Dieter M. Gräf: Falsches Rot, (2)
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Martina Hefter, Jan Kuhlbrodt:
Mailwechsel zu Dieter M. Gräf: Falsches Rot
Folgender Mailwechsel zwischen Jan Kuhlbrodt und mir stellt keine Rezension dar.
Da ich eigentlich Lust hatte, privat mit Jan über Dieter M. Gräfs neuen Gedichtband “Falsches Rot” zu sprechen, er aber derzeit nicht in Leipzig ist und ich nicht so gern telefoniere, schrieben wir uns Mails. Zumindest von meiner Seite aus war mir dabei der Aspekt der Spontanität wichtig - ich ließ mir nicht viel Zeit mit dem, was ich schrieb und korrigierte mich bis auf Tippfehler und ganz große Irrtümer kaum, ich ließ fast alles so stehen, wie es zuerst hingeschrieben wurde. Ich wollte in einer Haltung schreiben, die der ähnlich ist, wenn ich mit Jan oder jemand anderem spreche.
Teil 2
Liebe Martina,
nachdem in Raum 1 auch Schauplätze jüngstvergangener Kriege inspiziert werden, gelangen wir in Raum 2 auf ein Trümmerfeld, dass aktuell natürlich überbaut scheint. Wieder sichern die Fotografien die Reste. Es sind die Trümmer der DDR (was mir zunehmend schwerer wird auszusprechen.) Ich gebe zu, dass dieses Thema mir anfangs Unbehagen bereitete. Allerdings fällt es mir ebenso schwer, es aus meinem Kopf zu tilgen. Heilsam vielleicht Dieters Text. Denn eben inspiziert hier kein Ostdeutscher, kein ehemaliger Zoni, wie ich einer bin. Einer, der seit Jahren um einen Abschluss damit ringt, dem seine Vergangenheit aber immer noch anhängt wie dem Gefangenen im Trickfilm so eine komische Eisenkugel ans Fußgelenk gekettet ist.
Dieter M. Gräf spaziert sozusagen durch die Trümmer, die hier und da aus der Erde ragen. Und er beginnt mit dem Dichter der DDR-Nationalhymne Johannes R. Becher. Ein Dichter, dessen Texte für mich auch Schulstoff waren, und einige davon kann ich, weil ich unter einem elefantischen Gedächtnis leide, immer noch auswendig.
Und Dieters Gedicht endet mit dem wirklich größenwahnsinnigen Grabsteinspruch, den Becher sich selbst gedichtet hat. Ich merke im Text, wie meine ganze Abwehr gegen diesen ehemaligen Schulstoff in mir wieder erwacht. Diese Abwehr bleibt bestehen, und es kostete mich auch Überwindung, durch den ganzen Text zu gehen. Das letztlich Befreiende aber ist, dass sich der Monolith sozialistischer Bildung hier in einen zerkloppten Ziegel verwandelt. Ich kann mir vorstellen, dass das für dich nicht ganz so ein Brocken ist und du in der Lage bist, das kühler zu betrachten, mit dem Inspizientenblick sozusagen, der die Trümmer als Trümmer sieht.
Lieber Jan,
es klingt seltsam, aber in diesem Kapitel haben mich vor allem die Fotografien beschäftigt. Es sind nämlich einige Aufnahmen dabei, die für mich selbst eine – immer ganz profane - biografische Bedeutung haben. Vor allem die Fotos aus dem Volkspark Friedrichshain und dem Treptower Park mit dem Sowjetischen Ehrenmal. Anfang der 90iger Jahre habe ich ja auch in Berlin gelebt für einige Jahre, und ich war sehr oft in diesen Parks, vor allem im Treptower Park, weil ich da in der Nähe wohnte. Damals war dort die DDR noch extrem anwesend, es sah alles ganz anders aus als z.B. im Viktoriapark in Kreuzberg oder in der Hasenheide. Es war großräumiger, weiter, aber auch geordneter angelegt, und dann gabs eben die ganzen Monumente, die Dieter M. Gräf oft fotografiert hat. Eine der Fotografien zeigt die Hirsch- ( oder eher Elch?-)Skulptur im Tierpark Berlin. In der Nähe des Tierparks schauten eine Freundin von mir und ich uns mal eine Wohnung an, sie war in einem freistehenden Haus, so eine Art Bauhausvilla, die Wohnung war toll und bezahlbar, ich wollte gern einziehen, die Freundin aber nicht, ihr war es zu weit draußen. Wir fühlten uns beide wie in einem fremden Land, sehr weit weg, ich mochte das. In den Tierpark bin ich dann aber öfter gefahren, der Ort hatte eine etwas gruselige, aber auch sentimentale Anziehungskraft für mich, die ich mir nicht erklären konnte. Das Gefühl wurde beim Anblick der Hirschfotografie wieder sehr präsent.
Das Gedicht über Becher, von dem du sprichst, ist dagegen eines der wenigen im Band, die mich gar nicht so sehr gefangen nahmen. Das liegt vielleicht gar nicht am Gedicht - oder vielleicht ist es eines, das diese emotionale Ebene, von der wir neulich sprachen, dort ziemlich ausblendet, ich bekomme Grund nicht so sehr zu fassen.
Liebe Martina
Ja es ist vielleicht so, dass man an den Dingen hängen bleibt, zu denen sich ein persönlicher Bezug herstellen lässt, und dass man die Texte entsprechend auch zunächst wahrnimmt. Es ist eine Art Archäologie deren Grabungsverhalten individuell motiviert ist. Da ist in der ersten Fotostrecke (S. 30) dieses Foto mit einem Drahtgeflecht vor dem Himmel. Mehr ist da nicht drauf. An dem bleibe ich immer hängen. Es ist fast allegorisch.
Lieber Jan,
Wo du von den Fotos sprichst, bei denen man hängen bleibt: Das mit dem Drahtgeflecht und den Wolken gefällt mir auch sehr. Das jedoch, an dem ich noch mehr hängen bleibe - und damit kommen wir nochmal auf das DDR-Thema zurück - ist das mit dem Fassadenausschnitt: Stasi, Berlin-Lichtenberg. Gar nicht so sehr wegen des Stasi-Bezugs, ehrlich gesagt, sondern weil der Wiedererkennungsfaktor hier so hoch ist. Diese Fassaden sind ja fast wie ein Symbol, das für die DDR steht, bzw. eines von mehreren Symbolen. Ich muss natürlich gleich an Chemnitz denken, wo die Gebäude mit ähnlichen Fassaden das erste waren, was ich von der Stadt wahrgenommen habe. Darüber hinaus ist das Foto im Buch natürlich auch “symbolisch” für die Stasi, die Fassade, aus solcher Nähe betrachtet, wirkt wie ein unendliches Geflecht aus lauter Spählöchern, oder auch aus teils flüsternden, teils schreienden Mündern.
Aber jetzt noch zu einem anderen Gedicht aus dem Teil des Bandes, das mich mehr interessiert hat als das Becher-Gedicht: Es ist das Langgedicht “Wo bitte ist das Kombinat?” Das ist eine Art Erinnerungsspaziergang und auch Reflexion eines erkennbar Westdeutschen - ähm - lyrischen Ichs (ich kann diesen Ausdruck nicht leiden, aber mir fällt auf die Schnelle nichts besseres ein) durch die untergegangene DDR, samt erster eigener Reiseerfahrungen nach Drüben, Wolfgang Hilbig kommt auch vor. Da ist einiges, was ich auch wiedererkenne. Aber dann - weil du vorhin schriebst, ich könne das mit dem Becher-Gedicht womöglich kühler betrachten - merke ich plötzlich, wie sich die Wege der Person im Gedicht und meine eigenen biografischen Wege trennen! Und ich muss daran denken, wie viel mehr ich persönlich in die untergegangene DDR reingezogen wurde und empfinde plötzlich den Blick dieses Ichs in dem Buch als ganz fremd. Seltsam, oder? Das ist jetzt natürlich komplett subjektiv auf mich als Leserin bezogen und nicht mehr auf den Text, aber es fiel mir halt auf. Durch meine Biografie nehme ich eine Zwischenstellung zwischen der Person in den Texten im Buch (oder eigentlich auch dem Autor) und dir ein.
Worauf ich damit hinauswill, weiß ich selbst gerade nicht. Vielleicht, dass es die Gedichte und auch die Fotos in diesem Kapitel ermöglichen, dass hier viele weitere Gespräche entstehen können, zwischen den Leserinnen und Lesern des Buchs. Du hast ja oben schon gemerkt, dass ich scharf drauf war, alle möglichen Anekdoten zu den Fotografien zu erzählen. Ähnlich gings mir bei dem Langgedicht. Und das ist etwas, das ich mag - wenn ein Kunstwerk bewirkt, dass sich Betrachterinnen und Betrachter, Leserinnen und Leser ermuntert fühlen, selber ihre eigenen Erzählungen dazu mitzuteilen. Das ist fast, als wären sie Miturheber_x des Kunstwerks.
Dieter M. Gräf: Falsches Rot. Gedichte und Fotografien. Berlin (brueterich press) 2018. 209 Seiten. 20,00 Euro.