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Dieter M. Gräf: Falsches Rot

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Martina Hefter, Jan Kuhlbrodt:

Mailwechsel zu Dieter M. Gräf: Falsches Rot


Folgender Mailwechsel zwischen Jan Kuhlbrodt und mir stellt keine Rezension dar.
 
Da ich eigentlich Lust hatte, privat mit Jan über Dieter M. Gräfs neuen Gedichtband “Falsches Rot” zu sprechen, er aber derzeit nicht in Leipzig ist und ich nicht so gern telefoniere, schrieben wir uns Mails. Zumindest von meiner Seite aus war mir dabei der Aspekt der Spontanität wichtig - ich ließ mir nicht viel Zeit mit dem, was ich schrieb und korrigierte mich bis auf Tippfehler und ganz große Irrtümer kaum, ich ließ fast alles so stehen, wie es zuerst hingeschrieben wurde. Ich wollte in einer Haltung schreiben, die der ähnlich ist, wenn ich mit Jan oder jemand anderem spreche.


Teil 1

Liebe Martina,

vielleicht fangen wir mit dem Raum Drei an, dem letzten Teil des Bandes, mit dem genialen Titel „Busfahrer stammen von Busfahrern ab“, der sich aus Erinnerungen an eine vergangene Welt speist, an vergangene Lieben. Ein letztlich sehr privates Kapitel. So ein melancholischer Grundton! Und, ein Wort, das ich mir eigentlich im Zusammenhang mit Gedichten verbiete, Zärtlichkeit. Ich frage mich, wie es dazu kommt, dass ich es in diesen Gedichten zulasse.
 
Nimm dieses Gedicht “Das blaue Handtuch”, das auf sehr knappe Weise eigentlich diesen ganzen Erinnerungsraum aufmacht und ihn auch benennt:
 
Und dann auch noch doppelt: “ich bringe dir alles zurück, was es nicht mehr gibt.” Im Grunde ein kitschiger Satz, aber im Kontext und auch durch den Satz und die Wiederholung funktioniert das irgendwie. Ich bin einigermaßen verblüfft.

Lieber Jan,
 
ja, ich muss zugeben, ich war gerührt und sozusagen “angegriffen” vom letzten Kapitel. Auf gute Art angegriffen. Ich hätte das für mich selber lange Zeit so nicht formuliert, wie wichtig es mir ist, von Texten emotional angegangen zu werden. Wie sich das schon anhört. Dabei meint das ja gar nicht nur unbedingt diese Formen von Emotion, an die man bei dem Wort immer am schnellsten denkt - also an großes Kino, traurige Wucht, Sentimentalität usw. Aber auch diese sind irgendwie doch durchaus “erlaubt”.
 

Den Text “Das blaue Handtuch” finde ich auch formal sehr schön, weil er mit zwei Spalten arbeitet. In der linken steht das eigentliche Gedicht, in der rechten werden die erste Verszeile und die, die genau in der Mitte steht, wiederholt, und zwischen diesen beiden steht, dann leicht im Zeilenbruch geändert, eine weitere Wiederholung des entsprechenden Textes links. Das erinnert mich ein bisschen an Notenschrift. Was rechts steht, ist wie eine musikalische Verzierung, oder eine Variation, die an diesen Stellen mitklingt. Das Prinzip gibt es auch in einigen anderen Texten. Und es ist auch wirklich so, dass ich diese Texte als sehr musikalisch empfinde, obwohl Musikalität im ganzen Band keineswegs als Hauptmerkmal oder als eine Art Branding angelegt ist, also es gibt keine deutlichen Signale, dieser Band sei eine Annäherung an Partitur. Das ganze Buch ist dezent und gleichzeitig komplett souverän musikalisch.


Liebe Martina,

vielleicht hast du recht, und vielleicht entfaltet sich das letzte Kapitel für mich in dieser kargen Schönheit ja in dieser Art, weil ihm eben die anderen vorangehen, in denen zersplitternde Gesellschaftsutopien vorgestellt werden, beginnend mit den Münsteraner Wiedertäufern, die das Privateigentum abschafften und deren Utopie in eine martialische Diktatur umschlägt, weil sie sich auf das Dogmatischste ans Bibelwort halten und alles abschneiden, was dem Wort nicht sklavisch sich unterwirft. Die Strophen, die den Vorgang beschreiben, haben allesamt drei Verse, als wollten sie das Ganze noch einmal spiegeln. Und an dieses Gedicht schließt sich eine grandiose Fotostrecke an, die das Ganze bildlich fasst. Also die Struktur. Vom Familienauto quasi als Gegengewicht zum stalinistischen Monument.


Lieber Jan,
 
da gibts jetzt viel zu antworten. Alles der Reihe nach. Ich muss erst nochmal an die Musik anschließen, und dass die Nähe zu ihr kein Konzept des Bandes, sondern - oh mei, wie das jetzt klingt - eben seine Natur, also der Autor eben sicher sehr musikalisch ist. Was das Buch aber ganz deutlich herstellen will (nicht im negativen Sinn gesagt, also nicht, dass es das forciert tut, sondern ganz selbstverständlich), ist eine Nähe zu Bildender Kunst. Allein, dass die Kapitel jeweils “Raum 1”, “Raum 2”, “Raum 3”, heißen - wie Räume einer Galerie. Und dann die grafischen Anordnungen, das Schriftbild, und natürlich die Fotografien! Und der Titel “Falsches Rot” - selbst wenn man, wie ich, vorher den Kontext nicht kannte, denkt man da ja sofort an Malerei.
Ja, und inhaltlich gehts in den ersten zwei Räumen um - und jetzt muss ich abbrechen, denn ich habe die Krankheit, dass ich mich gegen inhaltliche Wiedergaben so sperre, wenn ich in Bezug auf diese Inhalte nicht gerade belesen bin. Aber du hast ja schon angerissen, worum es (auch) geht.
Meine Sperr-Krankheit ist jedesmal ein guter Gradmesser, ob Texte mit starken Bezügen zu “Spezialwissen” auch außerhalb des Kreises funktionieren, die ebenso dieses Spezialwissen besitzen. Die entsprechenden Texte in “Falsches Rot” tun das, sie funktionieren bei mir. Ich fühle mich überhaupt nicht allein gelassen damit. Hier ist schon enormes Wissen verbaut, kunstgeschichtliches, politisches, gesellschaftliches (ich weiß nicht mal, wie ich es nennen soll) - und oh Wunder, es erschließt sich mir eigentlich sehr gut. Es gibt auch Anmerkungen hinten im Buch, aber die habe ich alle erst später gelesen. Woher kommt das? Vielleicht ist das wieder die Form? Aber alles kann man mit der Form auch nicht erklären, und damit täte ich den Texten auch Unrecht, gerade eben weil sie nicht nur Form sind und sein wollen.
Aber - es ist da eine Eleganz in den Gedichten. Schon wieder so ein schwieriger Begriff. Bleibe ich mal dran: Eleganz, die mir das Lesen schlicht leicht macht. Da stimmt jeder Vers, das ist nicht verschnörkelt, da ist kein Lyrizismus, da stehen keine Sätze, die ein bisschen oder sogar sehr verrückt klingen wollen. Das hat Hand und Fuß, sozusagen. Ich bin einfach ein Fan von Handwerk, und eigentlich will ich nicht immer nur das Handwerk loben, sondern auch mal die Ideen des Inhalts - tu ich ja auch noch, später, vor allem bei den Texten aus Buch drei fällt es mir leichter.


Zu Teil 2 »

Dieter M. Gräf: Falsches Rot. Gedichte und Fotografien. Berlin (brueterich press) 2018. 209 Seiten. 20,00 Euro.
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