Dieter M. Gräf: Falsches Rot (3)
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Martina Hefter, Jan Kuhlbrodt:
Mailwechsel zu Dieter M. Gräf: Falsches Rot
Folgender Mailwechsel zwischen Jan Kuhlbrodt und mir stellt keine Rezension dar.
Da ich eigentlich Lust hatte, privat mit Jan über Dieter M. Gräfs neuen Gedichtband “Falsches Rot” zu sprechen, er aber derzeit nicht in Leipzig ist und ich nicht so gern telefoniere, schrieben wir uns Mails. Zumindest von meiner Seite aus war mir dabei der Aspekt der Spontanität wichtig - ich ließ mir nicht viel Zeit mit dem, was ich schrieb und korrigierte mich bis auf Tippfehler und ganz große Irrtümer kaum, ich ließ fast alles so stehen, wie es zuerst hingeschrieben wurde. Ich wollte in einer Haltung schreiben, die der ähnlich ist, wenn ich mit Jan oder jemand anderem spreche.
Teil 3
Liebe Martina
Nennen wir das,
was jetzt kommt, den RAF-Teil, oder wäre das ungerecht? Die radikale
Politisierung führt zum radikalen Verlust des Privaten. Das macht mir eine
Gänsehaut. Erst werden die Terroristen reine Funktionsmaschinen und dann eine
Art Western- oder Comichelden. Auch hier die Fotografien. Als wären die
Stammheimmauern die Ikonen der alten BRD. Ist das eine Beschwörung? Vielleicht
ein Versuch, den Mythos zu bewältigen, die Aktionen zurückzustufen im Text auf
Höhe von Räuberpistolen. Auf einer Mauer Ensslin, wenn ich das richtig erkenne,
als Pornoqueen.
Für mich als
DDR-Heini war die Bundesrepublik ja nicht das Land der RAF, sondern eher das
Land von Aufklebern mit der Forderung nach der 35-Stundenwoche, oder diesen
blauen Buttons mit der Friedenstaube. (Da hatte ich als Jugendlicher übrigens
auch einen.) Aber vielleicht hat dieses Kapitel ja genau die Position in seiner
radikalen Entprivatisierung, auf das private Nächste hinzuarbeiten. Mich würde
interessieren, wie es auf jüngere Leser wirkt. Auf mich wirkt es klaustrophobisch.
Ich will da unbedingt raus. Der Eindruck ist so stark, und das hat Dieter M.
Gräf souverän hinbekommen, dass hier nur eine Reinigung oder Katharsis folgen
kann.
“Seltsam, nicht
wahr, dass es vorn kaum Überlebende gab:” So beginnt das abschließende Gedicht.
Lieber Jan,
danke, dass du
es schon so gut zusammengefasst hast! Das ist so ein riesiges Thema, dass ich
dazu kaum was antworten kann, wenn ich nicht gleich Stunden damit zubringen
will. Allerdings, seltsam, dass ich diesen Teil des Buches, oder die Thematik,
als weniger präsent wahrgenommen habe als du. Was vielleicht daran liegt, dass
mein Fokus so oft auf der Form lag, ich komme nicht davon los, von der Form, der
Gestaltung des Buches (innen und außen), gefangen genommen zu sein (allein
schon die Seiten mit den ganz großen Schriften, wo mich die Texte eher an Texte
erinnern, wie sie manchmal in Galerien auf den Wänden stehen). Und ich habe oft
überlegt, ob meine Wahrnehmung den Texten ja vielleicht manchmal Unrecht tut,
weil sie das Inhaltliche darüber hinaus vergisst?
Ich muss die
Sache einfach nochmal aufrollen. Dazu muss ich kurz was über mein Deutschbuch
schreiben, das wir in der Unterstufe Gymnasium hatten, es war für mich ein
einziger Traum! Weil da so ein Mix versammelt war aus unterschiedlichsten
Texten, Textarten, auch Fotos, Schriftbildern, Aufgaben, Infos, Gedichten,
Romanauszügen, Schnipseln usw. Alles sehr unbekannt für mich, und dadurch
wahnsinnig interessant – eben auch in seiner Anordnung, die durchaus nicht
willkürlich und bunt durcheinander war, sondern ja einem Plan – dem Lehrplan –
folgte. Aber dennoch war dieses Planmäßige so abwechslungsreich angeordnet -
natürlich dort gar nicht aus ästhetischen Überlegungen, sondern mehr aus
Pragmatismus, denke ich. Beim Lesen von “Falsches Rot” ist mir wirklich immer
wieder dieses Deutschbuch eingefallen. Man sagte damals übrigens “Lesebuch”
dazu und nicht Deutschbuch. Und genau das trifft es, ich finde, auch “Falsches
Rot” ist so ein Lesebuch. Ich schmökere die ganze Zeit darin, ehrlich. Verstehe
nicht immer alles, aber bin einfach allein schon optisch angezogen von den
Seiten, und ich glaube, nicht zuerst aufgrund inhaltlicher Aspekte. Also sowas
wie die berühmten Aussagen, die Gedichte immer haben sollen, um mal im Kontext
des Deutschunterrichts zu bleiben. Das Deutsch- bzw. Lesebuch hat damals diese
Forderung nach Aussagen durch seine Form irgendwie unfreiwillig unterlaufen –
und trotzdem wusste man dann – vielleicht zuerst ganz unschuldig und unbewusst –
etwas von der Aussage. Bei “Falsches Rot” ist das natürlich nicht unfreiwillig,
dass es die Aussage zwar niemals als unwichtig erachtet, aber sie trotzdem
nicht auf eine Weise ideologisch behandelt und sie in den Vordergrund stellt –
was bei den Themen, die es versammelt, ja gar nicht so einfach ist. Da kann man
schnell in so einen Bedeutungsrausch kommen beim Schreiben, kann ich mir
vorstellen. Das passiert hier überhaupt nie. Und das ist schon eine tolle Sache
an dem Buch. “Falsches Rot” ist so gesehen ein zugleich lehrreicher und
unterhaltsamer Schmöker. Aber es ist auch – in meiner Wahrnehmung – viel eher
ein Werk der Bildenden Kunst als ein Werk der Literatur. Oder beides.
Dieter M. Gräf: Falsches Rot. Gedichte und Fotografien. Berlin (brueterich press) 2018. 209 Seiten. 20,00 Euro.