meister Klingsohr nach der Wartburg
geleiteten, den Grafen Meinhard zu Mühlberg und den Schenken Walther von
Vargel, zu Schiedsrichtern erwählt. Für diese und den Landgrafen war den
Kämpfenden gegenüber ein hohes reichbehängtes Gerüst errichtet, dem sich die
Sitze der Damen und der übrigen Zuschauer anschlossen. Nur den Meistern war,
den kämpfenden Sängern und dem Schafott zur Seite eine besondere schwarz
behängte Bank bestimmt.
Tausende von Zuschauern hatten die Plätze gefüllt, aus allen Fenstern der
Wartburg, ja von den Dächern guckte die neugierige Menge herab. Unter dem
dumpfen Schall gedämpfter Pauken und Trompeten kam der Landgraf von den
Schiedsrichtern begleitet aus dem Tor der Burg und bestieg das Gerüst. Die
Meister in feierlichem Zuge, Walther von der Vogelweid an der Spitze, nahmen
die für sie bestimmte Bank ein. Auf dem Schafott stand mit zween Knechten der
Scharfrichter aus Eisenach, Stempel, ein riesenhafter Kerl von wildem trotzigen
Ansehen, in einen weiten blutroten Mantel gewickelt, aus dessen Falten der
funkelnde Griff eines ungeheuren Schwerts hervorblickte. Vor dem Schafott nahm
Pater Leonhard Platz, des Landgrafen Beichtiger, gesendet, um dem Besiegten
beizustehen in der Todesstunde.
Ein ahnungsbanges Schweigen, in dem jeder Seufzer hörbar, ruhte auf der
versammelten Menge. Man erwartete mit innerm Entsetzen das Unerhörte, das sich
nun begeben sollte. Da trat, mit den Zeichen seiner Würde angetan, des
Landgrafen Marschall Herr Franz von Waldstromer, hinein in den Kreis und verlas
nochmals die Ursache des Streits und das unwiderrufliche Gebot des Landgrafen
Hermann, nach welchem der im Gesange Besiegte hingerichtet werden solle mit dem
Schwert. Pater Leonhard erhob das Kruzifix und alle Meister, vor ihrer Bank mit
entblößtem Häuptern knieend, schworen, sich willig und freudig zu unterwerfen
dem Gebot des Landgrafen Hermann. Sodann schwang der Scharfrichter Stempel das
breite blitzfunkelnde Schwert dreimal durch die Lüfte und rief mit dröhnender
Stimme: Er wolle den, der ihm in die Hand gegeben, richten nach bestem Wissen
und Gewissen. Nun erschallten die Trompeten, Hr. Franz von Waldstromer
trat in die Mitte des Kreises und rief dreimal stark und nachdrücklich:
»Heinrich von Ofterdingen – Heinrich von Ofterdingen – Heinrich von
Ofterdingen!«
Und als habe Heinrich unbemerkt dicht an den Schranken auf das Verhallen des
letzten Rufs gewartet, so stand er plötzlich bei dem Marschall in der Mitte des
Kreises. Er verneigte sich vor dem Landgrafen und sprach mit festem Ton, er sei
gekommen nach dem Willen des Landgrafen in den Kampf zu gehen mit dem
Meister, der sich gegenüberstellen werde, und wolle sich unterwerfen dem Urteil
der erwählten Schiedsrichter. Darauf trat der Marschall vor die Meister hin mit
einem silbernen Gefäß, aus dem jeder ein Los ziehen mußte. Sowie Wolfframb von
Eschinbach sein Los entwickelte, fand er das Zeichen des Meisters, der zum
Kampf bestimmt sein sollte. Todesschrecken wollte ihn übermannen, als er
gedachte, wie er nun gegen den Freund kämpfen sollte, doch bald war es ihm, als
sei es ja eben die gnadenreiche Macht des Himmels, die ihn zum Kämpfer
erwählt. Besiegt würde er ja gerne sterben, als Sieger aber auch eher selbst in
den Tod gehen, als zugeben, daß Heinrich von Ofterdingen unter der Hand des
Henkers sterben solle. Freudig mit heitrem Antlitz begab er sich auf den Platz.
Als er nun dem Freunde gegenübersaß und ihm ins Antlitz schaute, befiel ihn ein
seltsames Grauen. Er sah des Freundes Züge, aber aus dem leichenblassen Gesicht
funkelten unheimlich glühende Augen ihn an, er mußte an Nasias denken.
Heinrich von Ofterdingen begann seine Lieder und Wolfframb wollte sich
beinah entsetzen, als er dasselbe vernahm, was Nasias in jener verhängnisvollen
Nacht gesungen. Er faßte sich jedoch mit Gewalt zusammen und antwortete seinem
Gegner mit einem hochherrlichen Liede, daß der Jubel von tausend Zungen in die
Lüfte emportönte und das Volk ihm schon den Sieg zuerkennen wollte. Auf den
Befehl des Landgrafen mußte jedoch Heinrich von Ofterdingen weitergingen.
Heinrich begann nun Lieder, die in den wunderlichsten Weisen solche Lust des
Lebens atmeten, daß, wie von dem glutvollen Blütenhauch der Gewächse des fernen
Indiens berührt, alle in süße Betäubung versanken. Selbst Wolfframb von
Eschinbach fühlte sich entrückt in ein fremdes Gebiet, er konnte sich nicht auf
seine Lieder, nicht mehr auf sich selbst besinnen. In dem Augenblick entstand
am Eingange des Kreises ein Geräusch, die Zuschauer wichen auseinander.
Wolfframb durchbebte ein elektrischer Schlag, er erwachte aus dem träumerischen
Hinbrüten, er blickte hin, und o Himmel! eben schritt die Dame Mathilde in
aller Holdseligkeit und Anmut, wie zu jener Zeit, als er sie zum erstenmal im
Garten auf der Wartburg sah, in den Kreis. Sie warf den seelenvollsten Blick
der innigsten Liebe auf ihn. Da schwang sich die Lust des Himmels, das
glühendste Entzücken jubelnd empor in demselben Liede, womit er in jener Nacht
den Bösen bezwungen. Das Volk erkannte ihm mit stürmischen Getöse den Sieg zu.
Der Landgraf erhob sich mit den Schiedsrichtern. Trompeten ertönten, der
Marschall nahm den Kranz aus den Händen des Landgrafen, um ihn dem Sänger zu
bringen. Stempel rüstete sich sein Amt zu verrichten, aber die Schergen, die
den Besiegten fassen wollten, griffen in eine schwarze Rauchwolke, die sich
brausend und zischend erhob und schnell in den Lüften verdampfte. Heinrich von
Ofterdingen war verschwunden auf unbegreifliche Weise. Verwirrt, Entsetzen auf
den bleichen Gesichtern, lief alles durcheinander; man sprach von
Teufelsgestalten, von bösem Spuk. Der Landgraf versammelte aber die Meister um
sich und redete also zu ihnen: »Ich verstehe wohl jetzt, was Meister Klingsohr
eigentlich gemeint hat, wenn er so seltsam und wunderlich über den Kampf der
Sänger sprach und durchaus nicht selbst entscheiden wollte, und mag es ihm wohl
Dank wissen, daß sich alles so fügte. Ist es nun Heinrich von Ofterdingen
selbst gewesen, der sich in den Kampf stellte, oder einer, den Klingsohr
sandte, statt des Schülers, das gilt gleich. Der Kampf ist entschieden, euch
zugunsten, ihr meine wackern Meister, und laßt uns nun in Ruhe und Einigkeit
die herrliche Kunst des Gesanges ehren und nach Kräften fördern!«
Einige Diener des Landgrafen, die die Burgwacht gehabt, sagten aus, wie zur
selben Stunde, als Wolfframb von Eschinbach den vermeintlichen Heinrich von Ofterdingen
besiegt hatte, eine Gestalt, beinahe anzusehen wie Meister Klingsohr, auf einem
schwarzen schnaubenden Rosse durch die Burgpforten davongesprengt sei.
Beschluß
Die Gräfin Mathilde hatte sich indessen nach dem Garten der Wartburg begeben
und Wolfframb von Eschinbach war ihr dahin nachgefolgt.
Als er sie nun fand, wie sie unter schönen blühenden Bäumen auf einer
blumigen Rasenbank saß, die Hände auf dem Schoß gefaltet, das schöne Haupt in
Schwermut niedergesenkt zur Erde, da warf er sich der holden Frau zu Füßen,
keines Wortes mächtig. Mathilde umfing voll sehnsüchtigen Verlangens den
Geliebten. Beide vergossen heiße Tränen vor süßer Wehmut, vor Liebesschmerz.
»Ach Wolfframb«, sprach Mathilde endlich, »ach Wolfframb, welch ein böser Traum
hat mich berückt, wie habe ich mich, ein unbedachtsames verblendetes Kind,
hingegeben dem Bösen, der mir nachstellte? Wie habe ich mich gegen dich
vergangen! Wirst du mir denn verzeihen können!«
Wolfframb schloß Mathilden in seine Arme und drückte zum erstenmal brennende
Küsse auf den süßen Rosenmund der holdseligsten Frau. Er versicherte, wie sie
fortwährend in seinem Herzen gelebt, wie er der bösen Macht zum Trotz ihr treu
geblieben, wie nur sie allein, die Dame seiner Gedanken, ihn zu dem Liede
begeistert, vor dem der Böse gewichen. »O«, sprach Mathilde, »o mein
Geliebter, laß es dir nur sagen, auf welche wunderbare Weise du mich errettet
hast aus den bösen Schlingen, die mir gelegt. In einer Nacht, nur kurze Zeit
ist darüber verstrichen, umfingen mich seltsame, grauenvolle Bilder. Selbst
wußt ich nicht, war es Lust oder Qual, was meine Brust so gewaltsam
zusammenpreßte, daß ich kaum zu atmen vermochte. Von unwiderstehlichem Drange
getrieben, fing ich an, ein Lied aufzuschreiben, ganz nach der Art meines
unheimlichen Meisters, aber da betäubte ein wunderliches halb wohllautendes,
halb widrigklingendes Getön meine Sinne und es war, als habe ich statt des
Liedes die schauerliche Formel aufgeschrieben, deren Bann die finstre Macht
gehorchen müsse. Eine wilde entsetzliche Gestalt stieg auf, umfaßte mich mit
glühenden Armen und wollte mich hinabreißen in den schwarzen Abgrund. Doch
plötzlich leuchtete ein Lied durch die Finsternis, dessen Töne funkelten wie
milder Sternenschimmer. Die finstre Gestalt hatte ohnmächtig von mir ablassen
müssen, jetzt streckte sie aufs neue grimmig die glühenden Arme nach mir aus,
aber nicht mich, nur das Lied, das ich gedichtet, konnte sie erfassen und damit
stürzte sie sich kreischend in den Abgrund. Dein Lied war es, das Lied,
das du heute sangst, das Lied, vor dem der Böse weichen mußte, war es, was mich
rettete. Nun bin ich ganz dein, meine Lieder sind nur die treue Liebe zu dir,
deren überschwengliche Seligkeit keine Worte zu verkünden vermögen!« – Aufs
neue sanken sich die Liebenden in die Arme und konnten nicht aufhören von der
überstandnen Qual, von dem süßen Augenblick des Wiederfindens zu reden.
Mathilde hatte aber in derselben Nacht, in welcher Wolfframb den Nasias
völlig überwand, im Traum das Lied deutlich gehört und verstanden, welches
Wolfframb damals in der höchsten Begeisterung der innigsten frömmsten Liebe
sang, und dann auf der Wartburg im Kampf seinen Gegner besiegend wiederholte.
Wolfframb von Eschinbach saß zur späten Abendzeit einsam, auf neue Lieder
sinnend, in seinem Gemach. Da trat sein Hauswirt Gottschalk zu ihm hinein und
rief freudig: »O mein edler, würdiger Herr, wie habt Ihr mit Eurer hohen
Kunst doch den Bösen besiegt. Verlöscht von selbst sind die häßlichen Worte in
Eurem Gemach. Tausend Dank sei Euch gezollt. – Aber hier trage ich etwas für
Euch bei mir, das in meinem Hause abgegeben worden zur weiteren Förderung.«
Damit überreichte Gottschalk ihm einen zusammengefalteten, mit Wachs
wohlversiegelten Brief.
Wolfframb von Eschinbach schlug den Brief auseinander. Er war von Heinrich
von Ofterdingen und lautete also:
»Ich begrüße dich, mein herzlicher Wolfframb! wie einer, der von der bösen
Krankheit genesen ist, die ihm den schmerzlichsten Tod drohte. Es ist mir viel
Seltsames begegnet, doch – laß mich schweigen über die Unbill einer Zeit, die
hinter mir liegt wie ein dunkles, undurchdringliches Geheimnis. Du wirst noch
der Worte gedenken, die du sprachst, als ich mich voll törichten Übermuts der
innern Kraft rühmte, die mich über dich, über alle Meister erhöbe. Du sagtest
damals, vielleicht würde ich mich plötzlich an dem Rande eines tiefen
bodenlosen Abgrunds befinden, preisgegeben den Wirbeln des Schwindels und dem
Absturz nahe; dann würdest du festen Mutes hinter mir stehen, und mich
festhalten mit starken Armen. Wolfframb! es ist geschehen, was deine ahnende
Seele damals weissagte. An dem Rande des Abgrundes stand ich und du hieltst
mich fest, als schon verderbliche Schwindel mich betäubten. Dein schöner Sieg
ist es, der, indem er deinen Gegner vernichtete, mich dem frohen Leben
wiedergab. Ja mein Wolfframb! vor deinem Liede sanken die mächtigen Schleier,
die mich umhüllten, und ich schaute wieder zum heitern Himmel empor. Muß ich
dich denn deshalb nicht doppelt lieben? – Du hast den Klingsohr als hohen
Meister erkannt. Er ist es; aber wehe dem, der nicht begabt mit der
eigentümlichen Kraft, die ihm eigen, es wagt ihm gleich entgegenzustreben dem
finstern Reich, das er sich erschlossen. – Ich habe dem Meister entsagt, nicht
mehr schwanke ich trostlos umher an den Ufern des Höllenflusses, ich bin
wiedergegeben der süßen Heimat. – Mathilde! – Nein es war wohl nicht die
herrliche Frau, es war ein unheimlicher Spuk, der mich erfüllte mit
trügerischen Bildern eitler irdischer Lust! – Vergiß, was ich im Wahnsinn tat.
Grüße die Meister und sage ihnen, wie es jetzt mit mir steht. Lebe wohl, mein
innig geliebter Wolfframb. Vielleicht wirst du bald von mir hören!«
Einige Zeit war verstrichen, da kam die Nachricht nach der Wartburg, daß
Heinrich von Ofterdingen sich am Hofe des Herzogs von Österreich, Leopolds des
Siebenten befinde, und viele herrliche Lieder singe. Bald darauf erhielt der
Landgrat Hermann eine saubere Abschrift derselben nebst den dabeigesetzten
Singweisen. Alle Meister freuten sich herzinniglich, da sie überzeugt wurden,
daß Heinrich von Ofterdingen allem Falschen entsagt und trotz aller Versuchung
des Bösen doch sein reines frommes Sängergemüt bewahrt hatte.
So war es Wolfframbs von Eschinbach hohe, dem reinsten Gemüt entströmende
Kunst des Gesanges, die im glorreichen Siege über den Feind die Geliebte
rettete und den Freund vom böslichen Verderben.